Montag, 4. März 2019

"Ich bin kein Huhn, aber ich weiss, wann ein Ei faul ist." Karl Kraus (angeblich)

Dieser Lieblingsspruch vieler Kritiker wird Karl Kraus irrtümlich unterschoben und ist in seinen Texten weder so noch so ähnlich zu finden, auch wenn zum Beispiel der streitbare Journalist Henryk M. Broder das Gegenteil behauptet.

Henryk M. Broder, 2018:
  • "Es gibt ein wunderbares Wort von Karl Kraus, den ich als meinen Gott verehre, wahrscheinlich den einzigen, den ich anbete, er hat mal gesagt: 'Ich bin kein Huhn, aber ich weiss, wann ein Ei faul ist.'"
    Henryk M. Broder, 8. Oktober 2018, Sitzung des Petitionsausschusses zur "Erklärung 2018". - twitter, Youtube, ab 4:08

Die erste falsche Zuschreibung einer Variante dieses Spruchs an Karl Kraus stammt aus dem Jahr 1992, also mehr als 50 Jahre nach seinem Tod:


1992

Diese Version des Spuchs ist so ähnlich seit dem Jahr 1907 nachzuweisen, ist aber in keinem Text von Karl Kraus zu finden.

1907
  • um konstatieren zu können, daß ein Ei faul sei, muß ich es da ganz auslöffeln?
    books.google 
Jahrzehntelang wurden Varianten dieses Bonmots ohne Namensnennung des wahrscheinlich anonymen Urhebers verbreitet, bis es im Jahr 1970  erstmals dem in seiner Zeit gefeierten Kritiker Alfred Kerr und zwanzig Jahre danach erstmals dessen Gegner Karl Kraus zugeschrieben wurde.

Seriöse Quellen für diese Zuschreibungen an Kerr oder Kraus werden in den digitalisierten Texten niemals angegeben. Ob ein Satz so oder so ähnlich wirklich in einem Werk Alfred Kerrs vorkommt, kann ich noch nicht sagen.



1948
  • Muß man selbst Eier legen können, um festzustellen, ob ein Ei faul ist?
    Pandora, Heft 2. Aegia Verlag, Ulm: 1948, S. 82 books.google

1955
  • "Wer gibt Ihnen das Recht", sprach der Theaterdirektor zum Kritiker, "diese Tragödie zu verreissen, obwohl Sie selber vermutlich nicht den simpelsten Einakter schreiben können?" "Ich kann", antwortete der Kritiker, auch keine Eier legen - aber ich kann feststellen, ob ein Ei faul ist."
    Gunter Groll: "Magie des Films", in: Filmkunst, 1955, Heft Nr. 2, Juni 1955, S. 25 books.google 

  • 1970: Kerr lächelte kühl. „Ich kann auch keine Eier legen", erklärte er, „aber trotzdem weiß ich, ob ein Ei gut oder schlecht ist. Berliner Illustrierte
2008?

2015
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Quellen:
Gunter Groll: Magie des Films. Kritische Notizen über Film, Zeit und Welt. München: Süddeutscher Verlag 1953,
Pandora, Heft 2. Aegia Verlag, Ulm: 1948, S. 82
 Henryk M. Broder, 8. Oktober 2018, Sitzung des Petitionsausschusses zur "Erklärung 2018". - twitter, Youtube 4:08

In Arbeit.

Mittwoch, 27. Februar 2019

"Der ewige Friede passt als Aufschrift über Kirchhofspforten; denn nur die Toten schlagen sich nicht mehr." Gottfried Wilhelm Leibniz (angeblich)

Dieser Spruch stammt so ähnlich aus einem auf Französisch geschriebenen Brief von Gottfried Wilhelm Leibniz an den französischen Mathematiker, Autor und Historiker Jean-Léonor Le Gallois de Grimarest vom 4. Juni 1712.

