Donnerstag, 26. November 2020

"Ich habe den größten Fehler begangen, den ein Mensch machen kann. Ich war nicht glücklich." Jorge Luis Borges (angeblich)

Das ist ein verunstalteter Satz aus dem traurigen Gedicht "El remordimiento" des argentinischen Autors Jorge Luis Borges. 

Borges schreibt am Anfang des Gedichts "Die Reue" von der "schlimmsten Sünde" und nicht von dem "größten Fehler", was bei einem Gedicht mit dem Titel "Die Reue" ein gewaltiger Unterschied ist.

Entstanden ist diese Verunstaltung wahrscheinlich durch Schlamperei vor ein paar Jahren in den Sozialen Medien. 

 

Jorge Luis Borges: 


  •  "He cometido el peor de los pecados que un hombre puede cometer. No he sido feliz." 

  • "Ich habe die schlimmste Sünde begangen, die ein Mensch nur begehen kann: Ich war nicht glücklich"
  • "Ich habe die schlimmste Sünde begangen, die ich begehen kann: Ich war nicht glücklich".
  • "I have committed the worst sin that a man could commit. I have not been happy."

 

El remordimiento

 He cometido el peor de los pecados
que un hombre puede cometer. No he sido
feliz. Que los glaciares del olvido
me arrastren y me pierdan, despiadados.

Mis padres me engendraron para el juego
arriesgado y hermoso de la vida,
para la tierra, el agua, el aire, el fuego.
Los defraudé. No fui feliz. Cumplida

no fue su joven voluntad. Mi mente
se aplicó a las simétricas porfías
del arte, que entreteje naderías.

Me legaron valor. No fui valiente.
No me abandona. Siempre está a mi lado
La sombra de haber sido un desdichado.
Jorge Luis Borges, 1994 (Link)


 

Zitat: Jorge Luis Borges, übersetzt von Gisbert Haefs , 1994  (Link).  

___

Jorge Luis Borges 1962 (Link).

____

Quellen:

Jorge Luis Borges: Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Band 9. Der Gedichte dritter Teil. Übersetzt von Gisbert Haefs und Fritz Arnold, Hanser Verlag, München: (1994) 2019 ebook (Link); (Link)

Jorge Luis Borges 1962 (Link).

Twitter

 

Artikel in Arbeit. 


Mittwoch, 25. November 2020

"Nicht das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht." Alfred Dorfer (angeblich)

Bonmot, das Alfred Dorfer zitiert.

Der österreichische Kabarettist Alfred Dorfer erzählt diesen Politikerwitz in seinem Stück "fremd", das im Jahr 2006 uraufgeführt wurde, aber der deutsche Kabarettist Ingo Börchers hatte den Witz schon drei Jahre davor in seinem Soloprogramm "Das Blaue vom Himmel" (2003) gebracht.

Doch der wahre Urheber oder die wahre Urheberin dieses Bonmots ist unbekannt, da es schon vor Börchers Kabarettprogramm von einer unbekannten Person geprägt wurde.

Der Journalist Peter Springfeld sah dieses Bonmot schon im Jahr 1998 anscheinend auf einem anonymen Plakat:

  • "In geradezu paradoxer Weise begegne ich in letzter Zeit [...] immer wieder Sprüchen, zum Teil sogar plakativ manifestiert, in denen sich recht pessimistische Haltungen widerspiegeln, auch wenn zunächst Ironie den Ton angibt. Zwei Beispiele: "Unser Motto für 365 Tage: HANDELN statt REDEN" [...] Oder: "Nicht das Erreichte zählt! Das Erzählte reicht!"
    Peter Springfeld: "Zuversicht mit  Zukunft?", Handling, Heft 9, 1998,  (via  genios.de)

Entstanden ist das auch im deutschen Bundestag beliebte Bonmot wahrscheinlich aus der ironischen Verdrehung der BMW-Unternehmensmaxime aus den 1990er Jahren: "Nicht das Erzählte reicht, nur das Erreichte zählt!" 

 Artikel in Arbeit.

 __________

Quellen:

Peter Springfeld: "Zuversicht mit  Zukunft?", Handling, Heft 9, 1998,  (via  genios.de; Paywall) 

Ingo Börchers"Das Blaue vom Himmel" (2003) Auf genios.de findet man auch Rezensionen dazu aus dem Jahr 2003.

