Auch die Formel "Weltseele zu Pferd" stammt in diesem Wortlaut nicht von Hegel.
Bilder von Napoleon in Heldenpose zu Pferd waren um diese Zeit in Europa schon verbreitet (Link).
Jacques-Louis David: Bonaparte beim Überschreiten der Alpen am Großen Sankt Bernhard, 1802, wikipedia (Link) |
Hegel sah Napoleon am 13. Oktober 1806, einen Tag vor der Schlacht bei Jena, in Jena durch die Stadt reiten und schrieb noch am selben Tag an seinen Bamberger Freund Niethammer von der "wunderbare(n) Empfindung", den Kaiser, "den es nicht möglich ist, nicht zu bewundern", "diese Weltseele", "auf einem Pferde sitzend" zu sehen.
Harper's New Monthly Magazine, Vol XCI, June, 1895, No. DXLI, S. 209 (Link) |
Georg Wilhelm Friedrich Hegel an Friedrich Immanuel Niethammer,
Jena, 13. Oktober 1806:
- "Den Kaiser – diese Weltseele – sah ich durch die Stadt zum Rekognoscieren hinausreiten. – Es ist in der That eine wunderbare Empfindung, ein solches Individuum zu sehen, das hier auf einen Punkt concentrirt, auf einem Pferde sitzend, über die Welt übergreift und sie beherrscht."
- "Wie ich schon früher that, wünschen nun Alle der Französischen Armee Glück, was ihr bei dem ganz ungeheuern Unterschiede ihrer Anführer und des gemeinen Soldaten von ihren Feinden auch gar nicht fehlen kann."
- "Den Preußen war freilich kein besseres Prognosticon zu stellen, aber von Donnerstag bis Montag sind solche Fortschritte nur diesem außerordentlichen Manne möglich, den es nicht möglich ist, nicht zu bewundern." (Link)
Der Brief Hegels an Niethammer wurde von seinem Biographen Karl Rosenkranz im Jahr 1844 erstmals veröffentlicht und 15 Jahre danach, im Jahr 1859, wurde die Formel "Weltgeist zu Pferde" das erste Mal Hegel in den Mund gelegt.
1859
- "Napoleon — am Tage zuvor beim Durchreiten durch Jena
vom damals noch nicht berühmten (übrigens wenig deutsch, sondern bis
1813 französisch gesinnten) Hegels als 'Weltgeist zu Pferde" (!) angestaunt'."
Jenaische Blätter, Jena: 1859, S. 176, (Link)
Als Hegel Napoleon sah, hatte er vielleicht einen Teil seines gerade fertiggestellten Manuskripts der "Phänomenologie des Geistes" bei sich, um es vor Plünderern in Sicherheit zu bringen.
In dieser Phänomenologie des Geistes kommt der Begriff "Weltgeist" vor, aber nicht der platonische Begriff "Weltseele", der um 1800 durch Schelling wiederbelebt wurde.
Hätte der Philosoph Hegel in Napoleon den personifizierten Weltgeist gesehen, hätte er ihn so bezeichnet.
Artikel in Arbeit.
___________
Quellen:
"Georg Wilhelm Friedrich Hegel's Leben, beschrieben durch Karl Rosenkranz. Supplement zu Hegel's Werken. Verlag von Duncker und Humblot, Berlin: 1844, S. 229f. (Link) [Spätere Briefausgaben differieren in einigen Details von dem Erstdruck.]
Wolfgang Schild: Napoléon und Hegel. In: Europa nach Napoléon, herausgegeben von Christoph Enders, Michael Kahlo, Andreas Mosbacher. mentis Verlag, Paderborn: 2018, S. 57-78 (Link)
Karl Hermann Scheidler: "Geschichte der Jenaer Wehrschaft", Jenaische Blätter für Geschichte und Reform des deutschen Universitätswesens etc., Drittes Heft, Verlag von Friedrich Mauke, Jena: 1859, S. 176, (Link)
Harper's New Monthly Magazine, Vol XCI, June, 1895, No. DXLI, S. 209 (Link)
_
Zu Davids Gemälden, 1802: (Link)
Nader Ahriman: Die Hegelmaschine trifft die Weltseele blouinshop.com