Leibniz, 1712

  • »Ich erinnere mich hiebei der Devise eines Kirchhofs: pax perpetua [Zum Ewigen Frieden]; denn die Todten schlagen sich nicht. Die Lebendigen aber sind von einem andern Humor, zumal die Mächtigsten; die respectiren keine Tribunale. Man müßte diese Herren gut bürgerlich in die Bank des Tribunals Caution machen und gerichtlich deponiren lassen, z. B. einen König von Frankreich 100 Millionen Thaler, einen König von Großbritannien nach Verhältnis, daß, falls sie sich dem Spruch des Tribunals widersetzten, dieser mit ihrem eignen Gelde executiv vollstreckt werden können."
    Übersetzung von Johann Gottfried Herder (Link); (andere Übersetzung des Briefes von Wilhelm Borner: archive.org/)
  • "J'ai vu quelque chose dans le projet de  Monsieur de Saint-Pierre  pour maintenir la paix perpétuelle en Europe. Je me souviens de la devise d'un cimetière avec ces mots: pax  perpetua; car les morts ne se battent point; mais les vivants sont  d'une autre humeur, et   les plus puissants ne respectent guère les tribunaux". 

    Gottfried Wilhelm Leibniz an Jean-Léonor Le Gallois de Grimarest, 11. Brief, 4. Juni 1712
Die traurige Wahrheit, dass ewiger Frieden nur unter den Toten möglich ist, hat Leibniz schon 1693 im Vorwort zur seiner Textsammlung "Codex Juris Gentium Diplomaticus" durch eine Anekdote illustriert: Ein  holländischer Spaßvogel habe unter dem Gasthaus-Schild "Zum ewigen Frieden" das Bild eines Friedhofs angebracht.

Diese Anekdote von Leibniz erwähnt Immanuel Kant im ersten Satz seiner Schrift "Zum Ewigen Frieden."

Kant, 1795

  • "Zum Ewigen Frieden
    Ob diese satirische Überschrift auf dem Schilde jenes holländischen Gastwirts, worauf ein Kirchhof gemalt war, die Menschen überhaupt, oder besonders die Staatsoberhäupter, die des Krieges nie satt werden können, oder wohl gar nur die Philosophen gelte, die jenen süßen Traum träumen, mag dahin gestellt sein."
    (Link)

 Leibniz, 1693

  • "Itaque elegans nugator in Bataviscum more gentis signum pro domo suspendisset, pacis perpetuae, pulchro titulo figuram coemeterii subjecerat. Ibi scilicet mors quietem fecit. Et Aizemaclarus harumrerum notitia, etiam Epitaphio testatus est sententiam:

    Qui pacem quaeris libertatemque, Viator,
    Aut nusquam aut isto sub tumulo invenies."
    Gottfried Wilhelm Leibniz: "Codex Juris Gentium Diplomaticus", S. 51 /leibniz.uni-goettingen.de/pdf/
Artikel in Arbeit.
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Quellen: 
Concha Roldan: "Perpetual Peace, Federalsim and the Republic of the Spirits: Leibniz Between Saint-Pierre and Kant", Studia Leibnitiania, Band 43, Heft 1, Franz Steiner Verlag, Stuttgart: 2011, S. 87-102; S. 91  jstor.org 
Gottfried Wilhelm Leibniz: Codex Juris Gentium Diplomaticus (Hannover: 1693) in: Sämtliche Schriften und Briefe, Vierte Reihe, Politische Schriften, 5. Band, hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften un der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Akademie Verlag, Berlin: 2004, S. 51 (pdf)

Leibniz
 books.google.

books.google.
books.google
Schild:  books.google
  (Link)

Samstag, 9. Februar 2019

"Wer weiß, was er will, der hat schon die halbe Arbeit getan." Friedrich Hölderlin (angeblich)

Pseudo-Friedrich-Hölderlin-Zitat.

Dieser Satz wird erst seit kaum fünf Jahren Friedrich Hölderlin unterschoben. 

