Der AfD-Abgeordnete Alexander Gauland hat am 21. November 2018 im deutschen Parlament einen Satz (etwas verkürzt) aus Heinrich Heines Vorrede zum ersten Band des "Salon" aus dem Jahr 1833 zitiert
(Link).
In dieser Vorrede beschreibt Heinrich Heine sein Zusammentreffen mit einer Gruppe schwäbischer Auswanderer in Frankreich, denen in Algier Land zur Kolonisierung versprochen wurde. (Gauland nennt sie irrtümlich deutsche Auswanderer nach Übersee.)
Heinrich Heine, der so oft Deutsche kritisierte, findet diese deutschen Auswanderer sympathisch, aber besonders lobt er in dieser Vorrede die Humanität und Freundlichkeit der Franzosen, die diesen armen Wirtschaftsflüchtlingen täglich halfen:
- "Die Franzosen sind nicht bloß das
geistreichste, sondern auch das barmherzigste Volk. Sogar die Ärmsten
suchten diesen unglücklichen Fremden irgendeine Liebe zu erzeigen,
gingen ihnen tätig zu Hand beim Aufpacken und Abladen, liehen ihnen ihre
kupfernen Kessel zum Kochen, halfen ihnen Holz spalten, Wasser tragen
und waschen."
Heinrich Heine, 17. Oktober 1833
Seiner Ideologie gemäß zitiert Gauland nicht Heinrich Heines Bewunderung für das Mitgefühl der Französinnen und Franzosen mit Wirtschaftsflüchtlingen (heute von AfDlern als "Bahnhofsklatscher" verspottet), sondern folgenden Satz von Heinrich Heine über den Unterschied zwischen Deutschen und Franzosen:
- Ich schwöre es bei allen Göttern des Himmels und der Erde, der zehnte Teil von dem, was jene Leute in Deutschland erduldet haben, hätte in Frankreich sechsunddreißig Revolutionen hervorgebracht,
und sechsunddreißig Königen die Krone mitsamt dem Kopf gekostet.
Heinrich Heine, 17. Oktober 1833 (Die kursivierten Wörter hat Gauland im Zitat weggelassen.)
Artikel in Arbeit.
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Quellen:
Heinrich Heine: Vorrede zum ersten Bande des »Salon«, Paris, den 17. Oktober 1833, in: Heinrich Heine: Lutetia? Berichte über Politik, Kunst und Volksleben. Werke in fünf Bänden. 4. Band, Aufbau Verlag, Berlin:1974
(Link); (Link)
Heinrich Heine: Vorrede zum ersten Bande des »Salon«, Paris, den 17. Oktober 1833
"... So erging's auch mir, und, ohne zu wissen wie, befand ich mich
plötzlich auf der Landstraße von Havre, und vor mir her zogen hoch und
langsam mehrere große Bauernwagen, bepackt mit allerlei ärmlichen Kisten
und Kasten, altfränkischem Hausgeräte, Weibern und Kindern. Nebenher
gingen die Männer, und nicht gering war meine Überraschung, als ich sie
sprechen hörte – sie sprachen Deutsch, in schwäbischer Mundart. Leicht
begriff ich, daß diese Leute Auswanderer waren, und als ich sie näher
betrachtete, durchzuckte mich ein jähes Gefühl, wie ich es noch nie in
meinem Leben empfunden; alles Blut stieg mir plötzlich in die
Herzkammern und klopfte gegen die Rippen, als müsse es heraus aus der
Brust, als müsse es so schnell als möglich heraus, und der Atem stockte
mir in der Kehle. Ja, es war das Vaterland selbst, das mir begegnete,
auf jenen Wagen saß das blaue Deutschland, mit seinen ernstblauen Augen,
seinen traulichen, allzu bedächtigen Gesichtern, in den Mundwinkeln
noch jene kümmerliche Beschränktheit, über die ich mich einst so sehr
gelangweilt und geärgert, die mich aber jetzt gar wehmütig rührte – denn
hatte ich einst, in der blühenden Lust der Jugend, gar oft die
heimatlichen Verkehrtheiten und Philistereien verdrießlich
durchgehechelt, hatte ich einst mit dem glücklichen, bürgermeisterlich
gehäbigen, schneckenhaft trägen Vaterlande manchmal einen kleinen
Haushader zu bestehen, wie er in großen Familien wohl vorfallen kann: so
war doch all dergleichen Erinnerung in meiner Seele erloschen, als ich
das
Vaterland in Elend erblickte, in der Fremde, im Elend; selbst seine
Gebrechen wurden mir plötzlich teuer und wert, selbst mit seinen
Krähwinkeleien war ich ausgesöhnt, und ich drückte ihm die Hand, ich
drückte die Hand jener deutschen Auswanderer, als gäbe ich dem Vaterland
