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Mittwoch, 8. August 2018

"Du fragst mich, was soll ich tun? Und ich sage: Lebe wild und gefährlich, Artur." Arthur Schnitzler (angeblich)

Plakat von Artur Dieckhoff, Hamburg, Anfang 1980er Jahre; Foto: copyright Artur Dieckhoff.

Die Devise "Lebe wild und gefährlich" hat nichts mit Arthur Schnitzler und Arthur Rimbaud zu tun, sondern wurde von dem Hamburger Künstler und Schriftsetzer Artur Dieckhoff Anfang der 1980er Jahre für ein Plakat geprägt, das er wild an Hamburger Hauswänden plakatierte.

Das A1 große Plakat mit der englischen Schrift "Caslon" war Teil der Aktion "Poesie im öffentlichen Raum", die Artur Dieckhoff seit den 1970er Jahren (mit Unterbrechungen) bis heute mit "Sprachfetzen" inszeniert.

Der Slogan "Lebe wild und gefährlich" wurde Ende der 1980er Jahren auch durch eine Postkarte verbreitet, die von  dem Autor und späterem Gründer der Agentur kulturrecycling, Werner Clemens-Walter, produziert wurde.
Ansichtskarte, Ende 1980er Jahre; copyright: kulturrecycling, Werner Clemens-Walter.

Der Text dieser Postkarte ist identisch mit Artur Dieckhoffs Plakat und das starke Foto von dem selbstsicher grantig blinzelnden Volksschüler in Strumpfhosen, kurzer Hose und Wollmütze ist der Ausschnitt eines Fotos,  das der Vater Clemens-Walters in den 1920er Jahren in Niedersachsen aufgenommen hat. Das Original ist im Besitz von Werner Clemens-Walter.
Clemens Walter, 1991. (Mit dem vollständigen Foto der Postkarte.)
Der Spruch wurde in den folgenden Jahren oft kopiert, variiert, übernommen, auf Transparente gemalt und Jutta Ditfurths 1991 erschienene radikalökologische Kampfschrift trägt als erstes Buch den Titel "Lebe wild und gefährlich", fünf weitere Bücher mit diesem Titel von anderen Autoren folgen in den nächsten Jahrzehnten.

Im 21. Jahrhundert wird der Text der Postkarte  und des Plakats - ohne ersichtlichen Grund - öfters Arthur Schnitzler unterschoben. Zuerst nur in Internetforen, später auch in der ZEIT, in der Süddeutschen Zeitung und in Büchern

Angeblich habe der Wiener Autor Arthur Schnitzler dem französischen Dichter Arthur Rimbaud auf die Frage, was er tun solle, geantwortet: "Lebe wild und gefährlich, Arthur."

Diese Anekdote ist um das Jahr 2004,  mehr als 100 Jahre nach Arthur Rimbauds Tod,  in Internetforen vielleicht als Scherz entstanden. Es gibt keine einzige ernstzunehmende Quelle für diese Legende, wie auch die Kenner und Herausgeber von Arthur Schnitzlers Werken, Martin Anton Müller und Peter Michael Braunwarth,  bestätigen.

Es gab keinerlei Verbindung zwischen Arthur Schnitzler und dem um acht Jahre älteren Arthur Rimbaud, der als Dichter schon verstummt war und als Geschäftsmann in Afrika lebte, als Arthur Schnitzler im Jahr 1885 zu publizieren begann.

Beispiele für falsche Zuschreibungen an Arthur Schnitzler:


2005
  • "Diese berühmte, zum Postkartenspruch gewordene Empfehlung stammt von dem Wiener Schriftsteller Arthur Schnitzler."

2007
  • "Das Schwarzweißfoto hängt ein wenig versteckt in der Ecke und zeigt einen kleinen Jungen mit Pudelmütze. Daneben steht: 'Du fragst mich, was soll ich tun? Und ich sage: Lebe wild und gefährlich.' Vor 20 Jahren fand sich dieses Motiv mit dem Zitat des Schriftstellers Arthur Schnitzler in vielen studentischen Wohngemeinschaften."
  • Kai-Hinrich Renner: Gebührensheriff unter Beschuss, DIE ZEIT 06/2007, 1. Februar 2007 (Link)
In den folgenden Jahren wurde die Anekdote ausgeschmückt und eine Freundschaft zwischen Arthur Schnitzler und Arthur Rimbaud erfunden:

