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Mittwoch, 14. Februar 2018

"Es hat keinen Sinn, eine Mehrheit für die Sozialdemokraten zu erringen, wenn der Preis dafür ist, kein Sozialdemokrat mehr zu sein." Willy Brandt (angeblich)

Pseudo-Willy-Brandt-Zitat.

Dieser Satz wurde Willy Brandt etwa 10 Jahre nach seinem Tod erstmals untergeschoben. 


Bislang ist dieses Zitat so oder so ähnlich weder in Zeitungen, Blogs oder digitalisierten Büchern des 20. Jahrhunderts, noch in den Dokumenten des Willy-Brandt-Archivs der Friedrich-Ebert-Stiftung gefunden worden.

Leserbrief, Stern, 18.3.2004, Pseudo-Willy-Brandt-Zitat.

Einer der Ersten, oder der Erste, der dieses Zitat Willy Brandt zugeschrieben hat, war ein Leserbriefschreiber des Magazins "Stern" am 18. März 2004. Er glaubt heute, dieses Willy-Brandt-Zitat damals so in einer Rede oder in einem Interview Oskar Lafontaines gehört oder gelesen zu haben, wie er dem Willy-Brandt-Archiv auf Nachfrage mitteilte.

Nur zwei Tage nachdem der Leserbrief erschienen ist wählte der Theologe und Bürgerrechtler  Friedrich Schorlemmer dieses Zitat als Motto für seine Rede, "An meine Freunde in der SPD", die in seinem Buch "In der Freiheit bestehen: Ansprachen" (2004) veröffentlicht ist.

Schorlemmer zitiert in diesem Buch auch einen angeblichen Spruch eines amerikanischen Präsidenten:

  • "Wir stehen zu dem Amerika eines Abraham Lincoln, der gesagt hat: 'Es gibt keinen ehrenwerten Weg, zu töten, keinen sanften Weg, zu zerstören. Es gibt nichts Gutes am Krieg. Außer seinem Ende.'"
    Friedrich Schorlemmer, 2004, 2010 (Link)

Dieses Zitat stammt allerdings nicht von dem amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln, sondern von einem Drehbuchautor der Serie Star Trek, und wird der fiktiven Figur "Abrahm Lincoln" in den Mund gelegt (1:30):



"Star Trek
Abraham Lincoln: 'There's no honorable way to kill, no gentle way to destroy. There is nothing good in war except its ending.'
Sometimes incorrectly cited as an actual Lincoln Quote." (Link)
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Nach der aktuellen Quellenlage ist zu vermuten, dass Friedrich Schorlemmer sich auch bei seinem Willy-Brandt-Zitat geirrt hat, weil er von einem Leserbriefschreiber, über dessen Seriösität wir nichts wissen, das Zitat unüberprüft übernommen hat. Dieses Willy-Brandt-Zitat wäre übrigens nicht das erste Falschzitat, das von einem Leserbrief ausgegangen ist.


Geschichte des Falschzitats

2004
  • 18. März 2004: Leserbrief im Stern (nicht Online)
  • 20. März 2004: Motto von Friedrich Schorlemmer in einer Rede (Link)
2006
  • 24. Oktober 2006: Bei Wikiquote ohne Quellenangabe gebucht unter der Rubrik "Zugeschrieben" (Link)
 2008
  •  21. März 2008: Das Zitat wird bei Wikiquote wieder gelöscht. (Link)
2013
  •  Das Zitat wird von Gegnern der Großen Koalition oft zitiert.

2018
  •  Das Zitat wird wieder von Gegnern der Großen Koalition oft zitiert.
(Quellen vor 2004 könnten noch auftauchen.)

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Schon Viele (Rechercheure von Wikipedia und vom Willy Brandt-Archiv, zum Beispiel) haben dieses Zitat seit 10 Jahren vergeblich in einer vertrauenswürdigen Quelle aus dem 20. Jahrhundert gesucht.

Ohne Nachweis, wann und wo Willy Brandt den fraglichen Satz gesagt hat, sollte man ihn seriöser Weise nicht mehr als Willy-Brandt-Zitat verbreiten.

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Willy Brandt, 1966

  • "BRANDT: Das Wesen der Demokratie ist der Kompromiß. Wenn er zusammen mit der SPD ausgehandelt werden muß, ergibt es einen besseren Kompromiß als den, der allein aus den Gegensätzen innerhalb der CDU/CSU herauskommt."
    DER SPIEGEL 50/1966, 5. Dezember 1966 (Link)


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Quellen:
Google
Twitter
Friedrich Schorlemmer: "In der Freiheit bestehen: Ansprachen" (2004), Aufbau Verlag, Berlin: 2010 ebook, "Die Reformen und ihre Verlierer. An meine Freunde in der SPD", 20. März 2004 (Link); Lincoln (Link)
"Lincoln's words noted, misquoted", Washington Times, 1. Dezember 2003 (Link)  
Wikiquote (Link)
Wikiquote, 24. Oktober 2006 (Link)
Wikiquote, 21. März 2008 (Link)
E-Mail-Korrespondenz mit Sven Haarmann vom Willy-Brandt-Archiv, Februar 2018
Stern, Nr. 13/2004,  18. März 2004, Leserbrief, S. 25
Hans Gerhard Stephani, Hans-Roderich Schneider und  Ernst Goyke: "AUF DEM FALSCHEN BEIN HURRA?", Spiegelgespräch mit Willy Brandt, DER SPIEGEL 50/1966, 5. Dezember 1966 (Link)
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 Dank:

Danke für den Hinweis, Tobias Blanken und Stephan Dörner.
Dank an die Leute von Wikiquote und vor allem an Sven Haarmann vom Willy-Brandt-Archiv in Bonn, der mich auf viele Quellen des Falschzitats hinwies und den "Stern"-Leserbriefschreiber um Auskunft bat.


Artikel in Arbeit.