In seinen digitalisierten Schriften ist er unauffindbar und stammt so ähnlich aus einem seit 1906 mehrfach gedruckten Brief-Fragment des deutschen Malers Hans von Marées:
  • "Der, wer weiß, was er will, hat die halbe Arbeit getan." 

    Brief-Entwurf von Hans von Marées an eine unbekannte Person, undatiert, wahrscheinlich: Rom, 1867; in: Konrad Fiedler: Schriften über Kunst. Hrsg. von Hermann Konnerth, Erster Band, R. Pieper u. Co., München: 1913, S. 369 (Link)
 Auch von dem dänischen Philosophen Søren Kierkegaard ist ein ähnlicher Satz überliefert, aber nicht von Friedrich Hölderlin:
  • "Wofern es wahr ist, was das Sprichwort sagt: Frisch gewagt ist halb gewonnen, so ist auch wahr, daß die Arbeit halb getan ist, ja mehr als halb, wenn die Aufgabe feststeht."

    Søren Kierkegaard: Gesammelte Werke, Band XVIII, Erbauliche Reden in verschiedenem Geist 1847. Eugen Diederichs Verlag: 1966, S. 313 (Link)
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Quellen:
Brief-Entwurf von Hans von Marées an einen unbekannten Adressat, undatiert, wahrscheinlich: Rom,  1867; in: Konrad Fiedler: Schriften über Kunst. Hrsg. von Hermann Konnerth, Erster Band, R. Pieper u. Co., München: 1913, S. 369 (Link)
Søren Kierkegaard: Gesammelte Werke, Band XVIII, Erbauliche Reden in verschiedenem Geist 1847. Eugen Diederichs Verlag, (Jena): 1966, S. 313 (Link) 

Beispiele für falsche Zuschreibungen:
2014: Twitter (frühe falsche Zuschreibung)
2017: Bert Forschelen: "Kompendium der Zitate für Unternehmer und Führungskräfte: Über 5000 Aphorismen für Reden und Texte im Management.", Springer Gabler, Wiesbaden: 2017, S. 70 books.google (Laut Google books ist das die erste Zuschreibung in einer gedruckten Zitatsammlung.)
aphorismen.de/zitat/175251

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Mir fällt dazu auch das alte Sprichwort, "Gut eingeseift ist halb rasiert", ein. Das ist aber zu weit hergeholt.

Freitag, 8. Februar 2019

"Je länger man ein Wort anschaut, desto fremder schaut es zurück." Karl Kraus (angeblich)

Entstelltes Karl-Kraus-Zitat.
Das ist eine entstellte Form eines vielzitierten, auch zum Beispiel von Walter Benjamin hochgeschätzten Aphorismus von Karl Kraus, den er im Juli 1911 in seiner Zeitschrift "Die Fackel" veröffentlichte:

  • "Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück."
    Karl Kraus


Manche Aphorismen hat Karl Kraus für seine späteren Buchausgaben überarbeitet. Diesen nicht. Der Satz steht im selben Wortlaut auch in der Buchausgabe "Pro domo et mundo", die 1912 in München bei Albert Langen erschienen ist.

Der Satz wird oft verändert zitiert, worauf schon 2010 in Juttas Zitateblog hingewiesen wurde:

Statt "je näher" liest man "je länger", statt "sieht" "schaut" oder "blickt ", statt "desto" "umso"  und das Wort "ferner" wird manchmal durch das Wort "fremder" ersetzt.

Diese Entstellungen fallen ohne Zweifel in die Kategorie Verschlechtbesserungen. 


Beispiele für das entstellte Karl-Kraus-Zitat:

  • Je länger man ein Wort anschaut, desto fremder schaut es zurück."
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Quellen:
Karl Kraus: "Die Fackel", Nr. 326-328, 8. Juli 1911, S. 44
Karl Kraus: "Pro domo et mundo", Ausgewählte Schriften, Band IV, Albert Langen, München: 1912, S. 164 
Juttas Zitateblog: "Zitat des Tages: Karl Kraus über Wörter, die man sich näher anschaut", 2010 

In Arbeit. 

