Dienstag, 26. Juli 2022

"Geschichte ist eine ewige Wiederholung." Pseudo-Thukydides-Zitat

Pseudo-Thukydides-Zitat.

 Die Formel "Geschichte ist eine ewige Wiederholung" wird dem wegen seiner wisenschaftlichen Redlichkeit bis heute verehrten griechischen General und Historiker Thukydides erst im 21. Jahrhundert untergeschoben.

Thukydides hat uns nur ein einziges Werk hinterlassen, die Geschichte der Kriege Athens gegen Sparta und Spartas Verbündete, die von 431 bis 404 vor Christus fast dreißig Jahre gedauert haben.

 Diese große Arbeit in acht Büchern ist ein Fragment geblieben, das später den Titel  "Der Peloponnesische Krieg" bekommen hat.

Wäre das Zitat von Thukydides, müsste es in einer Übersetzung dieses Werkes zu finden sein. Dort ist es aber nicht zu finden.

 

Thukydides über das Ziel seiner Darstellung: 

  • "Zum bloßen Anhören wird vielleicht durch das Fehlen des erzählerischen Elements meine Darstellung weniger erfreulich erscheinen. Wer aber klare Erkenntnis des Vergangenen erstrebt und damit auch des Künftigen, das wieder einmal nach der menschlichen Natur so oder ähnlich eintreten wird, der wird mein Werk für nützlich halten, und das soll mir genügen. Als ein Besitz für immer, nicht als Glanzstück für einmaliges Hören ist es aufgeschrieben."
    Thukydides 1, 22, übersetzt von
    Helmuth Vretska und Werner Rinner

  • "wer aber das Gewesene klar erkennen will und damit auch das Künftige, das wieder einmal, nach der menschlichen Natur, gleich oder ähnlich sein wird, der mag sie so für nützlich halten, und das soll mir genug sein: Zum dauernden Besitz, nicht als Prunkstück fürs einmalige Hören ist sie verfasst."
    Thukydides 1, 22,
    übersetzt von Georg Peter Landmann.

 

 

Die Formel "Geschichte ist eine ewige Wiederholung" ist in diesem Wortlaut ohne Zuschreibung an Thukydides seit über 100 Jahren im deutschen Sprachraum verbreitet.

 

Artikel in Arbeit.

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Quellen:

Genios.de

 

Thukydides: "Der Peloponnesische Krieg." Griechisch–Deutsch, übersetzt von Michael Weißenberger, mit einer Einleitung von Antonios Rengakos, de Gruyter, Berlin / Boston: 2017 Thukydides: "Der Peloponnesische Krieg." Übersetzt von Helmuth Vretska und Werner Rinner. Philipp Reclam jun., Stuttgart: (1966) 2004
Thukydides: Der Peloponnesische Krieg. Übersetzt von Georg Peter Landmann, Artemis u. Winkler, Düsseldorf / Zürich: 2002

 

Beispiele für falsche Zuschreibungen:

Google

 

 

 

 

 



Sonntag, 24. Juli 2022

"The most agreeable of all companions is a simple, frank man, without any high pretensions to an oppressive greatness ...." Pseudo-G.-E.-Lessing-Zitat.


Pseudo-Gotthold-Ephraim-Lessing-Zitat.

Dieses Lob des unkomplizierten, einfachen Mannes wird auf Englisch seit dem Jahr 1830 dem 1781 verstorbenen deutschen Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing zugeschrieben, ist aber in seinen  Schriften nicht zu finden.
 
  • "The most agreeable of all companions is a simple, frank man, without any high pretensions to an oppressive greatness; one who loves life, and understands the use of it; obliging alike at all hours; above all, of a golden temper and steadfast as an anchor. For such an one we gladly exchange the greatest genius, the most brilliant wit, the profoundest thinker. / Lessing."
    The new monthly magazine and literary journal,  London:  1830  (Link)
 
Dieses Zitat stammt nicht von Lessing, sondern von dem Weimarer Dichter und Philosophen  Johann Gottfried Herder.
 
Ein englische Übersetzer hat 1830  in der Rubrik "Specimens of German Genius" der  Londoner Literaturzeitschrift "The new monthly magazine and literary journal" diesen Satz Johann Gottfried Herders aus einem Brief über Horaz irrtümlich dem Dramatiker Gotthold Ephraim Lessing untergeschoben.
 
Dieses falsche Lessing-Zitat wurde bald in vielen amerikanischen und englischen Zeitungen und Zeitschriften nachgedruckt und steht mit der falschen Zuschreibung seit mehr als hundert Jahren bis heute in englischsprachigen Zitate-Lexika.
 
 
Johann Gottfried Herder, 1803:
 
 
  •   "Der angenehmste Gesellschafter ist ein naiver, schlichter Mann, ohne hohe Ansprüche einer drückenden Größe, der das Leben liebt und dessen Gebrauch kennet, übrigens gefällig, jeder Hora bequem, und dabei golden von Gemüth, fest wie ein Anker. Um einen solchen vertauschen wir gern das größte Genie, den lustigsten Witzling, den tiefsten Denker." (Link)

    Johann Gottfried Herder: "Briefe über das Lesen des Horaz, an einen jungen Freund." Dritter Brief (Link)
 
 
Herder nannte übrigens als Beispiel für einen angenehmen, naiven, schlichten Gesellschafter ohne hohen Ansprüche den römischen Dichter Horaz:
 
Johann Gottfried Herder: "Briefe über das Lesen des Horaz, an einen jungen Freund."
Dritter Brief (Link)
 
 
 
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Quellen:
Johann Gottfried Herder: "Briefe über das Lesen des Horaz, an einen jungen Freund." Dritter Brief, Erstveröffentlichung in: "Adrastea." Herausgegeben von J.G. v. Herder, bei  Johann Friedrich Hartknoch, Leipzig: 1803, 5. Band, Erstes Stück, S. 75-80; 75 (Link)
H. B. v. Weber: "Ueber und gegen die Langeweile. Zur Kunst und Kenntnis des Lebens. Heinrich Laupp, Tübingen: 1826 S. 152 (Link) 
The new monthly magazine and literary journal. Volume 1,  Henry Colburn and Richard Bentley, London:  1830, S. 447 (Rubrik: "Specimens of German Genius") (Link)
 Dublin Evening Packet and Correspondent - Thursday 13 May 1830  (Link)  Zuschreibung an "Leesing"
"New England Farmer", Vol. X, Nr. 17, Boston, 9. November 1831, S. 136  (Link) ohne Zushcreibung 
1832 ohne Zuschreibung (archive.org); 1840 mit Zuschreibung an Lessing (archive.org); 1842 ohne Zuschreibung (archive.org)

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Dank:
Ich danke Lafargue für den Hinweis auf dieses Pseudo-G.-E.-Lessing-Zitat.