Pseudo-Platon-Zitat. |
Dieses Zitat wurde anscheinend erstmals im Jahr 1994 von den deutschen Politikern Trutz Graf Kerssenbrock (CDU) und Hans-Peter Bartels (SPD) in ihrem Buch "Abgewählt?: Wie den Parteien das Volk abhanden kam" Platon untergeschoben (Link) .
Da dieses Falschzitat bald darauf in diesem Wortlaut in Harenbergs "Lexikon der Sprichwörter und Zitate" und in andere Zitate-Lexika aufgenommen wurde, ist dieses Pseudo-Platon-Zitat inzwischen weit verbreitet Google .
Entstanden ist diese Version wahrscheinlich aus einer Fehlerinnerung oder einer Paraphrase einer Stelle aus dem ersten Buch von Platons "Politeia" (384c), wie Wikipedia-Mitarbeiter:innen herausgefunden haben.
Im ersten Buch von Platons "Der Staat" erinnert sich Sokrates an seine Gespräche über Gerechtigkeit mit dem Sophisten Thrasymachos und anderen.
Im Lauf der Diskussion über Gerechtigkeitsdefinitionen erklärte Sokrates, die guten Bürger würden ein Amt nicht wegen des Honorars oder wegen der Ehre übernehmen. Sich selbst zu bereichern sei für die Guten kein Grund, ein öffentliches Amt anzutreten, sie wären allerdings durch Strafandrohungen zu motivieren:
Sokrates, "Der Staat", 1. Buch, XIX, 347c,d:
- "Die größte Strafe aber ist,
von einem Schlechteren regiert zu werden, wenn man selbst nicht
herrschen will. Aus Furcht davor, glaube ich, übernehmen die angesehenen
Männer ein Amt, und dann gehen sie ans Regieren, nicht weil sie dabei
etwas Gutes oder Annehmlichkeiten erwarten, sondern weil es notwendig
ist, da sie das Amt keinem übertragen können, der besser wäre als sie
oder zumindest gleichwertig."
Platon: "Der Staat." Deutsch von Gernot Krapinger, Reclam Verlag, Stuttgart: 2017, 1. Buch, 19c,d (Link)
Bei Platon ist der Gegensatz nicht klug vs. dumm wie im Falschzitat, sondern gut vs. schlecht, rechtschaffen vs. korrupt und gerecht vs. ungerecht.
____________
Quellen:
__________
Dank:
Ich danke Dr. Philoponus für die Frage nach diesem Falschzitat und den Wikipedia-Mitarbeiter:innen für ihre Recherchen.
Artikel in Arbeit.
____________________
ANHANG
PLATON: POLITEIA, 1. Buch, XIX, Übersetzungen:
"οὐδ’ αὖ τιμῆς ἕνεκα· οὐ γάρ εἰσι φιλότιμοι. δεῖ δὴ αὐτοῖς ἀνάγκην προσεῖναι καὶ ζημίαν, εἰ μέλλουσιν ἐθέλειν ἄρχειν—ὅθεν κινδυνεύει τὸ ἑκόντα ἐπὶ τὸ ἄρχειν ἰέναι ἀλλὰ μὴ ἀνάγκην περιμένειν αἰσχρὸν νενομίσθαι—τῆς δὲ ζημίας μεγίστη τὸ ὑπὸ πονηροτέρου ἄρχεσθαι, ἐὰν μὴ αὐτὸς ἐθέλῃ ἄρχειν· ἣν δείσαντές μοι φαίνονται ἄρχειν, ὅταν ἄρχωσιν, οἱ ἐπιεικεῖς, καὶ τότε ἔρχονται ἐπὶ τὸ ἄρχειν οὐχ ὡς ἐπ’ ἀγαθόν τι ἰόντες οὐδ’ ὡς εὐπαθήσοντες ἐν αὐτῷ, ἀλλ’ ὡς ἐπ’ ἀναγκαῖον καὶ οὐκ ἔχοντες ἑαυτῶν βελτίοσιν ἐπιτρέψαι οὐδὲ ὁμοίοις." (perseus.tufts.edu/); (sententiaeantiquae.com)
- "Die größte Strafe ist, daß der Schlechtere herrscht, wenn man selber nicht herrschen will. Davor fürchten sich, scheint mir, die Edlen, wenn sie sich zur Übernahme eines obrigkeitlichen Amtes entschließen."
