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Mittwoch, 17. Mai 2017

"Ich hasse, was du sagst, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass du es sagen darfst." Voltaire (angeblich)

Pseudo-Voltaire quote.
Voltaire lebte gerne und war klug genug, nicht einmal für seine eigenen Ideen sein Leben zu riskieren. Er war zweimal in der Bastille und benützte für seine Polemiken gegen die katholische Kirche und andere Mächte alles in allem 130 Pseudonyme, damit er nicht noch einmal ins Gefängnis musste. Er war ein "Freund der Wahrheit, aber überhaupt kein Freund des Märtyrertums" (Link).

Er wäre auch nicht für den Unsinn eines Anderen in den Tod gegangen. Trotzdem ist dieser Spruch seit Jahrzehnten eines der populärsten Zitate Voltaires, obwohl schon 1989 nachgewiesen wurde, dass das Zitat von seiner Biografin Evelyn Beatrice Hall aus dem Jahr 1906 stammt, und erst später irrtümlich Voltaire selbst zugeschrieben wurde.

Evelyn Beatrice Hall hat sich - wie Garson O'Toole herausfand - 1945 entschuldigt, dass sie den Satz, "I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it", in Anführungszeichen setzte, so dass das Missverständnis aufkam, das sei ein Voltaire-Zitat (Link).  

Einige Varianten des Pseudo-Voltaire-Zitats:

  • "I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it."
  • "I do not agree with what you have to say, but I'll defend to the death your right to say it."
  • "Ich missbillige, was Sie sagen, aber ich werde bis zum Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen." 
  • "Ich hasse, was du sagst, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass du es sagen darfst."
  • "Du bist anderer Meinung als ich und ich werde dein Recht dazu bis in den Tod verteidigen." 

Voltaire

Der Philosoph, Historiker und Dramatiker Voltaire war in der Tat eine der lautesten Stimmen im 18. Jahrhundert für Toleranz und gegen Zensur. 

Zwei Sätze, die er wirklich zu Toleranz und Zensur gesagt hat:

1764, Für Toleranz
  • "Es ist klar, dass ein Individum, das ein anderes, seinen Bruder, verfolgt, weil es nicht seine Meinung teilt, ein Monster (un monstre) ist."

    "Il est clair que tout particulier qui persécute un homme, son frère, parce qu'il n'est pas de son opinion, est un monstre."
    Voltaire:
    Dictionnaire philosophique, 1764 "Tolérance"

1765, Gegen Zensur

  • "Das Recht zu sagen und zu drucken, was wir denken, ist das Recht eines jeden freien Menschen, das man nicht leugen kann, ohne die abscheulichste Tyrannei auszuüben. Dieses Vorrecht ist für uns ebenso wichtig wie die Ernennung unserer Verwalter und Politiker, das Eintreiben von Steuern, die Entscheidung über Krieg und Frieden; und es wäre ein Hohn, wenn diejenigen, die die Souveränität haben, ihre Meinung nicht schriftlich äußern könnten. "
    Voltaire: Questions sur les miracles (Link)
  • "Le droit de dire et d'imprimer ce que nous pensons est le droit de tout homme libre, dont on ne saurait le priver sans exercer la tyrannie la plus odieuse. Ce privilège nous est aussi
    essentiel que celui de nommer nos auditeurs et nos syndics, d'imposer des tributs, de décider de la guerre et de la paix; et il serait plaisant que ceux en qui réside la souveraineté ne pussent pas dire leur avis par écrit."
    VOLTAIRE: Questions sur les miracles

  • "The right to say and print what we think is the right of every free man, who cannot be deprived of it without exercising the most odious tyranny."
    VOLTAIRE, Questions sur les miracles

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Quellen:
Voltaire: Dictionnaire philosophique, 1764: "Tolérance"
Voltaire: Philosophical Dictionary, 1764: "Toleration"
Wikiquote: Diskussion Voltaire
Evelyn Beatrice Hall (Pseudonym: S. G. Tallentyre): "The Friends of Voltaire", John Murray, London: 1906, S. 199 (Link)
Voltaire: "Questions sur les miracles", 1765, ŒUVRES COMPLÈTES de Voltaire, 25 Mélanges IV, GARNIER FRÈRES, LIBRAIRES-ÉDITEURS, Paris: 1879, S. 418f. (Link)
Voltaire: "The Sincere Huron." (French Classics Series), Kindle Edition, e-artnow: 2016 (Link)
1989: Paul F. Boller jr., John George: "They Never Said It: A Book of Fake Quotes, Misquotes, and Misleading Attributions", Oxford University Press, Oxford / New York: 1989, S. 124 ff.
2011: anmerkungendonecvenias: "Was hat Voltaire wirklich zur Meinungsfreiheit gesagt?" 
2015: Garson O'Toole (Quote Investigator): "I Disapprove of What You Say, But I Will Defend to the Death Your Right to Say It - Voltaire? François-Marie Arouet? S. G. Tallentyre? Evelyn Beatrice Hall? Ignazio Silone? Douglas Young? Norbert Guterman?", 2015 (Link)

