Freitag, 11. Juni 2021

"Wer schweigt stimmt nicht immer zu. Er hat nur manchmal keine Lust mit Idioten zu diskutieren." Albert Einstein (angeblich)

 

Pseudo-Albert-Einstein-Zitat.

Auch dieses beliebte Einstein-Zitat ist keines, sondern wurde dem Physiker Albert Einstein über 50 Jahre nach seinem Tod erstmals unterschoben. 

In seinen digitalisierten Texten und in relevanten Nachschlagwerken ist dieses Zitat nicht zu finden.

Bei einer chronologischen Suche der digitalisierten Texte taucht es 2013 zuerst in den Sozialen Medien ohne Zuschreibung an einen Autor als anonymer Spruch auf. Im August 2013 wurde es ohne Quellenangabe Charles Darwin zugeschrieben und erst danach Albert Einstein.

Entstanden ist das Zitat als Relativierung des alten Sprichworts "Wer schweigt, stimmt zu", das in verschiedenen Varianten schon bei griechischen und römischen Autoren vorkommt (Link) .

Sophokles: "Die Trachinierinnen", 813f.

  • "Chor: Was eilst du schweigend weg? Erkennst du nicht, Dein Schweigen unterstützt des Klägers Wort?"  (Link); (link)

 Seneca: "Controversiae", 10:

  • "Taceam? sed silentium videtur confessio."  (Link)
    ... aber Stillschweigen scheint Bekenntnis

Durch den Juristen und mächtigen Papst Bonifatius VIII. (1232-1303) wurde das alte Sprichwort als Rechtsregel ins Kanonische Recht aufgenommen. .

Bonifatius VIII.: "Dekretalen", B. 5, Tit. 12, Reg. 43

  • "Qui tacet, consentire videtur." Bonifatius VIII., Regula 43
    Wer schweigt, scheint zuzustimmen. (Link)


Entwicklung des Pseudo-Albert-Einstein-Zitats: 


In den Sozialen  Medien liest man öfters den Ratschlag, dass man mit Dummköpfen nicht reden sollte und Schweigen keine Zustimmung bedeute.

2010

  • "die mehrheit schweigt nicht aus zustimmung, sondern weil sie weiß, dass man mit beratungsresistenten idioten nicht diskutieren kann." 29. Aug. 2010(Twitter)

 2013 April

  • "He/She who is silent not always agree, sometimes he/she doesn't feel like arguing with idiots." 15. Apr. 2013
  • "Wer schweigt, stimmt nicht immer zu. Er hat nur manchmal keine Lust mit Idioten zu diskutieren." (Twitter)
  • "Wer schweigt stimmt nicht immer zu. Er hat nur keine Lust mit Idioten zu diskutieren. (geklaut von weiß ich nicht)21. Apr. 2013 
  • "Wer schweigt, stimmt nicht immer zu. Er hat nur manchmal keine Lust mit Idioten zu diskutieren."
  • "Wer schweigt stimmt nicht immer automatisch zu manchmal hat man einfach keine Lust mit Idioten zu diskutieren".
  • "Bekannte schreibt auf FB: "Wer schweigt, stimmt nicht immer zu... Er hat nur manchmal keine Lust, mit Idioten zu dirkurtieren" ahaaa... ;)"
     

2013 Mai

  • "Wer schweigt, stimmt nicht immer zu. Derjenige hat nur manchmal keine Lust, mit Idioten zu diskutieren" (von Unbekannt)" (Twitter)

 Bis August 2013 galt das Zitat als Spruch einer unbekannten Person und wurde erst dann Charles Darwin zugeschrieben und im September - vielleicht durch eine Verwechslung - Albert Einstein.

 

2013 August

 2013 September 

25. September 2013 (Twitter)

 

Seit September 2013 wird das Zitat, das davor monatelang Dutzende Male keiner bestimmten Person zugeschrieben wurde, immer öfter Albert Einstein untergeschoben.

Pseudo-Albert-Einstein-Zitat.


Es gibt auch keinen vernünftigen Grund anzunehmen, das Zitat sei von Charles Darwin geprägt worden.

 

 Artikel in Arbeit.

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Quellen:

Alice Calaprice: "The Ultimate Quotable Einstein", Foreword: Freeman Dyson, Princeton University Press, Princeton and Oxford: 2011 [Keine Erwähnung des Zitats.]

