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Donnerstag, 30. April 2020

"Der Österreicher blickt voller Zuversicht in die Vergangenheit." Karl Kraus (angeblich)

Seit den 1970er Jahren wird Österreichern nachgesagt, sie blickten 'voller Zuversicht', 'vertrauensvoll', mit 'Optimismus' und 'hoffnungsvoll' in die Vergangenheit. Der Ursprung dieser Redensart ist ungewiss.

Die Variante, "Wir Wiener blicken vertrauensvoll - in unsere Vergangenheit!", hat wahrscheinlich der Wiener Kabarettist Karl Farkas geprägt. Sie wurde 1983 in der Karl-Farkas-Biographie von Georg Markus publiziert, allerdings ohne genaue Quellen- und Datumsangabe. 

Erstmals zugeschrieben wurde das Bonmot Karl Farkas 1974 von Markus M. Ronner in seiner Anthologie: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts" (Link), leider auch ohne Quellenangabe.

 Eine Version dieses Bonmots wird seit 30 Jahren Karl Kraus unterschoben, eine andere Version seit 20 Jahren Alfred Polgar. 

Den digitalisierten Texten nach zu schließen wird das Bonmot Alfred Polgar und Karl Kraus immer nur untergeschoben, aber von Karl Farkas könnten meiner Meinung nach noch eine seriöse Quelle dieser fast schon sprichwörtlich gewordenen satirischen Charakterisierung der österreichischen Mentalität gefunden werden.



Doron Rabinovici, SPIEGEL-Gespräch, 5. Mai 2014:


  • "Nach 1945 haben die Österreicher die Vergangenheit nach Deutschland exportiert. Man hat es sich in einem Opfermythos bequem gemacht. Die Erinnerung daran, dass auch Österreicher Täter waren, hat erst 1986 in der Auseinandersetzung um den damaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim und dessen NS-Vergangenheit begonnen. Überspitzt formuliert: Was ist der Unterschied zwischen Deutschland und Österreich? Die Deutschen blicken voller Pessimismus in die Zukunft und die Österreicher voller Optimismus in die Vergangenheit." (Link)



Chronologie der Zuschreibungen:

1974 - Farkas

  • "Wir Wiener blicken vertrauensvoll in unsere Vergangenheit!"
    Früheste Zuschreibung an Karl Farkas. Von Markus M. Ronner
    (books.google)



1978 - Unbekannt

  •  "Denn zusehr ist der Österreicher — und da zitiere ich einen großen Landsmann — 'zusehr ist er ein Mensch, der voll hoffnungsfrohem Optimismus in seine glorreiche Vergangenheit blickt' ". (Link)

1983 - Farkas

  • "Oder - wie es etwas später der Kabarettist Karl Farkas ausdrückte: Wir Wiener blicken vertrauensvoll - in unsere Vergangenheit!"

    Georg Markus: "Karl Farkas", Amalthea, Wien München: 1983, S. 43 archive.org; (books.google)

1991 - Kraus
  • "zur nostalgischen 'Flucht aus der Gegenwart', einem Denken, das bloß 'vertrauensvoll in die Vergangenheit schaut' (Karl Kraus), als Legitimation und damit Stabilisierung von Herrschaft verwendet zu werden.  (Link)


2000 - Polgar

  • "Denn schon der Polgar hat gesagt: Die Österreicher sind ein Volk, das mit Zuversicht in die Vergangenheit blickt". (Link)
2012 - Farkas
  • "Der Österreicher als 'ein Mensch, der voller Optimismus – in die Vergangenheit blickt'". (Farkas).  (Link)

2018 - Kraus

  • In anderen Worten, er will, wie Karl Kraus sagen würde, »hoffnungsvoll in die Vergangenheit schauen« (das sagte der österreichische Satiriker über seine Landsleute, so am Rande bemerkt)"  (Link)
2018  - Polgar
  • " 'Die Österreicher', so hat es der begnadete Aphoristiker Alfred Polgar einst gesagt, 'sind ein Volk, das mit Zuversicht in die Vergangenheit blickt.'" (SZ)

Postkarte mit Kuckuckszitat?


Artikel in Arbeit.
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 Quellen:

Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974, S. 319 (books.google)
Georg Markus: "Karl Farkas", Amalthea, Wien München: 1983, S. 43 (archive.org)

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Dank:
Ich danke Wolfgang Gruber für seine Recherchen.

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 Anhang

In der Satire "Kraliktag" zu dem christlichsozialen Philosophen  Richard Kralik kommt in der 'Fackel' von Karl Kraus einmal die Wendung mit "Zuversicht in die Vergangenheit blicken" vor, da auch einer österreichischen Generation um die Jahrhundertwende nachgesagt wurde, sie blickten "vertrauensvoll in die Vergangenheit".

"Kraliks 'Oesterreichische Geschichte' ", Grazer Volksblatt, 2. Dezember 1913, S. 1 (Link)

Karl Kraus, Kralikstag, 1922


  • " Wenn wir trotzdem mit jener Zuversicht, die nach ihm ihren Namen führt, in die Vergangenheit blicken können, so tun wir dies im Vertrauen auf eine Jugend, die, wenn sie dereinst ausziehen sollte, um dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist und was ihm die Republik genommen hat, entschlossen ist, nicht heimzukehren, ohne vorher im Zeichen Kraliks gesiegt zu haben, und die schon heute so weit hält, daß ihr ein Kralikstag über einen Benkeabend geht. "
    Karl Kraus: Die Fackel Nr. 601-607, 1922, S. 123 (https://fackel.oeaw.ac.at/F/601,123)

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Letzte Änderung: 8/1 2021