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Sonntag, 27. März 2022

"Demokratie ist die Diktatur der Dummen." Friedrich von Schiller (angeblich)

 

Pseudo-Friedrich-Schiller-Zitat (Link).
Dieses beliebte, angebliche Schiller-Zitat ist noch keine zwanzig Jahre alt und ist in seinen Schriften nicht zu finden.

Das Kuckuckszitat taucht im Jahr 2007 erstmals in einem Forum auf, und wird seit 2014 auf Twitter und seit dem Jahr 2017 auch in Leserbriefen und Büchern fälschlich dem deutschen  Dramatiker und Historiker Friedrich Schiller zugeschrieben.

Nach Matthias Tresselt, dem Autor der Studie  "Friedrich Schiller und die Demokratie", war Friedrich Schiller kein prinzipieller Anti-Demokrat, da er nachweislich die Demokratie unter "ethischen Voraussetzungen für möglich und erstrebenswert hielt" (Link).

In Friedrich Schillers Dramen allerdings kommen bekanntlich viele Antidemokraten vor, zum Beispiel in dem Dramen-Fragment "Demetrius", in dem Fürst Leo Sapieha am Reichstag zu Krakau sein Veto gegen eine Kriegserklärung an Russland einlegt.

In dem Drama "Demetrius" beschließt um 1600 die Mehrheit im Reichstag zu Krakau einen Krieg gegen Russland, um den Hochstapler Demetrius zum Zaren zu krönen. 

Fürst Sapiehas Veto gegen diesen Mehrheitsbeschluss führt zu Tumulten im Krakauer Reichstag, Säbel werden gezogen und er verteidigt unter Lebensgefahr sein Veto mit folgenden Worten:


Friedrich Schiller, "Demetrius", Fürst Leo Sapieha:


" Laßt alles einig sein – Ich sage nein.

Ich sage Veto, ich zerreiße den Reichstag.

– Man schreite nicht weiter. Aufgehoben, null

Ist alles, was beschlossen ward.

[...]

Die Mehrheit?

Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn,

Verstand ist stets bei wen'gen nur gewesen.

Bekümmert sich ums Ganze, wer nichts hat?

Hat der Bettler eine Freiheit, eine Wahl?

Er muß dem Mächtigen, der ihn bezahlt,

Um Brot und Stiefel seine Stimm verkaufen.

Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen;

Der Staat muß untergehn, früh oder spät,

Wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet." 

(projekt-gutenberg)

 

Vielleicht entstand das Kuckuckszitat durch eine Fehlerinnerung an diese berühmten Worte Friedrich Schillers, die zum Beispiel auch Ralf Dahrendorf einmal zitierte, als er darlegte, dass die Herrschaft des Rechts mit unabhängigen Gerichten für eine Demokratie mindestens so notwendig ist wie freie Wahlen (Link).


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Quellen:

Google

Friedrich Schiller: "Demetrius. Ein Trauerspiel von Schiller." Nach dem hinterlassenen Entwurf des Dichters bearbeitet von Franz von Maltitz, Dr. R. Marx'schen Buchhandlung, Karlsruhe und Baden, 1817,  S. 27f. (books.google)(projekt-gutenberg)
Matthias Tresselt: "Friedrich Schiller und die Demokratie." Duncker und Humboldt, Berlin: 2009, Inhaltsangabe (Link)
Ralf Dahrendorf: "Demokratie Plus", übersetzt von  Reinhart R. Fischer, Schweizer Monat, Ausgabe 931, Februar 2004 (schweizermonat.ch)

Beispiele für das Kuckuckszitat:

1. August 2007, taheth, goldseiten-forum.com
Twitter: Seit 2014 Twitter.com/search(Twitter 2017).
Leserbrief Welt, 2017
2020: heise.de/
books.google


Artikel in Arbeit.