Alice Calaprice: "Einstein sagt: Zitate, Einfälle, Gedanken", Vorwort von Freeman Dyson; übersetzt von Anita Ehlers, Piper Verlag, München / Berlin: 2015 [Keine Erwähnung des Zitats.]

"Geflügelte Worte. Der Zitatenschatz des deutschen Volkes", gesammelt und erläutert von Georg Büchmann, fortgesetzt von Walter Robert-tornow, 22. vermehrte und verbesserte Auflage, bearbeitet von Eduard Ippel, Verlag der Haude u. Spenerschen Buchhandlung, Berlin: 1905,  S. 515 (Link)

Eris Ado: Zitatunwesen, Books on Demand, Norderstedt: 2018 ebook (Link)  

Christoph Krampe: "Qui tacet, consentire videtur: Über die Herkunft einer Rechtsregel" in: "Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft" Festschrift zum 65. Geburtstag von Paul Mikat. Herausgegeben von Dieter Schwab ua., Duncker und Humblot, Berlin: 1989, S. 367-380 (Link)

 


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Anhang

Auch das Zitat "Der Hauptgrund für Stress ist der tägliche Kontakt mit Idioten" wird Albert Einstein fälschlich zugeschrieben. Siehe:  falschzitate.blogspot.com/Idioten.


falschzitate.blogspot.com/Idioten 2018.


 

 

Dienstag, 25. Mai 2021

"Alle geimpften Menschen werden innerhalb von 2 Jahren sterben." Luc Montagnier (angeblich)

Dem französischen Nobelpreisträger Luc Montagnier wird seit dem 21. Mai 2021 unterstellt, er habe prophezeit, in 2 Jahren wären alle Corona-Geimpften tot.

Als Beleg für diese falsche Behauptung wird auf ein Video vom  18. Mai 2021 verwiesen, in dem Luc Montagnier allerdings diese Prognose weder so noch so ähnlich ausspricht. 

In dem Video warnt er er davor, dass die Corona-Impfungen Mutationen des Virus auslösen können, aber er prophezeit keinen Massentod, wie später auf Twitter öfters behauptet wird.


Entwicklung des Falschzitats:

 
18. Mai 2021

Publikation von Auszügen eines Interviews mit Luc Montagnier auf französisch mit englischen Untertiteln.

Renee Nal: Bombshell: "Nobel Prize Winner Reveals - Covid Vaccine is 'Creating Variants'", 18. Mai 2021, rairfoundation.com Video

21. Mai 2021 

Luc Montagnier unterstützt in einem Offenen Brief eine Initiative von Dr. Seligman und Haim Yativ in Israel, die Corona-Impfungen vorläufig zu beenden  (Link).

 

Falsche Behauptungen auf Twitter:

 

21. Mai 2021

Auf Twitter wird erstmals fälschlich behauptet, Luc Montagnier habe in diesem Interview den Tod aller Geimpften prophezeit. Wer das Falschzitat wirklich erfunden hat, ist unbekannt. Es könnte sowohl in einer WhatsApp-Gruppe als auch auf Telegram entstanden sein.
  • "'All Vaccinated people will die within 2 years' - Nobel Prize Winner Luc Montagnier has confirmed that there is no chance of survival for people who have received any form of the vaccine." (Twitter)  

22. Mai 2021

Schon einen Tag danach taucht das Falschzitat in den Sozialen Medien auch auf Deutsch auf:


Falschzitat, Twitter 22. Mai 2021.

  • Twitter-Thread:
    "Alle geimpften Menschen werden innerhalb von 2 Jahren sterben. Der Nobelpreisträger Luc Montagnier hat bestätigt, dass es keine Überlebenschance für Menschen gibt, die irgendeine Form des Impfstoffs erhalten haben. In dem schockierenden Interview erklärte der weltweit führende


    Virologe unverblümt: 'Es gibt keine Hoffnung und keine mögliche Behandlung für diejenigen, die bereits geimpft worden sind. Wir müssen darauf vorbereitet sein, die Leichen zu verbrennen.' Das


    wissenschaftliche Genie unterstützte die Behauptungen anderer bedeutender Virologen, nachdem er die Bestandteile des Impfstoffs untersucht hatte. 'Sie werden alle an der antikörperabhängigen Verstärkung sterben. Mehr kann nicht gesagt werden.'"
    Twitter
    , 22. Mai 2021

Kommentar dazu auf Twitter:

  •  "das sagt er weder auf Französisch, noch steht es so in den englischen Untertiteln". (Link)

24. Mai 2021

Falschzitat, Twitter 24. Mai 2021.