selber den Handschlag eines erneuten Bündnisses der Liebe, und wir
sprachen Deutsch. Die Menschen waren ebenfalls sehr froh, auf einer
fremden Landstraße diese Laute zu vernehmen; die besorglichen Schatten
schwanden von ihren Gesichtern, und sie lächelten beinahe. Auch die
Frauen, worunter manche recht hübsch, riefen mir ihr gemütliches
»Griesch di Gott!« vom Wagen herab, und die jungen Bübli grüßten
errötend höflich, und die ganz kleinen Kinder jauchzten mich an mit
ihren zahnlosen lieben Mündchen. Und warum habt ihr denn Deutschland
verlassen? fragte ich diese armen Leute. »Das Land ist gut und wären
gern dageblieben«, antworteten sie, »aber wir konnten's nicht länger
aushalten« –
Nein, ich gehöre nicht zu den Demagogen, die nur die
Leidenschaft aufregen wollen, und ich will nicht alles wiedererzählen,
was ich auf jener Landstraße bei Havre unter freiem Himmel gehört habe
über den Unfug der hochnobeln und allerhöchst nobeln Sippschaften in der
Heimat – auch lag die größere Klage nicht im Wort selbst, sondern im
Ton, womit es schlicht und grad gesprochen, oder vielmehr geseufzt
wurde. Auch jene armen Leute waren keine Demagogen; d
ie Schlußrede ihrer
Klage war immer: »Was sollten wir tun? Sollten wir eine Revolution
anfangen?«
Ich schwöre es bei allen Göttern des Himmels und der Erde
, der zehnte Teil von dem, was jene Leute in Deutschland erduldet
haben, hätte in Frankreich sechsunddreißig Revolutionen hervorgebracht,
und sechsunddreißig Königen die Krone mitsamt dem Kopf gekostet.
»Und wir hätten es doch noch ausgehalten und wären nicht
fortgegangen«, bemerkte ein achtzigjähriger, also doppelt vernünftiger
Schwabe, »aber wir taten es wegen der Kinder. Die sind noch nicht so
stark wie wir an Deutschland gewöhnt, und können vielleicht in der
Fremde glücklich werden; freilich, in Afrika werden sie auch manches
ausstehen müssen.«
Diese Leute gingen nämlich nach Algier, wo man ihnen unter
günstigen Bedingungen eine Strecke Landes zur Kolonisierung versprochen
hatte. »Das Land soll gut sein«, sagten sie, »aber wie wir hören, gibt
es dort viel' giftige Schlangen, die sehr gefährlich, und man hat dort
viel auszustehen von den Affen, die die Früchte vom Felde naschen und
gar die Kinder stehlen und mit sich in die Wälder schleppen. Das ist
grausam. Aber zu Hause ist der Amtmann auch giftig, wenn man die Steuer
nicht bezahlt, und das Feld wird einem von Wildschaden und Jagd noch
weit mehr ruiniert und unsere Kinder wurden unter die Soldaten gesteckt –
Was sollten wir tun? Sollten wir eine Revolution anfangen?«
Zur Ehre der Menschlichkeit muß ich hier des Mitgefühls erwähnen, daß,
nach der Aussage jener Auswanderer, ihnen auf ihren Leidensstationen
durch ganz Frankreich zuteil wurde. Die Franzosen sind nicht bloß das
geistreichste, sondern auch das barmherzigste Volk. Sogar die Ärmsten
suchten diesen unglücklichen Fremden irgendeine Liebe zu erzeigen,
gingen ihnen tätig zu Hand beim Aufpacken und Abladen, liehen ihnen ihre
kupfernen Kessel zum Kochen, halfen ihnen Holz spalten, Wasser tragen
und waschen. Habe mit eigenen Augen gesehen, wie ein französisch
Bettelweib einem armen kleinen Schwäbchen ein Stück von ihrem Brot gab,
wofür ich mich auch herzlich bei ihr bedankte. Dabei ist noch zu
bemerken, daß die Franzosen nur das materielle Elend dieser Leute
kennen; jene können eigentlich gar nicht begreifen, warum diese
Deutschen ihr Vaterland verlassen. Denn wenn den Franzosen die
landesherrlichen Plackereien so ganz unerträglich werden, oder auch nur
etwas allzu stark beschwerlich fallen, dann kommt ihnen doch nie in den
Sinn, die Flucht zu ergreifen, sondern sie geben vielmehr ihren Drängern
den Laufpaß, sie werfen sie zum Lande hinaus und bleiben hübsch selber
im Lande, mit einem Wort: sie fangen eine Revolution an."
Heinrich Heine: Vorrede zum ersten Bande des »Salon«, Paris, den 17.
Oktober 1833
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Ich danke
Goran für die Frage nach diesem Zitat.