Sonntag, 3. Februar 2019

"Der Mensch is' gut, aber die Leut' san a G'sindel!" Johann Nestroy (angeblich)

Pseudo-Johann-Nestroy-Zitat.

Dieses populäre Aperçu wird in verschiedenen Varianten Karl Valentin und Johann Nestroy - immer ohne genaue Quellenangabe - zugeschrieben. In ihren digitalisierten Texten ist es unauffindbar.

Die Gegenüberstellung von "guter Mensch" und "grundschlechte Leute" stammt in der Tat von Johann Nestroy.  In Nestroys am 7. Januar 1862 erstaufgeführter Posse "Frühere Verhältnisse" steht die Zeile:
  • "So gibt's viel gute Mensch'n, aber grundschlechte Leut'."
    Johann Nestroy: "Frühere Verhältnisse", Posse mit Gesang in einem Akt, (1862) Fünfte Szene (Link) 

Fast ein Jahrhundert später, im Jahr 1950, publizierte Erich Kästner das Epigramm "Für Stammbuch und Stammtisch" mit den Versen: "Die Menschen sind gut, / bloß die Leute sind schlecht".

Zwei Jahre nach der Publikation dieses Epigramms erschien ein Buch des Zeichners Karl Arnold mit dem Titel: "Der Mensch ist gut - Aber die Leut san a G'sindel".

Und zehn Jahre nach dem Erscheinen von Karl Arnolds Buch wird dieser Spruch meinen Recherchen nach erstmals Karl Valentin unterschoben, später dann auch Johann Nestroy.

Inzwischen wird die Variante mit dem "Gesindel" meistens Johann Nestroy zugeschrieben und die Variante "die Leut' sind schlecht" meistens Karl Valentin.

Im Jahr 1962 wurde noch Karl Valentin die "G'sindel"-Variante des Aperçus unterschoben.

Der Kabarettist Gerhard Polt, der Sachbuchautor Georg Markus und die Herausgeber eines Nestroy-Buches für Anfänger glauben, der Satz stamme von Johann Nestroy, fast genau so oft wird behauptet, er stamme von Karl Valentin.

Meinen bisherigen Recherchen nach hat den Satz so ähnlich Erich Kästner, vielleicht angeregt durch Johann Nestroy, geprägt, und die Variante mit dem "Gesindel" kam erst nach dem Tod Karl Valentins auf.

Pseudo-Karl-Valentin-Zitat.

Ich halte es deswegen für unwahrscheinlich, dass der Satz von Karl Valentin stammt, kann aber nicht ganz ausschließen, dass zukünftige Recherchen zu einem anderen Ergebnis kommen.

In den vollständig digitalisierten Schriften Johann Nepomuk Nestroys ist der fragliche Satz in dem ihm zugeschriebenen Wortlaut nicht enthalten.

Erstmals Johann Nestroy unterschoben wurde das Zitat anscheinend im Jahr 1986 in dem  Roman "Die drei Kalender" ( Zsolnay) von dem österreichischen Autor Fritz Habeck.

Varianten:



Chronologie und Quellen:


1862
 
  • Die Rasse guter Mensch'n is noch lang' nicht ausg'storb'n,
    Doch werd'n s' durch böse Leut' oft verleit't und verdorb'n. –
    Man hat Geld, fangt ein G'schäft an, da b'sucht ei'm ein Mann,
    Tragt mit redlichem Sinn Kompagnieschaft ei'm an –
    Er sagt, er hat Vermög'n, versteht alls aus 'n Grund,
    Man schließt ab – jetzt kommt 's G'schäft durch ihn etwas au'm Hund.
    Manchen Mißgriff zwar könnt' er noch gutmachen wohl;
    Doch da rat'n ihm die Freund', daß 'r in d' Schweiz flüchten soll –
    Er nimmt 's Rest'l aus der Kassa und 's Tags drauf is er weit –
    So gibt's viel gute Mensch'n, aber grundschlechte Leut'.
  • "So giebt’s viel’ gute Mensch’n, aber grundschlechte Leut’."
  • Johann Nestroy: "Frühere Verhältnisse", Posse mit Gesang in einem Akt, Erstaufführung am 7. Januar 1862, Fünfte Szene, Lied von "Muffl", 1. Strophe (Link)

 1870
  • "Ohnehin sagt ein wetterharter Isarthaler, dessen 70jähriges Auge noch verständig und frisch hervorblitzt unter den Brauen: „die Zeit ist gut, aber d' Leut' san schlecht"  books.google 

1919:
  • "Der Mensch ist gut, die Menschen sind schlecht."
    Fred Heller (Link)


1950:
  • Für Stammbuch und Stammtisch

    Freunde, nur Mut!
    Lächelt und sprecht:
    'Die Menschen sind gut,
    bloß die Leute sind schlecht.'


