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Montag, 3. April 2023

"Wir müssen sozialpolitisch links, wirtschaftspolitisch pragmatisch und sicherheitspolitisch rechts sein." Bruno Kreisky (angeblich)

Dieses Zitat ist in den Reden und Schriften des 1990 verstorbenen österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky weder so noch so ähnlich zu finden und es wurde ihm in diesem Wortlaut erst über 30 Jahre nach seinem Tod erstmals zugeschrieben.

Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Christian Kern antwortete in einem profil-Interview auf die Frage, was am Tag nach der SPÖ-Parteivorsitzendenwahl kommen soll:

Christian Kern:

  • "Die Einsicht, welch große Verantwortung die SPÖ trägt. Von Bruno Kreisky ist der Grundsatz überliefert: Wir müssen sozialpolitisch links, wirtschaftspolitisch pragmatisch und sicherheitspolitisch rechts sein. Das war sein Erfolgsrezept. Das muss die SPÖ reanimieren. "

     Christian Kern, profil, 1. April 2023 (profil.at)

Auf Twitter wurde die Authentizität dieses Zitats sofort angezweifelt, zum Beispiel von dem Historiker Florian Wenninger oder dem Kreisky-Biographen Christoph Kotanko.

 Doch der oberösterreichische SPÖ-Politiker Josef Ackerl glaubte sich zu erinnern, von Bruno Kreisky in einer Auseinandersetzung mit der Sozialistischen Jugend in den 1970er Jahren so etwas gehört zu haben:

Josef Ackerl: 

  • "Sinngemäß gibt es dieses Zitat schon. Ich war dabei und es ist in einer Auseinandersetzung mit der SJ gefallen. Allerdings schon 50 Jahre her. Er hat damit unsere Kritik an der Wirtschaftspolitik von Androsch gekontert. Im Gegensatz zur derzeitigen Parteiführung hatte er eine." Twitter, 1. April 2023 (Link)
 
 

Bruno Kreisky am Parteitag der SPÖ in den Wiener Sophiensälen,
1968, Foto: Barbara Pflaum (kreisky100.at)
 

Bruno Kreisky löste Bruno Pittermann 1967 als SPÖ-Parteivorsitzender ab, und der SPÖ-Parteitag 1968 stand unter dem Motto: "Leistung Aufstieg Sicherheit", wobei unter Sicherheit nicht die Innere oder Äußere Sicherheit verstanden wurde, sondern die soziale Sicherheit, worauf auch der Historiker und Schriftsteller Doron Rabinovici aufmerksam gemacht hat.

Kreiskys Modernisierungsprogramm kann man zweifellos "sozialpolitisch links" nennen, auch Bruno Kreiskys wirtschaftspolitischer Pragmatismus lässt sich schon damit belegen,  dass er den ÖVP-Politiker Stefan Koren, den damaligen Klubobmann der Oppositionspartei, 1978 zum Präsidenten der Österreichischen Nationalbank ernennen ließ. 

Für das Prinzip "sicherheitspolitisch rechts" aus dem angeblichen Kreisky-Zitat ist aber keine alte Begründung zu finden, auch wenn Kreisky als ersten Innenminister seiner Regierung den rechten Sozialdemokraten Otto Rösch ausgewählt hatte.


 Hans Peter Doskozil

 

Der burgenländische SPÖ-Politiker Hans Peter Doskozil wiederholt seit dem Jahr 2017 - damals war er noch Verteidigungsminister - mit leichten Variationen die Formel, "die SPÖ müsse sich

2017
  •  'sozialpolitisch links, wirtschaftspolitisch pragmatisch, gesellschaftspolitisch liberal und sicherheitspolitisch konsequent' positionieren."
    Kurier, 13. November 1017 (kurier.at); (orf.at)
 2020/21
  • "In Doskozils Worten: Die SPÖ könne nur erfolgreich sein, wenn sie 'gesellschaftspolitisch liberal, sozialpolitisch links, wirtschaftspolitisch pragmatisch und in Sicherheitsfragen konsequent auftritt'. Da ist für fast jeden etwas dabei."

    Thomas Orovits: "Rechtsauslerger der SPÖ mit linken Themen"
    (Link)
Der Presse-Redakteur Oliver Pink war meines Wissens der Erste, der die Doskozilsche Formel mit den Worten "sicherheitspolitisch rechts" statt "sicherheitspolitisch konsequent" wiedergab:

  •  "Doskozil verfolgt einen eigenständigen, konturierten Kurs: sozialpolitisch links, migrations- und sicherheitspolitisch rechts. In Wirtschaftsfragen versucht er es pragmatisch."
    Oliver Pink, Die Presse, 25. Januar 2020 (diepresse.com)

 Nachdem Hans Peter Doskozil auch im 'Falter' wieder einmal sein Erfolgsrezept für die SPÖ verkündete, wurde er von Günter Traxler im 'Standard' als "Cheftheoretiker der SPÖ" ironisiert:

2020

  • "Immerhin bleibt Doskozils Ruf als Cheftheoretiker der SPÖ unangetastet. Jedenfalls von sich selbst – nach dem, wie er sich im "Falter" seiner Partei wieder einmal als Vorbild empfohlen hat.

    "In welche Schublade passe ich denn? Ich bin sicherheitspolitisch konsequent pragmatisch und sicher nicht links. Wirtschaftspolitisch bin ich ganz sicher nicht neoliberal. Und sozialpolitisch natürlich eindeutig links. Ich mache Politik aus einer sozialpolitisch-humanistischen Prägung heraus."

    Günter Traxler: "Wahn aus der Schublade." Der Standard, 6. August 2020 (derstandard.at)

 

Das angebliche Kreisky-Zitat scheint in Wirklichkeit also ein Doskozil-Zitat zu sein.

 

Artikel in Arbeit. 

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Quellen:

genios.de

Bruno Kreisky: "Erinnerungen: Das Vermächtnis des Jahrhundertpolitikers." Ausgewählt aus den 1986, 1988 und 1996 erschienen Originalausgaben  von Oliver Rathkolb, styria premium, Wien, Graz, Klagenfurt: (2007) 2014
 Christoph Kotanko: Kult-Kanzler Kreisky. Mensch und Mythos. Carl Ueberreuter Verlag, Wien: 2020.
Christian Kern: „Mir ist mein Anteil am Schlamassel bewusst“, Interview mit Eva Linsinger, profil, 1. April 2023 (profil.at)
 Kurier, 13. November 1017 (kurier.at); (orf.at)
Thomas Orovits: "Rechtsauslerger der SPÖ mit linken Themen" in: Steirisches Jahrbuch für Politik 2020, Böhlau Verlag, Wien: 2021, S. 109 (Link)
Oliver Pink: "Rotes Land auf schwarzem Grund." Die Presse, 25. Januar 2020 (diepresse.com)
Günter Traxler: "Wahn aus der Schublade." Der Standard, 6. August 2020 (derstandard.at)

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Dank:

Ich danke Josef Broukal, Daniela Kickl, Michael Mayer und einigen anderen für die Fragen nach Belegen für das angebliche Kreisky-Zitat. Dank auch an Christoph Kotanko, Stefan Seebauer und anderen Journalist:innen und Historiker:innen für ihre Einschätzungen.