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Sonntag, 27. März 2022

"Demokratie ist die Diktatur der Dummen." Friedrich von Schiller (angeblich)

 

Pseudo-Friedrich-Schiller-Zitat (Link).
Dieses beliebte, angebliche Schiller-Zitat ist noch keine zwanzig Jahre alt und ist in seinen Schriften nicht zu finden.

Das Kuckuckszitat taucht im Jahr 2007 erstmals in einem Forum auf, und wird seit 2014 auf Twitter und seit dem Jahr 2017 auch in Leserbriefen und Büchern fälschlich dem deutschen  Dramatiker und Historiker Friedrich Schiller zugeschrieben.

Nach Matthias Tresselt, dem Autor der Studie  "Friedrich Schiller und die Demokratie", war Friedrich Schiller kein prinzipieller Anti-Demokrat, da er nachweislich die Demokratie unter "ethischen Voraussetzungen für möglich und erstrebenswert hielt" (Link).

In Friedrich Schillers Dramen allerdings kommen bekanntlich viele Antidemokraten vor, zum Beispiel in dem Dramen-Fragment "Demetrius", in dem Fürst Leo Sapieha am Reichstag zu Krakau sein Veto gegen eine Kriegserklärung an Russland einlegt.

In dem Drama "Demetrius" beschließt um 1600 die Mehrheit im Reichstag zu Krakau einen Krieg gegen Russland, um den Hochstapler Demetrius zum Zaren zu krönen. 

Fürst Sapiehas Veto gegen diesen Mehrheitsbeschluss führt zu Tumulten im Krakauer Reichstag, Säbel werden gezogen und er verteidigt unter Lebensgefahr sein Veto mit folgenden Worten:


Friedrich Schiller, "Demetrius", Fürst Leo Sapieha:


" Laßt alles einig sein – Ich sage nein.

Ich sage Veto, ich zerreiße den Reichstag.

– Man schreite nicht weiter. Aufgehoben, null

Ist alles, was beschlossen ward.

[...]

Die Mehrheit?

Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn,

Verstand ist stets bei wen'gen nur gewesen.

Bekümmert sich ums Ganze, wer nichts hat?

Hat der Bettler eine Freiheit, eine Wahl?

Er muß dem Mächtigen, der ihn bezahlt,

Um Brot und Stiefel seine Stimm verkaufen.

Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen;

Der Staat muß untergehn, früh oder spät,

Wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet." 

(projekt-gutenberg)

 

Vielleicht entstand das Kuckuckszitat durch eine Fehlerinnerung an diese berühmten Worte Friedrich Schillers, die zum Beispiel auch Ralf Dahrendorf einmal zitierte, als er darlegte, dass die Herrschaft des Rechts mit unabhängigen Gerichten für eine Demokratie mindestens so notwendig ist wie freie Wahlen (Link).


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Quellen:

Google

Friedrich Schiller: "Demetrius. Ein Trauerspiel von Schiller." Nach dem hinterlassenen Entwurf des Dichters bearbeitet von Franz von Maltitz, Dr. R. Marx'schen Buchhandlung, Karlsruhe und Baden, 1817,  S. 27f. (books.google)(projekt-gutenberg)
Matthias Tresselt: "Friedrich Schiller und die Demokratie." Duncker und Humboldt, Berlin: 2009, Inhaltsangabe (Link)
Ralf Dahrendorf: "Demokratie Plus", übersetzt von  Reinhart R. Fischer, Schweizer Monat, Ausgabe 931, Februar 2004 (schweizermonat.ch)

Beispiele für das Kuckuckszitat:

1. August 2007, taheth, goldseiten-forum.com
Twitter: Seit 2014 Twitter.com/search(Twitter 2017).
Leserbrief Welt, 2017
2020: heise.de/
books.google


Artikel in Arbeit.

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Anhang

Friedrich Schiller: "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua", 1783:


"Fiesco. Das Volk gewann's. Die Regierung ward demokratisch. Jeder Bürger gab seine Stimme. Mehrheit setzte durch. Wenige Wochen vergingen, so kündigte der Mensch dem neugebackenen Freistaat den Krieg an. Das Reich kam zusammen. Roß, Löwe, Tiger, Bär, Elephant und Rhinoceros traten auf und brüllten laut zu den Waffen! Jetzt kam die Reih' an die Uebrigen. Lamm, Hase, Hirsch, Esel, das ganze Reich der Insecten, der Vögel, der Fische ganzes menschenscheues Heer – alle traten dazwischen und wimmerten: Friede. Seht, Genueser! Der Feigen waren mehr, denn der Streitbaren, der Dummen mehr, denn der Klugen – Mehrheit setzte durch. Das Thierreich streckte die Waffen, und der Mensch brandschatzte sein Gebiet. Dieses Staatssystem ward also verworfen. Genueser, wozu wäret ihr jetzt geneigt gewesen?"