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Anhang

Friedrich Schiller: "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua", 1783:


"Fiesco. Das Volk gewann's. Die Regierung ward demokratisch. Jeder Bürger gab seine Stimme. Mehrheit setzte durch. Wenige Wochen vergingen, so kündigte der Mensch dem neugebackenen Freistaat den Krieg an. Das Reich kam zusammen. Roß, Löwe, Tiger, Bär, Elephant und Rhinoceros traten auf und brüllten laut zu den Waffen! Jetzt kam die Reih' an die Uebrigen. Lamm, Hase, Hirsch, Esel, das ganze Reich der Insecten, der Vögel, der Fische ganzes menschenscheues Heer – alle traten dazwischen und wimmerten: Friede. Seht, Genueser! Der Feigen waren mehr, denn der Streitbaren, der Dummen mehr, denn der Klugen – Mehrheit setzte durch. Das Thierreich streckte die Waffen, und der Mensch brandschatzte sein Gebiet. Dieses Staatssystem ward also verworfen. Genueser, wozu wäret ihr jetzt geneigt gewesen?"

:
 

Dienstag, 18. Mai 2021

20 Goethe-Zitate, die sicher nicht von Goethe sind. Link-Sammlung.

 Links zu den Artikeln über folgende Pseudo-Goethe-Zitate:


  1. "Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen."

  2. "Bei Fünfzig ist man für sein Gesicht verantwortlich".

  3. "Das Leben ist viel zu kurz, um schlechten Wein zu trinken."

  4. "Der denkende Mensch ändert seine Meinung." 

  5. "Die Wahrheit enthält immer auch Lüge."

  6. "Eines Morgens wachst Du nicht mehr auf, die Vögel aber singen, wie sie gestern sangen. Nichts ändert diesen Tagesablauf. Nur Du bist fortgegangen. Du bist nun frei, und unsere Tränen wünschen Dir Glück."

  7. "Eines Tages klopfte die Angst an die Tür. Der Mut stand auf und öffnete, aber da war niemand draußen."

  8. "Erfolg hat 3 Buchstaben: TUN!"

  9. "Erfolgreich zu sein setzt zwei Dinge voraus: Klare Ziele und den brennenden Wunsch, sie zu erreichen."

  10. "Für ein zufriedenes Leben braucht man neun Dinge: genügend Gesundheit ..."

  11. "Gott gibt die Nüsse, aber er knackt sie nicht." 

  12. "Lieber Freund, entschuldige meinen langen Brief, für einen kurzen hatte ich keine Zeit."

  13. "Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen."

  14. "Reden ist uns ein Bedürfnis, Zuhören ist eine Kunst."

  15. "Was man tief in seinem Herzen besitzt, kann man nicht durch den Tod verlieren."

  16. "Wer Bücher liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaune." 

  17. "Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf."

  18. "Wer nicht genießt, wird ungenießbar." 

  19. "Werde der, der du bist."

  20. "Wir haben genug Zeit, wenn wir sie nur richtig verwenden." 

  21.  "Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht."

 

 Entstellte Goethe-Zitate:

 

"In Bibliotheken fühlt man sich wie in der Gegenwart eines großen Kapitals, das geräuschlos unberechenbare Zinsen spendet." 

"Was immer du tun kannst oder erträumst zu können, beginne es."

 

 

Dienstag, 25. September 2018

"Nicht: es muss sich etwas ändern, sondern: ich muss etwas tun!" Hans Scholl (angeblich)

Pseudo-Hans-Scholl-Zitat.
Diese Parole, mit der neuerdings AfD-Funktionäre werben, wird irrtümlich Hans Scholl zugeschrieben und stammt entweder von Willi Graf, einem anderen zum Tod verurteilten Mitglied der "Weißen Rose", oder wahrscheinlich von dessen Schwester Anneliese Knoop-Graf, wie Ralf Bülow herausgefunden hat.

Es ist doppelt absurd, wenn Nationalisten sich auf Widerstandskämpfer berufen, die von den mörderischsten Nationalisten des 20. Jahrhunderts enthauptet wurden und das Zitat noch dazu falsch ist.


Weiße Rose Stiftung e.V.


  • "Die Werte der Weissen Rose dürfen nicht missbraucht werden!
    Die Widerstandsgruppe Weisse Rose steht zeitübergreifend für Freiheit, Toleranz und Achtung der Menschenwürde. Wer mit Hass und Hetze gegen Minderheiten und Andersdenkende vorgeht, kann sich nicht auf sie berufen. Er verstößt vielmehr gegen die ethischen Grundprinzipien, für die die Weisse Rose nach wie vor steht. Wir halten es daher für verwerflich, wenn einzelne Personen der Widerstandsgruppe aktuell aus höchst durchsichtigen parteipolitischen Werbezwecken als Gallionsfiguren missbraucht werden. (...)