 BMW-Unternehmensmaxime 

G.K.: "Für einen Mann zählt das Erreichte, einer Frau reicht das Erzählte." (falschzitate.blogspot.com)

Alfred Dorfer: "fremd", Youtube 

 

__________

Dank:

Ich danke Armin Wolf für die Frage nach dem Urheber dieses Zitats.

 

 






"In der Politik passiert nichts zufällig. Wenn es doch passiert, war es so geplant." Franklin D. Roosevelt (angeblich)

Pseudo-Franklin-D.-Roosevelt-Zitat.

Diese weit verbreitete unsinnige Behauptung hat noch niemand in einem Text oder in einer Rede des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt entdeckt, obwohl in Amerika schon viele Leute danach gesucht haben.

Der Zitatforscher Barry Popik hat herausgefunden, dass dieses Roosevelt-Kuckuckszitat das erste Mal in einer Nixon-Biographie im Jahr 1971 aufgetaucht ist (barrypopik.com) . Gary Allen, der Autor dieser Biographie, hat keine Quelle für dieses vermeintliche Roosevelt-Zitat angegeben (books.google).

Auf Deutsch ist dieses Kuckuckszitat seit dem Jahr 1988 nachweisbar (Link) und vor allem bei Leserbriefschreibern sowie Anhängern von Weltverschwörungslegenden beliebt.

Pseudo-Franklin-D.-Roosevelt-Zitat.

 

 

 Varianten des Kuckuckszitats:

 

  • "Nothing just happens in politics. If something happens you can be sure it was planned that way.”   
  • "In politics, nothing happens by accident. If it happens, you can bet it was planned that way."      

  • "In der Politik passiert nichts zufällig. Wenn es doch passiert, war es so geplant."  
  • "In der Politik geschieht nichts zufällig. Wenn etwas geschieht, kann man sicher sein, dass es auch auf dieser Weise geplant war."
Pseudo-Franklin-D.-Roosevelt-Zitat.

 

 

Artikel in Arbeit.
 ______

Quellen:

Google

archive.org 

 archive.org 

Gary Allen: Richard Nixon: the Man Behind the Mask. Western Islands, Belmont: 1971, S. 67 (books.google)

en.wikiquote - misattributed
2011: metabunk.org  

2012: barrypopik.com 

 

 

 

“There are no accidents in politics” ((barrypopik.com)

"Für einen Mann zählt das Erreichte, einer Frau reicht das Erzählte." Karl Kraus (angeblich)

Pseudo-Karl-Kraus-Zitat.

 Dieses misogyne Bonmot wurde Karl Kraus erst im 21. Jahrhundert untergeschoben und ist weder so noch so ähnlich in seinen Schriften enthalten.


Pseudo-Karl-Kraus-Zitat.

Entstanden ist das Kuckuskzitat wahrscheinlich als Variante des Politikerwitzes "Nicht das Erzählte reicht, sondern das Erreichte zählt", den der deutsche Kabarettist Ingo Börchers seit 2003 auf dem Programm hat. 

Der Witz kommt auch in dem im Jahr 2006 entstandenen Stück "fremd" des österreichischen Kabarettisten Alfred Dorfer vor.

Bonmot, das Alfred Dorfer zitiert.

 

Artikel in Arbeit.

 ________

Quellen:

Google

genios.de/ 

Karl Kraus: "Die Fackel" 1899-1936, Österreichische Akademie der Wissenschaften, AAC (DIE FACKEL

Dietmar Bittrich: "Böse Sprüche für Sie und ihn" Mit Illustrationen von Thomas August Günther. dtv, München: 2004, Kapitel: November, 15 ebook (Link)

 

 

 

 


Sonntag, 22. November 2020

"Misstraue den Menschen, die die Wahrheit gefunden haben und vertraue denen, die sie suchen." Voltaire (angeblich)

 

Pseudo-Voltaire-Zitat.
Dieses auf Englisch sehr beliebte angebliche Voltaire-Zitat ("Cherish those who seek the truth but beware of those who find it") wird dem 1778 verstorbenen französischen Philosophen erst über 200 Jahre nach seinem Tod erstmals zugeschrieben, und ist noch von niemandem in seinen Schriften gefunden worden.