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Dank:
Ich danke Peter Plener für den Hinweis auf dieses Zitat in Walter Benjamins handschriftlicher Skizze mit dem Titel "Was ist Aura?".

Sonntag, 3. Februar 2019

"Der Mensch is' gut, aber die Leut' san a G'sindel!" Johann Nestroy (angeblich)

Pseudo-Johann-Nestroy-Zitat.

Dieses populäre Aperçu wird in verschiedenen Varianten Karl Valentin und Johann Nestroy - immer ohne genaue Quellenangabe - zugeschrieben. In ihren digitalisierten Texten ist es unauffindbar.

Die Gegenüberstellung von "guter Mensch" und "grundschlechte Leute" stammt in der Tat von Johann Nestroy.  In Nestroys am 7. Januar 1862 erstaufgeführter Posse "Frühere Verhältnisse" steht die Zeile:
  • "So gibt's viel gute Mensch'n, aber grundschlechte Leut'."
    Johann Nestroy: "Frühere Verhältnisse", Posse mit Gesang in einem Akt, (1862) Fünfte Szene (Link) 

Fast ein Jahrhundert später, im Jahr 1950, publizierte Erich Kästner das Epigramm "Für Stammbuch und Stammtisch" mit den Versen: "Die Menschen sind gut, / bloß die Leute sind schlecht".

Zwei Jahre nach der Publikation dieses Epigramms erschien ein Buch des Zeichners Karl Arnold mit dem Titel: "Der Mensch ist gut - Aber die Leut san a G'sindel".

Und zehn Jahre nach dem Erscheinen von Karl Arnolds Buch wird dieser Spruch meinen Recherchen nach erstmals Karl Valentin unterschoben, später dann auch Johann Nestroy.

Inzwischen wird die Variante mit dem "Gesindel" meistens Johann Nestroy zugeschrieben und die Variante "die Leut' sind schlecht" meistens Karl Valentin.

Im Jahr 1962 wurde noch Karl Valentin die "G'sindel"-Variante des Aperçus unterschoben.

Der Kabarettist Gerhard Polt, der Sachbuchautor Georg Markus und die Herausgeber eines Nestroy-Buches für Anfänger glauben, der Satz stamme von Johann Nestroy, fast genau so oft wird behauptet, er stamme von Karl Valentin.

Meinen bisherigen Recherchen nach hat den Satz so ähnlich Erich Kästner, vielleicht angeregt durch Johann Nestroy, geprägt, und die Variante mit dem "Gesindel" kam erst nach dem Tod Karl Valentins auf.

Pseudo-Karl-Valentin-Zitat.

Ich halte es deswegen für unwahrscheinlich, dass der Satz von Karl Valentin stammt, kann aber nicht ganz ausschließen, dass zukünftige Recherchen zu einem anderen Ergebnis kommen.

In den vollständig digitalisierten Schriften Johann Nepomuk Nestroys ist der fragliche Satz in dem ihm zugeschriebenen Wortlaut nicht enthalten.

Erstmals Johann Nestroy unterschoben wurde das Zitat anscheinend im Jahr 1986 in dem  Roman "Die drei Kalender" ( Zsolnay) von dem österreichischen Autor Fritz Habeck.