:
 

Samstag, 15. Mai 2021

"Die Phantasie ist ein ewiger Frühling." Friedrich Schiller (angeblich)

 

Pseudo-Friedrich-Schiller-Zitat.
Wer den Satz "Die Phantasie ist ein ewiger Frühling" geprägt hat, ist noch unbekannt. 

Dieses beliebte angebliche Schiller-Zitat ist in den Schriften Friedrich Schillers nicht zu finden und taucht bei einer chronologischen Durchsuchung der digitalisierten Texte das erste Mal im Jahr 1980 in einer Aphorismensammlung auf (Link).

Diese Aphorismen-Sammlung Lothar Schmidts ist allerdings keine verlässliche Quelle für Zitate, da sie erstens die Zitate ohne Quellenangaben präsentiert und ich zweitens schon andere Falschzitate in dieser Sammlung entdeckt habe (Link).

So wie Klopstock, Goethe, Wieland oder Jean Paul verwendet auch Friedrich Schiller gelegentlich das Bild vom "ewigen Frühling", allerdings - so wie die anderen Autoren - nie im Zusammenhang mit dem Wort "Phantasie".

Das Bild des "ewigen Frühlings" geht  auf die Beschreibung des Goldenen Zeitalters in Ovids 'Metamorphosen' zurück, im Goldenen Zeitalter herrschte nach Ovid beständiger, "ewiger" Frühling: "ver erat aeternum" (Metamorphosen I, 107 ).

Das Zitat könnte als Paraphrase von Schillers Worten "Ewig jung ist nur die Phantasie" aus den letzten Zeilen von Friedrich Schillers fünfstrophigem Gedicht "An die Freunde" entstanden sein:

 

Friedrich Schiller: "An die Freunde", 1802

 
   " Alles wiederholt sich nur im Leben,
    Ewig jung ist nur die Phantasie;
    Was sich nie und nirgends hat begeben,
Das allein veraltet nie!"

 (Link)

Artikel in Arbeit.

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 Quellen:

genios.de
archive.org
anno
Friedrich Schiller: "An die Freunde" (Link);  (Link);
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Auf Grund der Originaldrucke herausgegeben von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert in Verbindung mit Herbert Stubenrauch, Band 1–5, 3. Auflage, München: Hanser, 1962 (vorerst zitiert nach zeno.org)

(Link)

Beispiele für falsche Zuschreibungen:

Lothar Schmidt: Aphorismen von A-Z: das grosse Handbuch geflügelter Definitionen, Drei Lilien Verlag, Wiesbaden: 1980, S. 338 (Link)


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Dank:

Ich danke Susanne Fischer für ihren Hinweis auf dieses Kuckuckszitat sowie Johannes Schneider und zitate.eu für die Erinnerung an Friedrich Schillers Gedicht "An die Freunde".

 

 

 

 

 

 

Donnerstag, 26. November 2020

"Wer nicht genießt, wird ungenießbar." Friedrich Schiller (angeblich)

Pseudo-Friedrich-Schiller-Zitat.

Dieser durch ein Lied Konstantin Weckers populär gewordene Aphorismus wird seit etwa 5 Jahren nicht nur in den Sozialen Medien Friedrich Schiller unterschoben, sondern auch in angesehenen Zeitungen: 

2015

  • "Frage: «Wer nicht geniesst, wird ungeniessbar», schrieb Friedrich Schiller. Hatte der Autor recht?
    Antwort: Genuss ist tatsächlich ein Antidepressivum. Depression und Genusskompetenz hängen zusammen. Treten Depressionen auf, kann die Genussfähigkeit verloren gehen. Man spricht vom sogenannten hedonistischen Defekt."
    «Geniesser kennen die Grenzen» Interview von Nicole Althaus mit Marlies Gruber, NZZaS Stil-Magazin 3. Mai 2015, Nr. 18, S. 22 (via genios.de)
2016
  • "Jetzt soll mir niemand mit dem Spruch 'Wer nicht genießt, ist ungenießbar' kommen! Er stammt zwar angeblich gar nicht von Konstantin Wecker, sondern von Friedrich Schiller, aber dieser hatte auch nicht immer recht."
    Die Presse, 3. Februar 2016 (Link)

 In den mehrfach digitalisierten Schriften Friedrich Schillers oder Johann Wolfgang Goethes, dem das Zitat auch vereinzelt zugeschrieben wird, ist dieses Kuckuckszitat so wenig zu finden wie in relevanten Lexika.