Montag, 25. November 2019

"Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen: Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen." Immanuel Kant (angeblich)

Der Satz: "Der Himmel hat den Menschen als Gegengewicht zu den vielen Mühseligkeiten des Lebens drei Dinge gegeben: Die Hoffnung, den Schlaf und das Lachen",  ist eine verkürzte, aber nicht sinnentstellende Wiedergabe eines Gedankens aus Immanuel Kants "Kritik der Urteilskraft":

Immanuel Kant, 1790:


  • "Voltaire sagte, der Himmel habe uns zum Gegengewicht gegen die vielen Mühseligkeiten des Lebens zwei Dinge gegeben: die Hoffnung und den Schlaf. Er hätte noch das Lachen dazu rechnen können; wenn die Mittel es bei Vernünftigen zu erregen nur so leicht bei der Hand wären, und der Witz oder die Originalität der Laune, die dazu erforderlich sind, nicht ebenso selten wären, als häufig das Talent ist, kopfbrechend, wie mystische Grübler, halsbrechend, wie Genies, oder herzbrechend, wie empfindsame Romanschreiber (auch wohl dergleichen Moralisten), zu dichten."

    Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, § 54 Anmerkung, S. 203 (Link);  /Link)

Voltaire hat den großen Wert von Schlaf und Hoffnung für die geplagte Menschheit in seinem Epos über Heinrich IV. (Le Henriade) gefeiert:

Voltaire, Le Henriade, 1728

  • "Gott, dessen Macht und Huld uns aus dem Nichts gerissen, 
    Hat, um die Pilgrimschaft des Lebens zu versüssen,
    Dis Rund mit Zweyerley zur Linderung begabt,
    Des glücklicher Besitz den Mensch beständig labt,
    Als Stütze bey der Müh, als Schatz, im Mangel offen;
    Dis ist der süsse Schlaf, das andre ist das Hoffen."

    Voltaire: "Heldengesang auf Heinrich dem Vierdten, König in Frankreich", übersetzt von Friedrich Heinrich von Schönberg, 1751, S. 108f.; französisch, S. 95: (Link)

Schon ein paar Jahre nach der Erstveröffentlichung der "Kritik der Urteilskraft" wurde der Gedanke Kants ohne Hinweis auf dessen Ursprung bei Voltaire zitiert:

  • "Hoffnung, Schlaf und Lachen sind, wie Kant sagt, die drei specifischsten Mittel, uns die Uebel der Welt vergessen zu machen, und die Wiener, ohne Kant zu kennen, wenden diese Mittel an."

    Carl L. Fernow, 1794 (Link)

Verkürztes Immanuel-Kant-Zitat.


Artikel in Arbeit.
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Quellen:
Google
Immanuel Kant: "Kritik der Urteilskraft." Mit Einleitung und Bibliographie herausgegeben von Heiner F. Klemme und Anmerkungen von Piero Giordanetti. Felix Meiner Verlag, Hamburg: 2009, S. 458 (Anmerkung zu Voltaire) [Druckfehler: Huls statt Huld]  (Link)
Voltaire: "Le Henriade" (1728, London) Les frères Perisse, Lyon: 1807, S. 95 (Link)
Voltaire: "Heldengesang auf Heinrich dem Vierdten, König in Frankreich". Übersetzt von Friedrich Heinrich von Schönberg auf Zschaiten, Druckts Johann Christoph Krause, Dresden: 1751 S. 108f.
__
"Trunkenheit, Hofnung und Schlaf. wodurch Menschen sich selbst gegen die Übel bewafnen"
Notiz von Immanuel Kant, etwa 1770 (Link)

________
Dank:
Ich danke Michael Oberst für den Hinweis auf dieses verkürzte Zitat.









Dienstag, 31. Oktober 2017

"Wer dich veranlassen kann, Absurditäten zu glauben, der kann dich auch veranlassen, Gräueltaten zu begehen." Voltaire (angeblich)

Das ist ein zugespitztes Voltaire-Zitat; das Original klingt weniger alarmistisch. Voltaire schreibt in seinen "Untersuchungen über die Wunder" (1765) nicht von "Gräueltaten", sondern von "ungerecht" (injuste) machen:

 Voltaire, 1765
  •  "Certainement qui est en droit de vous rendre absurde est en droit de vous rendre injuste." (Link)
Übersetzung, 1788
  • "Wer berechtigt ist, einen ungereimt zu machen, kann ihn auch ungerecht machen."
    (Link)
______
  • "Sicher, wer dich von Absurditäten überzeugen kann, kann Dich auch zu Ungerechtigkeiten verleiten."
    Übersetzung: von mir
  •  "Certainly any one who has the power to make you believe absurdities has the power to make you commit injustices."
    Übersetzung: Norman Lewis Torrey
______
Wie Wikiquoter herausgefunden haben, hat sich auf Englisch schon seit dem 19. Jahrhundert die extremere Version eingebürgert:

  • "Those who can make you believe absurdities, can make you commit atrocities".