    Die Weiße Rose Stiftung e.V. sieht es als ihre Aufgabe, über die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur das Bewusstsein für unsere Gegenwart zu schärfen und sich gegen eine Instrumentalisierung hochgeachteter Personen des Widerstands zu wenden. Der aktuelle Missbrauch durch Vertreter der AfD ist auf das Schärfste zu verurteilen."
Gez. Hildegard Kronawitter, Vorsitzende | Weiße Rose Stiftung e.V.
-

Das Zitat taucht in den digitalisierten Texten im Jahr 1987 erstmals auf. Die Publizistin Anneliese Knoop-Graf, die 1943 gemeinsam mit ihrem Bruder verhaftet wurde, schreibt in ihren Erinnerungen an ihren Bruder Willi Graf:

1987
  • "Auf diese grauenvolle Wirklichkeit hatte Willis Gewissen reagiert: Nicht: Es muß etwas geschehen, sondern: Ich muß etwas tun. Im April 1942 wurde Willi nach München beurlaubt und lernte hier in einer Studentenkompanie Hans Scholl und Alexander Schmorell kennen ..."

    Anneliese Knoop-Graf: "Will Grafs Weg in den Widerstand."  S. 433ff.; S. 442 (Link)
Es ist diesem Absatz nicht eindeutig zu entnehmen, ob Anneliese Knoop-Graf den Entschluss ihres  Bruders, Widerstand zu leisten, hier zitiert oder paraphrasiert. Bezeugt sind Willi Grafs wütende Worte: "Es muss doch etwas getan werden, auch wenn es den Kopf kosten sollte (Link)", und: "Ihr werdet sehen — es wird etwas geschehen (Link)".


Anscheinend wurde der Satz von Anneliese Knoop-Graf im Jahr 2005 erstmals in einem Ratgeberbuch für Ärzte irrtümlich Hans Scholl zugeschrieben und kurz später wurde diese Falschzuschreibung durch eine Zitatsammlung verbreitet. 

Dass dieses Zitat in Hans Scholls Schriften und Briefen  nicht enthalten ist, hat kürzlich nach der Weiße Rose Stiftung auch die Historikerin Miriam Gebhardt bestätigt (Link), die 2017 die Studie, "Die Weiße Rose. Wie aus ganz normalen Deutschen Widerstandskämpfer wurden", publizierte.


2015, Dresden; Zitat von Anneliese Knoop-Graf; irrtümlich Hans Scholl unterschoben.

 

 Früheste falsche Zuschreibungen an Hans Scholl:


2005
  • "Der Nazigegner Hans Scholl hat das treffend formuliert: 'Nicht: Es muss etwas geschehen, sondern: Ich muss etwas tun!'" S. 65 (Link)
 2007 
  •  "Nicht: Es muss etwas geschehen, sondern: Ich muss etwas tun. Hans Scholl, dt. Widerstandskämpfer, 1918–1943" S. 52 (Link)

 _______
Quellen:
Anneliese Knoop-Graf: "Will Grafs Weg in den Widerstand." In: Peter Steinbach, ‎Winfried Becker (Hrsg.): "Widerstand: ein Problem zwischen Theorie und Geschichte."  Verlag Wissenschaft und Politik, Köln: 1987, S. 433ff.; S. 442 (Link) 
Stefan Ludmann: "Weiße Rose Stiftung wehrt sich gegen AfD", NDR.de, 24. September 2018 (Link)
Ludwig Hang: "Flugblatt und Gedicht Lebenszeugnisse des Saarbrücker Widerstandskämpfers Willi Graf",  DIE ZEIT 36/1988, 2. September 1988 (Link)
Peter Goergen: "Willi Graf - ein Weg in den Widerstand", Röhrig Universitätsverlag, Band 11 Schriftenreihe der Stiftung Demokratie Saarland, St. Ingbert: 2009, S. 164  (Link)
weisse-rose-stiftung.de/ 