 Konstantin Wecker hat sein Lied "Wer nicht genießt, ist ungenießbar" 1978 in dem Album "Eine ganze Menge Leben" veröffentlicht, doch wurde dieser Aphorismus schon 11 Jahre davor von dem Autor und Philosophen Arno Plack geprägt, wie Ralf Bülow herausgefunden hat.

 

1967

Arno Plack: "Die Gesellschaft und das Böse: eine Kritik der herrschenden Moral",1967, S. 77 (books.google).


Artikel in Arbeit.

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Quellen: 

Google

Arno Plack: Die Gesellschaft und das Böse: eine Kritik der herrschenden Moral, List Verlag, München: (1967) 1969, S. 77 (books.google)

 Konstantin Wecker: "Wer nicht genießt, ist ungenießbar" , in Album: "Eine ganze Menge Leben (1978)

«Geniesser kennen die Grenzen» Interview von Nicole Althaus mit Marlies Gruber, NZZaS Stil-Magazin 3. Mai 2015, Nr. 18, S. 22 (via genios.de) 

Die Presse, 3. Februar 2016 (Link)

Twitter


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Dank:

Ich danke @liulen11 für den Hinweis auf dieses Kuckuckszitat sowie Ralf Bülow für seine Recherchen.

 






 

Freitag, 26. Juni 2020

"Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.“ Friedrich Schiller (angeblich)

In Friedrich Schillers Drama "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" sagt der "Mohr" Muley Hassan nach einem Streit mit seinem Auftraggeber zu sich selber, er habe seine "Arbeit" getan (nicht: seine "Schuldigkeit").

Muley Hassan ("ein konfiszierter Mohrenkopf, die Physiognomie eine originelle Mischung von Spitzbüberei und Laune") verlangt die Auszahlung seines Honorars für seine Arbeit als Spitzel am Rande der Legalität.

Sein Auftraggeber Fiesco, Graf von Lavagna ("Haupt der Verschwörung, junger, schlanker, blühend-schöner Mann von 23 Jahren – stolz mit Anstand – freundlich mit Majestät – höflich-geschmeidig und eben so tückisch" ) schickt ihn nach der Honorarforderung ins Vorzimmer. Er möge dort warten. 

Daraufhin murmelt Muley Hassan beim Hinausgehen:

Schon Georg Büchmann wies in der Ausgabe von 1877 seiner "Geflügelten Worte" darauf hin, dass "dieses Citat erst richtig wird, wenn man 'Arbeit' statt 'Schuldigkeit' setzt".


Georg Büchmann:

  • "Ein untrügliches Kennzeichen eines allgemein gewordenen Citats ist die Veränderung seiner ursprünglichen Form [..]", die "gewöhnlich hartnäckig als die allein richtige verteidigt wird". (archive.org)

Seitdem wurde noch oft von Philologen erklärt, warum "Schuldigkeit" die falsche Bezeichnung für die Arbeit ist, die Muley Hassan für seinen Auftraggeber geleistet hat.

Zuletzt verfluchte der Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier in einem amüsanten Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung alle, die das Zitat in seiner populären Form verwenden:


Gerhard Stadelmaier, 2012:



  • "Leser! Bürger! Abonnenten! Nicht beweinen will ich diese Zitatleiche - ich will sie verfluchen: 'Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.' Denn sie ist der pure Blödsinn. Doch weniger eine Zitatleiche. Mehr eine Zitat-Untote. Der allerunsterblichsten Sorte. Das hartnäckigste Sprichwortgespenst überhaupt. Es spukt: unausrottbar.
  • "Denn Schillers Mohr trägt zwar einen orientalischen Namen, ist aber, wie alle seine Mitfiguren auch, von durch und durch schwäbischem Geblüt. Schillers Figuren (nicht nur sein Mohr) sind keine griesgrämigen, bittertöpfigen Schuldigkeittuer, die irgendjemandem zu Gefallen etwas anstellen. Sie tun, was sie tun, auf eigene, tolle, gefährliche, manchmal sogar weltstürzende Rechnung. Ihre Arbeit belohnt sich selbst - und sei’s mit dem Tod.