Varianten:



Chronologie und Quellen:


1862
 
  • Die Rasse guter Mensch'n is noch lang' nicht ausg'storb'n,
    Doch werd'n s' durch böse Leut' oft verleit't und verdorb'n. –
    Man hat Geld, fangt ein G'schäft an, da b'sucht ei'm ein Mann,
    Tragt mit redlichem Sinn Kompagnieschaft ei'm an –
    Er sagt, er hat Vermög'n, versteht alls aus 'n Grund,
    Man schließt ab – jetzt kommt 's G'schäft durch ihn etwas au'm Hund.
    Manchen Mißgriff zwar könnt' er noch gutmachen wohl;
    Doch da rat'n ihm die Freund', daß 'r in d' Schweiz flüchten soll –
    Er nimmt 's Rest'l aus der Kassa und 's Tags drauf is er weit –
    So gibt's viel gute Mensch'n, aber grundschlechte Leut'.
  • "So giebt’s viel’ gute Mensch’n, aber grundschlechte Leut’."
  • Johann Nestroy: "Frühere Verhältnisse", Posse mit Gesang in einem Akt, Erstaufführung am 7. Januar 1862, Fünfte Szene, Lied von "Muffl", 1. Strophe (Link)

 1870
  • "Ohnehin sagt ein wetterharter Isarthaler, dessen 70jähriges Auge noch verständig und frisch hervorblitzt unter den Brauen: „die Zeit ist gut, aber d' Leut' san schlecht"  books.google 

1919:
  • "Der Mensch ist gut, die Menschen sind schlecht."
    Fred Heller (Link)


1950:
  • Für Stammbuch und Stammtisch

    Freunde, nur Mut!
    Lächelt und sprecht:
    'Die Menschen sind gut,
    bloß die Leute sind schlecht.'


    Erich Kästner: Kurz und bündig. Epigramme. (1950) In: Gesammelte Schriften, Band 1,  Gedichte, Atrium Verlag, Zürich: 1959, S. 345 (Link)


Erich Kästner, Erstausgabe 1950.


1952:

Titel eines Buches von Karl Arnold: Der Mensch ist gut - Aber die Leut san a G'sindel"
Karl Arnold: Erstausgabe 1952.


1962
  • Dazu ein Ausspruch des Münchener Komikers Karl Valentin: „Der Mensch ist gut, aber die Leut' san a G'sindel!“
    Ludwig Kapeller: "Das Schimpfbuch", Erdmann: 1962, S. 129 
    (Link)


1986
  • "Einer der schönsten Sätze Nestroys: Der Mensch ist gut, aber die Leut sind ein Gesindel."
    Fritz Habeck: "Die drei Kalender" Roman, Zsolnay, Wien: 1986, S. 142 (Link)


1999
  • »Der Mensch is guat, nur die Leut', die Leut' san a Gsindl!« Diesen Ausspruch könnte man als Motto oder Wahlspruch der österreichischen Seele bezeichnen. Er stammt vom unsterblichen Johann Nepomuk Nestroy,
    Arbeit und Wirtschaft (Link)

2010

  • "Polt : Oder wie es der Nestroy formuliert hat: Der Mensch an und für sich ist gut, aber die Leut’ sind ein Gesindel. Ein wunderbarer Spruch. Diese Distanz tut einem Humoristen gut."

    Hanns-Bruno Kammertöns: Wann hört der Spaß auf?, Interview mit Gerhard Polt,  ZEIT Nr. 50/2010, 9. Dezember 2010 (Link)


2012
  • Eine Prise Misanthropie: »Der Mensch is guad, de Leit' san schlecht!«  Karl Valentin (Link)  

2018 
  • "Der Mensch is guad, de Leit' san schlecht!" Karl Valentin (angeblich) SPIEGELOnline 

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Quellen:
 J.N. Nestroy, Stich- u. Schlagworte. Zusammengestellt von Reinhard Urbach, Verlag Christian Brandstätter, Wien: 1984 (Das angebliche Nestroy-Zitat ist  in dieser Sammlung nicht enthalten.)
Johann Nestroy: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe – Index und Konkordanz  Nestroy-Werke.at (Das angebliche Nestroy-Zitat ist in dieser sorgfältig gemachten Digitalisierung weder so noch so ähnlich zu finden.)

