Völlig entstelltes Johann-Wolfgang-Goethe-Zitat. |
Dieses angebliche Goethe-Zitat ist eine Rückübersetzung aus dem Englischen, und dermaßen entstellt, dass man den Ursprung des Zitats im "Vorspiel auf dem Theater" von Goethes "Faust" kaum mehr erraten kann.
Zur Erinnerung: Im "Vorspiel auf dem Theater", der vor dem "Prolog im Himmel" im ersten Teil der Tragödie "Faust" steht, diskutieren ein Theaterdirektor mit einem Theaterdichter und einem Schauspieler (Lustige Person) über ihre verschiedenen Erwartungen von einer Theateraufführung.
Am Ende des Gesprächs sagt der Theaterdirektor: "Der Worte sind genug gewechselt, / Laßt mich auch endlich Taten sehn", und danach:
Wie der amerikanische Zitatforscher Garson O'Toole herausgefunden hat, wurde dieses Stelle von dem irischen Dichter John Anster 1835 in folgenden Worten sehr, sehr frei ins Englische übertragen:
Ich empfehle, andere englische Übersetzungen dieser Goethe-Stelle auf Garson O'Tooles unterhaltsamer, seriöser und informativer Webseite (quoteinvestigator.com) nachzulesen.
Vor etwa 20 Jahren wurde die freie englische Nachdichtung John Ansters ins Deutsche übersetzt und diese Übersetzung Johann Wolfgang von Goethe unterschoben:
- "Whatever you can do or dream you can, begin it. Boldness has genius, power and magic in it. Begin it now." (Englische Variante nach John Ansters Nachdichtung Goethes)
- "Was immer du tun kannst oder erträumst zu können, beginne es. Kühnheit besitzt Genie, Macht und magische Kraft. Beginne es jetzt."
- "Was immer Du tun und erträumen kannst, du kannst damit beginnen. Im Mut liegen Schöpferkraft, Stärke und Zauber."
Zitat von John Anster; angeregt von Goethe. |
Quote by John Anster; inspired by Goethe. |
Johann Wolfgang Goethe:
Faust. Eine Tragödie. Erster Teil, Vorspiel auf dem Theater
Direktor:
- Der Worte sind genug gewechselt,
Laßt mich auch endlich Taten sehn;
Indes ihr Komplimente drechselt,
Kann etwas Nützliches geschehn.
Was hilft es, viel von Stimmung reden?
Dem Zaudernden erscheint sie nie.
Gebt ihr euch einmal für Poeten,
So kommandiert die Poesie.
Euch ist bekannt, was wir bedürfen,
Wir wollen stark Getränke schlürfen;
Nun braut mir unverzüglich dran!
Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan,
Und keinen Tag soll man verpassen,
Das Mögliche soll der Entschluß
Beherzt sogleich beim Schopfe fassen,
Er will es dann nicht fahren lassen
Und wirket weiter, weil er muß.
Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen
Probiert ein jeder, was er mag;
Drum schonet mir an diesem Tag
Prospekte nicht und nicht Maschinen.
Gebraucht das groß' und kleine Himmelslicht,
Die Sterne dürfet ihr verschwenden;
An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
An Tier und Vögeln fehlt es nicht.
So schreitet in dem engen Bretterhaus
Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,
Und wandelt mit bedächt'ger Schnelle
Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.
Johann Wolfgang Goethe: "Faust", Vorspiel auf dem Theater, Direktor,
Z 214-242; (Link)
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Quellen:
Johann Wolfgang Goethe: "Faust". Herausgegeben von Albrecht Schöne. J.W. Goethe, Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Vierzig Bände, I. Abteilung: Band 7/1, Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main: 1993, Vorspiel auf dem Theater, Direktor, S. 20f., Z 214-242; 225
J.W. Goethe, Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Vierzig Bände, I. Abteilung: Band 7/2, Johann Wolfgang Goethe: "Faust": Kommentare von Albrecht Schöne, Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main: 1994, S. 155-162
Garson O'Toole: "What You Can Do, or Dream You Can, Begin It; Boldness Has Genius, Power, and Magic in It - Johann Wolfgang von Goethe? John Anster? William Hutchison Murray? Apocryphal?" 2016 (Link)
"Faustus", A Dramatic Mystery; The Bride of Corinth; The First Walpurgis Night, Translated from the German of Goethe, and Illustrated with Notes by John Anster, Printed for Longman, Rees, Orme, Brown, Green, & Longman, London: 1836, S. 15 (zitiert nach Garson O'Toole) (Link)
Das falsche Goethe-Zitat ist als Motivationsspruch in Ratgeberbüchern für Manager sehr beliebt:
Google books
Frühe falsche Zuschreibung auf Deutsch:
1999: Paul R. Scheele: "Das Gesetz der natürlichen Brillanz. Ein schöpferisches Modell für Lernprozesse und Persönlichkeitsentwicklung", Junfermann Verlag, Paderborn: 1999, S. 239 (Link)
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Dank:
Ich danke holio und zeichenriss für den Hinweis auf dieses Falschzitat und Garson O'Toole für die schöne Dokumentation der Entwicklung dieses Pseudo-Goethe-Zitats im englischen Sprachraum.
Letzte Änderung: 02/02/2020