Durch die Übersetzungen der Bestseller von Richard Dawkins und Steven Pinker (Google) sowie durch Zitatesammlungen hat sich diese ungenaue Übersetzung von Voltaires Gedanken auch auf Deutsch verbreitet:
  • "Wer dich veranlassen kann, Absurditäten zu glauben, der kann dich auch veranlassen, Gräueltaten zu begehen." 

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Quellen:
 Google
Voltaire: Questions sur les miracles, 11. Brief an M. Corvelle (1765), Oeuvres completes de Voltaire. Band 16, 1784,  S. 451 (Link)
Voltaire: Untersuchung über die Wunder in Briefen, 11. Brief, Voltair's sämtliche Schriften: Sechszehnter Band, Band 16, Arnold Wever, Berlin:1788, S. 365 (Link)
 Norman Lewis Torrey: Les Philosophes. The Philosophers of the Enlightenment and Modern Democracy. Capricorn Books, New York: 1961, S. 277f.
Wikiquote E
 Wikiquote

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Dank:
Wikiquote Diskussionen

"Wenn du wissen willst, wer dich beherrscht, mußt du nur herausfinden, wen du nicht kritisieren darfst." Voltaire (angeblich)

Pseudo-Voltaire quote.
Dieses in konservativen amerikanischen Kreisen äußerst beliebte Zitat wird seit kaum 10 Jahren irrtümlich Voltaire zugeschrieben, aber der Spruch stammt nicht von dem französischen Philosophen aus dem 18. Jahrhundert, sondern aus dem Text eines vorbestraften rechtsextremen amerikanischen Holocaust-Leugners aus dem Jahr 1993:
  •  "To determine the true rulers of any society, all you must do is ask yourself this question: who is it that I am not permitted to criticise? We all know who it is that we are not permitted to criticise. We all know who it is that it is a sin to criticise. Sodomy is no longer a sin in America. Treason, and burning and spitting and urinating on the American flag is no longer a sin in America. Gross desecration of Catholic or Protestant religious symbols is no longer a sin in America. Cop-killing is no longer a sin in America – it is celebrated in rap ‘music’."
    Kevin Alfred  Strom: "All America Must Know the Terror", National Vanguard, 1993 (Link)
  Aus diesem Absatz entstanden diese Sprüche und ähnliche:
  • "To determine the true rulers of any society, all you must do is ask yourself this question: Who is it that I am not permitted to criticize?"
  • "To learn who rules over you, simply find out who you are not allowed to criticize."
  • "Um zu erfahren, wer über euch herrscht, braucht ihr nur herauszufinden, wen ihr nicht kritisieren dürft."

Pseudo-Voltaire quote.

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Quellen:
Google
Paul Gibbard, University of Western Australia, davor: Voltaire Foundation in Oxford, in:  "Cory Bernardi mistakenly 'quotes' Voltaire on Twitter with neo-Nazi's line", The  Guardian, 27. November 2015 (Link)
Kevin Alfred  Strom: "All America Must Know the Terror", National Vanguard:1993 (Link)

 

 

 

Letzte Änderung: 29/11 20121 (Dank an Hermann Bianchi für Korrektur.)

Sonntag, 22. November 2020

"Misstraue den Menschen, die die Wahrheit gefunden haben und vertraue denen, die sie suchen." Voltaire (angeblich)

 

Pseudo-Voltaire-Zitat.
Dieses auf Englisch sehr beliebte angebliche Voltaire-Zitat ("Cherish those who seek the truth but beware of those who find it") wird dem 1778 verstorbenen französischen Philosophen erst über 200 Jahre nach seinem Tod erstmals zugeschrieben, und ist noch von niemandem in seinen Schriften gefunden worden.

Nachweisbar ist die falsche englischsprachige Zuschreibung an Voltaire ab dem Jahr 2007 zuerst in Amazon-Kundenrezensionen, seit dem Jahr 2009 zum Beispiel auch auf Twitter (Link)

 

Früheste falsche Zuschreibungen:

 
2007

2008 

Entstanden könnte das Kuckuckszitat aus einer Fehlerinnerung an einen Satz des französischen Literaturnobelpreisträgers André Gide sein:

 

André Gide:

  • "glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben; zweifle an allem, aber nicht an dir."
  • "believe those who are seeking the truth ; doubt those who find it ; doubt everything, but don 't doubt of yourself. (Link)   
  • "croyez ceux qui cherchent la vérité, doutez de ceux qui la trouvent; doutez de tout, mais ne doutez pas de vous-même."
 "Journal d'André Gide 1939-1949, Souvenirs" 1954, S. 1233 (archive.org)
 
Gelobt und gefeiert wurden die Sucher nach Wahrheit auch von Gotthold Ephraim Lessing, den Albert Einstein gerne zitierte:
 

Albert Einstein, 1955:

  • "Wie dem auch sei, bleibt uns Lessings tröstendes Wort, das Streben nach der Wahrheit sei köstlicher als deren gesicherter Besitz." 

