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Montag, 4. März 2019

"Ich bin kein Huhn, aber ich weiss, wann ein Ei faul ist." Karl Kraus (angeblich)

Dieser Lieblingsspruch vieler Kritiker wird Karl Kraus irrtümlich unterschoben und ist in seinen Texten weder so noch so ähnlich zu finden, auch wenn zum Beispiel der streitbare Journalist Henryk M. Broder das Gegenteil behauptet.

Henryk M. Broder, 2018:
  • "Es gibt ein wunderbares Wort von Karl Kraus, den ich als meinen Gott verehre, wahrscheinlich den einzigen, den ich anbete, er hat mal gesagt: 'Ich bin kein Huhn, aber ich weiss, wann ein Ei faul ist.'"
    Henryk M. Broder, 8. Oktober 2018, Sitzung des Petitionsausschusses zur "Erklärung 2018". - twitter, Youtube, ab 4:08

Die erste falsche Zuschreibung einer Variante dieses Spruchs an Karl Kraus stammt aus dem Jahr 1992, also mehr als 50 Jahre nach seinem Tod:


1992

Diese Version des Spuchs ist so ähnlich seit dem Jahr 1907 nachzuweisen, ist aber in keinem Text von Karl Kraus zu finden.

1907
  • um konstatieren zu können, daß ein Ei faul sei, muß ich es da ganz auslöffeln?
    books.google 
Jahrzehntelang wurden Varianten dieses Bonmots ohne Namensnennung des wahrscheinlich anonymen Urhebers verbreitet, bis es im Jahr 1970  erstmals dem in seiner Zeit gefeierten Kritiker Alfred Kerr und zwanzig Jahre danach erstmals dessen Gegner Karl Kraus zugeschrieben wurde.

Seriöse Quellen für diese Zuschreibungen an Kerr oder Kraus werden in den digitalisierten Texten niemals angegeben. Ob ein Satz so oder so ähnlich wirklich in einem Werk Alfred Kerrs vorkommt, kann ich noch nicht sagen.



1948
  • Muß man selbst Eier legen können, um festzustellen, ob ein Ei faul ist?
    Pandora, Heft 2. Aegia Verlag, Ulm: 1948, S. 82 books.google

1955
  • "Wer gibt Ihnen das Recht", sprach der Theaterdirektor zum Kritiker, "diese Tragödie zu verreissen, obwohl Sie selber vermutlich nicht den simpelsten Einakter schreiben können?" "Ich kann", antwortete der Kritiker, auch keine Eier legen - aber ich kann feststellen, ob ein Ei faul ist."
    Gunter Groll: "Magie des Films", in: Filmkunst, 1955, Heft Nr. 2, Juni 1955, S. 25 books.google 

  • 1970: Kerr lächelte kühl. „Ich kann auch keine Eier legen", erklärte er, „aber trotzdem weiß ich, ob ein Ei gut oder schlecht ist. Berliner Illustrierte
2008?

2015
______

Quellen:
Gunter Groll: Magie des Films. Kritische Notizen über Film, Zeit und Welt. München: Süddeutscher Verlag 1953,
Pandora, Heft 2. Aegia Verlag, Ulm: 1948, S. 82
 Henryk M. Broder, 8. Oktober 2018, Sitzung des Petitionsausschusses zur "Erklärung 2018". - twitter, Youtube 4:08

In Arbeit.

Freitag, 8. Februar 2019

"Je länger man ein Wort anschaut, desto fremder schaut es zurück." Karl Kraus (angeblich)

Entstelltes Karl-Kraus-Zitat.
Das ist eine entstellte Form eines vielzitierten, auch zum Beispiel von Walter Benjamin hochgeschätzten Aphorismus von Karl Kraus, den er im Juli 1911 in seiner Zeitschrift "Die Fackel" veröffentlichte:

  • "Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück."
    Karl Kraus


Manche Aphorismen hat Karl Kraus für seine späteren Buchausgaben überarbeitet. Diesen nicht. Der Satz steht im selben Wortlaut auch in der Buchausgabe "Pro domo et mundo", die 1912 in München bei Albert Langen erschienen ist.

Der Satz wird oft verändert zitiert, worauf schon 2010 in Juttas Zitateblog hingewiesen wurde:

Statt "je näher" liest man "je länger", statt "sieht" "schaut" oder "blickt ", statt "desto" "umso"  und das Wort "ferner" wird manchmal durch das Wort "fremder" ersetzt.

Diese Entstellungen fallen ohne Zweifel in die Kategorie Verschlechtbesserungen. 


Beispiele für das entstellte Karl-Kraus-Zitat:

  • Je länger man ein Wort anschaut, desto fremder schaut es zurück."
  __________
Quellen:
Karl Kraus: "Die Fackel", Nr. 326-328, 8. Juli 1911, S. 44
Karl Kraus: "Pro domo et mundo", Ausgewählte Schriften, Band IV, Albert Langen, München: 1912, S. 164 
Juttas Zitateblog: "Zitat des Tages: Karl Kraus über Wörter, die man sich näher anschaut", 2010 

In Arbeit. 

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Dank:
Ich danke Peter Plener für den Hinweis auf dieses Zitat in Walter Benjamins handschriftlicher Skizze mit dem Titel "Was ist Aura?".

Donnerstag, 23. August 2018

"Das Gegenteil von gut ist gut gemeint". Karl Kraus (angeblich)

Dieses Sprichwort wurde Karl Kraus vier Jahrzehnte nach seinem Tod erstmals unterschoben. Es ist weder so noch so ähnlich in seinen Schriften zu finden.

