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Montag, 21. Mai 2018

"Was kränkt, macht krank." Hildegard von Bingen (angeblich)

Der Wiener Internist Max Herz  hat dieses Sprichwort, das einen uralten Gedanken ausdrückt, um 1930  in Vorträgen populär gemacht; ob er es allerdings geprägt hat, ist ungewiss.

Eine Generation später zitiert es der Wiener Psychiater Erwin Ringel gerne, und weist zumindest einmal auf dessen Urspung bei dem Herzspezialisten Max Herz hin.

In den letzten Jahren erwähnt es der Gerichtspsychiater Reinhard Haller öfters, schreibt das geflügelte Wort allerdings Hildegard von Bingen zu. In Zusammenhang mit Hildegard von Bingen taucht das Sprichwort anscheinend 2006 im Klappentext zu einem Buch von ihr erstmals auf; in ihren Texten ist es meines Wissens weder so noch so ähnlich zufinden.


Der Frauenarzt und Sachbuchautor Josef Löbel, der, wie  Soma Morgenstern wusste, das Modell  für  den menschenfreundlichen, weisen, schachspielenden Doktor Skowronnek in Joseph Roths Roman "Radetzkymarsch" war, verwendet das Sprichwort in einem populärwissenschaftlichem Buch schon 1928  (Link), aber dieser belesene Dr. Löbel meint, es sei "ein altes Wort".  Er hat es also nicht geprägt (Link).

Bis jetzt konnte es vor dem Jahr 1928 weder in Sprichwortsammlungen noch in digitalisierten Texten  gefunden werden.


1928, anonym
  • "Was kränkt, macht krank."
    Josef Löbel, 1928 (Link)
1929, Max Herz
  • "Die Lebensführung eines Herzkranken muss sich nach dem Grundsatz richten: Was kränkt, macht krank; was Freude macht, ist gesund."
    Max Herz, 25. März 1929 (Link)
1985, Max Herz
  • "Kreuzer: 'Was kränkt, macht krank.'  Ringel: 'Was kränkt, macht krank', kann man mit Max Herz sagen."
    Erwin Ringel,  Franz Kreuzer, 1985 (Link) 
2006, anonym/ Bingen

2015, Hildegard von Bingen
  • "Was kränkt, macht krank, hat schon Hildegard von Bingen gesagt."
    Reinhard Haller, 7. Dezember 2015 (Link)
2017, Hildegard von Bingen
  • "Schon Hildegard von Bingen hat gesagt, ' Was kränkt, macht krank.'"
    Reinhard Haller: Kränkung - Der krankmachende Vertrauensverlust
     
    (Link)  

Pseudo-Augustinus quote.

Pseudo-Hildegard-von-Bingen quote.




Da das geflügelte Wort weder so noch so ähnlich in den digitalisierten Texten Hildegard von Bingens zu finden ist, wird es ihr - so wie Augustinus - höchstwahrscheinlich irrtümlich zugeschrieben. Vielleicht stellt sich einmal heraus, dass es wirklich der Internist Max Herz geprägt hat.
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Quellen:
Josef Löbel: "Haben sie keine Angst!: Vierzig Kapitel optimistischer Medizin", Grethlein und Company, Leipzig/ Zürich: 1928, S. 11 (Link)
Max Herz:  (Link),  (Link) 
Franz Kreuzer, Erwin Ringel: "Dürstende Knospen: Österreich: Brutstätte der Neurose, Heilstätte der Neurose", Deuticke, Wien: 1985, S. 35 (Link)
Soma Morgenstern: "Joseph Roths Flucht und Ende. Erinnerungen." Hrsg. von Ingolf Schulte, Aufbau Verlag, Berlin: 1994,  S. 169 (Link)
Reinhard Haller: Kränkung - Der krankmachende Vertrauensverlust, in:  Thorsten Adelt, Christian Metz: Im Sog der Angst – Wenn Vertrauen schwindet: Leidfaden 2017, Issue 3, S. 23 (Link) 
Laotse oder Hippokrates?
Hildegard von Bingen: "Heilkraft der Natur. 'Physica': Das Buch von dem inneren Wesen der verschiedenen Naturen der Geschöpfe", übersetzt von  Marie L Portmann, Nachwort: Caecilia Bonn, Vorwort: Cyrill Bürgel, 2009
(Link)

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Sprichwörtliche Verwendungen:
Lärm macht krank, Arbeitslosigkeit macht krank, Mangel an Liebe macht krank, Stadtluft macht krank,  zu viel essen macht krank, eine große Tafel macht krank, Faulheit macht krank, den Blick nach Innen wenden macht krank, Arbeitsstress macht krank, (Wagner macht krank).
 

