Posts mit dem Label Kraus werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Kraus werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Montag, 2. Oktober 2017

"Nach Ägypten wär's nicht so weit, aber bis man zum Südbahnhof kommt." Karl Kraus (angeblich)







  • "Denn mir liegt auch dreißig Jahre nach meinem Tode mehr an einem Komma, das an seinem Platz steht, als an der Verbreitung des ganzen übrigen Textes."
    Karl Kraus, 1911


ANTWORT:

Von den18 Ansichtskarten mit Karl-Kraus-Aphorismen enthalten 4 Ansichtskarten Fehler, die Karl Kraus wahrscheinlich hätte berichtigen lassen. Ich hatte auf Twitter gewettet, dass 20 Prozent dieser Postkarten fehlerhaft sind: Es sind mehr als 20 Prozent, 4 von 18. Und die ärgste Verunstaltung eines Karl-Kraus-Zitats wird einem schon im 15-zeiligen Vorwort zugemutet.

1)  Punkt statt Komma.




"Nach Ägypten wär's nicht so weit. Aber bis man zum Südbahnhof kommt."
Karl Kraus: Sprüche und Widersprüche, Aphorismen, S. 143 (Link)














2) Punkt statt Komma. Ein Wort gestrichen.




"In Berlin wächst kein Gras. In Wien verdorrt es."
Karl Kraus: Sprüche und Widersprüche, Aphorismen, S. 149 (Link)











3) Falscher Apostroph und falscher Buchstabe:







"'Geh'ns, seins net fad!' sagt der Wiener zu jedem, der sich in seiner Gesellschaft langweilt."
Karl Kraus:
Pro Domo et Mundo, Beim Wort genommen, S. 201 (Link)









4) Buchstabe zuviel.



"Der Wiener Volkscharakter hat zwei Triebfedern des Stillstandes, die, scheinbar einander entgegenstrebend, schließlich doch eine Einheit ergeben: Der Schiebidennetean-Wille paart sich mit der Stehtenettafür-Skepsis und es entspringt die Lekmimoasch-Absage."
Karl Kraus: Nachts, Beim Wort genommen, S. 366  (Link)





  • "Aber ich gestatte keinem, eine Äußerung aus den letzten drei Jahren in wohlwollender Absicht zu zitieren, wenn er sich nicht verpflichtet, an die Kontrolle des Nachdrucks wenigstens den hundertsten Teil der Sorgfalt zu wenden, die ich an die Kontrolle des Drucks gewendet habe."
    Karl Kraus, 1909
______
Dank:
Ich danke Frau Dr. Dr. Katharina Prager für den Hinweis auf diese Postkarten.

Samstag, 20. Mai 2017

"Der Skandal fängt da an, wo die Polizei ihm ein Ende macht." Karl Kraus (angeblich)

Das ist die Version eines Satzes von Karl Kraus, die Henryk M. Broder in seinem Buch "Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage" in diesem Wortlaut gebracht hat (Link).

Er hat ein Wort dazu gegeben und eines verändert: "da" ist neu und statt "wo" gehört "wenn". Karl Kraus hat auch wegen eines fehlenden Kommas von Zeitungen Berichtigungen verlangt, er  wäre also auch mit dieser schlampigen Wiedergabe seines Aphorismus nicht zufrieden.

Korrekt lautet das Zitat: 
  • "Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende macht."
    Karl Kraus: Sprüche und Widersprüche, Erstausgabe, 1909

Die allererste Version des Aphorismus steht in dem Essay "Prozeß Veith." (1908) :
  • "Die Unsittlichkeit lebt so lange in Frieden, bis es dem Neid gefällt, die Moral auf sie aufmerksam zu machen, und der Skandal beginnt immer erst dann, wenn »die Polizei ihm ein Ende bereitet«."
    Karl Kraus, 1908

Dieses Zitat wurde schon öfters zum Problem. 1921 findet Karl Kraus folgende Stelle in der "Wiener Allgemeine Zeitung":
  •  »Und in anderem Sinne als der Ausspruch ursprünglich gemeint war, erinnert man sich der Worte Bahrs: »Der Skandal beginnt erst, wenn ihm die Polizei ein Ende macht.«

 Karl Kraus verlangt und bekommt folgende Berichtigung nach § 19 Preßgesetz:
  •  "Es ist unwahr, daß dieser Ausspruch Worte Bahrs sind. Wahr ist vielmehr, daß dieser Ausspruch von Karl Kraus stammt, in dessen Buch »Sprüche und Widersprüche (Kapitel »Moral und Christentum«, S. 50) der folgende Satz steht: »Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende macht.« Karl Kraus."

Die "Wiener Allgemeine Zeitung" bringt diese Berichtigung, allerdings mit der Erklärung, das Zitat sei zwar nicht von Hermann Bahr, aber ursprünglich von Ludwig Thoma, in dessen 1908 publizierter Komödie "Moral" folgender Satz stünde:  »Vergessen Sie nie, daß der Skandal sehr oft erst dann beginnt, wenn ihm die Polizei ein Ende bereitet

Karl Kraus verlangt neuerlich eine Berichtigung, weil Ludwig Thoma seine Erlaubnis hatte, diesen Aphorismus in seine Komödie einzubauen und die Prioritätsfrage durch die Publikationsdaten eindeutig sei.  Nachzulesen ist die unterhaltsame Glosse zu diesem Falschzitat-Casus in der "Fackel" Nr. 561, 1921, S. 73-77.
_________
Quellen:
"Die Fackel" Online, Österreichische Akademie der Wissenschaften
Karl Kraus: "Die Fackel", 1921, Nr. 561, S. 73-77
Karl Kraus: Sprüche und Widersprüche, Erstausgabe, 1909 
_______
(Artikel in Arbeit)

"Es gibt Dinge, die so falsch sind, dass nicht einmal das Gegenteil wahr ist." Karl Kraus (angeblich)

Die Wendung, etwas sei so falsch oder so verlogen, "dass nicht einmal das Gegenteil wahr ist", war in Österreich schon vor dem Ersten Weltkrieg in politischen Debatten verbreitet. 