    Wer also aus des Mohren harter, freier Arbeit in bequemer biedermännischer Laune eine kleinbürgerliche, womöglich rundum sozialversicherte 'Schuldigkeit' macht, der verdummt und verharmlost nicht nur ein Zitat. Der kann gehen. Und zwar dorthin, wo der Sprichwortpfeffer wächst."


    Gerhard Stadelmaier: "Sprichwortgespenst: Schiller schafft", FAZ, 3. April 2012 (faz.net)
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Artikel in Arbeit.
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Quellen:
Georg Büchman: "Geflügelte Worte. Der Citatenschatz des Deutschen Volkes." Zehnte verbesserte und vermehrte Auflage. Haude und Spener'sche Buchhandlung, Berlin: 1877, S. 3f.
Gerhard Stadelmaier: "Sprichwortgespenst: Schiller schafft", Frankfurter Allgmeine Zeitung, 3. April 2012 (aktualisiert, faz.net)

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Dank an Gerhard Stadelmaier, und an Michael Kanthak für eine Korrektur.


Letzte Änderung: 12/12 2022.

Montag, 23. April 2018

"Jeder Tag ist eine neue Chance, das zu tun, was du möchtest." Friedrich Schiller (angeblich)


Pseudo-Friedrich-Schiller quote.

Dieses Zitat wird erst seit ein paar Jahren Friedrich Schiller unterschoben, ist aber in der kurzen Zeit schon recht erfolgreich und dient sogar einer 'Schillerschule' in Deutschland und einer internationalen Schule in der Schweiz als Motto.

Vor dem Jahr 2014 habe ich dieses Friedrich-Schiller-Kuckuckszitat in den digitalisierten Texten so wenig gefunden wie in den Schriften Friedrich Schillers.

Viele Varianten dieses Zitats sind international als Motivationsspüche sehr beliebt, haben aber alle nichts mit Friedrich Schiller zu tun.


1884
  • "Every day is a new chance for a fresh start. Let us bear in mind the homely adage, — 'If you've forgotten to bo good, and taken up with sinning. Begin again, begin again, all life is but beginning!" Let us remember that though.' " (Link)
1919
  • "Every day is a new chance at life, a new chance at our job, a chance to correct our mistakes and blunders." (Link)
1985
  • "Everyday is a new opportunity. Every success, every joy, and every adversity provides substance with which to grow." Peter Ways (Link)
1998
  • "every day is a new chance to change your mind and start over." (Link)

2000
  • "Inspiriert von New-Age-Autoren wie dem Psycho-Guru Wayne Dyer, verschickte Rijkaard einst aufrüttelnde Privatpost: 'Jeder Tag ist eine neue Chance. Sei zufrieden mit dir selbst.'"   (Link)
2001
  • "Jeder Tag ist eine neue Chance. Sich ein Leben lang in Selbsthass zu verzehren hilft niemandem."  (Link)
2003
  • "lhr Lebensmotto?/ Lebe jeden Tag bewußt und nütze alle Möglichkeiten, die sich für einen neuen Anfang bieten! Jeder Tag ist eine neue Chance, um etwas aus seinem Leben zu machen!"  (Link)
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2016
  • "'Jeder Tag ist eine neue Chance, das zu tun, was du möchtest.' Friedrich Schiller" (Link)

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Motivationssprüche


  • "Everyday is a new chance to be great. Let’s be great."
  • "Everyday is a new chance to become better."
  • "Everyday is a new chance to be a better person, to do good and correct past mistakes."
  • "Everyday is a new chance to make history."
  • "Everyday is a new chance to show the world your brilliance and make it a better place. Be awesome today!"  
  • "Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden." Mark Twain (angeblich)

Twitter, 2020:

 

 

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Quellen:
Google
Google
Beispiele für frühe falsche Zuschreibung an Friedrich Schiller:
Nadine Grubenmann: "Ausgewählte Weisheiten, Zitate und Sprichworte aus aller Welt: Inkl. Bauernregeln und einigen Eselsbrücken", BoD - Books on Demand, Norderstedt: 2016, S. 74
Schillerschule Griesheim.de
Lycée international de Ferney-Voltaire, Deutsche Abteilung, Jahrbuch 2016, S. 5  espace.cern.ch
lebens-zitate.de
zitate.woxikon.de

Beispiel für eine falsche Zuschreibung an Mark Twain:
motivate-yourself.de

Artikel in Arbeit.

Letzte Änderung: 27/6 2020.