Samstag, 10. Oktober 2020

"Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen." Johann Wolfgang von Goethe (angeblich)

Pseudo-Johann-Wolfgang-von-Goethe-Zitat.

Dieses Bonmot wurde erst im 21. Jahrhundert Johann Wolfgang von Goethe unterschoben und ist in seinen digitalisierten Werken so wenig wie in relevanten Lexika zu finden.

Das inzwischen sehr beliebte Kuckuckszitat ist seit dem Ende des 20. Jahrhunderts als Motto von Wanderern nachweisbar, steht seit 1999 (ohne Zuschreibung an Goethe) als Spruch auf T-Shirts und wurde in den folgenden Jahren ohne Goethe-Zuschreibung als Werbeslogan von touristischen Unternehmen in Deutschland und Österreich verwendet.


 1998

 1999

 


 

Laut einer chronologischen Suche mit der Zeitungssuchmachine genios.de wurde das Wanderer-Motto in etwas verändertem Wortlaut im Jahr 2005 erstmals Goethe zugeschrieben (Badische Zeitung, 14. Januar 2005) und ungefähr seit dem Jahr 2012 hat sich die falsche Zuschreibung an Johann Wolfgang von Goethe in Zeitungen und im Internet durchgesetzt. 

 

Beispiele für falsche Zuschreibungen an Goethe: 


 2009

  • "'Nur wo du zu Fuß warst, warst du wirklich' – schrieb einst Goethe, möglicherweise, als er in Montebelluna vorbeikam, dem italienischen Schuhhimmel ..." alpenverein.at, 15. März 2009 

2012

  • "Wen wundert’s, denn schon Johann Wolfgang von Goethe schrieb: 'Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen.'"  Westfälische Nachrichten, 24. Dezember 2012

2014

  • "Doch ist man den Lahnwanderweg gegangen, versteht man den Satz von Goethe: 'Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen.'" Der Spiegel, 10. August 2014

2015

  • "Nur wo du zu Fuß warst, bis du wirklich gewesen. Das hat Johann Wolfgang von Goethe anno dazumal aufgeschrieben." Stuttgarter Zeitung, 17. März 2015 

Twitter, 3. Mai 2015.

2016

  • "Wer weit genug wandert, wird erleben, dass die Wanderarbeit ('Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen.' – Goethe) in Wanderlust umschlägt."  Die Welt, 31. Juli 2016 

2017 

  • "So führt uns Goethes 'Nur wo du zu Fuss warst, bist du auch wirklich gewesen' ..." NZZ, 14. November 2017 

2018

  • "'Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen', hielt Johann Wolfgang von Goethe bereits fest." Kurier, 21. Juni 2018

 2020

  • "'Nur wo du zu Fuß warst, bist du wirklich gewesen', schrieb Goethe. Dass diese viel zitierte Sentenz mehr ist als eine hübsche Phrase, deuten die Reisetrends der letzten Zeit an, bei denen das Fortbewegungstempo bewusst verlangsamt wird."
    TAZ, 24. Mai 2020

 

Twitter, 2020, libris.

 

 

 

Artikel in Arbeit.

 

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Quellen:

Google

Twitter

genios.de  

"Lexikon der Goethe-Zitate". Hrsg. von Richard Dobel, Artemis Verlag, Weltbild Verlag, Augsburg: 1991 
 
Beispiele für das Kuckuckszitat: 
 
alpenverein.at, 15. März 2009 
Der Spiegel, 10. August 2014
NZZ, 14. November 2017  
Kurier, 21. Juni 2018
TAZ, 24. Mai 2020

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Dank:

Ich danke libris für das Foto von diesem Kuckuckszitat.





Freitag, 2. Oktober 2020

"Wer Bücher liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaune." Johann Wofgang von Goethe (angeblich)

Pseudo-Johann-Wolfgang-von-Goethe-Zitat.