Beispiele für falsche Zuschreibungen an Hans Scholl:
2005: Heinz Welling: "Kommunikation in der Medizin: Leitfaden für die erfolgreiche Praxisführung", ecomed medizin, 2. überarb. Auflage, Landsberg/Lech: 2005, S. 65 (Link) 
2007: Gisela Fichtl: "Zitate für Beruf und Karriere", Haufe, 4. Auflage, Planegg/München: 2007, S. 52 (Link) 
2010 (Link) 
aphorismen.de/zitat/203309 
gutezitate.com/zitat/119008
viabilia.de/hans-scholl/autor




 
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Ich danke Ralf Bülow für den Hinweis auf dieses Zitat und seine Recherchen dazu wieder einmal sehr.


 Artikel in Arbeit.

Mittwoch, 22. August 2018

"Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf." Johann Wolfgang von Goethe (angeblich)

Pseudo-Johann-Wolfgang-Goethe-Zitat.
Diesen politischen Aphorismus einer unbekannten Autorin schrieb ein Lehrer beim Geschichtsunterricht um 1960 auf eine Schultafel. Der Lehrer wurde mit diesem Zitat auf der Tafel photographiert und das Foto in den "Nürnberger Nachrichten" veröffentlicht.

Deswegen wird diesem ehemaligen Lehrer und späterem Professor Hermann Glaser manchmal der Aphorismus zugeschrieben. Doch nach einer Anfrage von Dominik Lagushkin teilte Hermann Glaser mit, dass er diesen Aphorismus nicht geprägt habe, und 50 Jahre danach nicht mehr feststellen könne, woher er das Zitat damals hatte (Link).

Seit 2012, seit eine rechtsextreme Webseite damit begann, wird das Zitat auf Facebook, in der Kronen Zeitung und in anderen unseriösen Medien meistens Johann Wolfgang Goethe untergeschoben, vereinzelt auch Shakespeare, Kurt Tucholksy oder Immanuel Kant.

In den Schriften und dazugehörigen Nachschlagwerken Goethes, Kants und Tucholskys ist dieses Zitat, das in der Mitte des 20. Jahrhunderts als politische Parole entstanden sein könnte, nicht zu finden.


 Entwicklung des Zitats



1998, unbekannt
  • "In unseren Tagen kursiert ein Satz, der Aichers Philosophie vorwegzunehmen scheint: „Wer in der Demokratie schläft, wacht auf in der Diktatur.“ Oder schlagender: „Schlaf in der Demokratie, wach auf in der Diktatur!“ Dieser Erkenntnis der jüngsten Vergangenheit diente seine Art der Prophylaxe." 
    Joerg Crone, Dissertation (pdf)

2007, unbekannt
  • "Wählen tut Not! Denn wer in der Demokratie pennt, der wacht in der Dikatur auf. "
    groups.google
2011?, Glaser
  • „Wer in der Demokratie schläft, erwacht in der Diktatur“. Dieses hochaktuelle Zitat stammt vom Nürnberger Professor und Publizisten Hermann Glaser".
    amadeu-antonio-stiftung.de

2012, Goethe
  •  "Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf." J W Goethe
    dasgelbeforum
2012, Shakespeare
  • "Liebe Landratsmitglieder, wachen Sie endlich auf. Sie haben einen Auftrag vom Volk! Nehmen Sie sowohl Ihre Pflichten wie auch Ihre Rechte wahr. Erinnern Sie sich an Shakespeare, der sagte:
    'Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf.'"
    etwasanderekritik.wordpress.com/2012
2016, Goethe
  • Da fällt mir ein Satz Goethes ein: „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“.
    Tassilo Wallentin: "Der große Coup", Kronen Zeitung, 27/3 2016 (Link)
  2017
-
Johann Wolfgang von Goethe ist übrigens nie als Verteidiger der Demokratie aufgefallen. Im Gegenteil:

Goethe, 1792

  • "Was mir aber noch mehr auffiel, war, daß ein gewisser Freiheitssinn, ein Streben nach Demokratie sich in die hohen Stände verbreitet hatte; man schien nicht zu fühlen, was alles erst zu verlieren sei, um zu irgendeiner Art zweideutigen Gewinnes zu gelangen."
    Johann Wolfgang von Goethe, Kampagne in Frankreich, Pempelfort, November 1792 (Link)

