Sonntag, 22. Juli 2018

"Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts." Arthur Schopenhauer (angeblich)


Pseudo-Arthur-Schopenhauer-Zitat.
Dem Philosophen Arthur Schopenhauer wurde diese Wendung fast 100 Jahre nach seinem Tod zum ersten Mal untergeschoben und sie wird ihm seither - wie üblich bei Kuckuckszitaten - immer ohne Quellenangabe zugeschrieben.

In Arthur Schopenhauers Schriften ist diese inzwischen sprichwörtlich gewordene Wendung nicht zu finden, und wird, da Schopenhauers Schriften längst digitalisiert sind, höchstwahrscheinlich auch niemals dort gefunden werden. 

Schopenhauer hat in der Tat die Gesundheit über alles gestellt, und in vielen Aphorismen auf den Wert der Gesundheit für ein gutes Leben  hingewiesen:

Arthur Schopenhauer:

 Arthur Schopenhauer war im Jahr 1823 in München viele Monate schwer krank und anscheinend depressiv und konnte den ganzen Winter sein Zimmer nicht verlassen. 

Vor seiner Kurreise nach Bad Gastein schrieb er am 21. Mai 1824 zittrig und halbtaub seine Krankengeschichte dem Physiker Gottfried Osann, dem Freund seiner Schwester, und schloss diesen Brief mit den Worten: 

  • "Behüten Sie in alle Wege, als den größten Schatz, Ihre Gesundheit: alles andre ist nichts dagegen: das hat erfahren Ihr Freund / Arthur Schopenhauer." (Link)

 

Kurze Geschichte des Pseudo-Arthur-Schopenhauer-Zitats:

Die Wendung, "X ist nicht alles, aber ohne X ist alles nichts", taucht so ähnlich im 19. Jahrhundert auf und wird bis heute mit verschiedenen Begriffen variiert: X steht manchmal für Wirtschaft, manchmal für Freiheit, Sicherheit, Frieden, Musik, Stabilität oder Profit und seit 1931 auch manchmal für Gesundheit.

1849

  • "Mit diesen Eigenschaften (Achtung, Respect, Ehrfurcht, Vertrauen, Pietät) hat man noch nicht Alles, aber ohne sie Nichts. "
    Allgemeine Schulzeitung, Band 26,  1846, S. 883 (Link)
  1852
  • "Mit einem solchen Herzen geschieht nicht Alles. Aber ohne ein solches Herz geschieht Nichts, gar nichts Schönes und Großes. (Google books)
1872
  • "Der Besitz der Schule bleibt für uns von höchster Bedeutung; wir haben zwar mit ihr nicht Alles, aber ohne sie haben wir Nichts."
    (Google books)
1877
  • "Denn die Freiheit ist die Bedingung alles wahrhaften, mannhaften Glücks. Mit ihr hat man noch nicht Alles; aber ohne sie hat alles Andere einen geringen Werth."  (Google books)


Eine Schweizer Kaffeefirma, die ihren Reklamespruch für Kaffee Hag 1931 schützen ließ, kam dem späteren Wortlaut des angeblichen Schopenhauer-Zitats schon recht nahe:

1931

  •  "Gesundheit ist alles, alles ist gar nichts ohne Gesundheit, Hag schont sie."
(Link)
 (Link)

 Vielleicht hat der Heilgymnast und Naturheilkundige Willy Flaschitz den Wortlaut des Pseudo-Schopenhauer-Zitats 4 Jahre nach diesem Reklamespruch geprägt. In seinem Artikel "Was ist Lebensform" schrieb er ohne Berufung auf Arthur Schopenhauer:

1935

  • "Gewiß, Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts."
    Willi Flaschitz:  "Was ist Lebensreform?" In: Die österreichische Hausfrau, Wien im Oktober 1935  (Link)

 Drei Jahre danach taucht das Zitat wieder ohne Zuschreibung an Arthur Schopenhauer in einer Zeitschrift für Homöopathie auf. 

