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Samstag, 6. Oktober 2018

"Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott." Werner Heisenberg (angeblich)

Pseudo-Werner-Heisenberg-Zitat.
 Dieser religiöse Aphorismus wird seit 1979 - immer ohne Angabe einer Quelle in Heisenbergs Schriften - von physikalischen Laien ebenso wie von Naturwissenschaftlern dem deutschen Physiker Werner Heisenberg unterschoben.  


1979 
  • "Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott. / Dieses Bekenntnis stammt von einem der größten Naturwissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Für seine 'Aufstellung der Quantenmechanik' erhielt er 1933 den Nobelpreis / Werner Heisenberg stammte aus Würzburg."

    "15 Jahrhunderte Würzburg. Eine Stadt und ihre Geschichte." Echter Verlag, Würzburg: 1979, S. 205 (Link) ; Link) (Im selben Jahr taucht dieses Zitat auch in einem anderen Buch auf.)

Im Juni 2015 stellt der Autor und Journalist Eike Christian Hirsch, der mit Heisenberg gut bekannt war, in einer E-Mail an Wikipedia-MitarbeiterInnen klar, dass dieser Satz - nach dem schon Viele vergeblich gesucht hatten - in keiner Schrift Werner Heisenbergs vorkommt und dass auch Verwandte Heisenbergs meinen, dieses metaphorische Glaubensbekenntnis könne nicht von ihm stammen.

Eike Christian Hirsch erinnert in dieser Zuschrift auch an den Philosophen Francis Bacon und den englischen Dichter Alexander Pope, die beide vor oberflächlichem Wissen warnten, und aus deren Aphorismen das Pseudo-Heisenberg-Zitat abgeleitet worden sein könnte.

 1601
  • "It is true, that a little philosophy inclineth man’s mind to atheism, but depth in philosophy bringeth men’s minds about to religion".

    Es stimmt, dass ein wenig Philosophie den Geist des Menschen dem Atheismus geneigt macht, aber philosophische Tiefe ihn zur Religion zurückführt."

    Francis Bacon: "Of Atheism", 1601 (Link)
1709
  • "A little learning is a dangerous thing;
    Drink deep, or taste not the Pierian spring:
    There shallow draughts intoxicate the brain,
    And drinking largely sobers us again.
    "

    "Ein wenig Wissenschaft, ein wenig Gelehrsamkeit ist eine gefährliche Sache. Schöpft tief, oder kostet den Pierischen Quell gar nicht. Ein seichter Trunk berauscht das Gehirn; aber volle Züge machen wieder nüchtern."

    Alexander Pope: "An Essay on Criticism" Part II, S. 12  (Link); deutsche Übersetzung von C. F. Gellert (Link)

Eike Christian Hirsch glaubt, ein frömmelnder Amerikaner habe den Spruch Heisenberg unterschoben, aber eine Wikipedia-Autorin fand heraus, dass 1948 Heisenbergs Schüler, Carl Friedrich von Weizsäcker, in einer Vorlesung einen sehr ähnlichen alten Aphorismus erwähnte:

1948
  • "Nach einem alten Satz trennt uns der erste Schluck aus dem Becher der Erkenntnis von Gott, aber auf dem Grunde des Bechers wartet Gott auf den, der ihn sucht."

    Carl Friedrich v. Weizsäcker: "Die Geschichte der Natur. Zwölf Vorlesungen", Hirzel Verlag, Zürich: 1948, S. 152 (Link) (Zitiert via Wikipedia)
Dieser alte Aphorismus, dessen möglichen Wahrheitsgehalt Weizsäcker diskutiert, wurde in den folgenden Jahren oft zitiert und könnte 1979 durch eine Verwechslung Werner Heisenberg zugeschrieben worden sein.
.
 Carl Friedrich von Weizsäcker erwähnte keine Quelle für seinen "alten Satz", den er vielleicht aus dem Gedächtnis zitierte und dabei möglicher Weise einige Wörter veränderte.

Die Metapher vom Becher der Weisheit (poculum sapientiae) wird in verschiedenen Varianten (Becher der Erkenntnis,  Becher des Wissens, Becher der Wissenschaft) seit 2000 Jahren verwendet und auch die Formulierung, "der erste Trunk aus dem Becher der Erkenntniß (Link)", ist schon im 19. Jahrhundert nachweisbar.

