Samstag, 17. November 2018

"Die Basis einer gesunden Ordnung ist ein großer Papierkorb." Kurt Tucholsky (angeblich)


Dieser Aphorismus von Kurt Tucholsky wird oft mit einem veränderten Wort zitiert: statt "einer gesunden Ordnung" steht im Original: "jeder gesunden Ordnung".


Fast korrektes Kurt-Tucholsky-Zitat.


Kurt Tucholsky hat den Aphorismus 1930 und 1932 in zwei leicht verschiedenen Varianten publiziert:

Kurt Tucholsky

  • 1930: Die Basis jeder gesunden Ordnung ist ein großer Papierkorb.
  • 1932: Die Seele einer jeden Ordnung ist ein großer Papierkorb. (Link)
-

Spätere Varianten von Zitierenden:  

  • Die Basis einer gesunden Ordnung ist ein großer Papierkorb.
  • Die Seele jeder Ordnung ist ein großer Papierkorb.
  • Ein großer Papierkorb ist die Basis jeder Ordnung.



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Quellen:

Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 8, Reinbek bei Hamburg: 1975, S. 188-191; Erstdruck: Peter Panter: "»Das kann man noch gebrauchen –!«", Neue Leipziger Zeitung, 19. August 1930. zeno.org
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Reinbek bei Hamburg: 1975, S. 106-108; Erstdruck: Peter Panter,  Rubrik "Schnipsel", Die Weltbühne, 19. Juli 1932, Nr. 29, S. 98. zeno.org

In Arbeit. (Vorerst zitiert nach zeno.org)

Montag, 12. November 2018

"Die Pharisäer aber gingen hinaus und fassten den Beschluss, Jesus umzubringen." Matthäus 12,14 (angeblich)

Dieser Satz aus der deutschen Einheitsübersetzung (2016) des Matthäus-Evangeliums ist umstritten, weil im griechischen Original dieser Stelle nichts von einem Mordplan der Pharisäer steht.

Der von Karl Kraus geschätzte Leander van Eß zum Beispiel übersetzte diesen Satz in seiner Edition des Neuen Testaments 1884 mit folgenden Worten:
  • "Nun begaben sich die Pharisäer weg und hielten miteinander Rath, wie sie ihn aus dem Wege schaffen könnten."
    Leander van Eß, Matthäus 12:14, Wien: 1884, S. 13
 Der Kirchenhistoriker Hans Förster schlägt vor, statt "umbringen" in der Übersetzung das Verb "loswerden" zu wählen:

  • "Als aber die Pharisäer hinausgegangen waren, berieten sie über ihn, wie sie ihn loswürden."
    Hans Förster: "Mörder oder Störenfried?", 2018 (Link)
     
"Einen Störenfried - auf welche Art auch immer - loszuwerden, ist etwas ganz anderes," schreibt Hans Förster, " als der bewusste Vorsatz, diesen töten zu wollen. (Link)"

Die Darstellung von Juden als "Christusmörder" steht in der antisemitischen Tradition des Christentums:


Hans Förster:


  • "Kittel und andere Theologen aus der Zeit des Nationalsozialismus haben mit Standardwerken wie dem "Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament" mit dazu beigetragen, dass es zwei aktuellen Revisionen, also Überarbeitungen von zentralen Bibelübersetzungen, unzureichend gelungen ist, traditionelle Antijudaismen zu überwinden. Vielmehr verschärfen die revidierte Lutherbibel (2017) und die revidierte Einheitsübersetzung (2016) das Motiv einer Dämonisierung der Juden im Neuen Testament, verglichen mit Übersetzungen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg.

    Deshalb sei in Erinnerung gerufen: Die Darstellung der Juden als Teufel und Dämonen war eines der am häufigsten verwendeten Motive der nationalsozialistischen Propaganda. Damit zeigt sich: Der wissenschaftlichen Aufarbeitung philologisch problematischer antijüdischer Verzerrungen des Neuen Testaments hat sich die Theologie überhaupt erst anzunehmen. Dabei handelt es sich nicht nur um eine faszinierende und schwierige wissenschaftliche Herausforderung - es ist vielmehr eine moralische Pflicht."