    Erich Kästner: Kurz und bündig. Epigramme. (1950) In: Gesammelte Schriften, Band 1,  Gedichte, Atrium Verlag, Zürich: 1959, S. 345 (Link)


Erich Kästner, Erstausgabe 1950.


1952:

Titel eines Buches von Karl Arnold: Der Mensch ist gut - Aber die Leut san a G'sindel"
Karl Arnold: Erstausgabe 1952.


1962
  • Dazu ein Ausspruch des Münchener Komikers Karl Valentin: „Der Mensch ist gut, aber die Leut' san a G'sindel!“
    Ludwig Kapeller: "Das Schimpfbuch", Erdmann: 1962, S. 129 
    (Link)


1986
  • "Einer der schönsten Sätze Nestroys: Der Mensch ist gut, aber die Leut sind ein Gesindel."
    Fritz Habeck: "Die drei Kalender" Roman, Zsolnay, Wien: 1986, S. 142 (Link)


1999
  • »Der Mensch is guat, nur die Leut', die Leut' san a Gsindl!« Diesen Ausspruch könnte man als Motto oder Wahlspruch der österreichischen Seele bezeichnen. Er stammt vom unsterblichen Johann Nepomuk Nestroy,
    Arbeit und Wirtschaft (Link)

2010

  • "Polt : Oder wie es der Nestroy formuliert hat: Der Mensch an und für sich ist gut, aber die Leut’ sind ein Gesindel. Ein wunderbarer Spruch. Diese Distanz tut einem Humoristen gut."

    Hanns-Bruno Kammertöns: Wann hört der Spaß auf?, Interview mit Gerhard Polt,  ZEIT Nr. 50/2010, 9. Dezember 2010 (Link)


2012
  • Eine Prise Misanthropie: »Der Mensch is guad, de Leit' san schlecht!«  Karl Valentin (Link)  

2018 
  • "Der Mensch is guad, de Leit' san schlecht!" Karl Valentin (angeblich) SPIEGELOnline 

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Quellen:
 J.N. Nestroy, Stich- u. Schlagworte. Zusammengestellt von Reinhard Urbach, Verlag Christian Brandstätter, Wien: 1984 (Das angebliche Nestroy-Zitat ist  in dieser Sammlung nicht enthalten.)
Johann Nestroy: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe – Index und Konkordanz  Nestroy-Werke.at (Das angebliche Nestroy-Zitat ist in dieser sorgfältig gemachten Digitalisierung weder so noch so ähnlich zu finden.)

Erich Kästner: Kurz und bündig. Epigramme. (1950) In: Gesammelte Schriften, Band 1,  Gedichte, Atrium Verlag, Zürich: 1959, S. 345 (Link)
Karl Arnold: "Der Mensch ist gut, aber die Leut san a G'sindel", Dulk, Hamburg: 1952 (Erstausgabe)

Beispiele für Zuschreibungen an Johann Nestroy: 
Fritz Habeck: "Die drei Kalender" Roman, Zsolnay, Wien: 1986, S. 142 (Link)
Johann Nestroy: "Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang: Nestroy für Anfänger." Mit einem Vorwort von Andreas Vitásek, Amalthea, Wien: 2012 Ebook (Link)
Georg Markus: "Wenn man trotzdem lacht: Geschichte und Geschichten des österreichischen Humors." Amalthea, Wien: 2014 Ebook (Link)
Hanns-Bruno Kammertöns: Wann hört der Spaß auf?, Interview mit Gerhard Polt,  ZEIT Nr. 50/2010, 9. Dezember 2010 (Link) 

Beispiele für Zuschreibungen an Karl Valentin:
Ludwig Kapeller: "Das Schimpfbuch", Horst Erdmann Verlag, Herrenalb/Schwarzwald: 1962, S. 129  (Link)
quotez.net 
"Die schönsten Karl-Valentin-Zitate" 8/20, SPIEGELOnline, 9. Februar 2018 (Link)


Kästner und Valentin 

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Dank:
Ich danke Dieter Chmelar für den Hinweis auf dieses Zitat und Ralf Bülow für seine Recherchen dazu.


In Arbeit.