1938

  •   "Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts."
    "Leipziger populäre Zeitschrift für Homöopathie", Hrsg. von W. Schwabe 1938 (Link)
Die ersten zwei Zuschreibungen dieses Zitats an Arthur Schopenhauer haben wir bislang im Jahr 1956 gefunden. 
 
Ob das Kuckuckszitat im Jahr 1956 zuerst in der Zeitschrift für Allgemeinmedizin mit dem Titel "Ars Medici" oder in der Deutschen Turnzeitung des deutschen Turner-Bunds erschienen ist, weiss ich nicht.
"Ars Medici", Monatsschrift für Allgemeinmedizin, 1956, Nr. 1, S. 70
 
Im folgenden Jahrzehnt wird das Zitat immer beliebter, und taucht erstmals auch in einer englischen Übersetzung in einer medizinischen Zeitschrift auf:
 
1961
  • "Health is not everything, but without health nothing is. SCHOPENHAUER ."
    "Frontiers of Medicine", Liveright Publishing CorporationNew York: 1961, S. 11 (Link) 

Das Zitat wurde auch noch oft ohne die falsche Zuschreibung an Arthur Schopenhauer verbreitet, und gilt erst im 21. Jahrhundert in vielen Sprachen meistens als Schopenhauer-Zitat.

1965

  • "Meine Damen und Herren, Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts."
    Deutscher Bundestag: Verhandlungen des Deutschen Bundestages: Stenographische Berichte, Band 57, Teile 156-172, Bonn: 1965, S. 8340 (Ohne Zuschreibung an Arthur Schopenhauer)
1974
  • "Ich kann darauf nur erwidern: Globalsteuerung ist selbstverständlich nicht alles, aber ohne sie ist alles nichts!" 
1992/1974
  • "In einer Abwandlung eines Wortes von Schopenhauer 'Gesundheit ist nicht alles. Aber ohne Gesundheit ist alles nichts' soll Göderitz, ein Städtebauer unserer Zeit formuliert haben, 'Gesundes Bauen ist nicht alles, aber ohne gesundes Bauen ist alles nichts.'"
    Hubert Palm: "Das gesunde Haus"  1992  (Link)
1976
  • "Denn: Stabilität ist nicht alles, aber ohne Stabilität ist alles nichts. (Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU]: stammt von Strauß!) Das – Von wem, bitte? (Wohlrabe [CDU/CSU]: Von Strauß!) – Danke."
 1979
  • "Im genossenschaftlichen Bankwesen ist die einzelne Bank nicht alles, aber ohne die einzelne Bank ist alles nichts. Oder umgedreht: Im genossenschaftlichen Bankwesen ist der Verbund nicht alles, aber ohne Verbund ist alles nichts".

1983

  • "It is often said that health is not everything but everything else without healtlh is nothing." (archive.org)

1985

  • "Für ein Gebirgsland ist der Wald nicht alles — aber ohne ihn ist alles nichts.
1990
  • "Die Ernährung ist nicht alles, aber ohne richtige Ernährung ist alles nichts."
1992
  • Willy Brandt: "Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts." (Link)
1993
  • "Gewinnerzielung ist nicht alles, aber ohne Gewinnerzielung ist alles nichts."
1994
  • "»Sicherheit ist nicht alles, aber ohne Sicherheit ist alles nichts.« Dieses Wort von Willy Brandt aus der Zeit des Kalten Krieges gewinnt seit dessen Ende neue Bedeutung."
2010
  • "'Die Gesundheit ist zwar nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.' Kaum ein anderer Aphorismus Arthur Schopenhauers wird so häufig zitiert wie dieser."
     ÄrzteZeitung,  22. September 2020 (aerztezeitung.de)
Pseudo-Arthur-Schopenhauer-Zitat.
Pseudo-Arthur-Schopenhauer-Zitat.

Pseudo-Arthur-Schopenhauer-Zitat.

  • "La salud no lo es todo, pero que sin ella todo lo demás es nada."
 
Diese Pseudo-Arthur-Schopenhauer-Zitat scheint auf der ganzen Welt eines der beliebtesten Schopenhauer-Zitate zu sein.