    Hans Förster: "Mörder oder Störenfried?", Wiener Zeitung, 2018 (Link)


Matthäus 12,14


  • Ἐξελθόντες δὲ οἱ Φαρισαῖοι συμβούλιον ἔλαβον κατ’ αὐτοῦ ὅπως αὐτὸν ἀπολέσωσιν. (Link)
  • Exeuntes autem pharisaei, consilium faciebant adversus eum, quomodo perderent eum. 
  • Then the Pharisees went out, and held a council against him, how they might destroy him. King James Version (Link)
  • Aber die Pharisäer gingen hinaus und hielten Rat gegen ihn, damit sie ihn vernichten könnten. jw.org 
  • Nun begaben sich die Pharisäer weg und hielten miteinander Rath, wie sie ihn aus dem Wege schaffen könnten.
  • Die Pharisäer aber gingen hinaus und fassten den Beschluss, Jesus umzubringen.
  •  Als aber die Pharisäer hinausgegangen waren, berieten sie über ihn, wie sie ihn loswürden.


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Quellen:
"Die heiligen Schriften des Neuen Testamentes", übersetzt und mit zugefügten Sach-Parallelstellen und grundtextlichen Abweichungen neu revidiert von Leander van Eß, Verlag der britischen und ausländischen Bibelgesellschaft, Wien: 1884, S. 13
Hans Förster: "Mörder oder Störenfried?", Wiener Zeitung extra, 10./11. November 2018, S. 25f. (Link)
bibelwissenschaft.de/online-bibeln

Artikel in Arbeit.

Freitag, 9. November 2018

"Der Nationalsozialismus hat sich vorsichtig, in kleinen Dosen, durchgesetzt – man hat immer ein bisschen gewartet, bis das Gewissen der Welt die nächste Dosis vertrug.“ Stefan Zweig (angeblich)


Etwas verkürztes Stefan-Zweig-Zitat.
Dieser Satz ist die Zusammenfassung von drei Sätzen aus Stefan Zweigs Autobiographie "Die Welt von Gestern", die er in seinen drei letzten Lebensjahren verfasst hat und die posthum 1942 erschienen ist.

Der Stefan Zweig zugeschrieben Satz ist zwar kein wörtliches Zitat, aber er ist eine nicht sinnentstellende, prägnante Kurzfassung eines Gedankens Stefan Zweigs über die Taktik der Nationalsozialisten.

Stefan Zweig, Die Welt von Gestern, 1942

  • "Man sieht: all die Ungeheuerlichkeiten, wie Bücherverbrennungen und Schandpfahlfeste, die wenige Monate später schon Fakten sein sollten, waren einen Monat nach Hitlers Machtergreifung selbst für weitdenkende Leute noch jenseits aller Faßbarkeit. Denn der Nationalsozialismus in seiner skrupellosen Täuschertechnik hütete sich, die ganze Radikalität seiner Ziele zu zeigen, ehe man die Welt abgehärtet hatte. So übten sie vorsichtig ihre Methode: immer nur eine Dosis und nach der Dosis eine kleine Pause. Immer nur eine einzelne Pille und dann einen Augenblick Abwartens, ob sie nicht zu stark gewesen, ob das Weltgewissen diese Dosis noch vertrage. Und da das europäische Gewissen – zum Schaden und zur Schmach unserer Zivilisation – eifrigst seine Unbeteiligtheit betonte, weil diese Gewalttaten doch »jenseits der Grenze« vor sich gingen, wurden die Dosen immer kräftiger, bis schließlich ganz Europa an ihnen zugrunde ging. Nichts Genialeres hat Hitler geleistet als diese Taktik des langsamen Vorfühlens und immer stärkeren Steigerns gegen ein moralisch und bald auch militärisch immer schwächer werdendes Europa."
    Stefan Zweig: "Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers." gutenberg.spiegel.de

Im Usenet taucht die Kurzfassung erstmals im September 2000 in der deutschen Übersetzung eines griechischen Radio-Interviews mit der grünen Wiener Politikerin Maria Vassilakou auf (Link).
Im selben Jahr erinnert sich ein österreichischer Historiker, den Satz im Sommer 1999 in der Signature einer E-Mail gelesen zu haben (Link):

2000:
  • "In einer Mail-Signature las ich im vergangenen Sommer den folgenden Satz: 'Der Nationalsozialismus hat sich vorsichtig, in kleinen Dosen durchgesetzt - man hat immer ein bißchen gewartet, bis das Gewissen der Welt die nächste Dosis vertrug.'