Goethe, 1827

  • "Man spricht immer viel von Aristokratie und Demokratie, die Sache ist ganz einfach diese: In der Jugend, wo wir nichts besitzen oder doch den ruhigen Besitz nicht zu schätzen wissen, sind wir Demokraten; sind wir aber in einem langen Leben zu Eigenthum gekommen, so wünschen wir dieses nicht allein gesichert, sondern wir wünschen auch, daß unsere Kinder und Enkel das Erworbene ruhig genießen mögen. Deshalb sind wir im Alter immer Aristokraten ohne Ausnahme, wenn wir auch in der Jugend uns zu andern Gesinnungen hinneigten."
    Gespräche mit Eckerman, 15. Juli 1827 (Link)
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Quellen:
"Lexikon der Goethe-Zitate". Hrsg. von Richard Dobel, Artemis Verlag, Weltbild Verlag, Augsburg: 1991, Stichwort "Demokratie", S. 110
Johann Wolfgang von Goethe, Kampagne in Frankreich, Pempelfort, November 1792 (Link)
Gespräche mit Eckerman, 15. Juli 1827 (Link)
Immanuel Kant: Gesammelte Werke, Akademieausgabe. Elektronische Edition: Universität Duisburg  
Altes Sprichwort: "Wer mit Hunden schläft, wacht mit Flöhen auf."
Joerg Crone: "Die visuelle Kommunikation der Gesinnung - Zu den grafischen Arbeiten von Otl Aicher und der Entwicklungsgruppe 5 für die Deutsche Lufthansa 1962", Dissertation, Freiburg, 1998, S. 46 (pdf)
Edwin Baumgartner: "Retten wir Goethes Karriere!", Wiener Zeitung, 3. Dezember 2015 wienerzeitung.at
Dominik Lagushkin: "Über adoptierte Zitate", 2013 (Link)

Frühe falsche Zuschreibung an Goethe: 
2012:  dasgelbeforum
Beispiel für falsche Zuschreibung:
Tassilo Wallentin: "Der große Coup", Kronen Zeitung, 27. März 2016 (Link)

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Dank
Ich danke Dominik Lagushkin für seine informative Dokumentation aus dem Jahr 2013 (Link).

Artikel in Arbeit. 

Mittwoch, 14. Februar 2018

"Es hat keinen Sinn, eine Mehrheit für die Sozialdemokraten zu erringen, wenn der Preis dafür ist, kein Sozialdemokrat mehr zu sein." Willy Brandt (angeblich)

Pseudo-Willy-Brandt-Zitat.

Dieser Satz wurde Willy Brandt etwa 10 Jahre nach seinem Tod erstmals untergeschoben. 


Bislang ist dieses Zitat so oder so ähnlich weder in Zeitungen, Blogs oder digitalisierten Büchern des 20. Jahrhunderts, noch in den Dokumenten des Willy-Brandt-Archivs der Friedrich-Ebert-Stiftung gefunden worden.

Leserbrief, Stern, 18.3.2004, Pseudo-Willy-Brandt-Zitat.

Einer der Ersten, oder der Erste, der dieses Zitat Willy Brandt zugeschrieben hat, war ein Leserbriefschreiber des Magazins "Stern" am 18. März 2004. Er glaubt heute, dieses Willy-Brandt-Zitat damals so in einer Rede oder in einem Interview Oskar Lafontaines gehört oder gelesen zu haben, wie er dem Willy-Brandt-Archiv auf Nachfrage mitteilte.

Nur zwei Tage nachdem der Leserbrief erschienen ist wählte der Theologe und Bürgerrechtler  Friedrich Schorlemmer dieses Zitat als Motto für seine Rede, "An meine Freunde in der SPD", die in seinem Buch "In der Freiheit bestehen: Ansprachen" (2004) veröffentlicht ist.