Allerdings konnte ich nur Elemente des Aphorismus finden, aber nicht den fraglichen Aphorismus selbst. Dass Gott auf uns wartet, steht in vielen Erbauungsbüchern. Wann dieses Bild mit der Metapher des ersten Schlucks aus dem Wissens-Becher erstmals verschränkt wurde, konnte ich (noch?) nicht ermitteln.

1839
  • "Wie viele junge Thoren gibt es in unseren Tagen, welche kaum von dem Becher der Wissenschaft genippt haben, und schon, vergessend auf die Lehren des des himmlischen Vaters, ungerührt durch die Thränen ihrer Mutter, der heil. Kirche, berechtigt zu seyn wähnen, eine Religion zu verachten, vor welcher die größten Denker der Mit- und Vorwelt ehrerbietig ihre Vernunft beugten? Armselige, wahnwitzige Menschen, die ihr mit dem Titel eines Freigeistes stolziret ..."
    Alois Schalk: "Sechs Fastenreden über die Hindernisse der wahren Bekehrung zu Gott: nebst einer Charfreitags-Predigt." E. Etlinger'sche Buchhandlung, Würzburg: (1839), 2. Auflage: 1840, S.  107  (Link)
Bei einer Papstfeier der theologischen Fakultät der Universität Wien sprach im Februar 1924 der apostolische Nunzius Erzbischof Sibila in seiner auf Latein vorgetragenen Rede vom Becher der Wissenschaft, an der die Jugend nicht nur nippen sollte: 

1924
  • "daß die heranwachsende Jugend nicht nur mit den Lippen an dem Becher der Wissenschaft nippe, sondern sie mit vollen Zügen trinke, daß sie Zucht und Ordnung lerne, die Furcht Gottes als den Anfang der Weisheit erkenne, das Böse meide und einen reichen Schatz von Wissen sammle".
    Reichspost
    31. Jg., Nr. 43, Wien, 13. Februar 1924, S. 7 linke Spalte (Link)


Pseudo-Werner-Heisenberg-Zitat.


Es scheint zum Schicksal großer Physiker zu gehören, dass ihnen religiöse Bekenntnisse unterschoben werden, die religiöse Leute erfreuen. Albert Einstein ist das berühmteste Beispiel für diesen Brauch.


Artikel in Arbeit.

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Quellen:
Carl Friedrich v. Weizsäcker: "Die Geschichte der Natur", Hirzel Verlag, Zürich: 1948, S. 152 (Link) (Mit Dank zitiert via Wikipedia)
"15 Jahrhunderte Würzburg. Eine Stadt und ihre Geschichte." Echter Verlag, Würzburg: 1979, S. 205 (Link) ; Link) (Im selben Jahr taucht dieses Zitat auch in einem anderen Buch auf.)

Francis Bacon: "Of Atheism" (1601), in: "The Works of Francis Bacon, Lord Chancellor of England: With a Life  of the Author. " By Basil Monatgu, 3 Bände, Vol I, Parry u. McMillan, Philadelphia: 1859, Essays, S. 24 (Link)
Alexander Pope: "An Essay on Criticism" Part II, S. 12  (Link); deutsche Übersetzung von C. F. Gellert (Link) 

 Reichspost 31. Jg., Nr. 43, Wien, 13. Februar 1924, S. 7 linke Spalte (Link)
Alois Schalk: "Sechs Fastenreden über die Hindernisse der wahren Bekehrung zu Gott: nebst einer Charfreitags-Predigt." E. Etlinger'sche Buchhandlung, Würzburg: (1839), 2. Auflage: 1840, S.  107  (Link)
Ludwig Neidhart: "Gibt es Gott? Hat der Mensch eine unsterbliche Seele? Eine Sammlung philosophischer Argumente", Universität Augsburg, 2016 pdf
fauxations, fatherhorton: "Heisenberg at the bottom of the glass", 2016 (Link) 
kěrěng, "Auf dem Grund des Bechers wartet Gott", 2017 (Link) 
de.wikiquote Diskussion
en.wikiquote


Der erste Trunk Sprichwörter (Link)
Werner Heisenberg, Ordnung der Wirklichkeit, Das große Gleichnis, 1942, Erstveröffentlichung 1981  cache 

Falsche Zuschreibungen:
Ursprünglich wurde  Werner Heisenberg das Zitat von phsykalischen Laien unterschoben, inzwischen auch von anerkannten Naturwissenschaftlern: Google 

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Dank:
Vielen Dank den Leuten von Wikipedia für die gründlichen Recherchen zu diesem Falschzitat.