Dieses nicht nur  im Buchhandel beliebte Zitat wird Johann Wolfgang Goethe erst seit kaum 10 Jahren unterschoben und ist in seinen digitalisierten Werken und in Goethe-Lexika unauffindbar.

Entstanden ist der Spruch anscheinend als Werbeslogan für Zeitungen in den 1930er Jahren; die Redensart 'über den Zaun schauen' in der Bedeutung 'seinen Gesichtspunkt erweitern' ist allerdings schon viel älter:

  •  "Wer Zeitung liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaun!"
  • Variante:
    "Wer das 'Salzburger Volksblatt' liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaun!"

 

Das Kleine Blatt, 27. August, 1939, S. 19 (Link)


Salzburger Volksblatt, 10. Oktober 1936, S. 8 (Link).

Als der variierte Zeitungs-Werbespruch Anfang des 21. Jahrhunderts aufgekommen ist, wurde er noch nicht Goethe unterschoben, wie Moritz Jacob herausgefunden hat.

2004:

  • "Das Motto dieses Bücher-Flohmarktes lautet: Wer Bücher liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaune."

Ein Jahrzehnt später schmückt das Pseudo-Goethe-Zitat schon die Wand einer Buchhandlung, taucht auch schon in angesehenen Zeitungen auf, und wenn es im Internet nicht Goethe unterschoben wird, wird es als italienisches Sprichwort bezeichnet.

Bei einer chronologischen Suche mit der Zeitungssuchmaschine genios.de findet man die falsche Zuschreibung an Goethe das erste Mal in einem Artikel über eine Veranstaltung der Stadtbibliothek der sächsischen Kleinstadt Bad Düben  in der Leipziger Volkszeitung am 12. Juni 2009.


 2018

  • "An einer freien Wand steht in Großbuchstaben: 'Wer Bücher liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaune.' Das ist von Goethe und kann als aktueller Kommentar zur politischen Lage gelesen werden." (sueddeutsche.de)

.

Pseudo-Johann-Wolfgang-von-Goethe-Zitat. Foto: Güsten, dpa (Link).

 

 


Artikel in Arbeit.

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Quellen:

Google

´genios.de 

ANNO

 

"Lexikon der Goethe-Zitate". Hrsg. von Richard Dobel, Artemis Verlag, Weltbild Verlag, Augsburg: 1991  

Das Kleine Blatt, 27. August, 1939, S. 19

Salzburger Volksblatt, 10. Oktober 1936, S. 8

Leipziger Volkszeitung, 12. Juni 2009 (genios.de)

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Dank:

Ich danke Moritz Jacob für die Aufdeckung dieses Kuckuckszitats und Ralf Bülow für seine Recherchen zur Vorgeschichte des Zitats.


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Anhang

 

Facebook, 27. September 2020:

Pseudo-Johann-Wolfgang-von-Goethe-Zitat.

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Pseudo-Johann-Wolfgang-von-Goethe-Zitat.

Dienstag, 29. September 2020

"Das Sein bestimmt das Bewusstsein." Karl Marx (angeblich)

Verkürztes Karl-Marx-Zitat.
 

Das ist ein verkürztes Zitat aus dem Vorwort der 1859 publizierten Studie  "Zur Kritik der politischen Ökonomie" von Karl Marx: 

  • "Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt." (mlwerke.de)

In den  Manuskripten von Marx und Engels aus den Jahren 1845 und 1846, die 1932 unter dem Titel "Die Deutsche Ideologie" posthum veröffentlicht wurden, ist dieser Gedanke noch etwas anders formuliert:



Manuskript: "Nicht das Bewußtsein bestimmt ..." Quelle: IISG Amsterdam, 'Die Welt'.
 

  • "Nicht das Bewußtsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewußtsein." (mlwerke)

Die Herausgeber und die Herausgeberin der Neuausgabe (2017) der 'Deutschen Ideolgie" haben klar gestellt, dass diese Manuskripte von Karl Marx und Friedrich Engels Fragmente geblieben sind und nicht für eine Buchpublikation, sondern als Beiträge für eine Vierteljahresschrift, die nie erschienen ist, vorgesehen waren.