Der Wiener Autor Friedrich Torberg hat diese Wendung in der Formulierung des ungarischen Schriftstellers Ferenc Molnár über einen problematischen Journalisten, der so lüge, "daß nicht einmal das Gegenteil wahr ist" (Link), weiter erzählt und später auch variiert.

Auch in einem Essay Kurt Tucholskys taucht 1927 die Wendung auf: Ein Minister habe "so schlecht gelogen, dass nicht einmal das Gegenteil von dem wahr war, was er sagte." (Link)

1920 schreibt Karl Kraus von Notlügen, "von denen nicht einmal das Gegenteil wahr ist", aber die  ihm zugeschriebene Verallgemeinerung, "Es gibt Dinge, die so falsch sind, dass nicht einmal das Gegenteil wahr ist", stammt nicht von Karl Kraus, sondern wurde ihm seit 1976 (ursprünglich von
Henryk M. Broder) unterschoben.


 1915, Unbekannt
  • "Nach den Lügen des 'Temps', von denen wenigstens das Gegenteil wahr ist, seien jetzt einige andere Lügen vorgeführt, die so dreist sind, daß nicht einmal ihr Gegenteil wahr sein kann."
    "Ein Tag des Weltkrieges" ("Von unserem militärischen Mitarbeiter), Pester Llyod, 11. Mai 1915, S. 3 (Link)


1920, Karl Kraus
  • "Dankbar bin ich keinem dafür, des kann er versichert sein, und die Idee, daß ich auf solche Beute lauere oder das Druckbild einer schändlichen Zeit durchwühle, um michsatirisch zu befriedigen und mit Zeitungspapier mir warm zu machen, gehört zu jenen armseligen Notlügen einer durch meinen Blick beengten Gegenwart, von denen nicht einmal das Gegenteil wahr ist."
    Karl Kraus, 1920

1925, Karl Kraus
  • "Aber im Fall des Herrn Otto Ernst, den ich nie gekannt habe und der nie ein mir bekanntes Wort gegen mich geschrieben hat, ist nicht einmal das Gegenteil wahr."
    Karl Kraus, 1925

1927, Kurt Tucholsky
  • Wenn Ihr Junge in der Schule nicht versetzt wird, dann darf er mit Ihnen nicht ins Theater gehen. Wenn ein Minister seine Aufgabe bis zum blamablen Zusammenbruch verfehlt hat, Fehler auf Fehler gehäuft, gelogen, aber schlecht gelogen, so schlecht gelogen, dass nicht einmal das Gegenteil von dem wahr war, was er sagte, geschoben, aber dumm geschoben, getäuscht, aber unvollkommen getäuscht –: dann geschieht was? Dann fährt er, unwiderruflich, liebe Frau, ins Ausland. Zur Erholung, liebe Frau.
    Kurt Tucholsky (Ignaz Wrobel): "Was soll er denn einmal werden?" Die Weltbühne, 10. Juli 1928, Nr. 28, S. 60 (Link)
 1956, Friedrich Torberg zitiert Ferenc Molnár
  • "Von einem Journalisten, der mit der Wahrheit besonders wüst und willkürlich umsprang, sagte er: 'Ein unverläßlicher Mensch. Er lügt so, daß nicht einmal das Gegenteil wahr ist'."
    Der Monat, Band 9, 1956, S. 62 (Link)
________
Quellen:
Google
Pester Llyod, 11. Mai 1915, S. 3 (Link)
Friedrich Torberg, Der Monat, Band 9, 1956, S. 62 (Link)
Kurt Tucholsky (Ignaz Wrobel): "Was soll er denn einmal werden?" Die Weltbühne, 10. Juli 1928, Nr. 28, S. 60 (Link)
Karl Kraus: Die Fackel Nr. 554-556, 1920, S. 47
Karl Kraus: Die Fackel Nr. 686-690, 1925, S. 88
Kurt Tucholsky (Ignaz Wrobel): "Was soll er denn einmal werden?" Die Weltbühne, 10. Juli 1928, Nr. 28, S. 60 (Link)
Henryk M. Broder hat dieses Pseudo-Karl-Kraus-Zitat 1976 unter die Leute gebracht, und später - zum Beispiel 2009 - in einem Interview mit Dominik Betz und Gregor Haschni wiederholt.


(Artikel in Arbeit)

Samstag, 6. Mai 2017

"Der Witz ist das Erdgeschoss des Humors, die Satire der erste Stock, die Ironie der zweite, der Sarkasmus das Mansardenstübchen." Karl Kraus (angeblich)

 
Süddeutsche Zeitung, 5. Mai 2017: Pseudo-Karl-Kraus-Zitat

Auf Google Books taucht dieses Zitat erstmals 2007 auf, und wird dem Schauspieler Werner Krauß zugeschrieben; zehn Jahre später liest man in Online-Zitat-Sammlungen, Karl Kraus sei der Urheber dieses Bonmots; ich kann nicht wissen, ob es wirklich von Werner Krauß stammt: von Karl Kraus ist es sicher nicht. Erstens klingt es zu harmlos humorig und zweitens ist es in seinen Schriften nicht zu finden. Wahrscheinlich ist dieses Pseudo-Karl-Kraus-Zitat über eine Zitate-Sammlung wie Aphorismen.de in die "Süddeutsche Zeitung" gekommen.