-

25. Mai 2021

Das falsche Zitat ist nach vier Tagen von Amerika bis Indien schon ziemlich erfolgreich und hat bei einer Google-Suche auf Englisch mehr als 1000 Treffer und auf Deutsch immerhin mehr als 500

In manchen Gegenden der Welt warnt schon die Polizei vor der Verbreitung dieser falschen Prognose, weil sie durch die erschwindelte Autorität eines Nobelpreisträgers viele Leute in Angst versetzt habe: das Fake-Zitat "is spreading like wildfire on Indian whatsapp groups".

25. Mai 2021  (latestly.com)

-

Durch das Falschzitat glauben jetzt manche Leute, sie werden in 2 Jahren alle alten Freunde verloren haben, weil sie geimpft wurden.

Telegram, zitiert nach Twitter, 26. Mai 2021.

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Quellen: 

Google

Renee Nal: Bombshell: "Nobel Prize Winner Reveals - Covid Vaccine is 'Creating Variants'", 18. Mai 2021, rairfoundation.com Video (Französisches Interview mit englischen Untertiteln.)
Twitter 21. Mai 2021
Twitter 22. Mai 2021
Twitter 24. Mai 2021
"French Nobel Laureate Luc Montagnier Said People Will Die Within 2 Years of Getting Vaccinated? PIB Fact Check Debunks Fake Claim About COVID-19 Vaccination, Reveals Truth" 25. Mai 2021  (latestly.com)
Ursprüngliches Interview mit Luc Montagnier; undatiert; französisch, ohne englische Untertitel, ca. 11 Minuten lang (planetes360.fr)  
corona-hat-kein-ende.de/   25. Mai 2021
threadreaderapp.com
 
 
 
Letzte Änderung: 26/5 2021

____________

Anhang 

 

 
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Dienstag, 18. Mai 2021

"Wichtige Dinge dürfen nie den unwichtigen untergeordnet werden." Johann Wolfgang Goethe (angeblich)


Pseudo-Goethe-Zitat.
Das angebliche Goethe-Zitat taucht bei einer chronologischen Suche erstmals im Jahr 1965 in Amerika auf: "Things which matter most must never be at the mercy of things which matter least" (archive.org).

Zuerst wurde dieser Aphorismus allerdings noch ohne Zuschreibung an Goethe als anonymes Zitat in einer Zeitschrift der Church of Jesus Christ of Latter-Day Saints publiziert:

1965 

  • "Things which matter most must never be at the mercy of things which matter least."  Anonym
    "Millennial Star"  The Church of Jesus Christ of Latter-Day Saints, July 1965, Vol. 127, Nr. 7, p. 259 (archive.org)

Seit 1971 unterschob der Bestsellerautor Stephen R. Covey in mehreren religiösen Texten und sehr erfolgreichen Managment-Ratgeberbüchern dieses anonyme Zitat aus einer religiösen Zeitschrift dem deutschen Autor Johann Wolfgang Goethe. 

Durch Stephen Covey wurde das vermeintliche Goethe-Zitat in Amerika sehr populär, aber da Covey von Beginn an niemals eine Quelle für das Zitat angab und da es schon viele vergeblich in einer Übersetzung von Goethes Werken gesucht haben, ist es mit großer Wahrscheinlichkeit ein Kuckuckszitat.

1971

  • "Goethe put it this way: 'Things which matter most must never be at the mercy of things which matter least.'"
    Stephen R. Covey: "How to Succeed with People" Deseret Book Company, Salt Lake City: 1971, p. 2  (Link)

 1972   

  •  "'Things which matter most must never be at the mercy of things which matter least.' (Goethe.)"
    Stephen R. Covey: "Spiritual roots of human relations"  Deseret Book Company, Salt Lake City: 1972, p. 277 (archive.org) 
-

2008

  • "One of my favorite quotations comes from Johann Wolfgang von Goethe, 'Things which matter most must never be at the mercy of things which matter least.'"
    Blog, 14. November  2008 
    (thehumanfactor.biz)

 

Im 21. Jahrhundert, 170 Jahre nach Goethes Tod, wurde das amerikanische Pseudo-Goethe-Zitat ins Deutsche übersetzt und auch auf Deutsch findet man weder in einem seiner digitalisierten Texte noch in einem relevanten Nachschlagwerk einen Beleg für das Zitat.