Nachweisbar ist die falsche englischsprachige Zuschreibung an Voltaire ab dem Jahr 2007 zuerst in Amazon-Kundenrezensionen, seit dem Jahr 2009 zum Beispiel auch auf Twitter (Link)

 

Früheste falsche Zuschreibungen:

 
2007

2008 

Entstanden könnte das Kuckuckszitat aus einer Fehlerinnerung an einen Satz des französischen Literaturnobelpreisträgers André Gide sein:

 

André Gide:

  • "glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben; zweifle an allem, aber nicht an dir."
  • "believe those who are seeking the truth ; doubt those who find it ; doubt everything, but don 't doubt of yourself. (Link)   
  • "croyez ceux qui cherchent la vérité, doutez de ceux qui la trouvent; doutez de tout, mais ne doutez pas de vous-même."
 "Journal d'André Gide 1939-1949, Souvenirs" 1954, S. 1233 (archive.org)
 
Gelobt und gefeiert wurden die Sucher nach Wahrheit auch von Gotthold Ephraim Lessing, den Albert Einstein gerne zitierte:
 

Albert Einstein, 1955:

  • "Wie dem auch sei, bleibt uns Lessings tröstendes Wort, das Streben nach der Wahrheit sei köstlicher als deren gesicherter Besitz." 

___________

Quellen:

Google

 "Journal d'André Gide 1939-1949, Souvenirs", Librairie Gallimard, [Paris]: 1954, Kapitel: ainsi soit-il, S. 1233 (archive.org) 

Wikiquote Talk

dict.leo.org/forum 

Frühe falsche Zuschreibungen:

Amazon Kundenrezension  2. Oktober 2007 (amazon.co.uk)

Amazon Kundenrezension  4. März 2008,   (amazon.com)

Twitter 2009 (Link)

Albert Einstein: "Erinnerungen — Souvenirs." Verfasst im März 1955, kurz vor seinem Tod; für: "Schweizerische Hochschulzeitung" Nr. 28,  Sonderheft 100 Jahre ETH, Zürich: Herbst 1955, S. 145-153; S. 153 (pdf)

Gerald Krieghofer: " Die Suche nach Wahrheit ist köstlicher als deren gesicherter Besitz." 20. Mai 2017 (Link)

 

_______

Dank:

Ich danke Susanne Günther für ihre Frage nach diesem Zitat und den Leuten von Wikiquote für die Mitteilung ihrer vergeblichen Recherchen.




 

 

 

 


Donnerstag, 22. Oktober 2020

"Wenn ich auf mein Unglück trete, stehe ich höher." Hölderlin (angeblich)

Entstelltes Friedrich-Hölderlin-Zitat. Twitter.

Korrekt lautet dieser Aphorismus aus Hölderlins Briefroman Hyperion: "Wer auf sein Elend tritt, steht höher" 

Im selben Wortlaut zitiert Friedrich Hölderlin diesen Satz auch am 4. Juli 1798, ein Jahr nach dem Erscheinen des Romans, in einem Brief an seinen Bruder.

Verbreitet wurde das enstellte Zitat seit 1947 von dem Psychiater Viktor Frankl in einigen Vorträgen und Büchern (Link), und inzwischen  ist das entstellte Zitat mit der ersten Person Singular und dem Wort "Unglück" statt "Elend" laut einer Google-Statistik beliebter als das Orignal.

 

 

Artikel in Arbeit.

 ___________

Quellen:
Google  Ungefähr 881 Ergebnisse (0,42 Sekunden) (Entstelltes Zitat)
Google  Ungefähr 638 Ergebnisse (0,40 Sekunden) (Hölderlin-Zitat)
Friedrich Hölderlin: "Hyperion oder der Eremit in Griechenland."  Erster Band. J. G. Cotta'sche Buchhandlung, Tübingen: 1797, 51. Brief Hyperions (Link)
Viktor Emil Frankl:  "Die Existenzanalyse und die Probleme der Zeit" Amandus-Edition, Wien: 1947, S. 21 (Link) (Entstelltes Zitat)
 
_________
Dank:
Ich danke Zitante Christa für den Hinweis auf dieses Zitat.

____________________________________________

 

 

ANHANG


Friedrich Hölderlin: Hyperion an Diotima LI

 

  • " Ach! und Eines hab’ ich lange dir verschwiegen. Feierlich versties mein Vater mich, verwies mich ohne Rükkehr aus dem Hause meiner Jugend, will mich nimmer wieder sehen, nicht in diesem, noch im andern Leben, wie er sagt. So lautet die Antwort auf den Brief, worinn ich mein Beginnen ihm geschrieben.