__________
Google-Statistik: "Ungefähr 3 120 Ergebnisse"; das Zitat ist also weit verbreitet und wird abwechselnd Werner Krauß oder Karl Kraus zugeschrieben. 
Quellen:
Ralph Schneider: "Zitatenschatz Krebs - 22.06. - 22.07: Für jeden Tag die besten Sprüche von 150 Krebs-Persönlichkeiten der Zeitgeschichte", 2007, S. 15
Sarkasmus-ironie-zynismus.de
Aphorismen.de
Martin Zips: "Satiregruppe startet Aktion gegen Waffenindustrie", "Süddeutsche Zeitung", 5. Mai 2017, SZ.de

______
Ich danke Joseph Wälzholz für den Hinweis. 

Samstag, 29. April 2017

"Das Gegenteil von gut ist gut gemeint." Kurt Tucholsky (angeblich)

Pseudo-Kurt-Tucholsky-Zitat.

Dieses inzwischen weit verbreitete Sprichwort ist aus einem längeren Aphorismus Gottfried Benns über das Verhältnis von Kunst und Natur entstanden ("Der Gegensatz von Kunst .... ist  ... gut gemeint"), und wird im 21. Jahrhundert irrtümlich oft Kurt Tucholsky und vielen anderen unterschoben.

Die prägnante Kurzversion: "Das Gegenteil von gut ist gut gemeint", taucht  bei Google Books 1977 erstmals auf und wird anfangs meistens Gottfried Benn zugeschrieben, bald aber auch Bertolt Brecht und Karl Kraus, und im 21. Jahrhundert Kurt Tucholsky (Google Books).


Friedhelm Greis, der Kenner von Tucholskys Werken, hat schon vor Jahren in seinem informativen und unterhaltsamen Sudelblog darauf aufmerksam gemacht, dass dieses Zitat in Kurt Tucholskys Schriften nicht vorkommt.

Auch in den Schriften von Karl Kraus und Bertolt Brecht ist das Zitat weder so noch so ähnlich zu finden.


Entwicklung des Sprichworts:


1958, Gottfried Benn
  • "Es hat sich allmählich herumgesprochen, daß der Gegensatz von Kunst nicht Natur ist, sondern gut gemeint; Stil ist eine bösartige Neubildung, eine letale."
    Gottfried Benn: "Roman des Phänotyp", 1958  (Link);  (Link)
1967
  • "(Vielleicht muß man Heidegger ins Französische übersetzen, um ihn zu verstehen.) Gottfried Benn: 'Das Gegenteil der Kunst ist nicht die Natur; das Gegenteil der Kunst ist — , gut gemeint'.'" (Link)
1974
  • "In der Kunst und in der Politik ist gut gemeint das Gegenteil von gut. Andre Malraux" (Link)
1976
  • "Das Gegenteil von Kunst, sagt Gottfried Benn, ist »gut gemeint« ..." (Link) 
 1977
  • "Das Gegenteil von gut ist gut gemeint". (Link) 
1981
  • "Man würde also in dieser Beilage sicher einmal und recht bald einem der aktuellsten Sätze von Gottfried Benn begegnen: «Das Gegenteil von gut ist gut-gemeint.»"  (Link)
1983
  • "Das Gegenteil von 'gut' heißt nach Karl Kraus in der Politik 'gut gemeint'" .   (Link)
1983
  • "Nach Bert Brecht ist das Gegenteil von 'gut' oft 'gut gemeint'". (Link)
1989
  • "'Das Gegenteil von gut ist nicht schlecht, sondern gut gemeint.' — (weil man nicht zu Ende denkt, HCR). Karl Kraus " (Link)
1990
  • "Aber ein Aphorismus von Karl Kraus lautet: «Das Gegenteil von gut ist gut gemeint." (Link) 
2017
  • "Wie sagte Tucholsky 'Das Gegenteil von gut ist gut gemeint'". (Link)

 

Varianten:

 
  • "Doch gut gemeint ist oft nicht nur das Gegenteil von Kunst, sondern auch ein nur entfernter Verwandter der Wahrheit."
  • "Von Gottfried Benn haben wir jedoch gelernt, dass das Gegenteil von Kunst nicht Natur ist, sondern gut gemeint."  (Link) 
  • "Das Gegenteil von Kunst, sagt Gottfried Benn, ist »gut gemeint«". 
  • "Gut gemeint ist in der Regel das Gegenteil von gut gemacht". 
  • "Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint."  
  • "Gut gemeint ist meist das Gegenteil von gut."   
  • "Dass „gut gemeint" oft das Gegenteil von „gut" ist - das ist in Österreich ein geflügeltes Wort." 