Entstanden ist dieses Sprichwort, das auch Bertolt Brecht, Erich Kästner, Friedrich Torberg und Kurt Tucholsky fälschlich zugeschrieben wird, aus einem längeren Satz von Gottfried Benns Essay "Roman als Phänotyp" aus dem Jahr 1958:


Genese des Sprichworts (mit falschen Zuschreibungen):


1958, Gottfried Benn
  • "Es hat sich allmählich herumgesprochen, daß der Gegensatz von Kunst nicht Natur ist, sondern gut gemeint; Stil ist eine bösartige Neubildung, eine letale."
    Gottfried Benn: "Roman des Phänotyp", 1958  (Link);  (Link)
1967
  • "(Vielleicht muß man Heidegger ins Französische übersetzen, um ihn zu verstehen.) Gottfried Benn: 'Das Gegenteil der Kunst ist nicht die Natur; das Gegenteil der Kunst ist — , gut gemeint'.'" (Link)
1974
  • "In der Kunst und in der Politik ist gut gemeint das Gegenteil von gut. Andre Malraux " (Link)
1976
  • "Das Gegenteil von Kunst, sagt Gottfried Benn, ist »gut gemeint« ..." (Link) 
 1977
  • "Das Gegenteil von gut ist gut gemeint". (Link) 
1981
  • "Man würde also in dieser Beilage sicher einmal und recht bald einem der aktuellsten Sätze von Gottfried Benn begegnen: «Das Gegenteil von gut ist gut-gemeint.»"  (Link)
1983
  • "Das Gegenteil von 'gut' heißt nach Karl Kraus in der Politik 'gut gemeint'" .   (Link)
1983
  • "Nach Bert Brecht ist das Gegenteil von 'gut' oft 'gut gemeint'". (Link)
1989
  • "'Das Gegenteil von gut ist nicht schlecht, sondern gut gemeint.' — (weil man nicht zu Ende denkt, HCR). Karl Kraus " (Link)
1990
  • "Aber ein Aphorismus von Karl Kraus lautet: 'Das Gegenteil von gut ist gut gemeint'."  (Link) 
2015
  • "'Gut gemeint', sagte einst der Kulturkritiker Karl Kraus, 'ist ein anderes Wort für schlecht.'" (Link)  

 Varianten

 

  • "Doch gut gemeint ist oft nicht nur das Gegenteil von Kunst, sondern auch ein nur entfernter Verwandter der Wahrheit."
  • "Von Gottfried Benn haben wir jedoch gelernt, dass das Gegenteil von Kunst nicht Natur ist, sondern gut gemeint."  (Link) 
  • "Das Gegenteil von Kunst, sagt Gottfried Benn, ist »gut gemeint«". 
  • "Gut gemeint ist in der Regel das Gegenteil von gut gemacht". 
  • "Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint."  
  • "Gut gemeint ist meist das Gegenteil von gut."   
  • "Dass „gut gemeint" oft das Gegenteil von „gut" ist - das ist in Österreich ein geflügeltes Wort." 

"Das Gegenteil von gut ist gut gemeint" wurde 1996  zum Titel eines Songs der Hip-Hop-Band Kinderzimmer Productions, mit den Zeilen: "Denn das Gegenteil von gut ist gut gemeint / Habt ihr kapiert!"
_________
Quellen:
Gottfried Benn: „Roman des Phänotyp“. Gesammelte Werke in vier Bänden: Bd. Prosa und Szenen.  Limes Verlag, Wiesbaden: 1958, S. 161f.  Google Books
Österreichische Akademie der Wissenschaften, AAC: "DIE FACKEL" (1899-1936) von Karl Kraus (digitale Edition)  
Wikiquote
german.stackexchange.com/questions 
Friedhelm Greis: Sudelblog, Angebliche Tucholsky-Zitate
 -
Das Sprichwort wurde auch Bertolt Brecht, Erich Kästner, Friedrich Torberg, Kurt Tucholsky  und anderen unterschoben.
archive.org 
1974: Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974, S. 127 (Link)
1996: google.com/search Bertolt Brecht
2002: groups.google Tucholsky
2017: Tassilo Wallentin: "Der Bärendienst", Kronen Zeitung (Krone Bunt), 19. März 2017  (Link) Tucholsky

Beispiele für falsche Zuschreibungen an Karl Kraus:
1983: Horst Bieber: "Guter Wille mit Verspätung", DIE ZEIT 47/1983, 18. November 1983 (Link) 
1990: books.google 
2002:  books.google   
2009: derstandard.at
2015 books.google  
theeuropean.de/kraus-karl

Dienstag, 22. Mai 2018

"Ein Psychiater ist ein Mann, der sich keine Sorgen zu machen braucht, solange andere Menschen sich welche machen." Karl Kraus (angeblich)

Pseudo-Karl-Kraus-Zitat.

Dieses Kuckuckszitat wird Karl Kraus seit ungefähr 20 Jahren - immer ohne Quellenangabe - unterschoben und ist in seinen digitalisierten Texten weder so noch so ähnlich zu finden.

Das falsche Zitat wird auch durch Twitter-Bots verbreitet:




__
Pseudo-Karl-Kraus-Zitat.

Entstanden  ist dieses Kuckuckszitat anscheinend im Usenet. Im Juni 1999 taucht in einer Diskussionsgruppe ohne Zuschreibung an Karl Kraus eine Wendung auf, die dem angeblichen Karl-Kraus-Zitat schon sehr ähnlich ist:
  • "aber es ist doch sinnlos dieses zum Diskussionsgegenstand zu machen; sollte man lieber dem Psychotherapeuten (einer der sich keine Sorgen zu machen braucht, solange andere sich noch welche machen) überlassen"
    Hans-Peter Popowsiki, 20. Juni 1999 de.etc.beruf.selbstaendig
Ein halbes Jahr später wird dann in einer anderen Diskussionsgruppe dieser Satz - leicht verändert - Karl Kraus unterschoben.