2014
  • "Arthur Rimbaud, Schriftsteller, Dichter, führte ein ausschweifendes Leben im Paris des 19. Jahrhunderts, zu einer Zeit als Zukunft noch nach Verheißung klang. Man tinderte nicht, sondern begegnete seinen zukünftigen Liebhabern auf der Straße und in kleinen verrauchten Cafés, nur um kurze Zeit später von der Syphilis dahingerafft zu werden. Die Menschen hatten Angst vorm Sterben und darum lebten sie. Als ob er es nicht gewusst hätte, fragte Rimbaud seinen Freund Arthur Schnitzler, Schriftsteller, Dandy, Erotiker („Der Reigen“): “Was soll ich tun, Arthur?” Und Schnitzler antwortete: “Du fragst mich, was soll ich tun? Und ich sage Dir, lebe wild und gefährlich Arthur.” Als wäre es die natürlichste Sache der Welt. Und wahrscheinlich ist sie das. "
    milchmaedchenmonolog.de

2018
  • „Du fragst mich was soll ich tun? Und ich sage: Lebe wild und gefährlich, Artur.“ Das antwortete der österreichische Arthur Schnitzler seinem französischen Freund und Kollegen Arthur Rimbaud auf dessen Frage „Was soll ich tun?“. Das war im 19. Jahrhundert – und tatsächlich starb der schon als Kind wild grabende Rimbaud jung. Er hatte mit seiner Frage wohl nur eine Bestätigung für sein Lebensprinzip bekommen wollen. Viel später landete die tröstliche Antwort auf einer Postkarte an vielen Kühlschränken von Studenten-WG’s und tröstete dort weiter. Auch ich tröste mich gern mit diesem Versprechen, wenn ich vor einer Entscheidung stehe, die mich zwingt, zwischen Moral und Lust zu wählen.
  • "'Lebe wild und gefährlich' – ein Zitat und ein Versprechen" - Steady News (Link)

Pseudo-Arthur-Schnitzler-Zitat.


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Die Devise "Gefährlich leben!" stammt von Friedrich Nietzsche und wurde von linken Aktivisten, Studenten und Künstlern, aber auch von Benito MussoliniSSlern und einigen Soldaten (Link) begeistert übernommen.

Friedrich Nietzsche:

  • "Denn, glaubt es mir! — das Geheimniss, um die grösste Fruchtbarkeit und den grössten Genuss vom Dasein einzuernten, heisst: gefährlich leben! Baut eure Städte an den Vesuv! Schickt eure Schiffe in unerforschte Meere! Lebt im Kriege mit Euresgleichen und mit euch selber! Seid Räuber und Eroberer, so lange ihr nicht Herrscher und Besitzer sein könnt, ihr Erkennenden! Die Zeit geht bald vorbei, wo es euch genug sein durfte, gleich scheuen Hirschen in Wäldern versteckt zu leben! Endlich wird die Erkenntniss die Hand nach dem ausstrecken, was ihr gebührt: — sie wird herrschen und besitzen wollen, und ihr mit ihr!"
  • Friedrich Nietzsche: "Die fröhliche Wissenschaft", § 283. Erste Veröffentlichung 10. September 1882 (Link)




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Quellen:

E-Mail von Werner Clemens-Walter vom 10. August 2018
E-Mail von Artur Dieckmann vom 12. August 2018
E-Mail von Martin Anton Müller vom 9. August 2018
Friedrich Nietzsche: "Die fröhliche Wissenschaft", § 283. Erste Veröffentlichung 10. September 1882. (Link) in: Nietzsche Werke, Kritische Gesamtausgabe. Herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Teil 5, 2. Band, Walter de Gruyter, Berlin: 1973, S. 206 
Clemens Walter: "Nur die Mutigen entkommen: die einzig wahre Geschichte von Artur u. Artur; Der Chronik Erster Teil. Kindheit, Aufbruch, Verwandschaft u. Verplichtung", Transit, Berlin: 1991
Clemens Walter: "Menschen wie wir werden überall gebraucht. - Die einzig wahre Geschichte von Zora, Arthur u. Artur - Der Chronik zweiter Teil. Irrungen, Wirrungen und frühes Glück", Transit, Berlin: 1991
Clemens Walter: "Mit Artur durchs Jahr. Wild und gefährlich." Transit, Berlin: 1992Jutta Ditfurth: "Lebe wild und gefährlich - Radikalökologische Perspektiven". Kiepenheuer u. Witsch. Köln: 1991
Frühe Erwähnung 1986, S. 17 (Link) Symposium TAZ (Link)
Kai-Hinrich Renner: Gebührensheriff unter Beschuss, DIE ZEIT 06/2007, 1. Februar 2007 (Link)  

Chronologie der falschen Zuschreibungen:

 
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Dank:
Ich danke Martin Anton Müller für den Hinweis auf dieses Kuckuckszitat und Peter Michael Braunwarth für seine Hilfe. Besonders danke ich Werner Clemens-Walter für seine Auskunft zur Entstehung der Postkarte und herzlich danke ich auch Artur Dieckhoff für die Geschichte des Plakats sowie Tobias Blanken für seine Recherche-Tipps und die Postkarte.


Letzte Änderung: 15/9 2022.
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Anhang

"Live Fast Die Young":


Ralf Bülow (@RalfBuelow) 9. August 2018,