    In der Signature wurde dieser Satz Stefan Zweig zugeschrieben. Leider war es mir nicht möglich, eine genauere Quellenangabe zu eruieren, aber dies tut der Bedeutung des Zitats keinen Abbruch."
    Markus Cerman: "Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Einleitung" S. 132 (Link)  
Im Jahr 2010 wird dieses Zitat von einer AktivistInnengruppe gegen Rechte und Rechtsextreme durch ein Plakat verbreitet (Link):
Plakat 2010; verkürztes Stefan-Zweig-Zitat.
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Quellen:
Google
Stefan Zweig: "Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers." Bermann-Fischer, Stockholm: 1942; S. Fischer, Frankfurt am Main: 1982, S. 416 (Link) 
 2000: Maria Vassilakou, deutsche Übersetzung eines griechischen Interviews, 06.09.00, Marcel Kneuer: "richtigstellung zu einem griechischen interview", at.blackbox.gruene.wien.diskussionen
Maria Vassilakou in der Ethnos (Link)
2000: Markus Cerman: "Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Einleitung." in: Beiträge zur historischen Sozialkunde. Nr. 4/00. 30. Jg. 2000, S. 132 (Link)  books.google; Online: (Link)
2010: Das Bündnis, Plakat dasbuendnis.twoday.net/stories/zweig/

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Dank:
Ich danke Jean I. Billroth für seine Recherchen; den Hinweis auf den Urspung des Zitats in der "Welt von Gestern" verdanke ich Frank Böhmert sowie David und ma am.

Artikel in Arbeit.

Montag, 5. November 2018

"Gott gibt die Nüsse, aber er knackt sie nicht." Johann Wolfgang von Goethe (angeblich)

Dieses alte deutsche Sprichwort wird auf Deutsch oft Johann Wolfgang von Goethe unterschoben und auf Englisch oft Franz Kafka.

Pseudo-Johann-Wolfgang-Goethe-Zitat.
     
Pseudo-Johann-Wolfgang-Goethe-Zitat.

Pseudo-Johann-Wolfgang-Goethe-Zitat.


Goethe scheint dieses alte Sprichwort gefallen zu haben, denn er trägt es einmal in ein Stammbuch ein:


Johann Wolfgang Goethe, 1811:

  • "'Gott giebt die Nüsse, aber er bricht sie nicht auf.' Dies altdeutsche Wort zu freundlichem Andenken.
    Goethe Weimar d. 9. Oct. 1811"
    Stammbuchblatt  books.google

 Dieses Sprichwort anonymen Ursprungs ist in einigen Varianten überliefert:

  • Gott gibt die Nüsse, aber er knackt sie nicht auf.
  • Gott gibt uns wol die Nüsse, aber er knackt sie nicht auf. 
  • Gott gibt uns wol die Nüsse, aber in der Schale.
  • Unser Herrgott gibt die Nüsse, aber er beisst sie nicht auf.
  • God gives the nuts, but he does not crack them.

Beispiele für falsche Zuschreibungen an Franz Kafka:


Pseudo-Franz-Kafka-Zitat.


Twitter:

Pseudo-Franz-Kafka quote.
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Quellen:
Google
Karl Friedrich Wilhelm Wander: "Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Ein Hausschatz für das deutsche Volk." Zweiter Band, Gott bis Lehren, F. A. Brockaus, Leipzig: 1870,  S. 25, Nr. 531, 532  (Link)
Stammbuchblatt mit Goethes Eintrag: books.google

 books.google.at
 books.google

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Dank:
Ich danke  Michael Gunczy für den Hinweis auf dieses Kuckuckszitat.

Artikel in Arbeit.

Sonntag, 28. Oktober 2018

"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit." Karl Valentin (angeblich)

Der Spruch ist die Kurzfassung eines Dialogs aus der 1932 entstandenden Filmoper "Die verkaufte Braut", in der auch Karl Valentin mitspielte.