  • "-- Ein Psychiater ist ein Mann, der sich keine Sorgen zu machen braucht,
    -- solange andere Menschen sich welche machen.--
    (Karl Kraus, öst. Schriftsteller 1874-1936)"

    Heiko Bauke, 5. Mai 2000 de.comp.os.unix.linux.moderated
Ob Heiko Bauke wirklich der Erste war, der das Zitat Karl Kraus unterschoben hat, kann ich noch nicht sagen.
_______
Quellen:
Google
Twitter 
Österreichische Akademie der Wissenschaften, AAC: "DIE FACKEL" von Karl Kraus (digitale Edition)
Hans-Peter Popowsiki, 20. Juni 1999 de.etc.beruf.selbstaendig

Frühe falsche Zuschreibungen:
2000: Heiko Bauke, 5. Mai 2000 de.comp.os.unix.linux.moderated
2001: de.alt.arnooo - Schämen
2007: chefkoch.de/forum/
Der Jüdische Kalender, Ölbaum Verlag, Wien: 2007, S. 15 (Google)


Letzte Änderung: 1/10 2019

Samstag, 28. April 2018

"Die wirklich gefährlichen Heuchler heucheln Desinteresse." Karl Kraus (angeblich)


Bildspruch Spruchbild www.spireo.de


Dieses Kuckuckszitat taucht 2003 im Usenet ohne Zuschreibung an Karl Kraus(s) auf und wird ihm erst seit Kurzem im Internet unterschoben.

Weder in Briefen und Schriften von Karl Kraus noch in digitalisierten Zeitungen und Büchern ist dieser Aphorismus einer unbekannten Person zu finden.

Die Wendung "Desinteresse heucheln" für "Pokerface" scheint in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden zu sein.

Ein Beispiel:
  • "Verbreitet sind unter den Affen diverse Methoden, die Aufmerksamkeit ihrer Mitaffen zu manipulieren. Zum Beispiel heucheln sie Desinteresse und lenken so einen Futterkonkurrenten von einem Leckerbissen ab, oder sie schreien, wenn sie einen taktischen Gewinn davon haben, falschen Alarm. Sie führen Artgenossen in die Irre, sie verbergen Dinge oder sich selber."
    Ariane Barth: "Die Lehren der Affen", Der Spiegel 18/1992, 27. April 1992 (Link)


Bildspruch Spruchbild www.spireo.de __________
Quellen:
Ariane Barth: "Die Lehren der Affen", Der Spiegel 18/1992, 27. April 1992 (Link)
Anonym: 28.08.2003 22:03 my-mania.eu/board/thread (ohne Zuschreibung an Karl Kraus; in einer Liste vor einem fast korrekt wiedergegebenen Aphorismus von Karl Kraus)

Karl Kraus unterschoben:
aphorismen.de/zitat/88385 
gutezitate.com/zitat/160326 
spireo.de/spruchbild 


 

Donnerstag, 1. März 2018

"Ich hab' einen Gefangenen gemacht, und er lässt mich nicht mehr los." Johann Nestroy (angeblich)

Kikeriki, 10. August 1876, S, 3 (Anno)

Dieser Witz war im 19. Jahrhundert nachweislich seit 1827 in geringfügig verschiedenen Anekdoten weit verbreitet und wurde sowohl von Heinrich Heine als auch von Johann Nestroy erzählt.

Ralf Bülow hat herausgefunden, dass schon Georg Christoph Lichtenberg die schottische Anekdote von dem Soldaten, der damit angibt, einen Gefangenen gemacht zu haben, aber selbst angekettet ist, 1775 in sein Sudelbuch notiert hatte:


1775, Lichtenberg


Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft E, 92 (Link)


Nestroy legt diesen witzigen Selbstwiderspruch der Figur des "Sansquartier" in der Posse "Sechs Mädchen in Uniform" in den Mund. Die Uraufführung des Stücks "Sechs Mädchen in Uniform" von Louis Angely, in der Johann Nestroy die Hauptrolle spielte, fand am 5. Dezember 1827 in seiner Bearbeitung in Graz statt.

Die Anekdote mit den Gefangenen erschien einen Monat davor, am 9. November 1827, in dem Cotta'schen "Literatur-Blatt", kann also nicht von Johann Nestroy für dieses Stück geprägt worden sein, wenngleich sie in seiner Version Flügel bekam.

Es gibt Varianten mit ein, zwei, drei und sechs Gefangenen, aber in den mir bekannten Versionen von Johann Nestroys Bearbeitung sind es immer zwei Gefangene, die den Soldaten nicht los lassen.

Ob Johann Nestroy seine Bearbeitung des Stücks "Sechs Mädchen in Uniform" in dieser Form schon 1827 oder erst später verfasst hat, weiß ich nicht. Woher die Nestroy zugeschriebene Version mit nur einem Gefangenen stammt, kann ich auch noch nicht sagen.
Johann Nestroy als Sansquartier, Urbach 1984, S. 15

1827, anonyme Anekdote 

  • "In der That, die Scottische Rede erinnert an die Gasconade eines Korporals, der seinem Hauptmann von Weitem zurief: Kapitän, ich habe sechs Gefangene gemacht. – Führe sie her, antwortet der Offizier. – Sie wollen nicht gehen. – So komme allein. – Kapitän, sie lassen mich nicht fort."
    Literatur-Blatt Nr. 90, 9. November 1827,
    (Cotta, Stuttgart: 1827), S. 357  (Link)

Johann Nestroy, 4 Versionen

  • "SANSQUARTIER (der entwaffnet wurde und von 2 Türken festgehalten wird).
    Commandant! Ich habe 2 Gefangene gemacht!