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Quellen:

Schopenhauer's sämmtliche Werken in fünf Bänden. Grossherzog Wilhelm Ernst Ausgabe, IV. Band, Parerga und Paralipomena: Kleine philosophische Schriften von Artur Schopenhauer I, Aphorismen zur Lebensweisheit, Insel Verlag, Leipzig: [ca. 1920] S. 378; 386
Arthur Schopenhauer an Gottfried Osann, München, 21. Mai 1824, in: Schopenhauer-Briefe. Sammlung meist ungedruckter Briefe von, an und über Schopenhauer, mit Anmerkungen herausgegeben von Ludwig Schemann, Brockhaus, Leipzig: 1893, S. 141
Arthur Schopenhauer: Werke in zehn Bänden, Diogenes, Zürich: 1977 (Zürcher Ausgabe), Band  IV/2: Die Welt als Wille und Vorstellung II, S. 673. [zitiert nach Studienkreis.]
Studienkreis Arthur Schopenhauer: "Arthur Schopenhauer über  Gesundheit und Glück" undatiert (arthur-schopenhauer-studienkreis.de)

 
Allgemeine Schulzeitung, Band 26,  1846, S. 883 (Link)

Willi Flaschitz:  "Was ist Lebensreform?" In: Die österreichische Hausfrau, 6. Jahrgang, Nr. 10, Wien im Oktober 1935, S. 6-7; S. 7 (Link) (Ohne Zuschreibung an Arthur Schopenhauer) 
1936: "Leipziger populäre Zeitschrift für Homöopathie", Hrsg. von W. Schwabe,  Bände 69-70, Leipzig: 1938, S. 188 (Link) (Ohne Zuschreibung an Arthur Schopenhauer)

"Ars Medici"
 
Monatsschrift für Allgemeinmedizin, 1956, Nr. 1, S. 70
Deutschen Turner-Bund: "Deutsche Turnzeitung" 1956, S. 70 [?] 
"Frontiers of Medicine", Liveright Publishing CorporationNew York: 1961, S. 11 (Link)

1965: Deutscher Bundestag: "Verhandlungen des Deutschen Bundestages": Stenographische Berichte, Band 57, Teile 156-172, Bonn: 1965, S. 8340 (Ohne Zuschreibung an Arthur Schopenhauer)

 -
(Link)
  Hubert Palm: "Das gesunde Haus. Unser nächster Umweltschutz. Die biologische Bauordnungslehre in der Architectura perennis." (EA: 1967; 5. erweiterte Auflage: 1974) 10. Auflage, Ordo, Konstanz: 1992, S. 83 (Link) 
Pete Smith: "Schopenhauer: Gesundheit als Schlüssel zum Lebensglück."  ÄrzteZeitung,  22. September 2020
(aerztezeitung.de)

Artikel in Arbeit.
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Dank:

Ich danke Christian Seidl für den Hinweis auf dieses Falschzitat und Ralf Bülow wieder einmal sehr für seine Recherchen zu dessen Entwicklung. Dank auch an Arno Tator und besonders an
Bernd-Christoph Kämper.

 
Letzte Änderungen: 27/1 2023, 28/1 2023 (Viele neue Belege dank Kämper.)

  •  

Samstag, 21. Juli 2018

"Gesetze sind wie Würste, man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden." Otto von Bismarck (angeblich)

Pseudo-Otto-von-Bismarck-Zitat.

Dieses Zitat wurde Otto von Bismarck drei Jahrzehnte nach seinem Tod zuerst in Amerika unterschoben und taucht erst viel später in deutscher Sprache auf.