Schorlemmer zitiert in diesem Buch auch einen angeblichen Spruch eines amerikanischen Präsidenten:

  • "Wir stehen zu dem Amerika eines Abraham Lincoln, der gesagt hat: 'Es gibt keinen ehrenwerten Weg, zu töten, keinen sanften Weg, zu zerstören. Es gibt nichts Gutes am Krieg. Außer seinem Ende.'"
    Friedrich Schorlemmer, 2004, 2010 (Link)

Dieses Zitat stammt allerdings nicht von dem amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln, sondern von einem Drehbuchautor der Serie Star Trek, und wird der fiktiven Figur "Abrahm Lincoln" in den Mund gelegt (1:30):



"Star Trek
Abraham Lincoln: 'There's no honorable way to kill, no gentle way to destroy. There is nothing good in war except its ending.'
Sometimes incorrectly cited as an actual Lincoln Quote." (Link)
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Nach der aktuellen Quellenlage ist zu vermuten, dass Friedrich Schorlemmer sich auch bei seinem Willy-Brandt-Zitat geirrt hat, weil er von einem Leserbriefschreiber, über dessen Seriösität wir nichts wissen, das Zitat unüberprüft übernommen hat. Dieses Willy-Brandt-Zitat wäre übrigens nicht das erste Falschzitat, das von einem Leserbrief ausgegangen ist.


Geschichte des Falschzitats

2004
  • 18. März 2004: Leserbrief im Stern (nicht Online)
  • 20. März 2004: Motto von Friedrich Schorlemmer in einer Rede (Link)
2006
  • 24. Oktober 2006: Bei Wikiquote ohne Quellenangabe gebucht unter der Rubrik "Zugeschrieben" (Link)
 2008
  •  21. März 2008: Das Zitat wird bei Wikiquote wieder gelöscht. (Link)
2013
  •  Das Zitat wird von Gegnern der Großen Koalition oft zitiert.

2018
  •  Das Zitat wird wieder von Gegnern der Großen Koalition oft zitiert.
(Quellen vor 2004 könnten noch auftauchen.)

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Schon Viele (Rechercheure von Wikipedia und vom Willy Brandt-Archiv, zum Beispiel) haben dieses Zitat seit 10 Jahren vergeblich in einer vertrauenswürdigen Quelle aus dem 20. Jahrhundert gesucht.

Ohne Nachweis, wann und wo Willy Brandt den fraglichen Satz gesagt hat, sollte man ihn seriöser Weise nicht mehr als Willy-Brandt-Zitat verbreiten.

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Willy Brandt, 1966

  • "BRANDT: Das Wesen der Demokratie ist der Kompromiß. Wenn er zusammen mit der SPD ausgehandelt werden muß, ergibt es einen besseren Kompromiß als den, der allein aus den Gegensätzen innerhalb der CDU/CSU herauskommt."
    DER SPIEGEL 50/1966, 5. Dezember 1966 (Link)


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Quellen:
Google
Twitter
Friedrich Schorlemmer: "In der Freiheit bestehen: Ansprachen" (2004), Aufbau Verlag, Berlin: 2010 ebook, "Die Reformen und ihre Verlierer. An meine Freunde in der SPD", 20. März 2004 (Link); Lincoln (Link)
"Lincoln's words noted, misquoted", Washington Times, 1. Dezember 2003 (Link)  
Wikiquote (Link)
Wikiquote, 24. Oktober 2006 (Link)
Wikiquote, 21. März 2008 (Link)
E-Mail-Korrespondenz mit Sven Haarmann vom Willy-Brandt-Archiv, Februar 2018
Stern, Nr. 13/2004,  18. März 2004, Leserbrief, S. 25
Hans Gerhard Stephani, Hans-Roderich Schneider und  Ernst Goyke: "AUF DEM FALSCHEN BEIN HURRA?", Spiegelgespräch mit Willy Brandt, DER SPIEGEL 50/1966, 5. Dezember 1966 (Link)
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 Dank:

Danke für den Hinweis, Tobias Blanken und Stephan Dörner.
Dank an die Leute von Wikiquote und vor allem an Sven Haarmann vom Willy-Brandt-Archiv in Bonn, der mich auf viele Quellen des Falschzitats hinwies und den "Stern"-Leserbriefschreiber um Auskunft bat.


Artikel in Arbeit.