    Nun lass dich nur das Mitleid nimmer irre führen. Glaube mir, es bleibt uns überall noch eine Freude. Der ächte Schmerz begeistert. Wer auf sein Elend tritt, steht höher. Und das ist herrlich, dass wir erst im Leiden recht der Seele Freiheit fühlen. Freiheit! wer das Wort versteht - es ist ein tiefes Wort, Diotima. Ich bin so innigst angefochten, bin so unerhört gekränkt, bin ohne Hoffnung, ohne Ziel, bin gänzlich ehrlos, und doch ist eine Macht in mir, ein Unbezwingliches, das mein Gebein mit süssen Schauern durchdringt, so oft es rege wird in mir." (Link)

    Friedrich Hölderlin: "Hyperion oder der Eremit in Griechenland."  Erster Band. J. G. Cotta'sche Buchhandlung, Tübingen: 1797, 51. Brief Hyperions (Link)
 

Dienstag, 20. Oktober 2020

"Es ist idiotisch, sieben oder acht Monate an einem Roman zu schreiben, wenn man in jedem Buchladen für zwei Dollar einen kaufen kann." Mark Twain (angeblich)


Pseudo-Mark-Twain-Zitat.

Dieses wahrscheinlich von der amerikanischen Schauspielerin und Entertainerin  Gracie Allen geprägte Bonmot wird auf Deutsch irrtümlich Mark Twain zugeschrieben.

 

  • "S.S. Van Dine is silly to spend six or seven months writing a novel when you can buy one for two dollars ..."  Gracie Allen  (books.google)  

 

Bei einer chronologischen Durchsuchung der digitalisierten Texte taucht die Zuschreibung an Mark Twain das erste Mal im Jahr 1974 in Markus M. Ronners Zitate-Sammlung "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts" auf.
 

Markus M. Ronners Zitate-Sammlung ist keine verlässliche Quelle für Zitate, da die Zitate erstens ohne Quellennachweis präsentiert werden, und ich zweitens in diesem Buch schon mehrere  falsche Zuschreibungen entdeckt und dokumentiert habe (Link).


1974
  • "Es ist idiotisch, sieben oder acht Monate an einem Roman zu schreiben, wenn man in jedem Buchladen für zwei Dollar einen kaufen kann.  Mark Twain"

    Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974,  S. 38 ; 247; 257 (books.google)

Sogar in einer Mark-Twain-Anthologie des Insel Verlags wurde das Zitat aufgenommen, allerdings mit dem Zusatz, diese Gruppe von Zitaten seien nicht literarisch belegt, aber allgemein als Mark-Twain-Zitate bekannt und "vorwiegend mündlich überliefert."

Ein Kuckuckszitat, das einem Autor aus unbekannten Gründen Jahrzehnte nach seinem Tod erstmals untergeschoben wurde, sollte nicht als "mündlich überliefert" bezeichnet werden.

2012

  • "Es ist idiotisch, sieben oder acht Monate an einem Roman zu schreiben, wenn man in jedem Buchladen für zwei Dollar einen kaufen kann."
    Mark Twain für Boshafte. Ausgewählt von Günter Stolzenberger. (2010) insel taschenbuch, Berlin: 2012 ebook [Zusatz: nicht belegt; mündlich überliefert] (books.google)


Artikel in Arbeit.

________
Quellen:
"The Quotable Mark Twain: His Essential Aphorisms, Witticisms and Concise Opinions" R. Kent Rasmussen, McGraw-Hill Education: New York 1998 (Link)

Beispiele für falsche Zuschreibungen:
Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974, S. 38 ; 247; 257 (books.google)
"Mark Twain für Boshafte." Ausgewählt von Günter Stolzenberger. (2010) insel taschenbuch, Berlin: 2012 ebook
 
________
Dank:
Ich danke Zitante Christa für den Hinweis auf dieses Kuckuckszitat und Ralf Bülow und Moritz Jacob für ihre Recherchen zum Ursprung des Zitats.