    BRIQUET. Wo sind sie?

    SANSQUARTIER. Da sein's! Aber sie lassen mich nit aus!"
    Johann Nestroy:
    "Zwölf Mädchen in Uniform", in:  Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Nachträge, Stücke - Band 39, Ausgabe 2. Herausgegeben von Friedrich Walla, W. E. Yates und  Jürgen Hein, Deuticke, Wien: 2007,  S. 37 (Link)
  • "Sansquartier: Herr Kommandant! Ich habe zwei Gefangene gemacht!
    Briquet: Bringt sie her!

    Sansquartier: Sie lassen mich nicht aus."
    Unbekannter Nestroy: Zwölf Mädchen in Uniform, Wien: 1953, S. 44 
    (Link)

Alexander Scharf, Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, 26. Dezember 1868, S.4
  • "SANSQUARTIER:  Herr Schuverneur! Ich habe zwei Gefangene gemacht.
     GOUVERNEUR:     So bring' Er sie her.

     SANSQUARTIER:   Ja, sie lassen mich nicht los."
    Nach Alexander Scharf, Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, 26. Dezember 1868, S. 4  (Link)
  • "Wem fällt da nicht Nestroy ein mit seinem berühmten Worte: 'Ich habe einen Gefangenen gemacht, aber er laßt mi nöt los!'"
    Landshuter Zeitung, Nr. 271,  25. November 1877, S. 1621  (Link)

 Binzer

  • 1833: Als die Alliirten "Paris erobert hatten, ging es ihnen fast wie jenem Soldaten, der den Kameraden zurief: „ich habe einen Gefangenen gemacht!" als aber dagegen der Ruf: «bringe ihn her!" erscholl, antworten mußte: „er läßt mich nicht los."
    A.T. Beer (August Daniel Freiherr von Binzer):  "Kallendorf", Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 52, 1. März 1833,  - Band 27 - S. 207 (Link)

Heinrich Heine

  • 1839: "Er mahnt uns ganz an den Rekruten, der, von einem Wachtposten aus, seinem Hauptmann entgegenschrie: «Ich habe einen Gefangenen gemacht.» — «So bringt ihn zu mir her,» antwortete der Hauptmann. « Ich kann nicht,» erwiederte der arme Rekrut, «denn mein Gefangener lässt mich nicht mehr los.»"
    Heinrich Heine (Link)
  • 1841: "Ein Republikaner hasst daher das Geld mit großem Recht, und wird er dieses Feindes habhaft, ach! so ist der Sieg noch schlimmer als eine Niederlage; der Republikaner, der sich des Geldes bemächtigte, hat aufgehört, ein Republikaner zu sein! Er gleicht dann jenem österreichischen Soldaten, welcher ausrief: „Herr Korporal, ich habe einen Gefangenen gemacht!" aber, als der Korporal ihn seinen Gefangenen herbeiführen hieß, die Antwort gab: „Ich kann nicht, denn er läßt mich nicht los."
    Heinrich Heine: "Lutetia" (EA: 1841), Französische Zustände, 30. Mai 1840 (Link)

Karl Kraus

    • "Und mein unerschrockener Bekämpfer (den ich eines Rückfalls, wie ihn der Tricot-Artikel bedeuten würde, nicht für fähig halte) mag, meinen Einfluß dankbar erkennend, mit Nestroy ausrufen: »Ich habe einen Gefangenen gemacht, und er lässt mich nicht mehr los!«"
      Karl Kraus, Die Fackel, 1902  Nr. 121, 2
    • "Vom Künstler und dem Gedanken gelte das Nestroy’sche Wort: Ich hab’ einen Gefangenen gemacht und er läßt mich nicht mehr los." 
      Karl Kraus, Die Fackel, 1910,  Nr. 300, 23 
    • "Herr Friedjung hat, um mit Nestroy zu sprechen, einen Gefangenen gemacht, und der läßt ihn nicht mehr los."
      Karl Kraus, Die Fackel, 1912, Nr. 345, 43
    • "Hier ist er eine mit »nämlich«, »übrigens«, »notabene« koordinierte, beigesellte oder gleichgesetzte, Ausführung; dort ist er subordiniert, aber das Verhältnis ist so fest, daß der Hauptsatz in ihm einen Gefangenen gemacht hat, der ihn nicht mehr losläßt."
      Karl Kraus, Die Fackel, 1921, Nr.572, 17
    • "Es wird zwischen dem koordinierten Relativsatz unterschieden und dem subordinierten, bei dem aber das Verhältnis so fest sei, »daß der Hauptsatz in ihm einen Gefangenen gemacht hat, der ihn nicht mehr losläßt«."
      Karl Kraus, Die Fackel, 1927, Nr. 751, 47
    Welche Quelle Karl Kraus für seine Version des Nestroy-Zitats verwandte, kann ich noch nicht sagen.
    ________
    Quellen:
    Johann Nestroy: "Zwölf Mädchen in Uniform", in: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Nachträge, Stücke, Band 39, Ausgabe 2. Herausgegeben von Friedrich Walla, W. E. Yates und  Jürgen Hein, Deuticke, Wien: 2007,  S. 37 (Link)
    "Unbekannter Nestroy": Zwölf Mädchen in Uniform; Ein gebildeter Hausknecht; Friedrich, Prinz von Korsika. Aus den Handschriften herausgegeben von Gustav Pichler, W. Frick, Wien: 1953, S. 44  (Link)
     J.N. Nestroy, Stich- u. Schlagworte. Zusammengestellt von Reinhard Urbach, Verlag Christian Brandstätter, Wien: 1984, S. 15
    Alexander Scharf, Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, 26. Dezember 1868, S. 4 (Link)  
    Internationales Nestroy Zentrum Schwechat: Informationen zu "Sieben Mädchen in Uniform", auch:  "Zwölf Mädchen in Uniform",  Posse in einem Akt von Louis Angely in der Bearbeitung von Johann Nestroy: (Nestroy.at)
    Anonym, Literatur-Blatt Nr. 90, 9. November 1827, (Cotta, Stuttgart: 1827), S. 357  (Link)
    A.T. Beer (August Daniel Freiherr von Binzer): "Kallendorf", Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 52, 1. März 1833,  - Band 27 - S. 207 (Link)
    Louis Angely, Sieben Mädchen in Uniform, 1825
    Meidlinger Witz (Link) 
    Kikeriki, 10. August 1876, S, 3  (Anno)
    Heinrich Heine: "Lutetia" (EA: 1841), Französische Zustände, 30. Mai 1840, Sämtliche Werke: Sechster Band, Nachdruck 2017, S. 173 (Link)
    Landshuter Zeitung, Nr. 271,  25. November 1877, S. 1621 (Link) 
    Karl Kraus, Die Fackel, 1910,  Nr. 300, 23
    Georg Christoph Lichtenberg: Sudelbücher, Heft E, 92 (Link) (Die Erstveröffentlichung dieser Lichtenberg-Notiz habe ich noch nicht herausgefunden.)
    _______
    Dank:

    Ich bin Wolfgang Gruber für seine Hinweise und Recherchen sehr dankbar und danke auch Ralf Bülow für seinen Hinweis auf Lichtenbergs Sudelbücher sehr.

    _____

    Artikel in Arbeit
    Arbeiter Zeitung 1891   (Link), 1894 (Link)

    Schlechte Kritik 1861 einer Nestroy-Aufführung (Link), 
    alte Meidlinger Witz (Link), alte Anekdote (Link), 
    Parlament (Link)
    drei Gefangene (Link)
    Victor Adler (Link)

    14 Mädchen (Link)

    Montag, 15. Januar 2018

    "Meine Sorgen möcht ich haben." Kurt Tucholsky (angeblich)

    Karl Kraus hat diesen Satz ein halbes Jahr vor Kurt Tucholsky publiziert.


    1930
    • "(Meine Sorgen möcht ich haben.)"
      Karl Kraus, September 1930,
      Die Fackel 838-844, S. 61: "Wegen der Maske!" (Link)
    1931
    • "Meine Sorgen möcht ich haben."
      Kurt Tucholsky, 17. März 1931,
      Die Weltbühne, XXVII. Jahrgang, Nr. 11, S. 389:
      Kaspar Hauser (Pseudonym): "Zur soziologischen Psychologie der Löcher" (Link)
    _____
    Quellen:
    Die Weltbühne, XXVII. Jahrgang, 17. März 1931, Nr. 11 S. 389 (Im Projekt Gutenberg wird diese  Satire irrtümlich Peter Panther zugeschrieben; im Original: Kaspar Hauser. Textlog.de: (Link))
    Karl Kraus: Die Fackel, September 1930, Nr. 838-844, S. 61
    Österreichische Akademie der Wissenschaften, AAC: DIE FACKEL von Karl Kraus (digitale Edition) 
    ________
    Dank:
    Ich danke Andre Gottwald für das 'Fackel'-Zitat.


    Mittwoch, 10. Januar 2018

    "Man muss nicht Ochse sein, um Rindfleisch beurteilen zu können." Karl Kraus (angeblich)

    Pseudo-Karl-Kraus quote.

    Der Universitätsprofessor, Unternehmensgründer und Bestsellerautor Günter Faltin war anscheinend der Erste, der dieses Zitat Karl Kraus vor 10 Jahren unterschoben hat.

    Vor dem Jahr 2008 habe ich dieses Zitat in keinem digitalisierten Text gefunden. Durch welchen Irrtum Günter Falin diesen Satz Karl Kraus zuschrieb, weiß ich nicht. In den Schriften von Karl Kraus ist das Zitat weder so noch so ähnlich zu finden.

     _______
    Quellen:
    Google
    Twitter
    Günter Faltin: "Kopf schlägt Kapital - Die ganz andere Art, ein Unternehmen zu gründen - Von der Lust, ein Entrepreneur zu sein", Carl Hanser, München: 2008, S. 68 (Link) 
    Österreichische Akademie der Wissenschaften, AAC: DIE FACKEL von Karl Kraus (digitale Edition)
     ______
    Dank:
    Ich danke Wolfgang Gruber für seine Recherchen (Link).

    "Wacker wacker, kleiner Kacker!" Karl Kraus (angeblich)

    Pseudo-Karl-Kraus quote.
    Der Filmregisseur Géza von Cziffra behauptet in seiner Autobiographie, der gefürchtete Berliner Theaterkritiker Alfred Kerr habe mit diesem kurzen Satz ein Stück von Robert A. Stemmle rezensiert. Ich habe allerdings diese Kurzkritik bisher noch in keinem Buch von Alfred Kerr gefunden.

    Seit  Géza von Cziffra dieses Anekdote erzählt hat, wird dieses Zitat - immer ohne genaue Quellenangabe - Alfred Kerr zugschrieben; von Karl Kraus stammt es mit Sicherheit nicht und von Alfred Kerr wahrscheinlich auch nicht.


    Géza von Cziffra, 1988
    • "Einmal schrieb Kerr über das Erstlingswerk eines jungen Autors, Robert A Stemmle, der inzwischen leider auch verstorben ist, nur einen einzigen Satz: »Wacker, wacker, kleiner Kacker!«" (Link)
    ______
    Quellen:
    Google
    Twitter
    Géza von Cziffra: "Ungelogen: Erinnerungen an mein Jahrhundert",  F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München / Berlin: 1988, S. 141
    Alfred Kerr Archiv
    ______
    Dank:
    Ich danke Deborah Vietor-Engländer, der vielleicht besten Kennerin der Werke Alfred Kerrs, für ihre Auskunft. 

