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Montag, 10. August 2020

"Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler." Ingeborg Bachmann (angeblich)

Verändertes Zitat aus Ingeborg Bachmanns Roman "Malina" (denkschatz.de).
Dieses Zitat steht in einem etwas anderen Wortlaut in Ingeborg Bachmanns Roman "Malina", stammt aber ursprünglich aus einem Artikel Antonio Gramscis, den er am 11. März 1921 in der von ihm mitgegründeten kommunistischen Zeitung "L'Ordine Nuovo" publiziert hat.


Antonio Gramsci


1921

  • "L'illusione è la gramigna più tenace della coscienza collettiva: la storia insegna, ma non ha scolari." (Link)
  • "Die Illusion ist das zäheste Unkraut des Kollektivbewußtseins; die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler." (Link)
  • "Illusion is the most tenacious weed in the collective consciousness; history teaches, but it has no pupils." (Link) 

Ingeborg Bachmann legt diesen Aphorismus Antonio Gramscis in ihrem  1971 erschienen Roman "Malina" der Icherzählerin in einem Interview mit dem Journalisten Mühlbauer, einer anderen Romanfigur, in den Mund:

 

  Ingeborg Bachmann: "Malina"


1971
  • "Zu der großen Zeit, den großen Zeiten fällt mir doch etwas ein, aber damit sage ich Ihnen nichts Neues: die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler."

     Ingeborg Bachmann: Malina, Suhrkamp 1985, S. 90, Icherzählerin zu einem Interviewer (books.google)

Dieser Aphorismus aus Ingeborg Bachmanns Roman "Malina" wurde im Österreichischen Parlament zwischen 1980 und 2015 ein Dutzend Mal zitiert und dabei wurde das Zitat im Lauf der Jahre von den ÖVP-Abgeordneten Alois Mock und Andreas Khol etwas ausgeschmückt und dadurch entstellt.

Aus dem knappen Satz "die Geschichte lehrt" wurde der Satz, die Geschichte lehre "andauernd",  "dauernd", ständig" oder "ununterbrochen" und das schlichte Verb "hat" wurde durch das Verb "findet" ersetzt.


Varianten des Ingeborg-Bachmann-Zitats - Einige Beispiele aus dem österreichischen Parlament:


1980 - Alois Mock
  • Ingeborg Bachmann hat einmal gemeint, ich darf frei zitieren: Die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler. Das mag leider für den Großteil der Geschichte durchaus zutreffen.
    Alois Mock - Nationalrat XV. GP - 44. Sitzung - 21. August 1980, S. 4236 (parlament.gv.at)
 1985 - Alois Mock
  • "Die große Dichterin Ingeborg Bachmann hat einmal festgestellt: 'Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler.'

    Wir können in allen Fraktionen hier mit Stolz sagen, daß wir als Volk aus dieser Geschichte gelernt haben; und das sollten wir in einem Jahr betonen, in dem wir besonders die Wiedererrichtung der Republik und den österreichischen Staatsvertrag feiern." 
    Alois Mock - Nationalrat XVI. GP - 78. Sitzung - 1. Februar 1985, S. 6969 (parlament.gv.at)
 1987 - Andreas Khol
  • Ingeborg Bachmann hat einmal gesagt: 'Die Geschichte lehrt ununterbrochen, nur leider hat sie wenig Schüler.' " 
    Nationalrat XVII. GP - 8. Sitzung - 20. März 1987, S. 823 (parlament.gv.at)
 1991 - Andreas Khol
  • "Ingeborg Bachmann hat einmal gesagt: 'Das ist die große Tragik, daß die Geschichte ununterbrochen lehrt, aber so wenig Schüler findet.'"
    Andreas Khol - Nationalrat XVIII. GP - 11. Sitzung - 16. Jänner 1991, S. 653 (parlament.gv.at)
1993 - Alois Mock
  •   Es könnte sein, meine Damen und Herren, daß Ingeborg Bachmann, die berühmte österreichische Dichterin, einmal nicht recht hat mit ihrer Aussage: Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler! - Wenn man sich durch die Geschichte durchliest, muß man feststellen, daß sie leider oft recht hatte.
    Alois Mock . Nationalrat XVIII. GP - 107. Sitzung - 10. März 1993, S. 12360 (parlament.gv.at)
1995 - Alois Mock
  • "Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß diese Einladungen der österreichischen Tradition entsprechen. Sie kennen eines meiner Lieblingszitate: Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler. - Ingeborg Bachmann."
    Alois Mock - Nationalrat, XIX. GP - -35. Sitzung , 26. April 1995,  S. 97 (parlament.gv.at)
Alois Mocks Variante des Ingeborg-Bachmann-Zitats mit den Wörtern "dauernd" und "findet" wurde später auch von Journalisten und Zitatsammlungen übernommen und wird inzwischen viel öfters zitiert als das Original.



Artikel in Arbeit


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Quellen:
Google
Twitter
parlament.gv.at 
Antonio Gramsci: "Socialismo E Fascismo: L'Ordine Nuovo 1921-1922." G. Einaudi, Turin: 1966, S. 103 (Link) [Dieser Artikel Gramscis wird öfters fälschlich als Gefängnisbrief bezeichnet und falsch datiert.]
Antonio Gramsci: "Selections from Political Writings (1921-1926): With Additional Texts by Other Italian Communist Leaders." Translated and edited by Quintin Hoare, Lawrence and Wishart, London: 1978, S. 24 (Link)
(Link)
Christian Riechers (Hrg.): "Antonio Gramsci, Philosopie der Praxis, Eine Auswahl", Frankfurt am Main: 1967, S.100-101. Vorerst zitiert nach marxists.org.
Ingeborg Bachmann: "Malina." Roman (1971), Suhrkamp, Frankfurt am Main: 1985,  S. 90 (books.google); (archive.org)
Stenographische Protokolle des Österreichischen Nationalrats parlament.gv.at 




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