___________

Quellen:

Google

 "Journal d'André Gide 1939-1949, Souvenirs", Librairie Gallimard, [Paris]: 1954, Kapitel: ainsi soit-il, S. 1233 (archive.org) 

Wikiquote Talk

dict.leo.org/forum 

Frühe falsche Zuschreibungen:

Amazon Kundenrezension  2. Oktober 2007 (amazon.co.uk)

Amazon Kundenrezension  4. März 2008,   (amazon.com)

Twitter 2009 (Link)

Albert Einstein: "Erinnerungen — Souvenirs." Verfasst im März 1955, kurz vor seinem Tod; für: "Schweizerische Hochschulzeitung" Nr. 28,  Sonderheft 100 Jahre ETH, Zürich: Herbst 1955, S. 145-153; S. 153 (pdf)

Gerald Krieghofer: " Die Suche nach Wahrheit ist köstlicher als deren gesicherter Besitz." 20. Mai 2017 (Link)

 

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Dank:

Ich danke Susanne Günther für ihre Frage nach diesem Zitat und den Leuten von Wikiquote für die Mitteilung ihrer vergeblichen Recherchen.




 

 

 

 


Mittwoch, 16. Januar 2019

"Wenn ein Arzt hinter dem Sarg seines Patienten geht, so folgt manchmal tatsächlich die Ursache der Wirkung." Voltaire (angeblich)

Dieser Witz aus dem 19. Jahrhundert wird in den digitalisierten Texten (immer ohne Quellenangabe) seit 1994 dem Philosophen Voltaire und seit dem Jahr 2004 dem Medizin-Nobelpreisträger Robert Koch zugeschrieben.

Wahrscheinlich Pseudo-Robert-Koch-Zitat.

Pseudo-Voltaire-Zitat.


Im Jahr 1896 steht dieser Witz in folgender Version in einer k.u.k. Provinzzeitung in der Rubrik "Humor der Woche" :

  • "Eine Ausnahme.

    Ein Professor verkündet vom Lehrstuhl herab:
    'Niemals kann somit die Ur­sache der Wirkung folgen, sondern umgekehrt --'

    'Verzeihen Sie, Herr Professor, ich kenne eine Ausnahme.'

    'Unsinn!'

    'Doch, Herr Professor. Wenn zum Beispiel ein Arzt die Leiche eines Patienten auf den Kirchhof begleitet, so folgt die Ursache der Wirkung.'"

    Anonym: Montags-Revue aus Böhmen, 9. November 1896,  Rubrik: Humor der Woche, S. 2 (Link)  
Ich habe diese Professoren-Anekdote anonymen Ursprungs in keinem digitalisierten Text Voltaires auf französisch oder auf deutsch gefunden und würde sie ohne Quellenangabe auch nicht Robert Koch zuschreiben.

Vielleicht aber findet jemand noch eine Quelle in den Schriften Robert Kochs oder in den Erinnerungen eines seiner Zeitgenossen. Dass sie jemals in einem Text Voltaires gefunden werden wird, halte ich für unwahrscheinlich.

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Quellen:
Google
Anonym: Montags-Revue aus Böhmen, 9. November 1896,  Rubrik: Humor der Woche, S. 2 (Link)
Dank:
Ich danke Wolfgang Gruber für die Frage.

Montag, 5. Juni 2017

"Alles, was du sagst, sollte wahr sein. Aber nicht alles, was wahr ist, solltest du sagen." Voltaire (angeblich)


Pseudo-Voltaire quote.
Dieses Zitat wird seit ungefähr 2006 auf Deutsch Voltaire unterschoben.  Bislang hat es meines Wissens noch niemand in Voltaires Schriften entdecken können. (Artikel in Arbeit)


1733:  
  • "Mais la vérité ne suffit pas ; la justice est nécessaire ; toute vérité n'est pas bonne à dire, ni par conséquent à jurer." Google
 1788
  • "man muß nicht alles sagen, was wahr ist - toute vérité n'est pas bonne à dire"
    (Link)

JJ Rousseau (Link) 


1995:
  • "The following German proverb might be a helpful guide in many situations: Everything you say should be true, but not everything that is true needs to be told."
    (Link)

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Quellen:
"Der Standard", 3./4./5. Juni 2017, S. 30
2006: albertmartin.de/ Forum 

2006:  (Link)
(Artikel in Arbeit)

Dienstag, 30. Mai 2017

"Zurück zur Natur!" Jean-Jacques Rousseau (angeblich)

Pseudo-Rousseau quote.