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Dank:
Wikipedia-Mitarbeiterinnen bin ich für den Hinweis auf Soma Morgenstern dankbar.

(In Arbeit.)

Dienstag, 24. April 2018

"Die Mentalität der Österreicher ist wie ein Punschkrapfen: Außen rot, innen braun und immer ein bißchen betrunken." Thomas Bernhard (angeblich)

Pseudo-Thomas-Bernhard-Zitat.

Dieser in Österreich populäre Witz ist in den Schriften Thomas Bernhards nicht zu finden, auch wenn im 'Standard' im Februar 2011 zu lesen war, dies sei sein "berühmtestes Zitat". Angefangen hat die falsche Zuschreibung an Thomas Bernhard anscheinend im Oktober 2009 mit einem anonymen Poster im 'Standard'-Forum.  Inzwischen hat es das Kuckuckszitat in den "Spiegel" und auf Wikipedia geschafft.


Foto: Wikipedia.


Der Punschkrapfen als Metapher entstand in den 1970er Jahren in Kärnten und sollte urspünglich die Mentalität von Kärntnern verspotten, die 1944 den prozentuell höchsten Anteil an NSDAP-Mitgliedern aller österreichischen Bundesländer hatten und in den 1970er Jahren mehrheitlich sozialdemokratisch wählten.
  •  "Was ist Kärnten? Antwort: Ein Punschkrapferl, außen rosa, innen braun und immer unter Alkohol." (Link)
  •  "Was unterscheidet einen Kärntner von einem Punschkrapfen? Nichts! Beide sind außen rosa, innen braun und immer ein bisserl angesoffen. (Link)
Erstmals öffentlich erwähnt hat dieses "traurige Bonmot", das ihm ein "lieber Freund" erzählt hatte,  meines Wissens der Psychiater Erwin Ringel bei einem Vortrag zur "Kärntner Seele" im Jahr 1985.


1985
  • "Es waren in dieser Zeit in fast allen Bundesländern 14 Prozent der Bevölkerung nationalsozialistisch organisiert, in Kärnten aber 38 Prozent! Kann man dazu sagen: Ach was, vergangen ist vergangen? Wie sieht denn die Lage heute aus? Ein lieber Freund hat dazu folgende Bemerkung gemacht: Sie kennen wahrscheinlich diesen 'Scherz' oder dieses traurige Bonmot: Ich wiederhole es trotzdem: 'Was ist Kärnten? Antwort: Ein Punschkrapferl, außen rosa, innen braun und immer unter Alkohol.' In dieser extremen Formulierung stimmt natürlich auch diese Aussage nicht. Aber eines muß man mit aller Deutlichkeit sagen: Die Freiheitliche Partei Österreichs kann, selbst wenn sie in allen Ländern ihre Mandate verlieren sollte, doch in Kärnten mit hundertprozentiger Sicherheit auf ihr Grundmandat rechnen."
    Erwin Ringel, 1985
    (Link)
1992

Sieben Jahre später hat Robert Menasse den Punschkrapfen ("außen rosa, innen braun") zum Symbol für das gesamte Österreich der Zweiten Republik erklärt (Link) und erst zwanzig Jahre nach Thomas Bernhards Tod (er starb 1989) ist daraus im 21. Jahrhundert ein Thomas-Bernhard-Kuckucks-Zitat entstanden.


2006
  • "PUNSCHKRAPFERLN »Außen blaßrot, innen braun und immer besoffen.« Die aus Biskuit und rumgetränkten Backwerkresten hergestellte, mit Zuckerglasurmasse überzogene Süßspeise gilt als Synonym für das typische SPÖ-Stimmvieh in Kärnten und der Steiermark."  (Link)