 

Karl Marx, Friedrich Engels (1845/1846) 1932

 

  • "Die Moral, Religion, Metaphysik und sonstige Ideologie und die ihnen entsprechenden Bewußtseinsformen behalten hiermit nicht länger den Schein der Selbständigkeit. Sie haben keine Geschichte, sie haben keine Entwicklung, sondern die ihre materielle Produktion und ihren materiellen Verkehr entwickelnden Menschen ändern mit dieser ihrer Wirklichkeit auch ihr Denken und die Produkte ihres Denkens. Nicht das Bewußtsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewußtsein. In der ersten Betrachtungsweise geht man von dem Bewußtsein als dem lebendigen Individuum aus, in der zweiten, dem wirklichen Leben entsprechenden, von den wirklichen lebendigen Individuen selbst und betrachtet das Bewußtsein nur als ihr Bewußtsein."

    Karl Marx, Friedrich Engels: "Die deutsche Ideologie" Geschrieben 1845-1846 (1932), Karl Marx / Friedrich Engels - Werke, Band 3, Dietz Verlag, Berlin: 1969, S. 27 (mlwerke)
 

Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, 1859

  •  "In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein."

    Karl Marx: Vorwort zur "Kritik der politischen Ökonomie", in: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke,  Band 13,  Dietz Verlag, Berlin: (1961), 7. Auflage 1971,  S. 8f. (mlwerke.de)

 

 

Artikel in Arbeit.

 

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Quellen:

Google

Matthias Bohlender: "Entmythologisierung. Zur Neuausgabe der 'Deutschen Ideologie' (MEGA2 I/5)", 28. März 2018 (theorieblog.de)

Alex Demirović: "Die 'Deutsche Ideologie' hat es nie gegeben. Und jetzt?" 8. April 2018 (marx200.org) 

Dudenredaktion: Duden - Zitate und Ausspüche, Band 12, Duden Verlag, Mannheim: 2012, S. 477 (Link)

Karl Marx: Vorwort zur "Kritik der politischen Ökonomie", in: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke,  Band 13,  Dietz Verlag, Berlin: (1961), 7. Auflage 1971,  S. 8f.

Karl Marx, Friedrich Engels: "Die deutsche Ideologie" Geschrieben 1845-1846, Erstveröffentlichung: 1932, Karl Marx / Friedrich Engels - Werke, Band 3, Dietz Verlag, Berlin: 1969, S. 27 (mlwerke)

Karl Marx/Friedrich Engels: Deutsche Ideologie. Manuskripte und Drucke. Karl Marx/Friedrich Engels, Gesamtausgabe, Abt. I, Band 5, herausgegeben von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung Amsterdam, bearbeitet von Ulrich Pagel, Gerald Hubmann und Christine Weckwerth, Texte und Apparat, 1893 Seiten, Berlin/Boston: 2017 (zitiert nach  Alex Demirović)


Samstag, 26. September 2020

"Vollständige Sorglosigkeit und eine unerschütterliche Zuversicht sind das Wesentliche eines glücklichen Lebens." Thomas von Aquin (angeblich)

Pseudo-Thomas-von-Aquin-Zitat.

 Dieser Gedanke stammt so ähnlich aus einer älteren Übersetzung von Senecas 44. Brief an Lucilius und wird im Internet seit ein paar Jahren irrtümlich manchmal Thomas von Aquin zugeschrieben.

 

Lucius Annaeus Seneca, 44. Brief an Lucilius: 


  • "Nam cum summa vitae beatae sit solida securitas et eius inconcussa fiducia .."