Dieses populäre Rousseau-Zitat ist in seinen Werken so wenig zu finden wie der Terminus vom "Edlen Wilden" (bon sauvage, noble savage), der Jean-Jacques Rousseau fast ebenso oft fälschlich zugeschrieben wird. Rousseaus Gedanken werden durch diese unterschobenen Zitate verfälscht. Immanuel Kant verehrte Rousseau, dessen Porträt als einziges Bild in seinem Arbeitszimmer hing, aus ganz anderen Gründen:
Immanuel Kant:
  • "Ich bin selbst aus Neigung ein Forscher. Ich fühle den gantzen Durst nach Erkentnis u. die begierige Unruhe darin weiter zu kommen oder auch die Zufriedenheit bey jedem Erwerb. Es war eine Zeit da ich glaubte dieses allein könnte die Ehre der Menschheit machen u. ich  verachtete den Pöbel der von nichts weis. Rousseau hat mich zurecht gebracht. Dieser verblendende Vorzug verschwindet, ich lerne die Menschen ehren u. ich würde mich unnützer finden wie den gemeinen Arbeiter wenn ich nicht glaubete daß die Betrachtung allen übrigen einen Werth ertheilen könne, die rechte der Menschheit herzustellen".                               
Varianten:
  • „Retour à la nature!“
  • "Zurück zur Natur!"
Brief von Voltaire an Jean-Jacques Rousseau, 30. August 1755:
  • "Man hat noch nie so viel Geist aufgewendet, um uns zurück zu den Tieren zu schicken, man bekommt Lust, auf vier Pfoten zu laufen, wenn man Ihr Werk liest." 
    "On n’a jamais employé tant d’esprit à vouloir nous rendre bêtes; il prend envie de marcher à quatre pattes, quand on lit votre ouvrage."  (Link)

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Quellen:
Lutz Röhrich: "Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten." Herder, Freiburg / Basel / Wien: 1994, Bd 3 S. 1085f.
Antwort auf die Preisfrage (von "Der Sprachdienst", 1989, Heft 5) nach frühen deutschen Belegen von: "Zurück zur Natur!" von Ralf Bülow in: "Der Sprachdienst", Jg. XXXIV, 1990, Heft 2 (Link)
Gutezitate.com
Gerd Irrlitz: "Kant-Handbuch. Leben und Werk." Verlag J.B. Metzler, Stuttgart / Weimar: 2002 (Link) 
Brief von Voltaire, Les Délices bei Genf, an Jean-Jacques Rousseau, 30. August 1755 (Link)
Auszug aus Will Durant: "Kulturgeschichte der Menschheit", Bd. 15, I,  (Link)

 
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Ich danke Ralf Bülow für den Hinweis auf dieses Falschzitat.

Donnerstag, 9. November 2017

"Lieber Freund, entschuldige meinen langen Brief, für einen kurzen hatte ich keine Zeit." Charlotte von Stein (angeblich)

Pseudo-Wolfgang-von-Goethe-Zitat.
Dieser Satz wird außer Charlotte von Stein auch Voltaire, Goethe, Churchill, Mark Twain und vielen anderen - immer ohne genaue Quellenangabe - zugeschrieben. In keiner ihrer Schriften ist dieses Zitat allerdings gefunden worden.

Der Satz stammt so ähnlich aus dem Postskriptum eines etwa 40-seitigen Briefes des französischen Mathematikers und Philosophen Blaise Pascal aus dem Jahr 1656:
  • "Ich habe den gegenwärtigen Brief aus keiner andern Ursach so lang gemacht, als weil ich nicht Zeit hatte, ihn kürzer zu machen." 

    Blaise Pascal, 16. Brief, 4. Dezember 1656, Übersetzung: 1792, S. 263
    (Link)
  • "Nachschrift. Ehrwürdige Väter, meine Briefe pflegten nicht so schnell auf einander zu folgen und auch nicht so lang zu sein. Die wenige Zeit, die ich hatte, ist Ursache von dem einen wie von dem andern. Ich habe diesen Brief nur deshalb länger gemacht, weil ich nicht Muße hatte ihn kürzer zu machen."

    Blaise Pascal, 16. Brief, Übersetzung von Karl Adolf Blech, 1841, S. 364 (Link)
  • "Je n’ai fait celle-ci plus longue que parce que je n’ai pas eu le loisir de la faire plus courte."

    Blaise Pascal,
    4. Dezember 1656   (Link)
Garson O'Toole (Quote Investigator) ist der englischen Geschichte dieses Satzes nachgegangen (Link).

Wenn ich mich nicht irre, ist die falsche Zuschreibung des Zitats an Frau von Stein noch keine 20 Jahre alt. Da es weder in einem seriösen Zitat-Lexikon noch in sonst einer seriösen Quelle Charlotte  von Stein zugeschrieben wird, muss man davon ausgehen, dass es ihr so wie Voltaire, Goethe und einigen anderen irrtümlich unterschoben wurde.

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ZITATFORSCHUNG unterstützen.

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Quellen:
Google, Google
Fred R. Shapiro: The Yale Book of Quotations, Yale University Press, New Haven: 2006, S. 583
Quoteinvestigator: "If I Had More Time, I Would Have Written a Shorter Letter  Blaise Pascal? John Locke? Benjamin Franklin? Henry David Thoreau? Cicero? Woodrow Wilson?" 2012 (Link)
Johann Wolfgang Goethe: Repertorium sämtlicher Briefe 1764 - 1832  (Link)
Blaise Pascal: Provinzialbriefe über die Sittenlehre und Politik der Jesuiten ..., Band 2, 1792,  16. Brief, An die Ehrwürdigen Väter von der Gesellschaft Christi, 4. Dezember 1656, S. (219-)263 (Link)

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Artikel in Arbeit.