Frühe deutschsprachige Erwähnungen des Kuckuckszitats:

 

2007
  • "'Wichtige Dinge dürfen nie den unwichtigen untergeordnet werden.' (Johann Wolfgang von Goethe)"
    Anja Ansorg: "ABC des Glaubens" Edition Octopus,Münster: (2007) 2. Auflage 2008, S. 99  (books.google)
 
2010
  • "Zitat des Tages: / 'Wichtige Dinge dürfen nie den unwichtigen untergeordnet werden.' / Johann Wolfgang von Goethe"
    4. Sep. 2010Facebook 
    (twitter)  
 -

Pseudo-Goethe-Zitat.

Ich halte es aufgrund der Geschichte dieses nicht besonders geistreichen Zitats, das über 100 Jahre nach Goethes Tod zuerst in Amerika aufkam, für sehr unwahrscheinlich, dass es jemals in einem englischen oder deutschen Text Johann Wolfgang Goethes gefunden werden wird.
 

 
 
Artikel in Arbeit.

 __________
Quellen:
genios.de (Erste Erwähnung des Zitats in deutscher Sprache: 2005)
"Lexikon der Goethe-Zitate." Hrsg. von Richard Dobel, Artemis Verlag, Weltbild Verlag, Augsburg: 1991 (Keine Erwähnung des Zitats.)  
en.wikiquote Rubrik: "Attributed"
www.reddit.com  2020: "highly unlikely that Goethe ever said it".
"Millennial Star",  The Church of Jesus Christ of Latter-Day Saints, July 1965, Vol. 127, Nr. 7, p. 259 (archive.org)
Stephen R. Covey: "Spiritual roots of human relations"  Deseret Book Company, Salt Lake City: 1972, p. 277 (archive.org) (Man findet auf archive.org und durch Google-Suchen über ein Dutzend Ausgaben von Büchern Coveys mit diesem Pseudo-Goethe-Zitat.)
Blog, 14. November  2008  (thehumanfactor.biz) 
Anja Ansorg: "ABC des Glaubens" Edition Octopus,Münster: (2007) 2. Auflage 2008, S. 99  (books.google) 
 
 
 
 
 _____
Dank:
Ich danke Christian Hasiewicz für den Hinweis auf dieses Kuckuckszitat.
 
 
 
 

20 Goethe-Zitate, die sicher nicht von Goethe sind. Link-Sammlung.

 Links zu den Artikeln über folgende Pseudo-Goethe-Zitate:


  1. "Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen."

  2. "Bei Fünfzig ist man für sein Gesicht verantwortlich".

  3. "Das Leben ist viel zu kurz, um schlechten Wein zu trinken."

  4. "Der denkende Mensch ändert seine Meinung." 

  5. "Die Wahrheit enthält immer auch Lüge."

  6. "Eines Morgens wachst Du nicht mehr auf, die Vögel aber singen, wie sie gestern sangen. Nichts ändert diesen Tagesablauf. Nur Du bist fortgegangen. Du bist nun frei, und unsere Tränen wünschen Dir Glück."

  7. "Eines Tages klopfte die Angst an die Tür. Der Mut stand auf und öffnete, aber da war niemand draußen."

  8. "Erfolg hat 3 Buchstaben: TUN!"

  9. "Erfolgreich zu sein setzt zwei Dinge voraus: Klare Ziele und den brennenden Wunsch, sie zu erreichen."

  10. "Für ein zufriedenes Leben braucht man neun Dinge: genügend Gesundheit ..."

  11. "Gott gibt die Nüsse, aber er knackt sie nicht." 

  12. "Lieber Freund, entschuldige meinen langen Brief, für einen kurzen hatte ich keine Zeit."

  13. "Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen."

  14. "Reden ist uns ein Bedürfnis, Zuhören ist eine Kunst."

  15. "Was man tief in seinem Herzen besitzt, kann man nicht durch den Tod verlieren."

  16. "Wer Bücher liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaune." 

  17. "Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf."

  18. "Wer nicht genießt, wird ungenießbar." 

  19. "Werde der, der du bist."

  20. "Wir haben genug Zeit, wenn wir sie nur richtig verwenden." 

  21.  "Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht."

 

 Entstellte Goethe-Zitate:

 

"In Bibliotheken fühlt man sich wie in der Gegenwart eines großen Kapitals, das geräuschlos unberechenbare Zinsen spendet." 

"Was immer du tun kannst oder erträumst zu können, beginne es."