"Das Gegenteil von gut ist gut gemeint" wurde 1996  zum Titel eines Songs der Hip-Hop-Band Kinderzimmer Productions, mit den Zeilen: "Denn das Gegenteil von gut ist gut gemeint / Habt ihr kapiert!":
Kinderzimmer Productions, 1996:


_________
Quellen:
Gottfried Benn: „Roman des Phänotyp“. Gesammelte Werke in vier Bänden: Bd. Prosa und Szenen.  Limes Verlag, Wiesbaden: 1958, S. 161f.  Google Books
Wikiquote
german.stackexchange.com/questions 
Friedhelm Greis: Sudelblog, Angebliche Tucholsky-Zitate

Beispiele für falsche Zuschreibungen:
Vereinzelt wird das Sprichwort auch Karl Kraus und Bertolt Brecht , Erich Kästner , Friedrich Torberg unterschoben. 
1974: Markus R. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974, S. 127 (Link)
1983: Horst Bieber: "Guter Wille mit Verspätung", DIE ZEIT 47/1983, 18. November 1983 Karl Kraus 
1996: google.com/search Bertolt Brecht
2002:  books.google Erich Kästner, Karl Kraus

Beispiele für falsche Zuschreibungen an Kurt Tucholsky:
2002:  groups.google (früheste Zuschreibung)
2009: books.google 
2015: /books.google
 2017: Tassilo Wallentin: "Der Bärendienst", Kronen Zeitung (Krone Bunt), 19. März 2017  (Link)



 ____
Dank:
Ich danke Stefan Niederwieser für den Hinweis auf den Song von Kinderzimmer Productions.

Letzte Änderung: 23/8 2018

Freitag, 28. April 2017

"Es ist also ausgemacht: Der Geschlechtsverkehr soll in Österreich abgeschafft werden... Zugleich mit der Erhöhung der Postgebühren." Karl Kraus

Henryk M. Broder hat bei diesem Zitat alles richtig gemacht. Broder zitiert also nicht aus Prinzip falsch. Nur sehr oft. In der "Fackel" steht noch die "Telephongebühren" würden gleichzeitig mit der Abschaffung des Geschlechtsverkehrs erhöht, aber Broder zitiert korrekt nach der späteren Buchfassung "Sittlichkeit und Kriminalität": "Postgebühren".
  • "Es ist also ausgemacht: Der Geschlechtsverkehr soll in Österreich abgeschafft werden. Der Buraukretinismus hat — wie sagt man doch — »diese Maßnahme nach genauester Pflegung von Erhebungen ins Auge gefaßt«. Zugleich mit der Erhöhung der Telephongebühren."
    Karl Kraus, "Die Fackel", 1907, Nr. 216, 10 

"Es gibt Thesen, denen man nicht widersprechen kann, ohne sich dumm zu machen." Karl Kraus (angeblich)

Karl Kraus betrachtete unerwünschte Zuschriften als Wortmeldungen von Repräsentanten der Dummheit und widersprach 37 Jahrgänge der 'Fackel' lang gerade auch allerdümmsten Meinungen und Thesen, "ohne sich dumm zu machen".
Um mit der Autorität von Karl Kraus gegen Daniel Goldhagen zu argumentieren, hat  Frank Schirrmacher dieses angebliche Kraus-Zitat verwendet, das weder so noch so ähnlich in der 'Fackel' steht, also ein Falschzitat ist.

________
Quelle:
Martin Sabrow, Ralph Jessen, Klaus Grosse Kracht (Hrsg.): "Zeitgeschichte als Streitgeschichte: grosse Kontroversen seit 1945", Becksche Reihe: 2003, ebook (Link)




"Kleine Nationen sind stolz darauf, dass die Schnellzüge an ihnen vorbeifahren müssen." Karl Kraus (angeblich)

Richtig wäre:
  • "Die kleinen Stationen sind sehr stolz darauf, dass die Schnellzüge an ihnen vorbei müssen ."
    Karl Kraus: "Die Fackel", 1911, 317, 32
___________
Quelle:
Sedlaczek am Mittwoch: "Entlarvt: Der falsche Karl Kraus", Wiener Zeitung

Donnerstag, 27. April 2017

"Österreich ist das einzige Land, das aus Erfahrung dümmer wird." Karl Kraus (angeblich)



Pseudo-Karl-Kraus-Zitat.

 

Karl Kraus hat das nie gesagt. Wohl aber:

1934
  • "Es scheint der Menschennatur verhängt zu sein, durch Erfahrung dümmer und erst durch deren Wiederholung klüger zu werden, und besonders die Intelligenz muss viel mitmachen, bevor sie zu der Einsicht gelangt, dass eine Freiheit, die ihre Vernichtung herbeiführen würde, nur durch Hemmung zu retten ist."
    Karl Kraus: "Die Fackel",  Juli 1934, 890-905, 177
1920
  • "Ich habe mich mein Lebtag geschämt, ein Österreicher zu sein, und nie mich dieser Scham geschämt, wissend, daß sie der bessere Patriotismus sei. 
    ....
    Ist es nicht die hoffnungsloseste und toteste aller Gewissheiten, unter einer Nation zu leben, die durch Schaden dümmer wird?"
    Karl Kraus: "Die Fackel", 1920, 554-556, 2

 

Varianten des Falschzitats:

  • "Die Österreicher sind das einzige Volk der Welt, das aus Erfahrung dümmer wird."
  • "Die Österreicher sind das einzige Volk, das aus Erfahrung dümmer wird."
  • "Österreich ist das einzige Land, das aus Erfahrung dümmer wird." 