Erich Kästner: Kurz und bündig. Epigramme. (1950) In: Gesammelte Schriften, Band 1,  Gedichte, Atrium Verlag, Zürich: 1959, S. 345 (Link)
Karl Arnold: "Der Mensch ist gut, aber die Leut san a G'sindel", Dulk, Hamburg: 1952 (Erstausgabe)

Beispiele für Zuschreibungen an Johann Nestroy: 
Fritz Habeck: "Die drei Kalender" Roman, Zsolnay, Wien: 1986, S. 142 (Link)
Johann Nestroy: "Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang: Nestroy für Anfänger." Mit einem Vorwort von Andreas Vitásek, Amalthea, Wien: 2012 Ebook (Link)
Georg Markus: "Wenn man trotzdem lacht: Geschichte und Geschichten des österreichischen Humors." Amalthea, Wien: 2014 Ebook (Link)
Hanns-Bruno Kammertöns: Wann hört der Spaß auf?, Interview mit Gerhard Polt,  ZEIT Nr. 50/2010, 9. Dezember 2010 (Link) 

Beispiele für Zuschreibungen an Karl Valentin:
Ludwig Kapeller: "Das Schimpfbuch", Horst Erdmann Verlag, Herrenalb/Schwarzwald: 1962, S. 129  (Link)
quotez.net 
"Die schönsten Karl-Valentin-Zitate" 8/20, SPIEGELOnline, 9. Februar 2018 (Link)


Kästner und Valentin 

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Dank:
Ich danke Dieter Chmelar für den Hinweis auf dieses Zitat und Ralf Bülow für seine Recherchen dazu.


In Arbeit. 

Samstag, 26. Januar 2019

"Habe das Schicksal lieb, denn es ist der Gang Gottes durch die Seele." Thomas von Aquin (angeblich)

Diese angebliche Thomas-von-Aquin-Maxime ist kaum 10 Jahre alt, existiert anscheinend nur auf Deutsch und wird immer ohne Quellenangabe zitiert.

Pseudo-Thomas-von-Aquin-Zitat.

Wer dieses Kuckuckszitat geprägt hat, ist unbekannt. Da das Zitat erst mehr als 700 Jahre nach dem Tod Thomas von Aquins aufgetaucht und in keinem seriösen Nachschlagwerk zu finden ist, sollte man davon ausgehen, dass es ihm unterschoben wurde, solange keine lateinische Quelle angegeben wird.

Der erste Teil der Maxime ("Habe das Schicksal lieb") wiederholt die von Friedrich Nietzsche geprägte Devise "amor fati" ("Liebe zum Schicksal"), eine Devise, die mehr zu einer heidnisch-stoischen Weltsicht passt als zur christlichen Lehre Thomas von Aquins.

Die Metapher vom "Gang Gottes" wurde im 18. Jahrhundert geprägt und  meistens im Zusammenhang mit der Entwicklungsgeschichte der Menschheit verwendet.

Johann Gottfried Herder spricht vom "Gang Gottes unter die Nationen" und der Philosoph Hegel schreibt in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts, es sei "der Gang Gottes in der Welt, dass der Staat ist ...".

Kenner der Schriften Thomas von Aquins, wie der Theologe Nikolaus Wandinger vom Innsbrucker Institut für Systematische Theologie, halten es für völlig unwahrscheinlich, dass das angebliche Zitat je in einem Text Thomas von Aquins so oder so ähnlich gefunden werden wird.

Pseudo-Thomas-von-Aquin-Zitat.

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Quellen:
Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 25
E-Mail von Nikolaus Wandinger vom 26. Januar 2019

Beispiele für falsche Zuschreibungen:
Twitter 15. Juli 2010 (frühe Zuschreibung)
aphorismen.de/zitat/23473
gutezitate.com/zitat/275062
karmel-duisburg.eu

In Arbeit.
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Dank:
Ich danke Eduard Habsburg für den Hinweis auf dieses Kuckuckszitat und Nikolaus Wandinger vom Innsbrucker Institut für Systematische Theologie für seine Auskunft.