 2007
  • "Mit der fetten rosa Köstlichkeit wird gerne das Wesen des Österreichers beschrieben: „Außen rot, innen braun und immer etwas angsoffen." Was insoferne etwas ungerecht ist, als der Punschkrapfen an Wochenenden nicht mit seinem Untersatz von Disco zu Disco rast, um den Blutzoll unter Österreichs Landjugend zu erhöhen.(Link)
Der große österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard hatte bekanntlich nur wenig für seine eigene Heimat übrig. Unzählige literarische und verbale Angriffe auf Österreich sind überliefert. Sein berühmtestes Zitat nimmt sich dem Nationalismus seiner Landsleute an. "Die Mentalität der Österreicher ist wie ein Punschkrapfen: Außen rot, innen braun und immer ein bisschen betrunken." - derstandard.at/1297819165332/Rezension-Ein-Punschkrapfen-zu-viel
Der große österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard hatte bekanntlich nur wenig für seine eigene Heimat übrig. Unzählige literarische und verbale Angriffe auf Österreich sind überliefert. Sein berühmtestes Zitat nimmt sich dem Nationalismus seiner Landsleute an. "Die Mentalität der Österreicher ist wie ein Punschkrapfen: Außen rot, innen braun und immer ein bisschen betrunken." - derstandard.at/1297819165332/Rezension-Ein-Punschkrapfen-zu-viel
Der große österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard hatte bekanntlich nur wenig für seine eigene Heimat übrig. Unzählige literarische und verbale Angriffe auf Österreich sind überliefert. Sein berühmtestes Zitat nimmt sich dem Nationalismus seiner Landsleute an. "Die Mentalität der Österreicher ist wie ein Punschkrapfen: Außen rot, innen braun und immer ein bisschen betrunken." - derstandard.at/1297819165332/Rezension-Ein-Punschkrapfen-zu-viel

2009
  • "Die Mentalität der Österreicher ist wie ein Punschkrapfen: Außen rot, innen braun und immer ein bißchen betrunken. (Thomas Bernhard)" (Erstmals Thomas Bernhard unterschoben) (Link)

2011
  • "Der große österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard hatte bekanntlich nur wenig für seine eigene Heimat übrig. Unzählige literarische und verbale Angriffe auf Österreich sind überliefert. Sein berühmtestes Zitat nimmt sich dem Nationalismus seiner Landsleute an. 'Die Mentalität der Österreicher ist wie ein Punschkrapfen: Außen rot, innen braun und immer ein bisschen betrunken.'" (Link)

 2012
  • "Punschkrapferl:
    Ursprünglich eine Süßspeise mit signifikantem Anteil an Inländer-Rum, diente das P. – »außen blassrot, innen braun und immer besoffen«– zur abschätzigen Bezeichnung der typischen SPÖ-Wählerschaft in Kärnten.
    "
    Astrid Wintersberger: "Der kleine Wappler: So flucht und schimpft Österreich"
    (Link)
2013
  • "Und daher entstand auch der Kalauer vom Punschkrapfen, einer beliebten österreichischen Mehlspeise mit Rumhaltiger Füllung, als Symbol für den Charakter manch Ewiggestriger in Kärnten – »außen rosa, innen braun und immer ein wenig betrunken«. "
    (Link)

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SPD-Radieschen, "Außen rot und innen weiß"


In der Weimarer Republik wurden Sozialdemokraten von Kommunisten als "Radieschen" (außen rot und innen weiß) verhöhnt. Das Radieschen als Metapher für Pseudorevolutionäre ist seit 1919  nachweisbar und wurde durch Kurt Tucholskys Gedicht "Feldfrüchte" (1926) allgemein bekannt. 

Kurt Tucholsky:

                    Feldfrüchte

Sinnend geh ich durch den Garten,
still gedeiht er hinterm Haus;
Suppenkräuter, hundert Arten,
Bauernblumen, bunter Strauß.
Petersilie und Tomaten,
eine Bohnengalerie,
ganz besonders ist geraten
der beliebte Sellerie.
Ja, und hier –? Ein kleines Wieschen?
Da wächst in der Erde leis
das bescheidene Radieschen:
außen rot und innen weiß.

Sinnend geh ich durch den Garten
unsrer deutschen Politik;
Suppenkohl in allen Arten
im Kompost der Republik.
Bonzen, Brillen, Gehberockte,
Parlamentsroutinendreh ...
Ja, und hier –? Die ganz verbockte
liebe gute S.P.D.
Hermann Müller, Hilferlieschen
blühn so harmlos, dof und leis
wie bescheidene Radieschen:
außen rot und innen weiß.