Die verkaufte Braut, Film, 1932

  • Wenzel (zu Esmeralda, die eben Ziehharmonika gespielt hat): "Kunst ist schön!"
    Esmeralda (blickt Wenzel an): "Macht aber viel Arbeit!"
    Wenzel: "Ja!"
    "Die verkaufte Braut", Film von Max Ophüls, 1932, Youtube 21:01 (Link); zitiert nach Dirk Heißerer, 2015, (pdf)

Aber Karl Valentin trat in dem Film erst nach diesem Dialog auf und hatte mit dem Drehbuch - soweit bekannt ist - nichts zu tun. Das Drehbuch zur Verfilmung Friedrich Semtanas Oper "Die verkaufte Braut" stammt von Curt Alexander und Max Ophüls nach dem Libretto von Karel Sabina.

Der Anwalt der Erben Karl Valentins ist übrigens der Meinung, das Zitat sei von Karl Valentin, hat es aber laut dem Literaturwissenschaftler Dirk Heisseler (Link) bislang versäumt, eine Quelle für dieses Zitat in einem Text Karl Valentins nachzuweisen, obwohl dieser Anwalt gegen die unbefugte Verwendung dieses Zitats schon geklagt hat (Link).


Filmplakat 1932; Quelle: Wikipedia.
 Ich folge hier den Recherchen des gewissenhaften Literaturwissenschaftlers Dirk Heißerer:
  • "Einen Beleg dafür, dass der Münchner Komiker irgendetwas mit dem Drehbuch von Curt Alexander und Max Ophüls nach dem Libretto von Karel Sabina zu tun haben könnte, hat bisher niemand erbringen können ..."
    Dirk Heißerer, 2015, Dreigroschenheft, S. 48 (pdf), 

Pseudo-Karl-Valentin-Zitat; Wolfgang Nieblich, Berlin, Beton; Foto: Margit Hohenberger

Man sollte in Zukunft also dieses Zitat, das seit 1987  Karl Valentin unterschoben wird,  Karl Valentin nur mehr dann zuschreiben, wenn man es in einem seiner Texte nachweisen kann.

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Quellen:
Johannes Löhr: "Rechtsstreit um Zitate von Karl Valentin", 28.Oktober / 10. November 2011,  Merkur.de
Dirk Heißerer: "Die rote Zibebe. Auf den Spuren zweier Improvisation von Bert Brecht und Karl Valentin. Mit einer unbekannten Regienotiz Brechts", in:  JUNI. Magazin für Literatur und Kunst,  Heft 49/50, April 2015, S. 11-92, S. 80 (vorerst zitiert nach Heißerer, Dreigroschenheft)
Dirk Heißerer: "'Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit' - Kein Valentin-Spruch", in: "Dreigroschenheft", Informationen zu Bertolt Brecht, 22. Jg., Heft 3/2015, S. 48 (pdf) 
Dirk Heißerer: Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung vom 10. Oktober 2018 (nicht online)
Margit Hohenberger: "Keramik-Kunst ist schön…", Keramik Kunst Blog, 2014 (Link)
"Die verkaufte Braut", Film von Max Ophüls, 1932, Youtube 21:01 (Link);

Beispiele für falsche Zuschreibungen:
1987: Roger Willemsen: "Figuren der Willkür: Autobiographie eines Buches" Piper, München 1987, S. 142 (Link) (Laut Google-books-Suche ist das die früheste Zuschreibung an Karl Valentin.)
Google
https://books.google.at
karl-valentin.de
zitate.eu/...78691
bar.wikipedia.org
2018: spiegel.de/karl-valentin-die-schoensten-zitate-fotostrecke-158095-3.html

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Dank:
Ich danke Peter Michael Braunwarth für den Hinweis auf dieses Kuckuckszitat und Dirk Heißerer für seine gründlichen Recherchen. 

Artikel in Arbeit. Letzte Änderung 9/01 2019

Donnerstag, 25. Oktober 2018

"Das Einzige, was man unbedingt wissen muss, ist der Standort der Bibliothek." Albert Einstein (angeblich)

Pseudo-Albert-Einstein-Zitat.
Dieses nicht nur bei Bibliothekar:innen beliebte Pseudo-Albert-Einstein-Zitat gibt es auf Deutsch erst seit ein paar Jahren und ist auf Englisch anscheinend 2005 als Paraphrase eines Gedankens von Albert Einstein entstanden.