  •  "Denn während eine vollständige Sorglosigkeit und eine unerschütterliche Zuversicht das Wesentliche eines glücklichen Lebens ist ..."
    Übersetzt von Albert Forbiger.
  • "Denn da das Wesentliche an einem glücklichen Leben dauernde Sicherheit und deren unerschütterliche Gewißheit ist ..."
    Übersetzt von Gerhard Fink.

  • "For although the sum and substance of the happy life is unalloyed freedom from care, and though the secret of such freedom is unshaken confidence,  ..."
    Übersetzt von Richard M. Gummere.

 

Seneca, 44. Brief, bersetzt von Albert Forbiger (Link).

In der neuen Übersetzung von Gerhard Fink bekommt der Satz Senecas aus dem 44. Brief an Lucilius eine andere Bedeutung. In seiner Übersetzung heisst es nicht "vollständige Sorglosigkeit", sondern: "dauernde Sicherheit".


Seneca, 44. Brief, übersetzt von Gerhard Fink (Link)


Seneca, 44. Brief (Link)
 

Seneca, 44. Brief an Lucius.


Artikel in Arbeit.

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Quellen:

Ausgewählte Schriften des Philosophen Lucius Annäus Seneca. Uebersetzt und durch Anmerkungen erläutert von Albert Forbiger, Erstes Bändchen, Krais u. Hoffmann, Stuttgart: 1866, S. 143 (Link)

Lucius Annaeus Seneca: Epistulae morales ad Lucilium / Briefe an Lucilius. Band 1, Lateinisch-deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Gerhard Fink, Artemis u. Winkler; Patmos, Düsseldorf: 2007, 44. Brief  (Link) 


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Dank:

Ich danke flyte für die Frage nach diesem Falschzitat.



Donnerstag, 24. September 2020

"Lärm ist das Geräusch der anderen." Kurt Tucholsky (angeblich)

Dieses Bonmot, das an Jean Paul Sartres berühmten Satz "Die Hölle, das sind die anderen" erinnert, ist in diesem Wortlaut in den 1960er Jahren entstanden und könnte auf eine Bemerkung des Dortmunder Arbeitsphysiologen Gunther Lehmann aus dem Jahr 1954 zurückgehen (Link), wie Ralf Bülow herausgefunden hat.

 

Gunther Lehmann, 1954:

 

  • "Meist ist Lärm das Geräusch, das der andere macht, ein Geräusch, mit dessen Entstehung man selbst nichts zu tun hat. So wird auch der Fabrikdirektor durch das Geräusch des benachbarten Maschinensaals nicht gestört, das dem Besucher eine vernünftige Unterhaltung fast unmöglich zu machen scheint und für die Sekretärin eine nervöse Belastung erster Ordnung darstellt." (Link)

 

Der Autor Wilhelm Drey scheint dem Bonmot im Jahr 1963 als Erster die prägnante Form: "Lärm ist das Geräusch der anderen",  gegeben zu haben (Link).

Vor dem Jahr 1954 ist es in den digitalisierten Texten weder in Zeitungen noch in Büchern zu finden und erst im 21. Jahrhundert wird es sehr oft fälschlich Kurt Tucholsky zugeschrieben.

Vielleicht entstand die falsche Zuschreibung des Bonmots an Kurt Tucholsky durch die Fehlerinnerung an einen der vielen Sätze in seinen Schriften gegen die Zumutungen von Lärm:

 

 Kurt Tucholsky:

 

Die erste falsche Zuschreibung an Kurt Tucholsky ist vielleicht im Jahr 2001 im Wiener Lärm-Online-Informationssystem (LOIS) entstanden, die durch die APA verbreitet und danach von vielen deutschsprachigen Zeitungen übernommen wurde, wovon man sich durch eine chronologische Suche mit der Zeitungssuchmaschine genios.de überzeugen kann.  


 

Artikel in Arbeit.

