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Montag, 23. Mai 2022

"Das Leben ist ein Zeichnen ohne die Korrekturmöglichkeiten des Radiergummis." Oskar Kokoschka (angeblich)

 
"Das Leben ist ein Zeichnen ohne die Korrekturmöglichkeiten des Radiergummis." Pseudo-Oskar-Kokoschka-Zitat.
Pseudo-Oskar-Kokoschka-Zitat.
 
 
Life is the art of drawing without an eraser. - Pseudo-John-W.Gardner quote.
Pseudo-John-W.-Gardner-Zitat.
Dieses vielleicht beliebteste Pseudo-Oskar-Kokoschka-Zitat taucht bei einer chronologischen Suche das erste Mal im Jahr 1963 im amerikanischen Reader's Digest auf, und wurde damals einem sonst unbekannten "John Christian" zugeschrieben. 
The Reader's Digest treasury of modern quotations, Reader's Digest Press, New York: 1975, S. 519 (archive.org)
Das populäre Magazin Reader's Digest ist nicht berühmt für die korrekte Zuschreibung seiner Zitate, aber man kann sich sicher sein, dass John W. Gardner, das Zitat nicht geprägt hat, da er das Zitat zwar einmal verwendet, aber explizit einer unbekannten Person ("Someone said that 'Life ...") zugeschrieben hat.
 

Oskar Kokoschka

 
In der Oskar-Kokoschka-Forschung wird man seit Jahren mit Anfragen geplagt, wann und wo dieses Zitat Oskar Kokoschka gesagt oder geschrieben habe.
 
Wie mir die Leiterin des Oskar Kokoschka Zentrums, Bernadette Reinhold und ihre Kollegin Régine Bonnefoit von der Université de Neuchâtel per E-Mail mitgeteilt haben, ist dieses Zitat ein Falschzitat, auch wenn es Oskar Kokoschka noch so oft zugeschrieben wird. 
 
Nach jahrelanger vergeblicher Suche auch in nicht digitalisierten Texten könne man sagen: Es gibt keinen seriösen Beleg für dieses Zitat. Also ist es ein Kuckuckszitat.
 
Warum die Duden-Redaktion diesen amerikanischen Aphorismus seit dem Jahr 1993 dem österreichischen Maler und Autor Oskar Kokoschka ohne Quellenangabe zuschreibt, ist mir noch unbekannt. 

Varianten der Pseudo-Oskar-Kokoschka-Zitats: 


  • "Leben heißt: Zeichnen ohne Radiergummi."
  • "Leben ist Zeichnen ohne Radiergummi. "
  • "Das Leben ist wie zeichnen, nur ohne Radiergummi."
  • "Das Leben ist ein Zeichnen ohne die Korrekturmöglichkeiten des Radiergummis." 
 

Kurze Geschichte des Kuckuckzitats:

 
1963
The Reader's Digest treasury of modern quotations, Reader's Digest Press, New York: 1975, S. 519 (archive.org)
 
Seit das Zitat im Reader's Digest erwähnt wurde, ist es in Amerika als Motto in Schuljahrbüchern sehr beliebt.  Ein Beispiel ohne die Zuschreibung an einen Autor:
 
1964
  • "Life is the art of drawing without an eraser."
    Salem State College: "The Clipper" [Jahrbuch], Salem, Mass: 1964, S. [40], Motto, anonym
1975
  • "Life is the art of drawing without an eraser. / John Christian" (Link)

 1993
 
Im  Duden Band 12 ("Duden - Zitate und Ausspüche", S. 661) des Jahres 1993 wird das Zitat "Das Leben ist ein Zeichnen ohne die Korrekturmöglichkeiten des Radiergummis" erstmals ohne Beleg Oskar Kokoschka zugeschrieben.
 
Seitdem ist es in verschiedenen Varianten nicht nur im Internet weit verbreitet. Manchmal wird es auch ohne falsche Zuschreibung an Oskar Kokoschka zitiert:

1997 
  • "Tja, Leben ist wie Zeichnen ohne Radiergummi. Und manchmal macht man eben Fehler, die nicht mehr aus der Welt zu schaffen sind."
    Anonym: Herzblatt-Geschichten: "Das zweite Zimmer und ein Leibwächter mit Abitur", Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.10.1997, Nr. 41, S. 8 (genios.de/)
In Amerika wird das Zitat bis zum Jahr 2004 entweder John Smith oder einer unbekannten Person zugeschrieben. 