    Mittwoch, 13. Dezember 2017

    "Ein Druckfehler ist wichtig, weil er den Entdecker stolz macht, dass er ihn gefunden hat." Karl Kraus

    Pseudo-Karl-Kraus quote.
    Dieses Scherzlein gibt es seit 2013 als Postkarte (Link), und es hat mit Karl Kraus, dem Herausgeber und Autor der 'Fackel', gar nichts zu tun.

    Für die Postkarte ist Thomas Howeg verantwortlich, der den Spruch vielleicht auch geprägt hat.
     _______
    Quellen:
    Österreichische Akademie der Wissenschaften, AAC: DIE FACKEL von Karl Kraus (digitale Edition)
    Edition Howeg, Zürich: 2013  (Link)

    Samstag, 2. Dezember 2017

    "Hinaus mit dem Schuft aus Wien!" Karl Kraus (angeblich)

    Karl Kraus Online, Wienbibliothek, Vorlesungsprogramm 8. Oktober 1925.


    Mit der Parole "Hinaus aus Wien mit dem Schuft!" vom Juni 1925, die Karl Kraus in den folgenden Monaten noch oft wiederholte und die bald ein geflügeltes Wort wurde, gelang es Karl Kraus, die Öffentlichkeit und die Justiz gegen den korrupten Zeitungsverleger Imre Békessy erfolgreich zu mobilisieren. Dieser erpresserische "Schwerverleger" musste ein Jahr später Wien verlassen und flüchtete im Juli 1926 vor einem drohenden Strafverfahren nach Paris.
    • "Die Arbeiter-Zeitung (28. Juni) brachte die folgende Zuschrift des Kartenbureaus Richard Lányi:
      ‚Die Stunde‘ stellt in einer Notiz die Behauptung auf, daß dem Vortrag, den Karl Kraus am 25. Juni unter dem Titel: »Entlarvt durch Bekessy« im mittleren Konzerthaussaal gehalten hat, im ganzen 150 Personen beigewohnt haben. Als Veranstalter des Vortrags stelle ich fest, daß der Saal 882 zum Verkauf gelangende Plätze, außer den Pflichtplätzen, enthält, welche lange vor dem Abend vollständig vergriffen waren, daß noch auf dem Podium [hinter der spanischen Wand] Stühle aufgestellt werden mußten, daß der Saal überfüllt war, daß mehr als 1000 Personen abgewiesen worden waren, so daß sich auch der große Konzerthaussaal, den ich leider nicht gemietet hatte, als zu klein erwiesen hätte. 
      Und daß die mehr als 900 Anwesenden sich dem Rufe des Redners: »Hinaus aus Wien mit dem Schuft!« angeschlossen haben."
      Die Fackel Nr. 691-696, Juni 1925, S. 36
    Diese Parole von Karl Kraus gehört heute noch zu seinen bekanntesten Zitaten und wird - so wie sein missverstandener Satz aus der Dritten Walpurgisnacht, "Mir fällt zu Hitler nichts ein",  - öfters mit falscher Wortfolge wiedergegeben (Google).

    Wenn unseriöse Journalisten Karl Kraus zitieren, geht die Sache nicht nur bei diesem Zitat regelmäßig schief.

    Ein Beispiel:
    • "In den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es in Wien den berüchtigten Herausgeber Imre Békessy. Mit seinem Krawallblatt 'Die Stunde' sank der Journalismus auf eine bis dahin nicht gekannte Niveaulosigkeit. Békessys schärfster Gegner war Karl Kraus, von dem der berühmte Satz überliefert ist: 'Hinaus mit dem Schuft aus Wien!'" 
      Michael Jeannée,  Kronen Zeitung,  4. Juni 2017 ( Link)
    • "'Hinaus mit dem Schuft aus Wien!'
      Zum Schluss seiner Kolumne zitiert Jeannée dann noch einen überlieferten Satz von Karl Kraus, den dieser in den 1920er Jahren seinem schärfsten Journalisten-Gegner Imre Békessy, der in den Kraus' Augen [mhm] ebenfalls ein "Krawallblatt" produzierte, entgegen warf: 'Hinaus mit dem Schuft aus Wien!'"
      Unzensuriert.at 5. Juni 2017 (Link)
     



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    Quellen:
    Google
    Karl Kraus: Die Fackel Nr. 691-696, Juni 1925, S. 36; Nr. 697-705, Oktober 1925, S. 145-176
    Karl Kraus: Vorlesungsprogramm, 8. Oktober 1925, Karl Kraus Online, Wienbibliothek (Link)
    Arbeiter-Zeitung, Wien, 16. Juli 1926, S. 4 (Link)
    Michael Jeanée,  Kronen Zeitung,  4. Juni 2017 (Link)
    Unzensuriert.at 5. Juni 2017 (Link)
    Mit veränderter Wortfolge zitierten den Satz zum Beispiel auch Walter Jens und Jörg Haider.
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    Theodor W. Adorno erinnert sich, dass Karl Kraus, "das Recht in die eigene Hand nahm und 1925 in einer Vorlesung, die keiner vergessen wird, der zugegen war, den Herrn der 'Stunde', Imre Bekessy, mit den Worten 'hinaus mit dem Schuft aus Wien' von der Stätte seines Wirkens endgültig vertrieb." Theodor W. Adorno, Sittlichkeit und Kriminalität
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    Artikel in Arbeit.

