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Samstag, 18. Mai 2019

"Mögest du in interessanten Zeiten leben!" Chinesischer Fluch (angeblich)

Das Motto der Biennale 2019: "May You Live In Interesting Times", wird seit 1936 als "Chinesischer Fluch", den man in China seinen Feinden wünsche, bezeichnet, aber noch niemand hat diesen Spruch in einem älteren chinesischen Text gefunden.
Schon viele Zitatforscher sind dem Ursprung dieses Sprichworts nachgegangen. Ich fasse ihre Recherchen  hier kurz zusammen.

Dass "May you live in an interesting times" ein alter chinesischer Fluch sei, den man seinem Feind wünsche, hat erstmals ein unbekannter britischer Diplomat in China behauptet.

Der britische Außenminister Austen Chamberlain, der Halbbruder des britischen Premierministers Arthur Neville Chamberlain, hat diesen Spruch des Diplomaten gehört und weitererzählt:

1936
  • Austen Chamberlain: "It is not so long ago that a member of the Diplomatic Body in London, who had spent some years of his service in China, told me that there was a Chinese curse which took the form of saying, ‘May you live in interesting times.’ There is no doubt that the curse has fallen on us. ...
    We move from one crisis to another. We suffer one disturbance and shock after another."

    The Yorkshire Post, 21. März 1936, zitiert nach Garson O'Toole (Quote Investigator)
Oft wird später der angebliche chinesische Fluch in Zusammenhang mit der Beobachtung Hegels zitiert, wonach langweilige Zeiten für Individuuen die glücklicheren sind:
"Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Glücks. Die Perioden des Glücks sind leere Blätter in ihr."

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Werke 12, hrsg. v. Moldenhauer und Michel. Suhrkamp, Frankfurt am Main: 1986, S. 42; (Link);  (Link)
Garson O'Toole hat herausgefunden, dass schon Austen Chamberlains Vater von angstmachenden "interessanten Zeiten" geredet hat und der Sohn von seinem Vater eine frühe Vorform des Sprichworts, das er später als Fluch bezeichnet hat, gehört haben könnte:

1898
  • "I think that you will all agree that we are living in most interesting times. (Hear, hear.) I never remember myself a time in which our history was so full, in which day by day brought us new objects of interest, and, let me say also, new objects for anxiety. (Hear, hear.)"
Weltweit bekannt geworden ist der Spruch durch eine Rede Robert F. Kennedys aus dem Jahr 1966:

1966
  • "There is a Chinese curse which says 'May he live in interesting times.' Like it or not, we live in interesting times. They are times of danger and uncertainty; but they are also the most creative of any time in the history of mankind." (Quote Investigator)
    Robert F. Kennedy
Auf Deutsch taucht der Spruch laut Google books im Jahr 1968 erstmals auf:

1968
  • Robert Kennedy selbst sagt am Schluß: "Es gibt einen chinesischen Fluch: 'Möge er in interessanten Zeiten leben!' Ob es uns gefällt oder nicht, wir leben in interessanten Zeiten.
    Westermanns Monatshefte, Oktober 1968, S. 42 (Link)
10 Jahre später hält man in Westermanns Monatsheften den Spruch für einen "jüdischen Fluch":

1978
  • Als jüdischen Fluch zitiert er: 'Du sollst in interessanten Zeiten leben!' Westermanns Monatshefte, 1978, S. 126 (Link)
1991 
  • Leserbrief:
    "Der Artikel beginnt mit einem sinnentstellten Zitat. Bei der Aufforderung 'Mögest du in interessanten Zeiten leben!' handelt es sich nicht um einen chinesischen Glückwunsch, sondern um einen chinesischen Fluch - nachzulesen unter anderem in der Nobelpreisrede von Albert Camus ..."
    Bild der Wissenschaft, 1991, S. 38 (Link)

2001
  • "In China grüßt man einen besonders guten Freund mit dem Wunsch: »Mögst Du in interessanten Zeiten leben!«"
    Jahrbuch 2000 (Link)


Das Motto der Biennale wird also verschieden verwendet: Einmal als bösartiger Wunsch gegen einen  Feind, er möge in Schwierigkeiten kommen, ein anderes Mal als Glückwunsch und Ausdruck der Hoffnung, das langweilige Leben eines Freundes möge farbiger werden.


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Quellen:
"The Yale Book of Quotations". Edited by Fred R. Shapiro. Foreword by Joseph Epstein, Yale University Press, New Haven and London: 2006, S. 699
Ralph Keyes: "The Quote Verifier: Who Said What, Where, and When." St. Martin's Griffin, New York: 2006, S. 99f.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Werke 12, hrsg. v. Moldenhauer und Michel. Suhrkamp, Frankfurt am Main: 1986, S. 42; (Link);  (Link)
Garson O'Toole: "May You Live In Interesting Times. Chinese Curse? Austen Chamberlain? Frederic R. Coudert? Joseph Chamberlain? Diplomatic Staff? Albert Camus? Arthur C. Clarke? Robert F. Kennedy? Hillary Rodham Clinton?", 2015 (Quote Investigator)
de.wikipedia
en.wikipedia

The Yorkshire Post, March 21 1936, Lesson of the Crisis: Sir A. Chamberlain’s Review of Events, Quote Page 11, Column 7, Leeds, West Yorkshire, England.  (Zitiert nach Garson O'Toole)



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Dank:
Ich danke den Rechercheur*innen von Wikipedia und Garson O'Toole für ihre Arbeit.

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  •  
 1949
  • "Many years ago I learned from one of our diplomats in China that one of the principal Chinese curses heaped upon an enemy is, 'May you live in an interesting age.'" Hughe Knatchbull-Hugessen:

Sonntag, 3. Juni 2018

"Ein Bild sagt mehr als tausend Worte." Chinesisches Sprichwort (angeblich)

Dieses Sprichwort hat seine Wurzeln im deutschen Sprachraum im 19. Jahrhundert, wird aber seit 100 Jahren als alte chinesische oder japanische Weisheit bezeichnet, auch wenn asiatische Ursprünge dieser Weisheit bis heute nicht nachgewiesen werden konnten.

 Auf Deutsch tauchen im 19. Jahrhundert Wendungen wie, "ein Kuss sagt mehr als tausend Worte", "die Röte ihrer Wangen sagen mehr als tausen Worte" auf,  und seit 1810 kennt man die Wendung "Ein Blick sagt mehr als 1000 Worte." 

1914 erscheint die englische Übersetzung dieses Aphorismus in der Version "A look is worth a 1000 words" in einer Immobilien-Annonce der New York Times als angebliches japanisches Sprichwort.

1921 bringt die Washington Post eine Annonce mit den Worten: ‘The picture is worth ten thousand words’ als angeblich altes chinesisches Sprichwort.

Auf französisch steht in einem Text aus dem Jahr 1889 der Aphorismus "ein Bild sagt mehr als tausend Worte" ohne jeglichen Hinweis auf China oder Japan ...



Artikel in Arbeit. Fortsetzung und Nachweise folgen.


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Quellen:
 folgen