 

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Quellen: 

Google

genios.de

Universitas: Zeitschrift für Wissenschaft, Kunst und Literatur, 9. Jahrgang, Band 2, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft: 1954, S. 962  (Link)

APA :  OTS0038, 17. Jan. 2002, 09:30

Wilhelm Drey: "Bessere Werktage: Mehr Erfolg mit weniger Mühe", Leske, Opladen: 1963, S. 5, 88, 95  (Link) 

 

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Dank:

Ich danke Friedhelm Greis (sudelblog.de) für die Bestätigung, dass dieses Zitat in den Schriften Kurt Tucholskys nicht zu finden ist, sowie Ralf Bülow, Moritz Jacob, Weltgeist redux, Sonja Brünzels, Max Koss und Klaus Pohlmann für ihre Recherchen und Hinweise auf  Twitter.

Donnerstag, 17. September 2020

"Ich kann mich nicht von weinenden Kinderaugen erpressen lassen." Johanna Mikl-Leitner (angeblich)

Diese herzlose Parole hat so ähnlich der AfD-Politiker Alexander Gauland geprägt und wird der ehemaligen österreichischen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner fälschlich zugeschrieben.  


 Alexander Gauland, 25. Februar 2016:

  • "'Wir müssen die Grenzen dichtmachen und dann die grausamen Bilder aushalten. Wir können uns nicht von Kinderaugen erpressen lassen.'  Stille. Dann bricht es aus ihm heraus: 'Man kann sich nicht einfach überrollen lassen. Einen Wasserrohrbruch dichten Sie auch ab.'"

    ZEITmagazin Nr. 10/2016  
Twitter

 

Schon kurz nach der Publikation des Interviews mit Alexander Gauland im ZEIT Magazin wurde aus den Kinderaugen, von denen wir uns angeblich nicht erpressen lassen dürfen, "weinende Kinderaugen":  


Twitter, 26. Februar 2016:


Konstantin Wecker war im März 2016 der Erste, der diesen herzlosen Satz eines 'Rassisten von der AfD'  in Zusammenhang mit der Innenministerin Johanna Mikl-Leitner gebracht hat.


 Konstantin Wecker, 10. März 2016: 

  • "Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner bleibt nach der faktisch vollständigen Schließung der sogenannten Balkanroute für Flüchtlinge hart. 'Das Schließen der Balkanroute verläuft planmäßig, und diese Uhr wird nicht zurückgedreht', sagte sie der Zeitung "Welt".
    [...]
    Irgendein Rassist von der AfD soll gesagt haben 'wir dürfen uns von weinenden Kindern nicht erpressen lassen.'
    Wissen Sie wer sich nicht von weinenden Kindern erpressen läßt, Frau Mikl-Leitner?
    Ausschließlich schwer geschädigte Psychopathen."
    (facebook.com)

 

Im Oktober 2016 wurde dann nicht nur geschrieben, der Satz Gaulands drücke die Einstellung der ÖVP-Politikerin Mikl-Leitner zur Asylpolitik aus, sondern sie habe diesen Satz auch selber gesagt:

 

 Heribert Prantl, 6. Oktober 2016:


  • Angelika Merkel "hätte sagen können: 'Ich kann mich doch von weinenden Kinderaugen nicht erpressen lassen.' Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hat so dahergeredet; und es gab auch deutsche Staatsschützer, die so gesprochen und mit solchen Sätzen Herzlosigkeit als angebliche Verantwortungsethik gepriesen haben: Deutschland müsse ein Exempel statuieren. Dosierte Brutalität sei besser als undosierte Aufnahmepolitik."

    Heribert Prantl: "'Wir schaffen das.' Politik der drei Wörter." 6. Oktober 2016 (zulehner.wordpress.com)

 

 Twitter, 17. September 2020:
 

Die falsche Zuschreibung des Zitats an die österreichische Innenministerin könnte auch dadurch entstanden sein, dass österreichische Innenministerinnen schon öfters mit zynischen Rechtfertigungen ihrer mitleidslosen Maßnahmen aufgefallen sind.