 

 

Montag, 17. Mai 2021

"Eines Tages klopfte die Angst an die Tür. Der Mut stand auf und öffnete, aber da war niemand draußen." Johann Wolfgang von Goethe (angeblich)


Pseudo-Johann-Wolfgang-Goethe-Zitat. 18/4 2020 (Link)
Dieses ursprünglich englische Sprichwort wird erst seit dem Beginn der Corona-Pandemie Johann Wolfgang Goethe untergeschoben und ist in seinen Texten nicht zu finden, was man einfach überprüfen kann, da Goethes Werke mehrfach digitalisiert sind.

Entstanden ist das vermeintliche Goethe-Zitat aus dem Sprichwort: "Fear knocks at the door. Faith answers. No one is there", das in verschiedenen Varianten seit etwa hundert Jahren in religiösen Schriften Amerikas verbreitet wird (Link)

Author unknown.
Auf Deutsch wurde eine Variante des Sprichworts ("Die Angst klopft an die Tür, der Glaube antwortet, niemand tritt ein") im Jahr 2004 wohl irrtümlich Martin Luther King zugeschrieben (Link).

Seit dem Jahr 2013 findet man auf Deutsch Versionen des Sprichworts bei denen das Wort "Glaube"  durch das Wort "Mut" ersetzt wurde (Link); immer ohne Zuschreibung an Goethe oder an eine andere Berühmtheit.

Der genaue Wortlaut "Eines Tages klopfte die Angst an die Tür. Der Mut stand auf und öffnete, aber da war niemand draußen" tauchte im März 2020 noch ohne Zuschreibung an Goethe als anonymer Spruch auf, und wurde anscheinend erst seit dem April 2020 Johann Wolfgang Goethe zugeschrieben.

 

Entwicklung des Kuckuckszitats:

 
In einer frühen Fassung des Sprichworts sieht man, wenn der Glaube die Tür öffnet, noch die Schuhabsätze der Angst hinter der nächsten Ecke verschwinden, doch seit den 1930er Jahren wird das Sprichwort in prägnanteren Formen weitererzählt:

1919

The Schwenkfeldian, 1919, Vol. 16, Nr. 8-12, S. 138 (Link)

1935/1937

  • "When fear knocks at the door and faith opens it there is nothing there." (Link)

Das anonyme Sprichwort wurde auch auf dem Kaminsims eines alten englischen Gasthofs gesehen:

1947

  •  "On the front of a mantel in an ancient inn in England there is an inscription: 'Fear knocks at the door. Faith answers. No one is there.'
    Spiritual letters of Father Hughson O.H.C.,  Holy Cross Press, West Park, N. Y.: [1952],
    S. 241 (Link)

1952

  • "When fear knocks at the door, send faith to open it, and you'll find no one there." Anonym (Conducted by J.P. Barrow)
    The Free Will Baptist, Vol. 67, 7. April 1952, Nr. 16, S. 10 (Link)

1981

  • "'Believe me, my father's plan works in magic ways.' Fear knocks at the door. Faith opens it. But no fear is there."
    Allen E. Zimmer: "God make me brave for life: for joy with others and peace with myself, Argus Communications, Allen, Texas: 1981 S. 106 (Link)

 1982

  •  "17. When fear knocks at the door of your mind, let faith in God and all things good open the door." (Link)

 Auf Deutsch taucht das Sprichwort in den digitalisierten Texten erst im 21. Jahrhundert auf. Die Zuschreibung an Martin Luther King habe ich in amerikanischen Quellen nicht gefunden:

2004

  • "'Die Angst klopft an die Tür, der Glaube antwortet, niemand tritt ein' (M. L. King)."
    Traugott Giesen: "Angst klopft an, der Glaube antwortet, niemand tritt ein", Die Welt 12.06.2004 (Link)
In Amerika gilt das Zitat als amisches Sprichwort, in Deutschland ohne ersichtlichen Grund manchmal als irisches oder chinesisches:

2010

  •  "When fear knocks at the door, send faith to answer!"
    Suzanne Woods Fisher: "Amish proverbs: words of wisdom from the simple life" (Link)

2011

  • "Klopft die Angst an die Tür. Das Vertrauen öffnet. Niemand steht draußen. Chinesisches Sprichwort"
    17. September 2011 (Twitter)

2013  

  • "'Die Angst klopft an die Tür, der Glaube antwortet, und niemand wollte herein.'  altes irisches Sprichwort"
    15. März 2013 (Twitter)

 In einem Tweet aus dem Jahr 2013 wurde meines Wissens das erste Mal der "Glaube" durch den "Mut" ersetzt:

2013

  • "Die Angst klopft an die Tür. Als der Mut sie öffnet, war niemand da. Mehrere Pointen" Anonym @jahudy 31. März 2013 (Twitter)

 2017

  • "Die Angst klopft an die Tür. Das Vertrauen öffnet. Niemand steht draußen. (Chinesisches Sprichwort)"
    13. August 2017 (Twitter)

2018  

  • "Angst klopft an der Tür. / Mut macht auf. / Niemand ist draußen."
    27. Juni 2018 (Twitter)

Am 30. März 2020 hat ein Blogger den genauen Wortlaut des später Goethe unterschobenen Zitats gelesen, und es sehr passend für die "heutige Zeit" gefunden:

 2020 März

  • "Eines Tages klopfte die Angst an die Tür. Der Mut stand auf und öffnete, aber da war niemand draußen." Anonym
    "Habe dieses Zitat gerade gelesen und fand, dass es gut in die heutige Zeit passt!"
    finger's blog 30. März 2020  (fingersblog.com)

Anscheinend erst seit dem April 2020 wird das Zitat Goethe zugeschrieben, und ausgestattet mit der Autorität des deutschen Dichters ist es in kurzer Zeit ein beliebter Motivationsspruch gegen die Angst vor dem Corona-Virus geworden.

2020 April

  • "Vielleicht fühlt sich Ostern dann etwa so an, wie Johann Wolfgang von Goethe es beschreibt: 'Eines Tages klopfte die Angst an die Tür. Der Mut stand auf und öffnete, aber da war niemand draußen.'"
    "Gedanken in der Fastenzeit", evangelische-kirche-doernigheim.de, 8. April 2020  (Link)

2020 April

  • "Vielen von uns hilft im Moment ihr rückhaltloses Gottver­trauen und mir genauso unser guter Goethe: 'Eines Tages klopfte die Angst an die Tür. Der Mut stand auf und öffnete. Aber da war keiner.'"
    "Mit Goethe und russischen Nachbarn durch die Corona-Wochen" Moskauer Deutsche Zeitung, 29. April 2020 (Link)

 2020 Oktober

  • "Goethe schrieb:  'Eines Tages klopfte die Angst an die Tür. Der Mut stand auf und öffnete, aber da war niemand draussen.'"
    "Das Virus spaltet die Bevölkerung", Bote der Urschweiz  28.10.2020 (genios.de)

2020 November 

  •  "Wie Goethe sagte: 'Die Angst klopft an. Der Mut öffnet. Da steht niemand vor der Tür' ".
    21. November 2020 (Twitter)

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Quellen:
genios.de
archive.org 
"Lexikon der Goethe-Zitate." Hrsg. von Richard Dobel, Artemis Verlag, Weltbild Verlag, Augsburg: 1991 (Keine Erwähnung des Zitats.)
The Schwenkfeldian, Vol. 16, Nr. 8-12, S. 138 (Link)
Spiritual letters of Father Hughson O.H.C.,  Holy Cross Press, West Park, N. Y.: [1952], S. 241 (Link) 
 The Free Will Baptist, Vol. 67, 7. April 1952, Nr. 16, S. 10 (Link)
Allen E. Zimmer: "God make me brave for life : for joy with others and peace with myself, Argus Communications, Allen, Texas: 1981 S. 106 (Link)
Traugott Giesen: "Angst klopft an, der Glaube antwortet, niemand tritt ein", Die Welt 12.06.2004 (Link) 
Suzanne Woods Fisher: "Amish proverbs: words of wisdom from the simple life", Revell, Grand Rapids: 2010, S. 56  (Link) 
30. März 2020  (fingersblog.com)
8. April 2020 evangelische-kirche-doernigheim.de  (Link)
"Mit Goethe und russischen Nachbarn durch die Corona-Wochen" Moskauer Deutsche Zeitung, 29. April 2020 (Link) 
"Das Virus spaltet die Bevölkerung", Bote der Urschweiz / Zentralschweiz, 28.10.2020 (genios.de)
 
 Twitter:
15. März 2013 (Twitter)  
31. März 2013 @jahudy   (Twitter)
13. August 2017 (Twitter) 
27. Juni 2018 (Twitter) 
 21. November 2020 (Twitter) 
 
 _________
Dank:
Ich danke Carmen für die Frage nach diesem Falschzitat.
 
 

Artikel in Arbeit.