 Letzte Änderung: 22/6 2020

Montag, 23. April 2018

"Jeder Tag ist eine neue Chance, das zu tun, was du möchtest." Friedrich Schiller (angeblich)


Pseudo-Friedrich-Schiller quote.

Dieses Zitat wird erst seit ein paar Jahren Friedrich Schiller unterschoben, ist aber in der kurzen Zeit schon recht erfolgreich und dient sogar einer 'Schillerschule' in Deutschland und einer internationalen Schule in der Schweiz als Motto.

Vor dem Jahr 2014 habe ich dieses Friedrich-Schiller-Kuckuckszitat in den digitalisierten Texten so wenig gefunden wie in den Schriften Friedrich Schillers.

Viele Varianten dieses Zitats sind international als Motivationsspüche sehr beliebt, haben aber alle nichts mit Friedrich Schiller zu tun.


1884
  • "Every day is a new chance for a fresh start. Let us bear in mind the homely adage, — 'If you've forgotten to bo good, and taken up with sinning. Begin again, begin again, all life is but beginning!" Let us remember that though.' " (Link)
1919
  • "Every day is a new chance at life, a new chance at our job, a chance to correct our mistakes and blunders." (Link)
1985
  • "Everyday is a new opportunity. Every success, every joy, and every adversity provides substance with which to grow." Peter Ways (Link)
1998
  • "every day is a new chance to change your mind and start over." (Link)

2000
  • "Inspiriert von New-Age-Autoren wie dem Psycho-Guru Wayne Dyer, verschickte Rijkaard einst aufrüttelnde Privatpost: 'Jeder Tag ist eine neue Chance. Sei zufrieden mit dir selbst.'"   (Link)
2001
  • "Jeder Tag ist eine neue Chance. Sich ein Leben lang in Selbsthass zu verzehren hilft niemandem."  (Link)
2003
  • "lhr Lebensmotto?/ Lebe jeden Tag bewußt und nütze alle Möglichkeiten, die sich für einen neuen Anfang bieten! Jeder Tag ist eine neue Chance, um etwas aus seinem Leben zu machen!"  (Link)
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2016
  • "'Jeder Tag ist eine neue Chance, das zu tun, was du möchtest.' Friedrich Schiller" (Link)

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Motivationssprüche


  • "Everyday is a new chance to be great. Let’s be great."
  • "Everyday is a new chance to become better."
  • "Everyday is a new chance to be a better person, to do good and correct past mistakes."
  • "Everyday is a new chance to make history."
  • "Everyday is a new chance to show the world your brilliance and make it a better place. Be awesome today!"  
  • "Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden." Mark Twain (angeblich)

Twitter, 2020:

 

 

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ZITATFORSCHUNG unterstützen.

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Quellen:
Google
Google
Beispiele für frühe falsche Zuschreibung an Friedrich Schiller:
Nadine Grubenmann: "Ausgewählte Weisheiten, Zitate und Sprichworte aus aller Welt: Inkl. Bauernregeln und einigen Eselsbrücken", BoD - Books on Demand, Norderstedt: 2016, S. 74
Schillerschule Griesheim.de
Lycée international de Ferney-Voltaire, Deutsche Abteilung, Jahrbuch 2016, S. 5  espace.cern.ch
lebens-zitate.de
zitate.woxikon.de

Beispiel für eine falsche Zuschreibung an Mark Twain:
motivate-yourself.de

Artikel in Arbeit.

Letzte Änderung: 27/6 2020.

Samstag, 13. März 2021

"Ich glaube jedem, der die Wahrheit sucht. Ich glaube keinem der sie gefunden hat." Kurt Tucholsky (angeblich)

Pseudo-Kurt-Tucholsky-Zitat.
 

Dieses Pseudo-Kurt-Tucholsky-Zitat ist wohl aus einem berühmten Satz des französischen Autors André Gide entstanden, den zum Beispiel auch der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky gerne zitierte:


  • "Glaube denen, die die Wahrheit suchen und zweifle an denen, die sie gefunden haben."
    "Croyez ceux qui cherchent la vérité, doutez de ceux qui la trouvent."

Erstausgabe: 1952.

Der weise Ratschlag steht in André Gides autobiographischem Essay "Ainsi soit-il ou Les jeux sont faits", den er in seinen letzten zwei Lebensjahren verfasst hat und der kurz nach seinem Tod erstmals im Jahr 1952 und später als Anhang zu seinen Tagebüchern publiziert wurde.
 
  • André Gide: " Journal 1939-1949. Souvenirs." Librairie Gallimard, Paris: 1954, S. 1233
    (archive.org).