Wie der Zitatforscher Fred R. Shapiro herausfand, stammt das Zitat urspünglich so ähnlich von dem amerikanischen Rechtsanwalt und Schriftsteller John Godfrey Saxe aus dem Jahr 1869:

  • "When a candidate refers to Otto von Bismarck’s famous maxim about “laws and sausages,” grin knowingly, point out that the Iron Chancellor was not associated with that quip until the 1930s and cite The Daily Cleveland Herald, Mar. 29, 1869, quoting the lawyer-poet John Godfrey Saxe that 'Laws, like sausages, cease to inspire respect in proportion as we know how they are made.'"
  • Fred R. Shapiro: "Quote ... Misquote", The New York Times Magazine, 21. Juli 2008 (Link) 

  • "Je weniger die Leute davon wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie. "
  • "The less people know about how sausages and laws are made, the better they sleep."
  • "Der Bürger will nicht sehen wie Gesetze und auch nicht wie Würste gemacht werden!"
  • "Wer weiß, wie Gesetze und Würste gemacht werden, kann nachts nicht mehr ruhig schlafen."
  • "Wer weiß, wie Gesetze und Würste in Deutschland gemacht werden, der kann nachts nicht ruhig schlafen."
  • "Wenn Gesetze gemacht oder wenn Würste gemacht werden, ist man besser nicht dabei."
  • "Wer weiß, wie Leberwürste und wie Gesetze gemacht werden, der kann nachts nicht mehr ruhig schlafen." 
  • "Gesetze sind wie Würste. Man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden." 
  • "Wer Würste liebt und Gesetze achtet, sollte nicht zusehen, wie beide gemacht werden".  
  • "A famous throwaway line, usually misattributed to Bismarck, is that laws are like sausages—they should never be seen in the making."


Pseudo-Otto-von-Bismarck-Zitat.



Pseudo-Otto-von-Bismarck-Zitat.
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Quellen
Fred R. Shapiro: "The Yale Book of Quotations". Yale University Press, New Haven: 2006, S. 86  (Link)
Fred R. Shapiro: "Quote ... Misquote", The New York Times Magazine, 21. Juli 2008 (Link) 
Oxford (Link)
Saxe 1870 (Link)
Beispiel für falsche Zuschreibungen: Google
1966: books.google (früheste Zuschreibung an Bismarck auf Deutsch.)
(Artikel in Arbeit)

Varianten des Pseudo-Bismarck-Zitats:

"Ein Kluger bemerkt alles, ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." Heinrich Heine (angeblich)

Pseudo-Heinrich-Heine-Zitat.

 

Dieser beliebte Pseudo-Heinrich-Heine-Aphorismus stammt von einem unbekannten Autor der humoristischen Zeitschrift "Fliegende Blätter" (mit der Sigle "G.W."), und wurde Heinrich Heine über 100 Jahre nach seinem Tod - vielleicht in Eduard Puntschs "Zitatenhandbuch" - erstmals unterschoben.


In Heinrich Heines sämtlichen Schriften ist der Spruch nicht zu finden und wird höchstwahrscheinlich nie gefunden werden, auch wenn sogar die Dudenredaktion in ihrem Zitaten-Lexikon das Gegenteil behauptet (Link).


Entwicklung des Kuckuckszitats:


1843
  • "Der Kluge bemerkt jedes Steinchen auf seinem Wege, der Klügling sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht."
    Christoph Kuffner  google
 1897

Erstdruck des später irrtümlich Heinrich Heine zugeschrieb. Zitats.
Fliegende Blätter,  Nr. 2721, 1897, S. 111 (Link)





  • "Ein Kluger bemerkt Alles, ein Dummer macht über Alles eine Bemerkung. G. W. "
    Fliegende Blätter,  Nro. 2721, 107. Bd., Verlag von Braun u. Schneider, München: (1897) S. 111 (Link) (G.W.: unbekannt)



1979
  • "Wenn Sie einen Zwischenruf machen, so drängt sich hier unwillkürlich der Spruch auf: Ein Kluger bemerkt alles, ein weniger Kluger macht über alles seine Bemerkung."

1982
  • "Ein Kluger bemerkt alles, ein Dummer macht über alles eine Bemerkung. Heinrich Heine"
    "Zentralblatt fuer Chirurgie, Band 107, Ausgabe 2, 1982,  S. 1105 books.google


 2018

Bildspruch Spruchbild www.spireo.de  Pseudo-Heinrich-Heine-Zitat.