In dem Standardwerk der Einstein-Zitate, in "The Ultimate Quotable Einstein" von Alice Calaprice, wird dieses angebliche Einstein-Zitat ebenso wenig erwähnt wie in irgendeinem anderen seriösem Nachschlagwerk. Auch in seinen digitalisierten Schriften ist es unauffindbar.

Es ist also sehr wahrscheinlich ein Kuckuckszitat, auch, weil es Albert Einstein erst 50 Jahre nach seinem Tod erstmals zugeschrieben wurde.


2005
Seit dieser angeblichen Paraphrase eines Gedankens Einsteins, der mir unbekannt ist, wird Albert Einstein das Zitat untergeschoben.

 Variante: "The only thing that you absolutely have to know is the location of the library."
Pseudo-Albert-Einstein-Zitat.




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Quellen:
Alice Calaprice: "The Ultimate Quotable Einstein", Foreword: Freeman Dyson, Princeton University Press, Princeton and Oxford: 2011
2005: Susan Hermiller, Melanie Martin, Eric York: "LEARNING CALCULUS" (Einführung für Studentinnen), geposted von  alex 17. Oktober 2005, 11:35   pagine.dm.unipi.it/gobbino/Forum
 
Beipiele für falsche Zuschreibungen:
2016:  
2017: Dagmar Breitenbach"Spektakuläre Bibliotheken in Deutschland" DW, 3. März 2017
dw.com/de/spektakul%C3%A4re-bibliotheken-in-deutschland/a-37797909

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Ich danke Zenon für den Hinweis auf dieses Kuckuckszitat.

Artikel in Arbeit.

Mittwoch, 10. Oktober 2018

"Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste." Heinrich Heine (angeblich)

Pseudo-Heinrich-Heine-Zitat.
Dieser nicht nur in der Bücherbranche vielzitierte Satz klingt gar nicht nach einem Autor mit so unvergleichlichem Witz wie Heinrich Heine einer war. Und das Zitat wird ihm auch erst im 21. Jahrhundert untergeschoben. Davor ist es in den digitalisierten Texten nicht zu finden.

Dieses angebliche Heinrich-Heine-Zitat ist die Paraphrase eines Satzes aus Hermann Hesses Essay "Magie des Buches":

 Hermann Hesse, 1930

  • "Von den vielen Welten, die der Mensch nicht von der Natur geschenkt bekam, sondern aus dem eigenen Geist erschaffen hat, ist die Welt der Bücher die größte. Jedes Kind, wenn es die ersten Buchstaben auf seine Schultafel malt und die ersten Leseversuche macht, tut damit den ersten Schritt in eine künstliche und höchst komplizierte Welt, deren Gesetze und Spielregeln ganz zu erkennen und vollkommen zu üben kein Menschenleben ausreicht."

    Hermann Hesse: "Magie des Buches", Berliner Tageblatt, 14. November 1930 (Link)

Den Hinweis auf den Urspung des angeblichen Heinrich-Heine-Zitats bei Hermann Hesse verdanke ich der Webseite literatpro.de

Vielleicht führten die identischen Initialien "HH" beider Autoren zu der Verwechslung.  Das Zitat könnte erstmals in dem Forum der Webseite buechertreff.de im August 2004 falsch zugeschrieben worden sein.

Es ist völlig unwahrscheinlich, dass dieser Satz jemals an einer versteckten Stelle in einer Schrift Heinrich Heines gefunden werden wird, da die gesammelten Schriften Heines mehrfach digitalisiert sind.

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Quellen:
.Hermann Hesse: "Magie des Buches" (Erstdruck: Berliner Tageblatt, 14. November 1930), Sämtliche Werke, Band 14, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main: 2003, S. 403  (Link)
literatpro.de : "Von Welten, die der Mensch erschaffen hat ", 2016

Falsch zugeschrieben:
2004:  buechertreff.de/forum (Frühe falsche Zuschreibung an Heinrich Heine:

Zeitungen: GoogleNews

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Dank:


Ich danke auch Ralf Bülow für seine Recherchen. 
 
Letzte Änderung: 30/5 2022