  • "Ich bringe keine Lehre; ich lehne es ab, Ratschläge zu geben, und in einer Diskussion ziehe ich mich schnell zurück. Aber ich weiß, dass heute viele zaghaft ihren Weg suchen und nicht wissen, wem sie vertrauen sollen. Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben; zweifle an allem, aber zweifle nicht an dir. In den Worten Christi ist mehr Licht als in jedem anderen menschlichen Wort. Dies scheint nicht genug zu sein, um ein Christ zu sein: darüber hinaus muss man glauben. Nun, ich glaube nicht. Nachdem ich das gesagt habe, bin ich dein Bruder."
    André Gide; "Ainsi soit-il ou Les jeux sont faits " (1952) "So Sei Es oder Die Würfel sind gefallen." (1953)

 

Varianten des André Gide-Zitats:

 
  • "Vertrauen Sie denen, die nach der Wahrheit suchen, und misstrauen sie denen, die sie gefunden haben.
  • "Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben."
  • "vertraue (nur) denen die nach der wahrheit suchen"
  • "Man soll denen vertrauen, die Wahrheit suchen,  aber denen misstrauen, die sie gefunden haben."
  • "Traue jedem, der die Wahrheit sucht. Mißtraue jedem, der die Wahrheit gefunden hat!"
  • "Believe those who are seeking the truth; doubt those who find it."  

 

Kurt Tucholsky wurde der Satz etwas verändert erst im 21. Jahrhundert untergeschoben und ist in seinen Werken nicht zu finden, worauf  Friedhelm Greis, ein anerkannter Kenner von Tucholskys Werken, in seinem Sudelblog aufmerksam gemacht hat.

 Das Kuckuckszitat taucht in diesem Wortlaut erstmals 2006 als Motto in einem Buch über die "Optimale Besteuerung riskanter Einkünfte" (Link) auf und wird seit 2009 in den sozialen Medien und seit 2010 in Zeitungen  verbreitet.

Inzwischen gilt der Satz in einigen Online-Zitate-Sammlungen als Kurt-Tucholsky-Zitat und wird auch in Texten gegen Fake-News, also in Texten, die wissenschaftliche Redlichkeit verteidigen wollen, Kurt Tucholsky unterschoben (Link).

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Dass die Suche nach der Wahrheit mehr wert ist als ihr Besitz, hat Gotthold Ephraim Lessing einmal postuliert, und Albert Einstein, Goethe, Kierkegaard sowie Hannah Arendt haben ihm zugestimmt.


Gotthold Ephraim Lessing: "Eine Duplik", 1778

  •  "Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist oder zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Werth des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit bestehet. Der Besitz macht ruhig, träge, stolz –.

    Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte und spräche zu mir: 'Wähle!' ich fiele ihm mit Demuth in seine Linke und sagte: 'Vater gieb! die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!'"

    G. E. Lessing: "Über die Wahrheit" (Gutenberg)

 

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Quellen: 

Google  

(archive.org) 

André Gide: "Ainsi soit-il ou Les jeux sont faits " (1952) in:  André Gide: "Journal 1939-1949. Souvenirs." Librairie Gallimard, Paris: 1954, S. 1233 (archive.org).
Friedhelm Greis: "Angebliche Tucholsky-Zitate"  (Sudelblog)
Garson O'Toole: "Believe Those Who Are Seeking the Truth; Doubt Those Who Find It: Václav Havel? André Gide? François Truffaut? Marcel Proust? John Dingell Sr.? Luis Buñuel? Amanda Palmer? Voltaire? Anonymous?", 2013 (quoteinvestigator.com)
Gotthold E. Lessing: "Eine Duplik." (Erstdruck 1778) In: Lessing's sämmtliche Werke, herausgegeben von Richard Gosche, G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung, Berlin: 1882, Siebenter Band, S. 286f.
G. E. Lessing: "Über die Wahrheit"(Gutenberg) 
G.K.:  "Die Suche nach Wahrheit ist köstlicher als deren gesicherter Besitz." 2013 (Link)
.wikiquote.org/wiki/Diskussion  [Noch keine Quelle für das Gide-Zitat gefunden.]
 
Beispiele für falsche Zuschreibungen: 

2006: Dirk Schindler: "Optimale Besteuerung riskanter Einkünfte: Das Konzept der Triple Income Tax" Mohr Siebeck, Tübingen 2006, S. 1 (Link) [Das ist die früheste falsche Zuschreibung laut chronologischen Suchen in den digitalisierten Texten. Wie der Autor auf dieses Kuckuckszitat gekommen ist, weiss ich nicht.]
2009: Twitter, 6. Mai 2009 7:30 nachm. (Link)
2010: Kölner Stadt-Anzeiger, Leserforum, 23. Juni 2010 (Link)
2020: Peter Johannes Meier: "Verschwörungsmythen: Das Denken der Anderen", Beobachter, 5. Juni 2020 (beobachter.ch)
 
 
 
 Artikel in Arbeit.
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Dank:
Ich danke Friedhelm Greis für seine Dokumenation falscher Kurt-Tucholsky-Zitate auf seinem auch sonst lesenswerten Sudelblog, Garson O'Toole für seinen gründlichen Artikel zu diesem Zitat und Ralf Bülow für seine Recherchen und seinen Hinweis auf Lessing.
 

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Anhang


  • "Der Umgang mit Wahrheit und Verschwörung reisst offenbar Gräben durch die Gesellschaft. Dagegen hilft vielleicht der Rat des Schriftstellers Kurt Tucholsky (1890–1935): «Ich glaube jedem, der die Wahrheit sucht. Ich glaube keinem, der sie gefunden hat.»"
    Peter Johannes Meier: "Verschwörungsmythen: Das Denken der Anderen" (beobachter.ch)

Sonntag, 30. September 2018

"Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten." Rabindranath Tagore (angeblich)

Pseudo-Rabindranath-Tagore-Zitat.