  • "Derzeit werde in den sozialen Netzwerken oft ein Zitat von Karl Kraus bemüht: "Österreich ist das einzige Land, das durch Erfahrung dümmer wird." Karl Kraus irre hier aber, denn: Das sei kein österreichisches Phänomen, sondern ein europäisches, ein globales Problem."
    wienerzeitung.at
      
  • "Thukydides stellte fest: Die Geschichte wiederholt sich. Erinnern wir uns an Schwarz-Blau. Denken wir an Kärnten. Sie können jetzt sagen: Was weiß denn der Thukydides, der ist doch seit 2400 Jahren tot. In diesem Fall müsste ich Karl Kraus zitieren: Österreich ist das einzige Land, das durch Erfahrung dümmer wird. Mit Ausnahme der Weinbauern. Zumindest die haben aus ihrem Glykol-Skandal gelernt."
    kurier.at

  _________________________
 
Nachtrag, 21. Oktober 2017
Facebook hat das falsche Karl-Kraus-Zitat gelöscht:

___________
Quellen:
Google
Österreichische Akademie der Wissenschaften, AAC: DIE FACKEL   
____________ 
Nach einer Twitter-Diskussion über dieses Zitat schrieb Oliver Grimm in "Die Presse" am 9. Juni 2015 einen Artikel über den Unfug mit falschen Zitaten: "Meme: Mit Karl Kraus u. Co. im Irrgarten der Zitate." (Link)
_______________
Nachtrag, 22. Oktober 2017:
"Aufregung um Aussage von Niklasdorfer Bürgermeister.  SP-Bürgermeister Hans Marak zitierte Karl Kraus und wurde deswegen hart kritisiert." "Kleine Zeitung", 15. Oktober 2017 (Link)
"Gegen Regeln: Facebook löschte angebliches Karl-Kraus-Zitat." "Der Standard", 21. Oktober 2017 (Link)
Twitter 

________
Beispiele für das Falschzitat:
kurier.at; wienerzeitung.at; seit 2015: Twitter

Montag, 24. April 2017

The trouble with "Germans is not that they fire shells, but that they engrave them with quotations from Kant." Karl Kraus (angeblich)

Dieses Zitat ist auf Deutsch fast unbekannt und taucht erstmals 1967 in einem Buch des englischen Historikers Frank Field über "Die Letzten Tage der Menschheit" auf:
  • "The trouble with the Germans, Kraus complained with polemical exaggeration, was not that they fired shells at the enemy but that they engraved quotations from Kant on the shells before firing them."
Falsche Zitate enstehen oft durch Gedächtnisirrtümer von Experten. Wenn der Spruch plausibel und prägnant formuliert ist, kann das falsche Zitat sehr erfolgreich werden, wie dieses hier, das durch Bücher, Zeitungen und im Internet im englischen Sprachraum millionenfach verbreitet wurde. 
Wie kam der englische Historiker zu dieser falschen Zuschreibung? Nirgends ist überliefert, im Ersten Weltkrieg wären Zitate von Immanuel Kant auf Granaten eingraviert gewesen. Was Karl Kraus der deutschen Kriegspropaganda von Kaiser Wilhelm und patriotischen Journalisten allerdings besonders übelnahm, war die metaphysische und moralische Überhöhung ihrer Aggressionspolitik mit Immanuel Kant. Zur gleichen Zeit wurden mit martialischen Redensarten wie, "Immer feste druff!",  Hunderttausende in den Tod geschickt, was - wie jeder wissen konnte - Immanuel Kants völkerrechtlichen, moralischen und politischen Forderungen vollständig widersprach.



Die preußische Redensart: "Immer feste druff!" war zwischen 1914 und 1918 so populär wie sonst nie.



  • "»Der völlige Sieg im Osten erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit. Er läßt uns wieder einen der großen Momente erleben, in denen wir ehrfürchtig Gottes Walten in der Geschichte bewundern können. Welch eine Wendung durch Gottes Fügung! Die Heldentaten unserer Truppen, die Erfolge unserer großen Feldherren, die bewunderungswürdigen Leistungen der Heimat wurzeln letzten Endes in den sittlichen Kräften, im  kategorischen Imperativ, die unserm Volk in harter Schule anerzogen sind ....«
  • » … Um so dankbarer wird gerade in Ostpreußen das Gottesgericht im Osten empfunden werden. Unseren Sieg verdanken wir nicht zum mindesten den sittlichen und geistigen Gütern, die der große Weise von Königsberg unserem Volke geschenkt hat .... Gott helfe weiter bis zum endgültigen Siege.« "
Karl Kraus hat diese pathetischen, abwegigen Berufungen auf die Lehren von Immanuel Kant im Mai 1918 mit Zitaten aus Kants Friedensschrift konfrontiert und am Ende mit einem ironischen, "eigenhändigen" Immanuel-Kant-Zitat glossiert. Die Sigle "m.p." bedeutet eigenhändig (e.h.), mit eigener Hand, vom Lateinischen "manu propria" (abgekürzt: m.p):
  •             "Um Mißverständnissen vorzubeugen
    erkläre ich, daß ich »Habt acht!«, »Marsch marsch!«, »Immer
    feste druff!« und »Durchhalten!« nicht als Beispiele für meinen
    kategorischen Imperativ vorgesehen habe. Kant m. p."
    Karl Kraus, Mai 1918
Und in der Tragödie "Die letzten Tage der Menschheit" lässt Karl Kraus den Nörgler sagen, die
"neuen Deutschen" hätten "den Kant'schen kategorischen Imperativ frisch von der Leber weg als eine philosophische Rechtfertigung von »Immer feste druff!« reklamiert". Dieses "Immer feste druff!" wurde nicht nur vertont, es wurde in der Tat auch auf Granaten eingraviert. In den "Letzten Tagen der Menschheit" stehen vor dem Eingang der Villa Wahnschafffe "rechts und links zwei Modelle von Mörsergeschossen, das eine mit der Inschrift: 'Immer feste druff!', das andere mit: 'Durchhalten!'".

