Das im rechten politischen Spektrum beliebte angebliche Karl-Marx-Zitat mit den Worten "die herrschende Geschichtsschreibung" wird erst im 21. Jahrhundert Karl Marx zugeschrieben.
In der erst 1932 publizierten Studie "Die Deutsche Ideologie" zur nachhegelianischen Philosophie und im Kommunistischen Manifest schreiben Karl Marx und Friedrich Engels von den "herrschenden Ideen" und den "herrschenden Gedanken" als Ausdruck der materiellen Verhältnisse und der herrschenden Klasse und nicht von der "herrschenden Geschichtsschreibung".
Karl Marx, Friedrich Engels 1846 und 1848:
- "Was beweist die Geschichte der Ideen anders, als daß die geistige
Produktion sich mit der materiellen umgestaltet?
Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse."
Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, 1848, IV. Marx/Engels, MEW 4, S. 480 (Link)
- Hieraus folgt, daß diese Umwandlung der Geschichte in Weltgeschichte
nicht etwa eine bloße abstrakte Tat des "Selbstbewußtseins", Weltgeistes
oder sonst eines metaphysischen Gespenstes ist, sondern eine ganz
materielle, empirisch nachweisbare Tat, eine Tat, zu der jedes
Individuum, wie es geht und steht, ißt, trinkt und sich kleidet, den
Beweis liefert.
Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.
Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, disponiert damit zugleich über die Mittel zur geistigen Produktion, so daß ihr damit zugleich im Durchschnitt die Gedanken derer, denen die Mittel zur geistigen Produktion abgehen, unterworfen sind.
Die herrschenden Gedanken sind weiter Nichts als der ideelle Ausdruck der herrschenden materiellen Verhältnisse, die als Gedanken gefaßten herrschenden materiellen Verhältnisse; also der Verhältnisse, die eben die eine Klasse zur herrschenden machen, also die Gedanken ihrer Herrschaft. Die Individuen, welche die herrschende Klasse ausmachen, haben unter Anderm auch Bewußtsein und denken daher; insofern sie also als Klasse herrschen und den ganzen Umfang einer Geschichtsepoche bestimmen, versteht es sich von selbst, daß sie dies in ihrer ganzen Ausdehnung tun, also unter Andern auch als Denkende, als Produzenten von Gedanken herrschen, die Produktion und Distribution der Gedanken ihrer Zeit regeln; daß also ihre Gedanken die herrschenden Gedanken der Epoche sind.
Zu einer Zeit z.B. und in einem Lande, wo königliche Macht, Aristokratie und Bourgeoisie sich um die Herrschaft streiten, wo also die Herrschaft geteilt ist, zeigt sich als herrschender Gedanke die Doktrin von der Teilung der Gewalten, die nun als ein "ewiges Gesetz ausgesprochen wird.
Karl Marx, Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie. 1845/46 verfasst; EA 1932/33 Marx/Engels, MEW 3, S. 46 (Link)
Quellen:
Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, 1848, IV. Marx/Engels, MEW 4, S. 480 (Link)
Karl Marx, Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie. 1845/46 verfasst; EA 1932 Marx/Engels, MEW 3, S. 46 (Link)
Beispiele für das Falschzitat:
Google Nachdenkseiten, Das Gelbe Forum
NZZ 23. Januar 2019
In Arbeit.
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Peter Paul Zahl: Geschichtsschreibung ist immer Geschichtsschreibung der Herrschenden
1987 books.google ?