 
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Quellen:
Google
Heinrich-Heine-Portal, Suchmaschine uni-trier.de 
Heinrich Heine: Sämtliche Werke. Neue Ausgabe in 12 Bänden, Hoffmann und Campe, Hamburg: 1887f.
Fliegende Blätter,  Nro. 2721, 107. Bd., Verlag von Braun u. Schneider, München: (1897) S. 111  (Link); zitiert zum Beispiel in: "Neuigkeits Welt Blatt", 21. September 1897, S. (8) anno

Beispiele für falsche Zuschreibungen an Heinrich Heine:

1982: "Zentralblatt fuer Chirurgie", Band 107, Ausgabe 2, 1982,  S. 1105 books.google
1993, 2002: Dudenredaktion: "Zitate und Aussprüche. Herkunft und aktueller Gebrauch", DUDEN Band 12, Mannheim etc: 1993, S. 577; 2002, S. 692  (Link) [Zugeschrieben: "Heinrich Heine, Gedanken". Ich habe in mehreren digitalisierten Ausgaben von Heinrich Heines "Gedanken" vergeblich nach dem Zitat gesucht.]
Eberhard Puntsch: "Zitatenhandbuch" [Ich muss noch in der ersten Auflage 1965 nachblättern.]
gutzitiert.de 
 

(Artikel in Arbeit; letzte Änderungen: 13/12 2018: 3/9 2020)

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Dank:

Ich danke aphorismen.de für den Hinweis auf das (nichtdigitalisierte) "Zitatenhandbuch" von Eberhard Puntsch.


 

Sonntag, 8. Juli 2018

"Arbeite, als wenn du ewig leben würdest. Liebe, als wenn du heute sterben müsstest." Seneca (angeblich)

Pseudo-Seneca-Zitat.
Dieser Motivationsspruch wird seit 12 Jahren - immer ohne Quellenangabe - dem römischen Philosophen Seneca unterschoben. 

Das Kuckuckszitat ist weder von Wikipedia-RechercheurInnen noch von mir in einem seriösen Nachschlagwerk oder in einem Text Senecas so oder so ähnlich gefunden worden, und hat sich wahrscheinlich aus christlichen Erbauungssprüchen entwickelt, die im 18. und 19. Jahrhundert zur Belehrung verbreitet wurden. 

Aus: "Lebe, als wenn Du heute sterben müsstest", wurde: "Liebe, als wenn Du heute sterben müsstest". (Artikel in Arbeit.)

1736
  • "Demnach arbeite, als wenn du immer leben würdest: Lebe aber dabey so, als wenn Du heute sterben müßtest." S. 438 books.google

1860
  • "Arbeite, als wenn Du ewig leben, lebe, als ob Du jede Minute sterben müsstes ,.."
    C. O. Müller, Leipzig: "Die Predigt des Sarges" S. 196 books.google

1867
  • "Sei fromm, als wenn du heut' noch sterben müsstest, und arbeite, als wenn du ewig leben würdest. — "
    Wander,  (Sailer, 240.); S. 1222 
    books.google
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2002
  • "Arbeite, als wenn Du das Geld nicht brauchst.
    Liebe, als wurdest Du niemals verletzt.

    Tanze, als würde niemand zusehen." seniorenportal.de


2006
  • "ARBEITE, als wenn du ewig leben würdest - LIEBE, als wenn du heute sterben müßtest.  Seneca"
    books.google, S. 160

2012

  • Arbeite, als wenn du ewig leben würdest. Liebe, als wenn du heute sterben müßtest. (Anonym)
    previval.org/forum

2013
  • "Arbeite,
    als wenn du ewig leben würdest.

    Liebe,

    als wenn du heute sterben müsstest.