 2003
  • "Someone said that 'Life is the art of drawing without an eraser.'
    John W. Gardner: "Living, leading, and the American Dream." Edited by Francesca Gardner,  Jossey-Bass, San Francisco: 2003, S. 43  (archive.org)
Ein Jahr nach dieser Publikation wird dem Politiker und Autor John W. Gardner das Zitat irrtümlich selbst zugeschrieben, inzwischen auch von der sonst verlässlichen Quelle wikiquote. 
 
Schon vor bald 10 Jahren wurde vergeblich versucht, das angebliche Kokoschka-Zitat zu verifizieren:
 
2013 
  • "»Leben ist Zeichnen ohne Radiergummi.« Möglicherweise stammt das Zitat von Oskar Kokoschka (1886–1980). Es konnte bisher nicht verifiziert werden." (Link)
2013
  • "Not long ago, I was driving down the road near my house, and I passed a sign in front of a store that read, 'Life is the art of drawing without an eraser.'"
    Christianity today, September 2013, S. 37 (archive.org)
      
2019
 Das Zitat scheint auf der ganzen Welt beliebt zu sein und wird den verschiedensten berühmten Personen untergeschoben, einerseits aus Schlamperei, andererseits wohl, weil anonyme Zitate weniger Aufmerksamkeit generieren.
 
Artikel in Arbeit.
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Quellen:
wikiquote [Irrtümlich John W. Gardner zugeschrieben.] 

Oskar Kokoschka: "Mein Leben." Vorwort und dokumentarische Mitarbeit: Remigius Netzer,Verlag F. Bruckmann, Müchen: 1971

OSKAR KOKOSCHKA. Neue Einblicke und Perspektiven / New Insights and Perspectives. Herausgegeben von Régine Bonnefoit und Bernadette Reinhold, De Gruyter, Berlin /Boston: 2021
E-Mail von  Bernadette Reinhold vom 23. Mai 2022
E-Mail von Régine Bonnefoit vom 23. Mai 2022
 
The Reader's Digest Association: The Reader's Digest Great Encyclopedic Dictionary : including Funk & Wagnalls Standard college dictionar,  Reader's Digest Association, Pleasantville, N.Y. : (1966) 1975, S. 2042
The Reader's Digest treasury of modern quotations, Reader's Digest Press, New York: 1975, S. 519 (archive.org)
John W. Gardner: "Living, leading, and the American Dream." Edited by Francesca Gardner,  Jossey-Bass, San Francisco: 2003, S. 43  (archive.org)
Anonym: Herzblatt-Geschichten: "Das zweite Zimmer und ein Leibwächter mit Abitur", Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.10.1997, Nr. 41, S. 8 (genios.de/) 
Christianity today, September 2013, S. 37 (archive.org)   
 
Beispiele für falsche Zuschreibungen an Oskar Kokoschka:
 
Dudenredaktion: "Duden - Zitate und Ausspüche", Band 12, Duden Verlag, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: 1993, S  S. 661  (archive.org)
Margot Käßmann: "Starke Sätze", Hansisches Druck- und Verlagshaus, Frankfurt am Main: 2013, ebook Zeilenwert: 2014, Nr. 98 [Mit dem Hinweis, das Kokoschka-Zitat sei nicht verifiziert]
Rüdiger Görner: "Oskar Kokoschka. Jahrhundertkünstler." Zsolnay Verlag, Wien 2018 [Klappentext am Umschlag]
 

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Dank:

Ich danke Régine Bonnefoit (Université de Neuchâtel) und Bernadette Reinhold, der Leiterin des Oskar Kokoschka Zentrums, für ihre Hinweise und für die Bestätigung, dass ihnen trotz jahrelanger Suche ein seriöser Beleg für dieses Zitat nicht untergommen ist.