Sonntag, 28. Mai 2017

"Ich kann nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte." Max Liebermann

Der Maler Max Liebermann hat angeblich mit diesen Worten am 30. Januar 1933 seinen Ekel vor dem Sieges-Fackelzug von Nationalsozialisten in Berlin ausgedrückt (Link)
Die Anekdote wird in verschiedenen Versionen  seit dem Jahr 1934 weitererzählt. 
 Max Liebermann war nicht nur als Maler berühmt, sondern auch wegen seiner "Berliner Schnauze", seinen "lapidaren Aussprüchen", die "oft und oft durch die Welt" gegangen seien, wie in einem Nachruf der Wiener Tageszeitung "Die Stunde" am 13. Februar 1935 zu lesen war (Link).
 Bei einer frühen Erwähnung der Anekdote im Jahr 1934 wurde der Name des berühmten Malers noch verschwiegen, wohl um ihn vor Verfolgung durch Nazi-Behörden zu schützen:
1934
  • "Man erzählt in Berlin:
  • Professor...., der berühmte Maler, wird von einem seiner Schüler gefragt, wie er sich mit den Zuständen im Dritten Reiche abgefunden habe.

  • 'Ach Jott', erwidert der Meister, 'man kann nich halb so viel essen, wie man kotzen möchte.'"

  • Das Neue Tage-Buch, 2. Jahrgang, Nr. 40, Paris-Amsterdam, 6. Oktober 1934, S. 959 (Link)
1935
  • "Gefragt wie ihm Deutschland unter Hitler gefalle, sagte der greise Meister: 'Soviel kann man gar nicht fressen, als man kotzen möchte!'"
  • Hendric: "Totenklänge um einen Künstler", "Die Stunde", 13. Februar 1935, S. 3 (Link).
 Eine Version des Ausspruchs stammt von der Malerin Käthe Kollwitz.
 1947
  • "Mit Max Liebermann verband Käthe Kollwitz eine enge Freundschaft. Auch nach der Machtergreifung der Nazis ging sie oft zum Tee zu ihm. ... Einmal sagte er höhnisch und drastisch über die Zustände im Nazireich: "Ick kann janich so viel fressen, wie ick kotzen möchte!"
  • Katharina Laessig: "Mit den Augen der Freundin. Zum 80. Geburtstag von Käthe Kollwitz." (Link)

1954
  • "Harrass: (rülpst genüßlich) Verzeihung. Der geradezu nicht-arische Kunstmaler Max Liebermann, 'n juter oller Berliner, der gar betreffenden Witzes in großem Maße teilhaftig, hat einmal den schlichten Satz jeprägt: Kann jar nich soviel essen, wie ich kotzen möchte."
  • "Des Teufels General", Film, 1955 (Link)

Jahrzehnte später wird der Spruch Max Liebermanns manchmal fälschlich Kurt Tucholsky oder Bertolt Brecht zugeschrieben, und kommt ohne Hinweis auf Liebermann wie eine sprichwörtliche Redensart zum Beispiel auch in Max Frischs Drama  "Biedermann und die Brandstifter - Ein Lehrstück ohne Lehre" vor.
Varianten:
  • "Ick kann janich so viel fressen, wie ick kotzen möchte!"
  • "Kann jar nich soviel essen, wie ich kotzen möchte." 
  • "So ville kann ick gar nich essen, wie ick kotzen möchte."
  • "Ich kann nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte." 
  • "Man kann gar nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte."
  • "Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte."
  • "Ach Jott, man kann nich halb so viel essen, wie man kotzen möchte." 
  • "Soviel kann man gar nicht fressen, als man kotzen möchte!" 
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Quellen:
Das Neue Tage-Buch, 2. Jahrgang, Nr. 40, Paris-Amsterdam, 6. Oktober 1934, S. 959 (Link) 
Hendric: "Totenklänge um einen Künstler", "Die Stunde", 13. Februar 1935, S. 3 (Link).
Katharina Laessig: "Mit den Augen der Freundin. Zum 80. Geburtstag von Käthe Kollwitz." in: "Aufbau,  Band 3, Aufbau Verlag, Berlin: 1947, S. 63 (Link) 
"Des Teufels General". Film 1955, Drehbuch: George Hurdalek, Helmut Käutner und Gyula Trebitsch; Regie: Helmut Käutner (nach dem Drama Carl Zuckmayers) Transkription einer Szene von Wolfgang Näser: (Link)
Carl Zuckmayer: "Des Teufels General." Drama in drei Akten, verfasst: 1945; Uraufführung 14. Dezember 1946,  in: Carl Zuckmayer: Gesammelte Werke, Die Deutschen Dramen, Bermann-Fischer Verlag, Stockholm: 1947 (In dieser Ausabe scheint die Liebermann-Anekdote nicht enthalten zu sein.)
"Max Liebermann: Poesie des einfachen Lebens",  Ausstellungskatalog, hrsg. von  Nicole Bröhan und  C. Sylvia Weber,  Swiridoff:  2003,  S. 192  (Link)
Johannes John: "Reclams Zitaten-Lexikon." Philipp Reclam jun., Stuttgart: 1992 (Link)
Bernd Küster: "Max Liebermann – ein Malerleben."  Ellert und Richter, Hamburg: 1988, S. 216 (zitiert nach Wikiquote)
Friedhelm Greis: Sudelblog, Angebliche Tucholsky-Zitate
Kurt Tucholsky-Gesellschaft, Angebliche Tucholsky-Zitate (Link)
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Dank:
Ich danke den Leuten von Wikiquote, Friedhelm Greis und Herbert Gnauer und besonders auch Garson O' Toole für ihre Recherchen. Dank auch an Klaus Allwicher für eine Korrektur.
 
Letzte Änderungen: 5/7 2021 (Belege 1930er Jahre) ; 7/7 2021; 12/9 2023.