Donnerstag, 24. Januar 2019

"Die herrschende Geschichtsschreibung ist die Geschichtsschreibung der Herrschenden." Karl Marx (angeblich)

Das Zitat kommt in diesem Wortlaut in den Schriften von Karl Marx nicht vor und ist wahrscheinlich als Paraphrase eines Satzes aus dem Kommunistischen Manifest ("Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse") entstanden.

Das im rechten politischen Spektrum beliebte angebliche Karl-Marx-Zitat mit den Worten "die herrschende Geschichtsschreibung" wird erst im 21. Jahrhundert Karl Marx zugeschrieben.

In der erst 1932 publizierten Studie "Die Deutsche Ideologie" zur nachhegelianischen Philosophie und im Kommunistischen Manifest schreiben Karl Marx und Friedrich Engels von den "herrschenden Ideen" und den "herrschenden Gedanken" als Ausdruck der materiellen Verhältnisse und der herrschenden Klasse und nicht von der "herrschenden Geschichtsschreibung".


Karl Marx, Friedrich Engels 1846 und 1848:


  • "Was beweist die Geschichte der Ideen anders, als daß die geistige Produktion sich mit der materiellen umgestaltet?

    Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse."

    Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, 1848, IV. Marx/Engels, MEW 4, S. 480 (Link)
     
  • Hieraus folgt, daß diese Umwandlung der Geschichte in Weltgeschichte nicht etwa eine bloße abstrakte Tat des "Selbstbewußtseins", Weltgeistes oder sonst eines metaphysischen Gespenstes ist, sondern eine ganz materielle, empirisch nachweisbare Tat, eine Tat, zu der jedes Individuum, wie es geht und steht, ißt, trinkt und sich kleidet, den Beweis liefert.

    Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken
    , d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.

    Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, disponiert damit zugleich über die Mittel zur geistigen Produktion, so daß ihr damit zugleich im Durchschnitt die Gedanken derer, denen die Mittel zur geistigen Produktion abgehen, unterworfen sind.

    Die herrschenden Gedanken sind weiter Nichts als der ideelle Ausdruck der herrschenden materiellen Verhältnisse, die als Gedanken gefaßten herrschenden materiellen Verhältnisse; also der Verhältnisse, die eben die eine Klasse zur herrschenden machen, also die Gedanken ihrer Herrschaft. Die Individuen, welche die herrschende Klasse ausmachen, haben unter Anderm auch Bewußtsein und denken daher; insofern sie also als Klasse herrschen und den ganzen Umfang einer Geschichtsepoche bestimmen, versteht es sich von selbst, daß sie dies in ihrer ganzen Ausdehnung tun, also unter Andern auch als Denkende, als Produzenten von Gedanken herrschen, die Produktion und Distribution der Gedanken ihrer Zeit regeln; daß also ihre Gedanken die herrschenden Gedanken der Epoche sind.

    Zu einer Zeit z.B. und in einem Lande, wo königliche Macht, Aristokratie und Bourgeoisie sich um die Herrschaft streiten, wo also die Herrschaft geteilt ist, zeigt sich als herrschender Gedanke die Doktrin von der Teilung der Gewalten, die nun als ein "ewiges Gesetz ausgesprochen wird.

    Karl Marx, Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie. 1845/46 verfasst; EA 1932/33 Marx/Engels, MEW 3, S. 46 (Link)
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Quellen:
Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, 1848, IV. Marx/Engels, MEW 4, S. 480 (Link)
Karl Marx, Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie. 1845/46 verfasst; EA 1932 Marx/Engels, MEW 3, S. 46 (Link)
Beispiele für das Falschzitat:
Google Nachdenkseiten, Das Gelbe Forum
Twitter
NZZ 23. Januar 2019


In Arbeit.
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Peter Paul Zahl: Geschichtsschreibung ist immer Geschichtsschreibung der Herrschenden
1987  books.google ?