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Samstag, 11. April 2020

"Er hat ihre Augen blind gemacht und ihr Herz hart ..., damit sie sich nicht bekehren und ich sie nicht heile." Johannes 12, 40 (angeblich)

Mit diesem Satz aus dem Johannesevangelium wurde jahrhundertelang der christliche Antijudaismus  begründet. Gott selbst habe die Juden verflucht, indem er "ihre Augen blind und ihr Herz hart" gemacht habe.

  • "Denn sie konnten nicht glauben, weil Jesaja an einer anderen Stelle gesagt hat: Er hat ihre Augen blind gemacht und ihr Herz hart, damit sie mit ihren Augen nicht sehen und mit ihrem Herzen nicht zur Einsicht kommen, damit sie sich nicht bekehren und ich sie nicht heile."

    Joh 12,39-40 (Link)

Einem Kommentar des griechischen Kirchenvaters Origenes folgend schlägt der Wiener Kirchenhistoriker Hans Förster eine andere Übersetzung dieser problematischen Stelle vor:


  • "Er hat ihre Augen blind gemacht und ihr Herz hart. Folglich sehen sie mit ihren Augen nicht und kommen mit ihrem Herzen nicht zur Einsicht und bekehren sich nicht. Und ich werde sie heilen."


Wenn diese Übersetzung korrekt ist, dann widerspricht die Aussage dieser Bibelstelle völlig einigen Übersetzungen der christlichen theologischen Tradition, ja, diese Aussage ist das Gegenteil: Keine Verfluchung des Judentums, sondern eine Heilsbotschaft.

Hans Förster, Wiener Zeitung, 12. April 2020:


  • "Einer der besten Philologen der griechischen Kirche, Origenes (er wirkte im dritten Jahrhundert), bemerkt zu dieser Stelle: "Einer ist es, der die Augen blind macht und die Herzen verhärtet, ein anderer ist es, der Heilung bringt."
  • "Der griechische Text kann eigentlich nur als Heilszusage verstanden werden. In der Rezeptionsgeschichte wird er zur Unheilsbotschaft."
  • "Einer der bedeutendsten und einflussreichsten Neutestamentler des zwanzigsten Jahrhunderts, Gerhard Kittel, der während des Nationalsozialismus in Tübingen und von 1939 bis 1943 auch an der Universität Wien wirkte, ist ein Beispiel für diese [judenfeindliche] Haltung. ...

    Das überzeugte NSDAP-Mitglied war Herausgeber des "Theologischen Wörterbuchs zum Neuen Testament", das im Jahr 2019 unverändert nachgedruckt wurde. Gleich zwei Artikel in diesem Wörterbuch betonen bezüglich der im Johannesevangelium zitierten Weissagung des Propheten Jesaja, dass es Gott selbst war, der die Verhärtung der Herzen verursacht habe. Das "Volk unter dem Fluch" wird damit durch ein Standardwörterbuch zum Neuen Testament als sachlich richtiges Verständnis des Zitats des Propheten Jesaja im Johannesevangelium ausgewiesen. Diese Behauptung ist sprachwissenschaftlich nachweislich falsch."
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 Wenn Hans Förster mit seiner Interpretation recht hat, wäre die traditionelle Übersetzung wohl das verhängnisvollste Falschzitat der europäischen Geschichte.


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Quellen:
Johannes 12,39-40  bibeltext.com (Link); Herder Verlag (Link)
Hans Förster: "Christlicher Andijudaismus: Das Volk unter dem Fluch. Wie ein falsch verwendetes Zitat aus dem Neuen Testament bis heute fatal und folgenreich nachwirkt." Wiener Zeitung extra, 11./12. April 2020, S. 31 (wienerzeitung.at)