Dem Historiker Julian Nodhues verdanken wir die These, dass die enge Verbindung von "Immer feste druff!" mit Immanuel Kant in den Kriegschriften von Karl Kraus den englischen Historiker dazu verleitet hat, zu glauben, Zitate von Immanuel Kant wären auf Granaten eingraviert gewesen und Karl Kraus habe gerade das an den Deutschen am meisten gestört.

 ________
Mich freuten die Diskussionen auf Twitter, die geholfen haben, dieses Zitat-Rätsel zu lösen, wobei mir auch die Meldung "nix gefunden" oder Thesen mit kurzer Halbwertszeit nützlich waren. 
Dank an:  Basso Continuo, Julian Nordhues, Katharina Prager,  Andrea Maria Dusl, Christina Dongowski ua
 
Quellen:
Frank Field: "The last days of mankind: Karl Kraus and his Vienna", 1967
Karl Kraus: "Die Letzten Tage der Menschheit. Tragödie in 5 Akten mit Vorspiel und Epilog", III. Akt, 14. Szene: Der Optimist und der Nörgler im Gespräch. (Link)
Karl Kraus: "Die Fackel", Mai 1918,  474-483, S. 156
Google Statistik: Das Zitat hat mehr als 1000 Treffer, ist also wahrscheinlich millionenfach im englischen Sprachraum verbreitet.
BrainyQuote

"Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken." Karl Kraus (angeblich)

Entstelltes Karl-Kraus-Zitat.

Als Ursprung für dieses entstellte Karl-Kraus-Zitat kommen zwei Aphorismen in Frage:
  • "Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können - das macht den Journalisten."
    Karl Kraus: "Die Fackel" 281-282, 1909, 29
 und
  • "Es genügt nicht, keinen Gedanken zu haben: man muss ihn auch ausdrücken können."
    Karl Kraus: "Die Fackel" 697-705, 1925, 60
-->
Die Verneinung im zweiten Satzteil raubt dem Aphorismus den intendierten Witz. - Entstellte Versionen dieses Zitats, die seit 1963 nachweisbar sind, findet man in Zeitungen und im Internet inzwischen fast zehnmal häufiger als das korrekte Zitat.

Einige Variationen:
  • "Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken."
  • "Es qenügt nicht, keine Meinung zu haben; man muß auch unfähig sein, sie auszudrücken."
  • "Es qenügt nicht, keine Idee zu haben; man muß auch unfähig sein, sie umzusetzen."
_______
Quellen:
Google-Satistik für das entstellte Zitat: "Ungefähr 3 450 Ergebnisse "
Google-Statistik für das korrekte Zitat: "Ungefähr 450 Ergebnisse"
Karl Kraus: "Die Fackel" Nr. 281-282, 1909, S. 29
Karl Kraus: "Die Fackel" Nr. 697-705, 1925, S. 60
München: 2017 ebook
Robert Sedlaczek: "Entlarvt: Der falsche Karl Kraus", Wiener Zeitung, 9. Januar 2007  Entstelltes Zitat, zum Beispiel in:
Süddeutsche Zeitung, 27. Oktober 2016: "Kabarett in Moosburg - Millers Stammel-Symphonie"
Henryk M. Broder: 27. März 2007, 30. Dezember 2008, 23. Januar 2013 etc.
Sönke Krüger: "Grassierender Sprachverfall", "Die WELT",
Josef Kraus: "Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt: Und was Eltern jetzt wissen", Herbig,

"Wer den menschen die vorstellungskraft nimmt macht sie blind." Karl Kraus (angeblich)

Dieser Satz, der mir auf Twitter untergekommen ist, ist nicht von Karl Kraus. Vielleicht ist er aus der Erinnerung an diesen Monolog entstanden:
  • Der Nörgler:
    "Nicht daß die Presse die Maschinen des Todes in Bewegung setzte – aber daß sie unser Herz ausgehöhlt hat, uns nicht mehr vorstellen zu können, wie das wäre: das ist ihre Kriegsschuld! Und von dem Wollustwein ihrer Unzucht haben alle Völker getrunken, und die Könige der Erde buhlten mit ihr."
    Karl Kraus: "Die letzten Tage der Menschheit. Tragödie in 5 Akten mit Vorspiel und Epilog",  V. Akt, 54. Szene
_______
Twitter-Diskussion

"Er sprüht Leder." Karl Kraus (angeblich)

Das Bonmmot, "er sprüht Leder", wurde Karl Kraus, Alfred Polgar und Alfred Kerr zugeschrieben, und geht in der Tat auf einen ähnliche Wendung von Karl Kraus zurück.

Rudolf Frühwirth hat mich auf den Ursprung dieses Bonmots in der ersten großen Polemik von Karl Kraus gegen Maximilian Harden aus dem Jahr 1907 aufmerksam gemacht, in der Kraus dem damals berühmten Berliner Kritiker Harden sprühende 'Ledernheit' attestiert:

1907
  • Kein Wunder, daß dieses lohende Temperament Ledernheit sprüht, wenn es zum Schreiben kommt; es hat sich bis dahin im Redigieren abgekühlt.
    Karl Kraus: "MAXIMILIAN HARDEN.  Eine Erledigung." Die Fackel", Nr. 234-235, 31. Oktober 1907, S. 10
Das Witzwort, "er sprüht Leder", stammt also urspünglich von Karl Kraus, während es seinen Zeitgenossen Alfred Polgar und Alfred Kerr seit ungefähr 30 Jahren wohl irrtümlich zugeschrieben wird.