  •  
     

Samstag, 15. Mai 2021

"Die Phantasie ist ein ewiger Frühling." Friedrich Schiller (angeblich)

 

Pseudo-Friedrich-Schiller-Zitat.
Wer den Satz "Die Phantasie ist ein ewiger Frühling" geprägt hat, ist noch unbekannt. 

Dieses beliebte angebliche Schiller-Zitat ist in den Schriften Friedrich Schillers nicht zu finden und taucht bei einer chronologischen Durchsuchung der digitalisierten Texte das erste Mal im Jahr 1980 in einer Aphorismensammlung auf (Link).

Diese Aphorismen-Sammlung Lothar Schmidts ist allerdings keine verlässliche Quelle für Zitate, da sie erstens die Zitate ohne Quellenangaben präsentiert und ich zweitens schon andere Falschzitate in dieser Sammlung entdeckt habe (Link).

So wie Klopstock, Goethe, Wieland oder Jean Paul verwendet auch Friedrich Schiller gelegentlich das Bild vom "ewigen Frühling", allerdings - so wie die anderen Autoren - nie im Zusammenhang mit dem Wort "Phantasie".

Das Bild des "ewigen Frühlings" geht  auf die Beschreibung des Goldenen Zeitalters in Ovids 'Metamorphosen' zurück, im Goldenen Zeitalter herrschte nach Ovid beständiger, "ewiger" Frühling: "ver erat aeternum" (Metamorphosen I, 107 ).

Das Zitat könnte als Paraphrase von Schillers Worten "Ewig jung ist nur die Phantasie" aus den letzten Zeilen von Friedrich Schillers fünfstrophigem Gedicht "An die Freunde" entstanden sein:

 

Friedrich Schiller: "An die Freunde", 1802

 
   " Alles wiederholt sich nur im Leben,
    Ewig jung ist nur die Phantasie;
    Was sich nie und nirgends hat begeben,
Das allein veraltet nie!"

 (Link)

Artikel in Arbeit.

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 Quellen:

genios.de
archive.org
anno
Friedrich Schiller: "An die Freunde" (Link);  (Link);
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Auf Grund der Originaldrucke herausgegeben von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert in Verbindung mit Herbert Stubenrauch, Band 1–5, 3. Auflage, München: Hanser, 1962 (vorerst zitiert nach zeno.org)

(Link)

Beispiele für falsche Zuschreibungen:

Lothar Schmidt: Aphorismen von A-Z: das grosse Handbuch geflügelter Definitionen, Drei Lilien Verlag, Wiesbaden: 1980, S. 338 (Link)


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Dank:

Ich danke Susanne Fischer für ihren Hinweis auf dieses Kuckuckszitat sowie Johannes Schneider und zitate.eu für die Erinnerung an Friedrich Schillers Gedicht "An die Freunde".

 

 

 

 

 

 

Sonntag, 9. Mai 2021

"So ein herrlicher Tag, und ich soll gehen. Aber was liegt an unserem Leben, wenn wir es damit schaffen, Tausende von Menschen aufzurütteln und wachzurütteln." Sophie Scholl (angeblich)

 
Entstelltes Sophie-Scholl-Zitat.

Sophie Scholl sagte an einem Tag vor ihrer Hinrichtung zur kommunistischen Widerstandskämpferin Else Gebel, die mit ihr im Münchner Gestapo-Gefängnis inhaftiert war:

  • "Was liegt an meinem Tod, wenn durch unser Handeln Tausende von Menschen aufgerüttelt und geweckt werden."
Dieser von Else Gebel überlieferte Satz wird im 21. Jahrhundert in Zeitungen und sozialen Medien entstellt zitiert, und aus den Worten "was liegt an meinem Tod" wurde zum Beispiel die Wendung "was liegt an unserem Leben", die doch nicht die gleiche Bedeutung hat.
 
Else Gebel verbrachte die letzten Tage von Sophie Scholl mit ihr in einer Gestapo-Gefängniszelle und hat auf Wunsch des Vaters von Sophie Scholl 1945 ihre Erinnerungen daran niedergeschrieben und dabei die Form eines Briefes an Sophie Scholl gewählt.
 
Diese Erinnerungen von Else Gebel an Sophie Scholl, die nach vier Tagen Haft am 22. Februar 1943 enthauptet wurde, hat ihre Schwester Inge Scholl 1952 in ihrem Buch "Die Weiße Rose" publiziert. 