Dem bengalischen Dichter und Philosophen Rabindranath Tagore, dem ersten nicht europäischen Nobelpreisträger für Literatur, werden die Verse, "Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten", auf Deutsch seit 1961 zugeschrieben, auf Englisch erst Jahrzehnte später. Die Verse stammen aber so ähnlich vom deutschen Autor, Kabarettisten und Maler Joachim Ringelnatz.

Der Garten ist eine alte Metapher für das Paradies und nicht erst durch Voltaire wurde er eine Metapher für das geglückte Leben. 
  • Genesis 2:15
    "Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, daß er ihn baute und bewahrte." 
Am Ende von Voltaires Roman "Candide" erinnert ein kleiner türkischer Obstbauer den Optimisten Pangloss, den Pessimisten Martin und den Ex-Optimisten Candide an die Lebensweisheit, dass nur die Arbeit "drei große Übel von uns fernhalte: Langweile, Laster und Not." 

Alle drei stimmen dem zu, und Martin schlägt vor: "Lasst uns arbeiten ohne nachzudenken, das ist das einzige Mittel, das Leben erträglich zu machen".  Der Roman endet nach einer letzten Schönrednerei von Pangloss mit dem berühmten letzten Satz: "'Sehr richtig', sagte Candide, 'aber wir müssen unseren Garten bestellen'" ("Cela est bien dit, répondit Candide, mais il faut cultiver notre jardin"). 

1931 publiziert Joachim Ringelnatz ein Kindergedicht mit dem Titel "Kinder weinen":
  • "Kinder weinen.
     Narren warten.
     Dumme wissen.
     Kleine meinen.
     Weise gehen in den Garten."
    Joachim Ringelnatz,
    "Kinder-Verwirr-Buch", 1931

Entwicklung des angeblichen Rabindranath-Tagore-Zitats:


20 Jahre nach Rabindranath Tagores Tod stand in der Zeitschrift "Wissenschaft und Weltbild":

1961
  • Er (Tagore) dachte hier wie Haiku: „Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten." Eben, um sich zu versenken und zu betrachten. Das Leitbild, das ihn aus Indien inspirierte, führte in die Tiefe des sich Versenken können.  (Link)

Hier wird also noch nicht behauptet, Rabindranath Tagore habe diesen Aphorismus geprägt, sondern nur, er würde am besten seine Lebensphilosophie zusammenfassen. Vor 1961 ist diese Zuschreibung an indischen Nobelpreisträger in den digitalisierten Texten weder auf Deutsch noch auf Englisch zu finden.

Fünf Jahre später, war man sich schon sicher, die Verse stammten von Tagore:


1966
  • Rudolf Dobersch hat frühzeitig bei dem indischen Dichter Tagore einen Ausspruch gefunden, der ihm der Schlüssel zur wahren Lebensweisheit zu sein scheint, nämlich: 'Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten.' (Link)
Seitdem wird der gereimte Aphorismus fast immer  Rabindranath Tagore zugeschrieben. Nach den digitaliserten Quellen zu beurteilen, hat er ihn aber selbst so nie gesagt.

Ich kann natürlich nicht ausschließen, dass er nicht doch noch einmal in einem nicht digtalisierten Werk Tagores gefunden wird, halte es aber für eher unwahrscheinlich und glaube, korrekter Weise müsste man den  schönen Aphorimus als Variante des Kindergedichts "Kinder weinen" von Joachim Ringelnatz bezeichnen.  

Fest steht, dass bisher noch niemand eine seriöse Quelle zu diesem Zitat in den aus dem Bengalischen übersetzten Schriften Rabindranath Tagores publiziert hat.


Varianten: 

  • Kinder weinen. Narren warten. Dumme wissen. Kleine meinen. Weise gehen in den Garten. - 1931
  • Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten. - 1961
  • Dumme laufen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten
  • Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen durch den Garten.
  • Narren hasten, Kluge warten, Weise gehen in den Garten.
  • Fools hurry, the clever wait, the wise enter into the garden-gate. - 1989 
  • The dumb run, the clever wait, the wise go into the garden. - 2012

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Quellen:
Joachim Ringelnatz: "Kinder-Verwirr-Buch", 1931, in: Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 2: Gedichte, Zürich: 1994, S. 17 (vorerst zitiert nach zeno.org)
Ian Jack: "Rabindranath Tagore was a global phenomenon, so why is he neglected?", The Guardian, 7. Mai 2011 (Link)  
Tagores Werke wurden aus dem Englischen ins Deutsche übertragen.
Rabindranath Tagore: THE GARDENER Translated by the author from the original Bengali , 1915 (Link)

groups.google 
http://www.tagoreweb.in/
(Link) S. 367

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Artikel in Arbeit.
(Link)

(Link)  S. 83 Rorormono

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Ich danke Ralf Bülow für seine Hinweise.