1990 meinte der Schriftsteller Hans Sahl in seinen Memoiren, Alfred Polgar habe über den problematischen Berliner Theaterkritiker Herbert Ihering gesagt, er sprühe Leder.

Neun Jahre später glaubten Marcel Reich-Ranicki und danach Fritz J. Raddatz, der Berliner Kritiker Alfred Kerr habe mit diesem Witzwort seinen damals fast ebenso einflußreichen Kollegen Herbert Ihering charakterisiert. Bislang konnte das Bonmot meines Wissens weder in Polgars noch in Kerrs Schriften nachgewiesen werden.



1960
  • (ich glaube, es war Karl Kraus, der das Bonmot prägte: 'Er sprüht Leder')
     Carl Zuckmayer: "Leidenschaft zählt", DIE ZEIT, 50/1960, 9. Dezember 1960 (Link)


1990
  • Ihering ... war auf einen Punkt gerichtet ... Dieser Punkt hieß Brecht. Seine Kritiken waren Manifeste, Traktate, Kampfansagen. »Er sprüht Leder«, hatte der sonst so milde Alfred Polgar von ihm gesagt.
    Hans Sahl: "Memoiren eines Moralisten - Das Exil im Exil", (EA: 1983/1990) Luchterhand, München: 2009, ebook
    (Link)

1999
  • Reich-Ranicki: Ja, aber es gibt auch große nichtjüdische Kritiker.
    Herbert Ihering etwa.
    DIE WELT: Bedeutend, aber etwas trocken, oder?
    Reich-Ranicki: Er sprüht Leder, schrieb Kerr.
    "Wir waren zusammen in der Hölle - und im Himmel" Ein Interview mit Marcel Reich-Ranicki und seiner Frau Tosia, Die Welt, 18. September 1999 (Link) 


2013
  • Er sprüht Leder", mokierte sich der pointenverliebte Kritiker Alfred Kerr über seinen nicht direkt brillanten Konkurrenten Herbert Ihering.
    Fritz J. Raddatz: "Bester beim Bläh-Deutsch" stern, 24. August 2013 (Link)
______
Quellen:
Karl Kraus: "MAXIMILIAN HARDEN.  Eine Erledigung." Die Fackel", Nr. 234-235, 31. Oktober 1907, S. 10
Neue deutsche Literatur, Band 3, Volk und Welt: 1955, S. 169 (Link)
Carl Zuckmayer: "Leidenschaft zählt", DIE ZEIT, 50/1960, 9. Dezember 1960 (Link)
Fritz J. Raddatz: "Bester beim Bläh-Deutsch" stern, 24. August 2013 (Link)
"Wir waren zusammen in der Hölle - und im Himmel" Ein Interview mit Marcel Reich-Ranicki und seiner Frau Tosia, Die Welt, 18. September 1999 (Link)  
Hans Sahl: "Memoiren eines Moralisten - Das Exil im Exil", (EA: 1983/1990) Luchterhand, München: 2009, ebook (Link)  

___________
Dank:
Ich danke Rudlof Frühwirt für den Hinweis auf das Karl-Kraus-Zitat über Maximilian Harden.

_______
Letzte Änderung: 13. Oktober 2018. (In der ersten Fassung dieses Artikels schrieb ich, das Zitat sei höchstwahrscheinlich nicht von Karl Kraus.) 

"Sie haben nicht einen Gedanken, doch sie sind in der Lage, ihn zu Papier zu bringen - so wird man Journalist". Karl Kraus (angeblich)

Der Autor dieses verunstalteten Karl-Kraus-Zitats fordert in "Die Presse" mehr Qualität im Journalismus.  Er hat wohl diese zwei Gedanken von Karl Kraus paraphrasiert:

  • "Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können — das macht den Journalisten."
    Karl Kraus, 1909
  •              "Das Berufsgeheimnis
    Viele würden in Redaktionen rennen,
    bedürfte es nicht die spezialste der Gaben.
Es genügt nicht, keinen Gedanken zu haben:
man muß ihn auch ausdrücken können."
Karl Kraus, 1925 
 __________
 "Die Presse":

"Manche Aussagen sind so falsch, dass nicht einmal das Gegenteil wahr ist." Karl Kraus (angeblich)

Dieser Satz stammt nicht von Karl Kraus, Henryk M. Broder hat ihn einmal irrtümlich Karl Kraus zugeschrieben.

__________
Twitter

"Sich-vorwärts-Tasten am Seil der Sprache", "tapping along the guiding rope of language" Karl Kraus (angeblich)




Das Zitat stammt von Leopold Liegler und wird irrtümlich Karl Kraus selbst zugeschrieben.



Twitter-Diskussion

"Früher standen sich die Menschen näher; die Waffen trugen nicht so weit." Karl Kraus (angeblich)

Ich danke Brigitte Stocker und Katharina Prager für den Hinweis auf dieses seltene Pseudo-Karl-Kraus-Zitat.
______
Twitter-Hinweis

"Wien bleibt Wien, das ist die fürchterlichste aller Drohungen." Karl Kraus (angeblich)

Obwohl der "SPIEGEL" (mit dem vielgelobten Archiv) und viele andere Zeitungen diesen Aphorismus Karl Kraus zuschreiben, ist er nicht von ihm.