    Lucius Annaeus Seneca

    (ca. 1 – 65 n. Chr.), römischer Philosoph, Dramatiker, Naturforscher, Staatsmann"

    meinpapasagt.de/arbeite-als-wenn/

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Quellen:
Karl Friedrich Wilhelm Wander: "Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Ein Hausschatz für das deutsche Volk." Erster Band - A bis Gothen, F. A. Brockaus, Leipzig: 1867, S. 1222  books.google
 2013: books.google.at (Seneca); 2015 previval.org/forum (anonym);  2015 kerzen-stueberl.de (Seneca)


Vielen Dank an Ralf Bülow! 

Donnerstag, 5. Juli 2018

"Freiheit ist ein Luxus, den sich nicht jedermann leisten kann." Karl Marx (angeblich)


Pseudo-Karl-Marx-Zitat.
Sixt-Annonce, 1998.

Seit 1874 wird der Satz "Die Freiheit ist ein Luxus, den sich nicht Jedermann gestatten kann" Otto von Bismarck zugeschrieben. 

Seit 1998 wird dieses Bismarck-Zitat Karl Marx unterschoben, das erste Mal von einer Werbeagentur für eine Annonce der deutschen Autovermietungsfirma Sixt

Seither wird es in unseriösen Medien sowie von Politikern wie Gregor Gysi  oder Beate Hartinger-Klein dem 1883 verstorbenen Philosophen Karl Marx zugeschrieben.

In den Werken und Briefen von Karl Marx kommt das Zitat weder so noch so ähnlich vor.

Mehrfach bezeugt ist ein ähnlich Ausspruch Bismarcks zu einem Diplomaten aus dem Jahr 1866:

Entwicklung des Zitats von Bismarck bis Marx:


1866
  • "Nur ein ganz fertiger Staat kann sich den Luxus einer liberalen Regierung gestatten." (Link)
Einige Jahre später taucht das heutzutage Karl Marx untergeschobene Zitat so ähnlich in der Anthologie "Bismarck’s Geflügelte Worte in Bild und Schrift" auf. 

1874
  • "Die Freiheit ist ein Luxus, den sich nicht Jedermann gestatten kann!"
"Bismarck’s Geflügelte Worte in Bild und Schrift", [1874], [S. 20] (Link) 


Wann und wo das Bismarck in diesem Wortlaut gesagt hat, ist noch unbekannt.

1901
  • "Die Freiheit ist ein Luxus, den sich nicht jedermann gestatten kann."
    v. Bismarck.

    "Geistige Waffen: Ein Aphorismen-Lexikon", 1901,
    S. 149 (Link)
 1937
  • "Die wirtschaftliche wie die politische Freiheit ist ein Luxus, der den reichen Ländern vorbehalten ist."
    Raymond Bertrand (Link)
1998
  • "Freiheit ist ein Luxus, den sich nicht jedermann leisten kann." Karl Marx
  • "Freiheit ist ein Luxus, den sich      jedermann leisten kann." Erich Sixt (Link)
2018

  • "Sozialminister Beate Hartinger-Klein (FPÖ) hat den anstehenden Beschluss zur Ausweitung der Arbeitszeit mit einem Zitat des deutschen Philosophen Karl Marx verteidigt. Dieser habe einst gesagt, 'Freiheit ist ein Luxus, den sich nicht jedermann leisten kann'. Mit der nun vorliegenden Arbeitszeit-Regelung 'ist diese Freiheit für jedermann und jederfrau möglich', so die Ressortchefin."
    APA, "Die Presse", 5. Juli 2018


Pseudo-Karl-Marx-Zitat: Die Presse, 5. Juli 2018



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Quellen:
"Bismarck’s Geflügelte Worte in Bild und Schrift", Verlag von W. Moeser, Berlin: [1874], [S. 20] (Link) 
Camille Schaible: "Geistige Waffen: Ein Aphorismen-Lexikon", Verlag von Paul Waetzel, Freiburg i.B. u. Leipzig: 1901, S. 149  (Link)
Internationalen Marx-Engels-Stiftung: MEGAdigital: Online-Angebot der historisch-kritischen Gesamtausgabe von Karl Marx und Friedrich Engels (Link)
Karl Marx archive.org  (In den digitalisierten Texten von Karl Marx ist das Zitat weder so noch so ähnlich zu finden. )
Konrad Löw: "Weise Marximen des guten Onkel Karl. Wie die Werbung Marx verkürzt und so verfälscht ", "Die Welt", 16. Juli 1998 (Link)