    Mittwoch, 25. Oktober 2017

    "Der echte Wiener ist aus Schleim gemeißelt." Karl Kraus (angeblich)

    Dieser Witz ist in Österreich seit ein paar Jahrzehnten in Umlauf und wurde dem Autor Karl Kraus  im März 2010 von dem Schauspieler Christoph Waltz, der dieses Pseudo-Karl-Kraus-Bonmot auch später noch öfters zitierte (ORF.at), erstmals unterschoben.

    Die Urheberin oder der Urheber des Spruchs ist unbekannt. Die deutsche Journalistin Peggy Parnass hat ihn angeblich im Jahr 1984 verwendet und vielleicht auch geprägt. Zwanzig Jahre später wurde er irrtümlich Johann Nestroy unterschoben, danach erst Karl Kraus.

    Dieses Kuckuckszitat ist weder in den Werken Johann Nestroys noch in denen von Karl Kraus zu finden und wird höchstwahrscheinlich dort auch nie gefunden werden.


    Entwicklung des Kuckuckszitats:

    1984
    • "BRD-Journalistin Peggy Parnass schließlich bringt ihre österreichische Seelenerfahrung auf einen Satz: „Da ist alles wie aus Schleim gemeißelt." (Link)
    2004 
    • "Der Wiener ist ein Mensch in Schleim gemeisselt. -- Nestroy" (Link)
    2010
    • "Frage: Was sind typisch österreichische Sachen, die dir im Ausland abgehen? 
      Waltz: Am meisten fehlt mir die bestimmte Umgangsform des Wieners. Es ist ein Umgang, der nicht so direkt ist und daher das Leben leichter macht. Und der echte Wiener, der ist ein bisschen schleimig, wie Karl Krauss (!) gesagt hat, der echte Wiener ist aus Schleim gemeißelt – ich betrachte mich als echten Wiener. "
      Christoph Waltz, Interview, oe24, 4. März 2010 (Link) 
    2016
    • "Angeblich gibt es Menschen (im Ausland), die behaupten: Der Weaner ist: in Schleim gemeißelt."
      Peter Pisa, 24.10.2016, Kurier (Link)
    2017
    • "One of the greatest Austrian writers ever, Karl Kraus, said a true Viennese is chiseled from slime."
      Christoph Waltz, Interview, Oktober 2017 (Link)

    Twitter






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    Quellen:
    Twitter
    Google
    Österreichische Akademie der Wissenschaften, AAC: DIE FACKEL  
    Johann Nestroy: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe – Index und Konkordanz  Nestroy-Werke.at
    Peter Pisa: "Gemeißelt." Kurier, 24. Oktober 2016 (Link) 
    Sonia Neufeld: "Waltz und der 'Groove' von Wien", ORF.at, 25. Oktober 2017 (Link)
    Ruben V. Nepales: "When Christoph Waltz is in a good mood, humorous sparks fly." inquirer.net: 26. Oktober 2017 (Link)
    "Topfavoriten bei den Oscars", Interview mit Christoph Waltz, oe24, 4. März 2010 (Link)
    Profil, Band 15, 1984, S. XIV
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    Letzte Änderung: 28/12 2018
    https://twitter.com/krieghofer/status/923186897681354753

    Samstag, 21. Oktober 2017

    "Die Psychoanalyse ist die Krankheit, die sie zu heilen vorgibt." Karl Kraus (angeblich)

    Einer der populärsten Aphorismen von Karl Kraus wird oft schlampig zitiert.

    Korrekt wäre:

    •   "Psychoanalyse ist jene Geisteskrankheit, für deren Therapie sie sich hält."
      Karl Kraus, 1913

     Varianten:
    • "Die Psychoanalyse ist die Krankheit, als deren Therapie sie sich ausgibt."
    • "Die Psychoanalyse ist die Krankheit, für deren Therapie sie sich hält." 
    • "die Psychoanalyse ist die Krankheit, die sie behauptet zu heilen."
    • "Psychoanalyse ist die Krankheit, für deren Therapie sie sich hält."
    • "Die Psychoanalyse ist die Krankheit, die sie zu heilen vorgibt."
    • "Karl Kraus hat mit dem Diktum, die Psychoanalyse sei die Krankheit, deren Therapie zu sein sie nur vorgebe, einen erfolgreichen Ton angeschlagen."  
    • "Psychoanalysis is that mental illness for which it regards itself as therapy."
    • "Psychoanalysis is the mental illness it purports to cure." 
    • "Psychoanalysis is that disease of which it pretends to be the cure." 
    • "Psycho-analysts are the disease posing as the cure."

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    Quellen:
    Google
    Österreichische Akademie der Wissenschaften, AAC: DIE FACKEL   
    Karl Kraus: "Die Fackel" Nr. 376-377, 1913, S. 21 
    Karl Kraus: "Nachts." Verlag 'Die Fackel', Wien / Leipzig: 1924 (3. und 4. Tausend), S. 80
    Karl Kraus: Schriften. Herausgegeben von Christian Wagenknecht. Band 1–20. Suhrkamp, Frankfurt: 1986–1994. Band 8, Aphorismen, 1987, S. 351 (Link) 
    Project Gutenberg 

    Donnerstag, 12. Oktober 2017

    "Jeder Roman ist zu lang." Karl Kraus (angeblich)


    Am 21. Dezember 2016 ist in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Rezensenten eines Heimito-von-Doderer-Buches von Klaus Nüchtern dieses neue Pseudo-Karl-Kraus-Zitat in die Welt gesetzt  worden.

    Ich hatte auf Twitter auf die Geburt dieses allerneuesten Karl-Kraus-Zitats hingewiesen.


