Pseudo-Friedrich-Schiller-Zitat (Link). |
Das Kuckuckszitat taucht im Jahr 2007 erstmals in einem Forum auf, und wird seit 2014 auf Twitter und seit dem Jahr 2017 auch in Leserbriefen und Büchern fälschlich dem deutschen Dramatiker und Historiker Friedrich Schiller zugeschrieben.
Nach Matthias Tresselt, dem Autor der Studie "Friedrich Schiller und die Demokratie", war Friedrich Schiller kein prinzipieller Anti-Demokrat, da er nachweislich die Demokratie unter "ethischen Voraussetzungen für möglich und erstrebenswert hielt" (Link).
In Friedrich Schillers Dramen allerdings kommen bekanntlich viele Antidemokraten vor, zum Beispiel in dem Dramen-Fragment "Demetrius", in dem Fürst Leo Sapieha am Reichstag zu Krakau sein Veto gegen eine Kriegserklärung an Russland einlegt.
In dem Drama "Demetrius" beschließt um 1600 die Mehrheit im Reichstag zu Krakau einen Krieg gegen Russland, um den Hochstapler Demetrius zum Zaren zu krönen.
Fürst Sapiehas Veto gegen diesen Mehrheitsbeschluss führt zu Tumulten im Krakauer Reichstag, Säbel werden gezogen und er verteidigt unter Lebensgefahr sein Veto mit folgenden Worten:
Friedrich Schiller, "Demetrius", Fürst Leo Sapieha:
" Laßt alles einig sein – Ich sage nein.
Ich sage Veto, ich zerreiße den Reichstag.
– Man schreite nicht weiter. Aufgehoben, null
Ist alles, was beschlossen ward.
[...]
Die Mehrheit?
Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn,
Verstand ist stets bei wen'gen nur gewesen.
Bekümmert sich ums Ganze, wer nichts hat?
Hat der Bettler eine Freiheit, eine Wahl?
Er muß dem Mächtigen, der ihn bezahlt,
Um Brot und Stiefel seine Stimm verkaufen.
Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen;
Der Staat muß untergehn, früh oder spät,
Wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet."
(projekt-gutenberg)
Vielleicht entstand das Kuckuckszitat durch eine Fehlerinnerung an diese berühmten Worte Friedrich Schillers, die zum Beispiel auch Ralf Dahrendorf einmal zitierte, als er darlegte, dass die Herrschaft des Rechts mit unabhängigen Gerichten für eine Demokratie mindestens so notwendig ist wie freie Wahlen (Link).
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Quellen:
Matthias Tresselt: "Friedrich Schiller und die Demokratie." Duncker und Humboldt, Berlin: 2009, Inhaltsangabe (Link)
Ralf Dahrendorf: "Demokratie Plus", übersetzt von Reinhart R. Fischer, Schweizer Monat, Ausgabe 931, Februar 2004 (schweizermonat.ch)
Beispiele für das Kuckuckszitat:
Twitter: Seit 2014 Twitter.com/search; (Twitter 2017).
Leserbrief Welt, 2017
2020: heise.de/
books.google
Artikel in Arbeit.
__________________________Anhang
Friedrich Schiller: "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua", 1783:
"Fiesco. Das Volk gewann's. Die Regierung ward demokratisch. Jeder Bürger gab seine Stimme. Mehrheit setzte durch. Wenige Wochen vergingen, so kündigte der Mensch dem neugebackenen Freistaat den Krieg an. Das Reich kam zusammen. Roß, Löwe, Tiger, Bär, Elephant und Rhinoceros traten auf und brüllten laut zu den Waffen! Jetzt kam die Reih' an die Uebrigen. Lamm, Hase, Hirsch, Esel, das ganze Reich der Insecten, der Vögel, der Fische ganzes menschenscheues Heer – alle traten dazwischen und wimmerten: Friede. Seht, Genueser! Der Feigen waren mehr, denn der Streitbaren, der Dummen mehr, denn der Klugen – Mehrheit setzte durch. Das Thierreich streckte die Waffen, und der Mensch brandschatzte sein Gebiet. Dieses Staatssystem ward also verworfen. Genueser, wozu wäret ihr jetzt geneigt gewesen?"