Alfred Polgar sagte angeblich zu Friedrich Torberg: "Ich muß über die Stadt ein vernichtendes Urteil abgeben: Wien bleibt Wien."

_________
Quelle: Wikiquote Diskussion

"Der Unglückliche ist häßlich, besonders wenn er lacht." Karl Kraus (angeblich)

Niemand aus der Karl-Kraus-Forschung hat diesen Satz so oder so ähnlich je in einem Text von Karl Kraus entdecken können. Also wird der Spruch irrtümlich Karl Kraus zugeschrieben.

______
Quellen:
Österreichische Akademie der Wissenschaften, AAC: DIE FACKEL von Karl Kraus (digitale Ausgabe)
Twitter

"Zu Hitler fällt mir nichts ein." Karl Kraus (angeblich)

Der erste Satz des 300 Seiten langen polemischen Essays über die Herrschaft Hitlers im Jahr 1933, der 1952 unter dem Titel "Die Dritte Walpurgisnacht" veröffentlicht wurde, lautet: "Mir fällt zu Hitler nichts ein". Gemeint war: nichts, was die Macht Hitlers beschränken und nichts, was den Opfern der Gewalt wirklich helfen könnte. Darüber hinaus ist dieser prägnante Satz eine Anspielung auf ein Bekenntnis von Karl Kraus aus dem Jahr 1925: "mir fällt zu jedem Dummkopf etwas ein".

Dieser Einleitungssatz wird später in der Formulierung: "Zu Hitler fällt mir nichts ein" populär.  Diese Formulierung impliziert allerdings die  falsche Annahme, Karl Kraus sei wirklich nichts zu Hitler und der NSDAP eingefallen.

In Wahrheit war das Aufkommen des Hakenkreuzes seit 1923 ein Thema von Karl Kraus, und seine "Dritte Walpurgisnacht" ist wohl die stärkste Analyse der ersten Monate der Gewaltherrschaft Hitlers. Die Folterungen in den ersten Konzentrationslagern kommen hier ebenso zur Sprache wie die "Worthelfer der Gewalt" Gottfried Benn und Martin Heidegger, der Jargon der Nazis wird ebenso analysiert wie die Unterwerfung sämtlicher gesellschaftlicher Institutionen unter dem Willen der NSDAP-Parteiführung, die im Nazijargon "Gleichschaltung" genannt wird.


Karl Kraus

1925
  • "Produktion
    Die Fülle meines Werks ist ungemein:
    mir fällt zu jedem Dummkopf etwas ein."
    Karl Kraus: "Die Fackel" 697-705, 1925, 61
1928
  • "Ich glaube, es kommt doch in der Literatur hauptsächlich darauf an, was einem einfällt, damit es Sprache werde, von der späterhin die Menschheit etwas zur Geistesbildung abgewinnt; und mir fällt weiß Gott zu jedem Dummkopf etwas ein — ich bin schon so kleinlich —, während der Zustand, in den ich den Gegner versetzt habe, sichtlich der einer Benommenheit ist, wo die Assoziationen durcheinanderflirren, ohne für den Sprachwert mehr als ein Lallen zu ergeben, und wo also von den faden Fehden ein Faden zu jenem Fötus führt, der noch fader ist."
    Karl Kraus: "Die  Fackel" 795-799, 1928, 97f.
1935
  • "Das stolz bekannte Nichts, das mir zu Hitler einfiel, schlägt, denke ich, alles, was den aktiven Freiheitskämpfern nicht eingefallen ist." 
    Karl Kraus: "Die Fackel" 912-915, 1935, 70
Die Wendung "Zu Hitler fällt mir nichts ein" hat bald Flügel bekommen und ist in dieser Version im Zitate- DUDEN (mit einem Hinweis auf die Umformulierung) verbucht; unzählige Anspielungen auf dieses Zitat werden gedruckt. Ein Beispiel:
  • "Zu Hitler fällt mir was ein
    Teppichbeißer, Vegetarier, Unmensch, Übermensch, Abstinenzler, Monster, Nichtraucher, Diktator, Gefreiter, Hundefreund, Dämon, Österreicher, Regierungsrat, Eintopfesser, Reichskanzler, Abenteurer, Junggeselle, Antisemit, Kunstmaler, Sadist, Schriftsteller, Putschist, politischer Gefangener, Klemmi, Ehrenbürger in Frankfurt, Bochum, Wuppertal, Zülpich, Recklinghausen, Bad Honnef, Bergisch Gladbach, Berchtesgaden und weiteren 132 deutschen Gemeinden. - Was noch?"
    Henryk M. Broder,  SPIEGEL SPECIAL 2/1989
____________

Ernst Jünger, Hans Habe, Fritz J. Raddatz und viele andere meinten, Karl Kraus habe "Zu Hitler fällt mir nichts ein" geschrieben und ihm wäre in der Tat zu Hitler nichts eingefallen. Jochen Stremmel hat in seinem bewundernswert sorgfältigen Buch: "'Dritte Walpurgisnacht' Über einen Text von KARL KRAUS" einige der schiefen Wiedergaben und Interpretationen dieses Zitats gesammelt:



     



 Jochen Stremmel: "Dritte Walpurgisnacht" Über einen Text von Karl Kraus, 1982, S. 220-222.