    "Das Chaos sei willkommen, die Ordnung hat versagt." Karl Kraus (angeblich)


     Nach einer Analyse des Zusammenbruchs der rigiden christlichen Sexualmoral, dieser 'Chinesischen Mauer', die Anfang des 20. Jahrhunderts ins Wanken kam, konstatierte Karl Kraus: "Und das Chaos sei willkommen; denn die Ordnung hat versagt."
    Karl Kraus hat auf die kurze Pause, die das Semikolon befiehlt, Wert gelegt.
    • "Und das Chaos sei willkommen; denn die Ordnung hat versagt."
      Karl Kraus, 1909
     Das Zitat wird oft ironisch verwendet:
    • "Beim Betreten des Geschäftslokals fällt einem unwillkürlich der Literat Karl Kraus ein, der einmal meinte: 'Das Chaos sei willkommen, die Ordnung hat versagt.'"
      Kurier, 13. Januar 2013 (Link)
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    Quellen:
    Karl Kraus: "Die Fackel" Nr. 285-286, 1909, S. 16
    Kurier, 13. Januar 2013 (Link)

    Mittwoch, 11. Oktober 2017

    "Größere Gegner gesucht." Inserat von Karl Kraus in der Zeitschrift "Die Fackel" (angeblich)

    Entstelltes Karl-Kraus-Zitat.

    Es stimmt nicht, dass in der 'Fackel' jemals ein Inserat mit den Worten "Größere Gegner gesucht" erschienen ist, wie man in der sorgfältig produzierten digitalen 'Fackel' der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Link) nachprüfen kann.

    Vielleicht geht der verbreitete Irrtum auf eine Stelle in einem Essay des Journalisten Joachim Riedl zurück, der missverständlich schrieb, Kraus habe eine Glosse mit diesem Titel "inseriert":
    • "In eigener Sache hat Karl Kraus einmal in der Fackel in einem Glossen-Titel inseriert: »Größere Gegner gesucht.« Wissend, daß ihm auf Erden keiner erwachsen konnte, es sei denn der, dessen Name ihm die Sprache verschlug."
      Joachim Riedl, "Das Geniale, das Gemeine: Versuch über Wien", 1992, S. 121 (Link)
    Doch der Titel der Glosse von Karl Kraus erschien nie als Inserat, steht im Singular: »Größerer Gegner gesucht«, und bezieht sich auf einen Berliner Leserbriefschreiber, der Karl Kraus - wie schon andere Verehrer zuvor - einen "größeren Gegner" als den berühmten Kritiker Alfred Kerr empfiehlt. Der Glossentitel hat also nichts mit dem Wissen von Karl Kraus zu tun, "daß ihm auf Erden" kein größerer Gegner "erwachsen konnte" (Joachim Riedl).

    Zuschrift an Karl Kraus, Berlin, 15. September 1929:
    • "Man wünscht Ihrer wahrhaft kritischen Kraft u. Fähigkeit einen größeren Gegner; einen, der eine anständigere Art des Kampfes verbürgt. Sie kommen bei der Kleinheit u. Unfähigkeit Kerr’s, ein ethisches Niveau zu halten, selber in Gefahr, Ihre Stimme u. stahlharten Blick an ein Figürchen zu verlieren, das all dessen nicht würdig ist, nicht lohnt, u. — last not least — es nicht erträgt. — —"
    Karl Kraus: "Die Fackel" Nr. 806-809, 1929, S. 5

    Karl Kraus, 1928:

    • "Ich habe einen dieser Ratgeber, die mir einen »größeren Gegner« wünschen, um die umgehende Angabe der Adresse eines solchen gebeten, nicht ohne der Befürchtung Ausdruck zu leihen, daß im Falle der Vorrätigkeit vor der Größe die Gegnerschaft aufhören möchte."

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    Quellen:
    Google
    Joachim Riedl: "Das Geniale, das Gemeine. Versuch über Wien." Piper Verlag, München / Zürich: 1992, S. 121 (Link)
    Österreichische Akademie der Wissenschaften, AAC, DIE FACKEL  
    Karl Kraus: "Die Fackel" Nr. 806-809, 1929, S. 5
    Karl Kraus: "Die Fackel" Nr. 795-799, 1928, S. 68


    Montag, 9. Oktober 2017

    "Von meiner Stadt verlange ich: Strom Wasser und Kanalisation. Was die Kultur anbelangt, die besitze ich bereits." Karl Kraus (angeblich)

    Einen dermaßen unbeholfen-dümmlichen Satz, wie: "Was die Kultur anbelangt, die besitze ich bereits", soll Karl Kraus geschrieben haben? Es ist nicht zu fassen, wie schön gebaute Sätze verunstaltet werden.

    Karl Kraus
    • "Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll, Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung und Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selbst."
      Karl Kraus, 1911
    Aus der Pointe des ungemütlichen Satirikers Karl Kraus: "Gemütlich bin ich selbst", wird: "Was die Kultur anbelangt, die besitze ich bereits." Der Rhythmus und Witz des Aphorismus wurde von jemandem, der Karl-Kraus-Postkarten verkaufen will, zerstört.


    Entstelltes Karl-Kraus-Zitat.

    • "Aber ich gestatte keinem, eine Äußerung aus den letzten drei Jahren in wohlwollender Absicht zu zitieren, wenn er sich nicht verpflichtet, an die Kontrolle des Nachdrucks wenigstens den hundertsten Teil der Sorgfalt zu wenden, die ich an die Kontrolle des Drucks gewendet habe."
      Karl Kraus, 1909
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    Quellen:
    Karl Kraus, Die Fackel Nr. 315-316, 1911, S. 35
    "Karl Kraus, 18 Sprüche zu Wien, 18 Postkarten", Helmut Schneider, p2com Consulting, Wien: (2017)
    Karl Kraus, Die Fackel Nr. 293, 1909, S. 25