Beispiele für falsche Zuschreibungen an Karl Marx:
Gregor Gysi: "Marx u. wir. Warum wir eine neue Gesellschaftsidee brauchen." Aufbau, Berlin: 2018 ebook (books.google)
APA: "Hartinger-Klein verteidigt Arbeitszeit-Paket mit Marx-Zitat", "Die Presse", 5. Juli 2018
zitate-online.de 
gutezitate.com/zitat/185538 

Google books 
Google  




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 Sixt (Link)

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Dank an Wolfgang Gruber und Gerda Hillebrand für den Hinweis auf dieses Falschzitat sowie an Arno Tator für seine Recherchen.

Artikel in Arbeit.

Letzte Änderungen: 22/12 2022 (Zitat 1874 nach Hinweis von Tator.)

"Alle, Herr Dobrindt!" Claudia Roth (angeblich)

Ein ironischer Zwischenruf von Claudia Roth in der Bundestagsdebatte vom 28. Juni 2018 wurde absichtlich und manchmal vielleicht auch wirklich missverstanden, so als hätte sie die Aufnahme von mindestens 70 Millionen Flüchtlingen in Deutschland gefordert.

Auf die rhetorische Frage des CSU-Abgeordneten Alexander Dobrindt: "Was meinen Sie mit einer Untergrenze für Flüchtlinge? 5 Millionen, 10 Millionen? Wieviele von den 70 Millionen ...?",  antwortete die Vizepräsidentin des deutschen Bundestages Claudia Roth: "Nein! Alle, Herr Dobrindt!" -

Es ist klar, dass eine Untergrenze von 70 Millionen Flüchtlingen nicht ernst gemeint sein kann.

Da seit Jahren absurde Lügen über Claudia Roth verbreitet werden, glauben einige schlecht informierte AfD-Wähler und -Wählerinnen vielleicht wirklich, Claudia Roth möchte mindestens 70 Millionen Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen. Es würde zu dem Unsinn passen, der über einen angeblich von Linken  geplanten Bevölkerungsaustauch in rechtsextremen Kreisen verbreitet wird.

Obwohl dem CSU-Abgeordneten Alexander Dobrindt der verrückte Hass auf Claudia Roth bekannt ist, hat auch er die gehässige AfD-Propaganda übernommen und am 4. Juli im Bundestag behauptet, Claudia Roth habe auf die Frage nach der Untergrenze "eine Antwort gegeben, die auch im Protokoll nachzulesen ist ...: 'Alle! Alle!' Sie wollen alle aufnehmen, die auf der Welt als Flüchtlinge unterwegs sind".


 Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 19/42, 28. Juni 2018, S. 4126










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Facebook, 15. Juni 2018

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Quellen:
Florian Neuhann: "Claudia Roth über Flüchtlinge - 'Alle, Herr Dobrindt!' - Geschichte einer Fake News", 4. Juli 2018, zdf.de  (Link)
Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 19/42, Stenografischer Bericht, 42. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2018, S. 4126 (pdf)
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Rechte Lügen über Claudia Roth:
Patrick Gensing: "Grünen-Politikerin Roth - Wenn umdrehen zur Nazi-Methode wird", 24. Mai 2018 faktenfinder.tagesschau.de ;
faktenfinder.tagesschau.de ;
faktenfinder.tagesschau.de/inland/falsche-zitate ;
faktenfinder.tagesschau.de
mimikama.at

Montag, 2. Juli 2018

"Auch aus Steinen, die dir in den Weg gelegt werden, kannst du etwas Schönes bauen." Erich Kästner (angeblich)


Pseudo-Erich-Kästner-Zitat.

Dieser Aphorismus stammt so ähnlich von dem deutschen Fernsehmoderator Robert Lembke aus den 1970er Jahren und wurde später Goethe, Konfuzius und Erich Kästner untergeschoben.