Platon: "Der Staat." Deutsch von August Horneffer. Eingeleitet von Kurt Hildebrandt, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart: 1973, Erstes Buch, XIX, S. 26 - "Der Strafen schwerste aber ist die Herrschaft eines Schlechteren dann, wenn man nicht selbst herrschen will. Aus Angst davor übernehmen - denke ich - die Edlen ein Amt ...."
Platon: "Der Staat (POLITEIA)", Deutsch von Karl Vretka, Reclam, Stuttgart: 1958, 347c, S. 107 - "Die größte Strafe aber ist, von Schlechteren regiert zu werden,
wenn einer nicht selbst regieren will; und aus Furcht vor dieser
scheinen mir die Rechtschaffenen zu regieren, wenn sie regieren."
Politeia I 347c, Deutsch von Friedrich Schleiermacher 1828 (books.google) - "It is from fear of this, as it appears to me, that the better sort hold office when they do, and then they go to it not in the expectation of enjoyment nor as to a good thing, but as to a necessary evil and because they are unable to turn it over to better men than themselves or to their like."
Plato: "Republic", Plato in Twelve Volumes, Vols. 5 and 6 translated by Paul Shorey. Cambridge, MA, Harvard University Press; London:1969, Perseus Digital Library, English, Greek (perseus.tufts.edu/) - "Die größte Strafe aber ist, dass man von einem Schlechteren regiert wird, wofern man nicht selbst regieren mag, aus Furcht vor diesem scheinen mir die edlen Männer zu regieren, wenn sie regieren."
Politeia I 347c Nach der Übersetzung von Wilhelm Siegmund Teuffel (zeno.org) - SOKRATES: "Darum also, fuhr ich fort, mögen die Guten weder um des Geldes willen
regieren noch der Ehre wegen; denn weder wollen sie offen für das
Regieren Sold nehmen und sich Söldlinge nennen lassen, noch ihn infolge
ihres Regierens selbst heimlich sich aneignen und Diebe heißen:
andererseits auch nicht um der Ehre willen, denn sie sind nicht
ehrsüchtig. Es muß denn also bei ihnen eine Nötigung hinzukommen und
eine Strafe, wenn sie sollen regieren wollen; und deswegen scheint's,
gilt
es für schmählich, freiwillig, ohne eine Nötigung abzuwarten, an das
Regieren zu gehen. Die größte Strafe aber ist, daß man von einem
Schlechteren regiert wird, wofern man nicht selbst regieren mag; aus
Furcht vor diesem scheinen mir die edlen Männer zu regieren, wenn sie
regieren. Und dann gehen sie an's Regieren nicht als an etwas Gutes,
noch in der Erwartung, daß sie es dabei gut haben werden, sondern als an
eine Notwendigkeit und weil sie keine Besseren, als sie selbst sind,
und auch keine ebenso Guten haben, denen sie's anvertrauen könnten. Denn
es scheint, wenn ein Staat aus lauter guten Männern bestände, so würde
man sich um das Nichtregieren ebenso streiten wie jetzt um das Regieren,
und da würde es dann an den Tag kommen, daß in Wahrheit ein wahrhafter
Regierer nicht die Art hat, auf das zu sehen, was ihm selbst zuträglich
ist, sondern auf das, was dem Regierten zuträglich ist: so daß jeder,
der Einsicht hätte, es vorzöge, sich von einem andern nützen zu lassen,
statt sich damit zu bemühen, andern zu nützen. Das also gebe ich dem
Thrasymachos schlechterdings nicht zu, daß das Gerechte das dem
Überlegenen Zuträgliche ist. Doch das wollen wir ein anderes Mal
untersuchen. Viel wichtiger scheint mir zu sein, was Thrasymachos jetzt
sagt, indem er behauptet, das Leben des Ungerechten sei besser als das
des Gerechten; wie wählst nun du, Glaukon? fragte ich; und welches von
beiden hältst du für das Richtigere?"
zeno.org