Else Gebel: "Dem Andenken an Sophie Scholl", 1945 

 
  •  "Vor mir liegt Dein Bild, Sophie, ernst fragend, zusammen mit Deinem Bruder und Christoph  Probst aufgenommen."
    [...]
  • "Draußen ist ein sonniger Februartag. Menschen gehen froh und heiter an diesen Mauern vorüber, nicht ahnend, dass hier wieder drei mutige, wahrhafte Menschen dem Tod überantwortet werden sollen. Wir haben uns auf unsere Betten gelegt, und du stellst mit leiser, ruhiger Stimme Betrachtungen an. 'So ein herrlicher sonniger Tag, und ich muss gehen. - Aber wie viele müssen heutzutage auf den Schlachtfeldern sterben, wie viele junge, hoffnungsvolle Männer ... Was liegt an meinem Tod, wenn durch unser Handeln Tausende von Menschen aufgerüttelt und geweckt werden. Unter der Studentenschaft gibt es bestimmt eine Revolte.' - O Sophie, du weißt noch nicht, wie feig die Herde Mensch ist. - 'Ich könnte doch auch an einer Krankheit sterben, aber hätte das den gleichen Sinn?' - Ich versuche dir wieder einzureden, dass es doch leicht möglich sein könnte, dass du mit einer längeren Freiheitsstrafe durchkommen könntest. Aber davon willst du nichts wissen. 'Wenn mein Bruder zum Tode verurteilt wird, so will und darf ich keine mildere Strafe bekommen. Ich bin genauso schuldig wie er'."
    Else Gebel (1945) in:  Inge Scholl: "Die weiße Rose", 1952 (Link) Hier zitiert nach mythoselser.de.

Seit kaum 10 Jahren wird dieses Zitat entstellt und zusätzlich wird manchmal fälschlich behauptet, dieses Sophie-Scholl-Zitat habe sie selbst in ihr Tagebuch oder in ihrem letzten Brief geschrieben, oder es wären ihre letzten Worte auf dem Weg zum Schafott gewesen.

 

Beispiele für falsche Zitierungen: 

2013
Früheste falsche Zitierung auf Twitter.

Twitter, 2013 (Link)

2017
  • "So ein herrlicher Tag, und ich soll gehen, schreibt Sophie Scholl in ihrem letzten Brief an diesem Tag im Jahre 1943: 'Aber was liegt an unserem Leben, wenn wir ..." ((books.google)

 2019

  • "Auf dem Weg zum Schafott waren ihre letzten Worte: »So ein herrlicher Tag, und ich soll gehen. Aber was liegt an unserem Leben, wenn wir es damit schaffen, Tausende von Menschen aufzurütteln und wachzurütteln.(books.google)

 2021

  • "Am Tag ihrer Hinrichtung schrieb Sophie Scholl: "So ein herrlicher Tag, und ich soll gehen. Aber was liegt an unserem Leben, wenn wir es damit schaffen, Tausende von Menschen aufzurütteln und wachzurütteln". ((unesco.de)

2021

  • "»So ein herrlicher, sonniger Tag, und ich soll gehen. Aber was liegt an unserem Leben, wenn durch unser Handeln Tausende von Menschen aufgerüttelt werden«, schreibt Sophie am 22. Februar 1943 in ihr Tagebuch."
    Antonia Bauer
    : "Wer war Sophie Scholl?"  (spiegel.de)

 

 

 Artikel in Arbeit.

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Quellen:

Else Gebel: "Dem Andenken an Sophie Scholl" (1945)  Erstdruck in: Deutsche Nachrichten, Dänemark, 18. Oktober 1948, S. 4 [Zitiert nach Christian Ernst]
Else Gebel: "Dem Andenken an Sophie Scholl" [Mit Auslassungen] in: Inge Scholl: "Die weiße Rose", Fischer Verlag, Frankfurt/Main:1952; 7. Auflage: 1982, S. 77 (Link)
Christian Ernst: "Die Weiße Rose – eine deutsche Geschichte? Die öffentliche Erinnerung an den Widerstand in beziehungsgeschichtlicher Perspektive." Universitätsverlag Osnabrück, Göttingen: 2018, S. 140-143 (Link)
Auszug aus Ingo Scholls "Die weiße Rose": mythoselser.de/
Mohr: http://www.mythoselser.de/texts/scholl-mohr.htm
Antonia Bauer: "Wer war Sophie Scholl?" Für Kinder erklärt, (spiegel.de) 
 
 
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Dank: Ich danke libris für den Hinweis auf das entstellte Zitat.