Die Innenmininsterin Maria Fekter zum Beispiel kam im Jahr 2009 mit einem schäbigen Witz über die "Rehlein-Augen" der Schülerin Arigona Zogaj, die im Asylverfahren mit ihrer Familie abgeschoben werden sollte, in die Schlagzeilen.

 
 
Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) , 14. Januar 2009:
 
  • "Ich habe nach den Gesetzen vorzugehen, egal ob mich Rehlein-Augen aus dem Fernseher anstarren oder nicht".

    (derstandard.at)


 
Artikel in Arbeit.

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Quellen:
ZEITmagazin Nr. 10/2016   
Heribert Prantl: "'Wir schaffen das.' Politik der drei Wörter." 6. Oktober 2016 (zulehner.wordpress.com)

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Dank:
Ich danke Jürg Christandl für den Hinweis auf das Falschzitat und Matthias Cremer für den Hinweis auf Maria Fekters zynischen Witz.

Mittwoch, 9. September 2020

"Der Grund, warum Menschen zum Schweigen gebracht werden, ist nicht, weil sie lügen, sondern weil sie die Wahrheit reden." Theodor Fontane (angeblich)

Pseudo-Theodor-Fontane-Zitat.

Dieses Zitat stammt nicht von Theodor Fontane, sondern aus einem Buch mit dem Titel "Die Jahrhundertlüge", in dem schon im zweiten Satz ein falsches George-Orwell-Zitat steht, und in dem sich der Autor unter anderem damit abplagt, zu beweisen, 
  • "warum das 'Grundgesetz' schon eine sehr lange Zeit nicht mehr gilt und warum damit formaljuristisch der Staat 'Bundesrepublik Deutschland' vor langer Zeit aufgehört hat, zu existieren." (google.books)
 
Auf der letzten Seite des im Selbstverlag erschienen Buches, das anscheinend im rechtsextremen Milieu und von Querdenkern gelesen wird, steht der Satz:
  • "Der Grund, warum Menschen zum Schweigen gebracht werden, ist nicht, weil sie lügen, sondern weil sie die Wahrheit reden. Wenn Menschen lügen, können ihre eigenen Worte gegen sie angewandt werden. Doch wenn sie die Wahrheit sagen, gibt es kein anderes Gegenmittel als die Gewalt." Holger Fröhner, S. 277 (google.books)
 
Im  Jahr 2011  hat Holger Fröhner diesen Spruch — wohl um ihm etwas Autorität zu verleihen — in seinem Buch "Nacht" Theodor Fontane untergeschoben. Seidem wird dieses Pseudo-Theodor-Fontane im Internet verbreitet.
 
Dass der Satz Fröhners in den Briefen und Schriften Theodor Fontanes nicht zu finden ist, hat Klaus-Peter Möller vom Theodor-Fontane-Archiv der Universität Potsdam per E-Mail bestätigt.



Pseudo-Theodor-Fontane-Zitat.





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Quellen:
Holger Fröhners Text "Die Jahrhundertlüge" wurde seit 2007 in mehreren Versionen mit unterschiedlicher Seitenanzahl publiziert. Das später Theodor Fontane untergeschobene Zitat steht in allen Versionen am Ende des Buches.
Holger Fröhner: Die Jahrhundertlüge 24.06.2007,  S. 109 pdf;
 2006 / 2011 Google.books
Beispiele für falsche Zuschreibung:

2011: Holger Fröhner: "Nacht", epubli, Berlin: 2011, S. 250 (google.books)
2012: lutzschaefer.com/horizont-13.blogspot.com :  "Wahrheit durch Theodor Fontane", Auszug von RA Lutz Schäfer vom 16.10.2012 
 
de.metapedia.org - Fontane
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Dank:
 Ich danke Klaus-Peter Möller vom Theodor-Fontane-Archiv  für seinen Hinweis auf dieses Kuckuckszitat.

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Anhang