Montag, 7. März 2022

"Die Missachtung des Lebens und die Brutalität gegen den Menschen lassen die Fähigkeit des Menschen zur Unmenschlichkeit erkennen. Sie kann und darf kein Mittel irgendeiner Konfliktlösung sein und bleiben.“ Rosa Luxemburg (angeblich)


Pseudo-Rosa-Luxemburg-Zitat.
Diese Maxime zur gewaltfreien Konfliktlösung steht auf den 1987 errichteten Berliner Gedenktafeln für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und wird erst im 21. Jahrhundert irrtümlich Rosa Luxemburg zugeschrieben.

Eine dieser Gedenktafeln findet man in Berlin-Tiergarten an jener Stelle, an der Karl Liebknecht am 15. Januar 1919 ermordet wurde:

Gedenktafel 1 für Karl Liebknecht, Großer Weg, Tiergarten, Berlin (Link).

Karl Liebknecht wurde der letzte Satz auf seiner Gedenktafel, der mit dem auf der Gedenktafel für Rosa Luxemburg identisch ist, nie irrtümlich zugeschrieben.
Gedenktafel 2 für Rosa Luxemburg, Liechtensteinbrücke, Berlin (Link)

Der Text der Gedenktafeln stammt wahrscheinlich von den Stiftern und Gestaltern des Berliner Rosa-Luxemburg-Denkmals, dem Architekten Ralf Schüler und der Architektin Ursulina Schüler-Witte (Link).

Auf diesen Gedenktafeln wurde das Zitat noch eindeutig nicht Rosa Luxemburg untergeschoben, aber offenbar haben sich einige Vorbeigehende geirrt und dachten, am Ende der Gedenktafel stünde ein Rosa-Luxemburg-Zitat.

Gedenktafel für Rosa Luxemburg von Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte, 1987:

  • "Am Abend des 15. Januar 1919 wurden Dr. Rosa Luxemburg und Dr. Karl Liebknecht von Soldaten und Offizieren der Garde-Kavallerie-Schützen-Division misshandelt und ermordet.

     Rosa Luxemburg, verwundet oder tot, wurde an dieser Stelle von ihren Mördern in den Landwehrkanal geworfen.
      
    Karl Liebknecht wenig später am Neuen See, einige hundert Meter von hier, erschossen.

    Der andere Teil des Mahnmals bezeichnet den Ort seiner Ermordung.  

    Im Kampf gegen Unterdrückung, Militarismus und Krieg starb die überzeugte Sozialistin Rosa Luxemburg als Opfer eines heimtückischen politischen Mordes.

    Die Missachtung des Lebens und die Brutalität gegen den Menschen lassen die Fähigkeit der Menschen zur Unmenschlichkeit erkennen. Sie kann und darf kein Mittel irgendeiner Konfliktlösung sein und bleiben.

    Berlin 1987"
     (Link)

Die irrtümlich falsche Zuschreibung begann vielleicht im Jahr 2005 und wurde inzwischen von der Partei "Die Linke", vielen Zitate-Sammlungen und sogar von der Rosa-Luxemburg-Stiftung übernommen.

In den digitalisierten Texten Rosa Luxemburgs ist ihr angebliches Zitat nicht zu finden und wird nach der Entstehungsgeschichte dieses Zitats zu schließen wahrscheinlich auch nie gefunden werden.

-

Wenn man Rosa Luxemburgs Texte nach dem Stichwort "Brutalität" durchsucht, findet man zum Beispiel folgendes Zitat aus einer Rede bei einer Versammlung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 15. Dezember 1918:

  • "Sozialismus heißt nicht, sich in ein Parlament zusammensetzen und Gesetze beschließen, Sozialismus bedeutet für uns Niederwerfung der herrschenden Klassen mit der ganzen Brutalität (Großes Gelächter), die das Proletariat in seinem Kampfe zu entwickeln vermag." 
    Rosa Luxemburg: Rede bei der Außerordentlichen Verbandsgeneralversammlung der USPD von Groß-Berlin am 15. Dezember 1918
     (Link)

Auf Twitter begann die falsche Zuschreibung an Rosa Luxemburg im Jahr 2012. Im Jahr 2013 wurde aber noch auf den Facebook-Text der Gedenktafel korrekt verwiesen:

2014

Twitter (Link)

2021
(Facebook) Pseudo-Rosa-Luxemburg-Zitat. 
2020/2022
Twitter 2020/2022 (Link).

Pseudo-Rosa-Luxemburg-Zitat.



___________

Quellen:
Bildhauerei in Berlin, BiB: "Rosa-Luxemburg-Denkmal" (bildhauerei-in-berlin) 
Kathrin Chod: "Berlin Mitte: das Lexikon" Stapp, Berlin: 2001, S. 401 (Link) [Zitiert nach Bernd-Christoph Kämper]
Rosa Luxemburg: Rede bei der Außerordentlichen Verbandsgeneralversammlung der USPD von Groß-Berlin  am 15. Dezember 1918, Erstveröffentlichung: Die Freiheit (Berlin), Nr. 59 vom 17. Dezember 1918. (Link) in:  Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke, Bd. 4., August 1914 bis Januar 1919, Dietz Verlag, Berlin: 2000, S. 459 [Vorerst zitiert nach: Rosa Luxemburg Stiftung] sowie Rosa Luxemburg: "Reden", Projekt Gutenberg, Hamburg: o.J., S. 379 (Link)
wikipedia, Foto Gedenktafel2
wikipedia, Foto Gedenktafel 1

Beispiele für falsche Zuschreibungen:
"Rosa Luxemburg": fembio.org 2007 (Link)
Marcus Havel: "Politische Bildungsarbeit zu Konfliktzonen", Rosa Luxemburg Stiftung, April 2011 (Link)
Twitter, Rena Jacob, 5. März 2012 (Link)
Rosa Luxemburg Stiftung: "Rosa Luxemburg: Die Kassandra des 1. Weltkrieges - Reihe Friedensaktivistinnen des 20. Jahrhunderts", Dokumentation, München, 5. November 2014 (Link)


Artikel in Arbeit.

_______

Dank:

Ich danke Ingo Stützle für die Frage nach diesem Kuckuckszitat und seinen Hinweisen sowie Bernd-Christoph Kämper für seine umfangreichen Recherchen zum Ursprung und zur großen Verbreitung der falschen Zuschreibungen.