Theobald Tiger, "Die Weltbühne",  Nr. 38, 21. September 1926, S. 470  (Link)
-

Ich bin mir deswegen sicher, dass das Punschkrapfen-Zitat in den Schriften Thomas Bernhards nicht gefunden wird, weil auch Kolleginnen und Kollegen aus der Thomas-Bernhard-Forschung, die sämtliche seiner digitalisierten und nicht-digitalisierten Texte kennen, schon lange vergeblich danach gesucht haben und weil es ihm erst 20 Jahre nach seinem Tod erstmals zugeschrieben wurde.

Der Witz stammt von einer unbekannten Person aus den 1970er Jahren und wurde - so wie viele Witze - im Lauf der Jahrzehnte variiert. Erstmals dokumentiert hat den Witz der Psychiater Erwin Ringel, weiter erzählt haben ihn zum Beispiel Robert Menasse und Andrea Maria Dusl, aber nicht Thomas Bernhard.

Ob der Punschkrapfen-Vergleich wirklich aus dem Radieschen-Vergleich der Weimarer Zeit enstanden ist, weiß ich nicht.
__________
Quellen:
Erwin Ringel: "Die Kärntner Seele" (Nach einem Vortrag, gehalten am 15. September 1985 in Keutschach, ergänzt während der Jahre 1986 und 1988), in: E.R.: "Die Kärntner Seele: mit Darstellungen aus Literatur und bildender Kunst", herausgegeben von Franz Witzeling mit Beiträgen von Josef Strutz und Arnulf Rohsmann, Hermagoras Verlag, Klagenfurt/ Wien: 1988, S. 12 (Link)
profil, Band 19, 1988, S. 91 (Link)
"Kärntner Jahrbuch für Politik 2004", herausgegeben von Karl Anderwald, Peter Filzmaier und Karl Hren, Kärntner Druck und Verlagsgesellschaft, Klagenfurt: 2004 S. 99 (Link)
Robert Menasse: "Die Vollendung des Fragments. Zur Aktualität der 'Katzenmusik' von Gerhard Fritsch". Literatur und Kritik Heft 263/264, Otto Müller Verlag, Salzburg: 1992, S. 19f. (Link); (Link) 
Andrea Maria Dusl: "Die österreichische Oberfläche: Österreich findet am Übergang zwischen Innen und Aussen statt", Residenz Verlag: 2007, S. 113  (Link)
Gerhard Vogl: "Wort-Gefechte: Sprachliche Gemeinheiten aus Politik, Kunst, Wirtschaft u. Sport", Kremayr u. Scheriau, Wien: 2013 ebook (Link)
Astrid Wintersberger: "Der kleine Wappler: So flucht und schimpft Österreich", Residenz Verlag, St. Pölten/ Salzburg/ Wien: 2012 ebook  (Link)
E-Mail von Hanno Biber vom 23. April 2018
Günter Traxler: "Die Hatz auf das Punschkrapferl", Der Standard, 7. Februar 2005  (Link)
"Salzburger Chronik", Nr. 162, 18. Juli 1919, S. 5 (Link)     
Kurt Tucholsky: "Gedichte in einem Band", Insel Verlag, Frankfurt am Main/ Leipzig: 2006, S. 626 (Link);  (Link)
 
Fälschlich Thomas Bernhard zugeschrieben:
Erstmals: Anonym: 26. Oktober 2009, 13:42:24, lehmannsbruder, Der Standard Forum (Link) 
Anonym:  20. Dezember 2010 16:47, Die Presse, Forum (Link)
Armand Feka: "Ein Punschkrapfen zu viel", Der Standard, 28. Februar 2011 (Link)
Michael Sauga: "Die Lage", Morning Briefing, Der Spiegel, 29. April 2016  (Link)
Quotez (Link) (zugeschrieben)
Wikipedia (mit Thomas-Bernhard-Kuckuckszitat): "Punschkrapfen"  

univie.ac.at/elib/index.php?title=Literatur:Zitate_rund_um_Oesterreich
austrians.org/magazin/article/3.154.560

_____
Dank:
Ich danke Hanno Biber (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Academiae Corpora) für seine Auskunft zu Thomas Bernhard und für seinen Hinweis auf Kurt Tucholsky und Sven Haarmann vom Bonner Willy-Brandt-Archiv für seine Hinweise.

Artikel in Arbeit. 

Letzte Änderung: 19/11 2020