Laut Google-Books-Suchen wurde dieses Bonmot zum ersten Mal im Jahr 1986 (Link) Johann Wolfgang von Goethe untergeschoben, und zwar von dem FDP-Abgeordneten Klaus Beckmann im Deutschen Bundestag anlässlich einer verkehrspolitischen Debatte über die Einführung der Parkkralle in Deutschland:

Im 21. Jahrhundert wird das Zitat abwechselnd Erich Kästner oder Goethe zugeschrieben, obwohl es weder in den Schriften Erich Kästners noch in den Schriften Johann Wolfgang von Goethes zu finden ist.

Pseudo-Goethe-Zitat.

Pseudo-Erich-Kästner-Zitat.

Varianten des Pseudo-Erich-Kästner-Zitats:

  • "Auch mit Steinen die man Dir in den Weg legt kannst Du etwas Schönes bauen."                      
  • "Even if there are stones in your way, you can build something beautiful" 
  • "Even if there are stones in your way, you can build something beautiful with it."  
  • "You can build something beautiful from stones that are put in your way." 
  • "Even the stones that have been placed in one's path can be made into something beautiful."
    "Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen."
     
Noch mehr Versionen dieses Zitats sind in Juttas Zitateblog (Link) versammelt. 


Entwicklung des Kuckuckszitats:


1974, Robert Lembke:
  • "Mit etwas Geschick kann man sich aus den Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, eine Treppe bauen."

1986,  FDP-Abgeordneter Klaus Beckmann:
  • "Aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, wie Goethe sagt, kann man auch Schönes bauen." (Link)
1992, Goethe (angeblich):
  • "Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen."
2000, Erich Kästner (angeblich):
  • "Auch mit Steinen die man Dir in den Weg legt kannst Du etwas Schönes bauen." (Link)
2007, Chinesische Weisheit (angeblich)
  • "Mit dem eigenen Geschick kann man sich aus den Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, eine Treppe bauen." (Link)
2016, Konfuzius (angeblich)
  • "Du sollst aus den Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, eine Brücke bauen.“

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Quellen:
Google
Wolfgang Mieder: "Phrasen Verdreschen: Antiredensarten Aus Literatur Und Medien", Quelle + Meyer: 1999, S. 298 
Robert Lembke: "Das Beste aus meinem Glashaus: Humoristisches und Satirisches"  Fischer, Frankfurt am Main: 1977, S 13 [Zitiert nach Wolfgang Mieder]
Johan Zonneveld: "Bibliographie Erich Kästner." 3 Bände im Schuber. Aisthesis Verlag, Bielefeld: 2011
E-Mail von Dr. Johan Zonneveld vom 2. Juli 2018
Abgeordneter Klaus Beckmann (FDP), 27. Februar 1986: Verhandlungen des Deutschen Bundestages: Stenographische Berichte, Deutscher Bundestag,  Band 137, 1986, S. 15429 (Link)  
Publik-Forum, Band 21, 1992, S 39 (Link)
Lexikon der Goethe-Zitate. Hrsg. von Richard Dobel, Artemis Verlag, Weltbild Verlag, Augsburg: 1991 

Juttas Zitateblog: "Goethe und die Steine, die einem in den Weg gelegt werden – oder sind sie doch von Kästner oder von wem?", 2012 (Link) (Lesenswert.)
E-Mail von Dr. Johann Zonneveld vom 2. Juli 2018

Frühe Zuschreibungen an Erich Kästner:
Dezember 2000: groups.google
August 2001: groups.google 
2001: groups.google.com
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Dank:
Ich danke dem Literaturwissenschaftler Johan Zonneveld, der seit Jahrzehnten Erich Kästners Werk erforscht, für die Bestätigung, dass dieses Zitat in den Schriften und Interviews Erich Kästners nicht zu finden ist. Dank auch an Juttas Zitateblog und Wolfgang Mieder.
 (Artikel in Arbeit.)

Letzte Änderung: 16/7 2023