Donnerstag, 9. April 2020

"Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?" Konrad Adenauer (angeblich)

Deutsche Redensart, Pseudo-Konrad-Adenauer-Zitat.
Dieses beliebte angebliche Konrad-Adenauer-Zitat ist eine deutsche Redensart, die noch  niemand in Konrad Adenauers Reden, Texten oder Interviews gefunden hat; zu diesem Ergebnis kamen auch  Historiker der Berliner Konrad-Adenauer-Stiftung (Link).

Manchmal wird diese Formel dem deutschen Bundekanzler zusammen mit dem Satz, "es kann mich doch niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden", zugeschrieben.

Diesen zweiten Satz hat Konrad Adenauer aber wirklich gesagt, wie man in Paul Weymars 1955 erschienenem Buch, 'Konrad Adenauer. Die autorisierte Biographie',  auf Seite 521 nachlesen kann (Link).

Nach dem Beginn des Koreakrieges trat Konrad Adenauer erstmals für die Wiederbewaffnung Deutschlands ein, noch ein halbes Jahr davor, im Dezember 1949, wollte er deutsches Militär nur im Rahmen einer zu schaffenden Europäischen Armee.

Dem deutschen Bundeskanzler wurde bei einer CDU-Fraktionssitzung im Sommer 1950 vorgeworfen, in der Frage der Wiederbewaffnung Deutschlands seine Meinung geändert zu haben, worauf Adenauer antwortete:

Konrad Adenauer, 1950:

  • "Aber meine Herren, es kann mich doch niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden."

  • Paul Weymar: "Konrad Adenauer. Die autorisierte Biographie", 1955, S. 521 (Link)


Über Konrad Adenauer 1953:


Konrad Adenauer wurde als Politiker beschrieben, auf dessen Wort man sich verlassen könne, und der niemals nach dem Grundsatz  "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern" als "Rattenfänger" agiert habe. 
  •   "Klar und eindeutig gibt Dr. Adenauer Rechenschaft über seine vierjährige Arbeit: 'Wenn einmal der Nebel und der Wirbel von dieser Zeit gewichen ist, so will ich, daß man von mir sagen kann, daß ich meine Pflicht getan habe.'

    Das ist die Haltung dieses Mannes, der nicht als Rattenfänger kommt, nicht als Politiker, der heute verspricht um morgen nach dem Grundsatz zu handeln: 'Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.' Was er sagt sitzt."
     
    Nordwest-Zeitung, Nr. 183, 8. August 1953, S. 2 
    (genios.de)

[Ist Ihnen ZITATFORSCHUNG zur Eindämmung falscher Zitate etwas wert? (Link)]

 

Kurze Geschichte der Redensart:


Die Redensart vom "Geschwätz von gestern" scheint am Ende des 19. Jahrhunderts  entstanden zu sein und wurde im Zusammenhang mit  dem 1908 verstorbenen preußischen Kulturpolitiker Friedrich Althoff erstmals erwähnt.

Der ersten schriftliche Beleg für die sprichwörtliche Redensart und die Zuschreibung an Friedrich Althoff stammt aus dem Jahr 1917, wie Wikipedia-Autorinnen herausfanden (Link).

Adolf Matthias, ein Mitarbeiter Althoffs, hat von dem organisatorischen Zickzackkurs des Politikers Althoff berichtet, bei dem dann Äußerungen gefallen seien, wie:

1917
  • "'Was gebe ich auf mein dummes Geschwätz von gestern!' Althoff besaß jene Heiterkeit des Humors, die nicht vor der eigenen Person Halt macht." (Link)

    Alfred Biese: "Adolf Matthias, Zur Würdigung und Erinnerung", in: Monatsschrift für höhere Schulen, 1917, S. 533 (Link)
Im Jahr 1931 taucht die Wendung ohne Zuschreibung an Althoff in einer humoristischen Geschichte der Zeitschrift "Die Muskete" in folgender Version auf:

1931
  • "Was geb' ich schon auf mein dummes Geschwätz von gestern?" (Link)
20 Jahre später hält der Politkwissenschaftler und Mitherausgeber des "Wörterbuchs des Unmenschen" Dolf Sternberger, der später auch viele Leiterartikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung verfasst hat, den Spruch für ein Frankfurter Sprichwort:

1950
  • "Oder, 'was geb' ich auf mein Geschwätz von gestern', wie es ein Frankfurter Sprichwort ausdrückt."
    Dolf Sternberger: Figuren der Fabel, S. 15 (Link)


Ungefähr seit 1969 gilt das Sprichwort in Deutschland als Adenauer-Zitat. Begonnen damit hat  anscheinend der Soziologe Horst Jürgen Helle in seiner Habilitationsschrift, wobei in Zukunft noch frühere Quellen für die falsche Zuschreibung gefunden werden könnten:


1969

  • "Man braucht also nicht sogleich an das Adenauer-Zitat zu denken: 'Was kümmert mich mein törichtes Geschwätz von gestern'."

    Horst Jürgen Helle: Soziologie und Symbol,  1969, 
    S. 56 (Link)

Seitdem wurde dem pragmatischen deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer das Sprichwort in verschiedenen Versionen unzählige Male unterschoben. Einige Beispiele:


2002
  • "'Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern', polterte schon Konrad Adenauer."
    welt.de
2019
  • "Frei nach dem Ausspruch von Konrad Adenauer, 'Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern', agiert derzeit Ex-Kanzler Sebastian Kurz." (Link)

2020

  • "Der gute, alte Spruch von Ur-Bundeskanzler Konrad Adenauer ist aktueller denn je: 'Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?' Wobei der Zusatz ja gerne unter den Tisch fällt: 'Nichts hindert mich, weiser zu werden.' " (Link)

Versionen des Pseudo-Konrad-Adenauer-Zitats:


  • "Wat kümmert mich ming Jeschwätz von jestern?"
  • "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?"
  • "Was kümmert mich mein törichtes Geschwätz von gestern?"
  • "Was stört mich mein Geschwätz von gestern?"
  • "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern."


Pseudo-Konrad-Adenauer-Zitat.

  • "What do I care about my chitchat from yesterday?" 

Pseudo-Konrad-Adenauer-Zitat. Google





 Artikel in Arbeit.
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Quellen:
 Google

www.konrad-adenauer.de: Zitate
 Alfred Biese: "Adolf Matthias, Zur Würdigung und Erinnerung", in: Monatsschrift für höhere Schulen, XVI. Jahrgang, Weidmannsche Buchhandlung, Berlin: 1917, S. 533 (Link)

"Wahl-Wochenende eines 77jährigen."Autor: anonymer Korrespondent, in: Nordwest-Zeitung, Nr. 183, 8. August 1953, S. 2 (genios.de)

Paul Weymar: Konrad Adenauer. Die autorisierte Biographie. Kindler Verlag, München: 1955, S. 521 (Link)
Dolf Sternberger: Figuren der Fabel. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1950, S. 15 (Link)
Horst Jürgen Helle: Soziologie und Symbol. Ein Beitrag zur Handlungstheorie und zur Theorie des sozialen Wandels. Habilitationsschrift, Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen: 1969,  S. 56 (Link)
Albert Martens: "Gastspiel im Bett", in: Die Muskete, das blatt für kunst und humor, XXVI.  Jahrgang, 1931, Nr. 14, S. 6 (Link)
Wikipedia  

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Ich danke den Wikipedia-Mitarbeitern und -Mitarbeiterinnen für ihre gründlichen Recherchen zu diesem Kuckuckszitat. 

Letzte Änderung 29/11 2020; 28/02/2021; 18/3 2023 (Kein Rattenfänger).