Es steht ohne Hinweis auf Buffon im zweiten Band der 1802 erstmals publizierten "Physischen Geographie" Immanuel Kants, die der Herausgeber Theodor Rink aus heute zum Teil verschollenen handschriftlichen Vorlesungsunterlagen, Vorlesungsmitschriften und Notizen Kants aus vier Jahrzehnten (1757-1795) zusammengestellt hat.
- "Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Theil der amerikanischen Völkerschaften."
Immanuel Kant: "Physische Geographie."Auf Verlangen des Verfassers, aus seiner Handschrift herausgegebgen und zum Theil bearbeitet von D. Friedrich Theodor Rink. Zweyter Band, Göb'bels und Unzer, Königsberg: 1802, S. 10 (books.google); (Link)
Da Immanuel Kant im Fach Geographie auf keine eigenen Forschungsarbeiten zurückgreifen konnte, bestanden seine Vorlesungsunterlagen zum großen Teil aus Exzerpten, Zitaten und Paraphrasierungen von Stellen aus Fachbüchern. Diese Zitate wurden in der von Theodor Rink herausgegebenen "Physischen Geographie" Kants nicht als Zitate gekennzeichnet.
Michael Wolff hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung darauf hingewiesen, dass diese unausgewiesenen Exzerpte Kants nicht einfach als Kant-Zitate behandelt werden sollten, noch dazu, da wir nicht wissen, wie Kant diese Zitate in seinen Vorlesungen kommentiert hat.
Zum Beispiel stammt Kants Zitat von der "größten Vollkommenheit" der weissen Rasse nachweislich von Georges-Louis Leclerc de Buffon:
Georges-Louis Leclerc de Buffon, 1752
- "Die Natur hat in ihrer größten Vollkommenheit weiße Menschen gebildet, und die auf das höchste veränderte Natur bildet sie gleichfalls weiß."
Georges-Louis Leclerc de Buffon: "Allgemeine Historie der Natur nach allen ihren besondern Theilen abgehandelt; nebst einer Beschreibung der Naturalienkammer Sr. Majestät des Königs von Frankreich. Zweyter Teil. Übersetzung und Vorrede: Albrecht von Haller, bey Georg Christian Grund und Adam Heinrich Holle, Hamburg und Leipzig: 1752, S. 300 (Link)
Nach Michael Wolff hat sich Immanuel Kant nach 1775 explizit gegen die "frechen Meinungen" Buffons und anderer gewandt und es sei wahrscheinlich, dass Kant diese Stellen während der Vorlesungen kritisch kommentiert habe.
Bei allen lächerlich dummen Aussagen Immanuel Kants über Afrikaner, Chinesen und amerikanische Ureinwohner, die er aus Reiseberichten und Abhandlungen in seinen anthropologischen und geographischen Vorlesungen wiederholt hat, sei nicht vergessen, dass Immanuel Kant als einer der wenigen philosophischen Autoritäten seiner Zeit explizit gegen die kolonialistischen Praktiken der Europäer aufgetreten ist. In diesem Sinn war Immanuel Kant Anti-Rassist.
Immanuel Kant: "Die Metaphsyik der Sitten" 1797,
- "Zuletzt kann noch gefragt werden: ob, wenn uns weder die Natur noch der Zufall, sondern bloß unser eigener Wille in Nachbarschaft mit einem Volk bringt, welches keine Aussicht zu einer bürgerlichen Verbindung mit ihm verspricht, wir nicht in Absicht diese zu stiften und diese Menschen (Wilde) in einen rechtlichen Zustand zu versetzen (wie etwa die amerikanischen Wilden, die Hottentotten, die Neuholländer) befugt sein sollten, allenfalls mit Gewalt oder (welches nicht viel besser ist) durch betrügerischen Kauf Colonien zu errichten und so Eigenthümer ihres Bodens zu werden und ohne Rücksicht auf ihren ersten Besitz Gebrauch von unserer Überlegenheit zu machen; zumal es die Natur selbst (als die das Leere verabscheuet) so zu fordern scheint, und große Landstriche in anderen Welttheilen als gesitteten Einwohnern sonst menschenleer geblieben wären, die jetzt herrlich bevölkert sind, oder gar auf immer bleiben müßten, und so der Zweck der Schöpfung vereitelt werden würde. Allein man sieht durch diesen Schleier der Ungerechtigkeit (Jesuitism), alle Mittel zu guten Zwecken zu billigen, leicht durch; diese Art der Erwerbung des Bodens ist also verwerflich."
Immanuel Kant: "Die Metaphsyik der Sitten." 1797, AA VI, S. 266, 10-27 (korpora.zim.uni-duisburg-essen.de)
Michael Wolff, 9. Juni 2020:
Michael Wolff: "Prüfung eines Zitats. Kant war ein Anti-Rassist" FAZ, 9. Juni 2020 (faz.net) |
Artikel in Arbeit.
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Quellen:
Immanuel Kant: "Physische Geographie."Auf Verlangen des Verfassers aus
seiner Handschrift herausgegeben und zum Theil bearbeitet von D.
Friedrich Theodor Rink. Zweyter Band, Göb'bels und Unzer, Königsberg:
1802, S. 10 (books.google); (Link)
Immanuel Kant: "Die Metaphsyik der Sitten." 1797, in: "Kant’s Gesammelte Schriften", Akademieausgabe, Königlich
Preußische Akademie der Wissenschaften, Reimer, ab 1922
de Gruyter, Berlin: 1900ff. Elektronische Edition: Universität Duisburg, AA VI, S. 266, 10-27 (korpora.zim.uni-duisburg-essen.de)
Georges-Louis Leclerc de Buffon: "Allgemeine Historie der Natur nach
allen ihren besondern
Theilen abgehandelt; nebst einer Beschreibung der Naturalienkammer Sr.
Majestät des Königs von Frankreich. Zweyter Teil. Übersetzung und
Vorrede: Albrecht von Haller, bey Georg Christian Grund und Adam
Heinrich Holle, Hamburg und Leipzig: 1752, S. 300 (Link)
Reinhard Brandt: "Kant
und Europa", in: LOGOS n.s. 6-7,
ScriptaWeb, Napoli: 2010, S. 9-36 (Link)
[Die folgenden vier Artikel der Kant-Debatte sind nur Abonnenten zugänglich]
Volker Gerhardt: "Kant ein Rassist? Lest ihn bitte genau", Die WELT, 17. Juni 2020 (welt.de)
Patrick Bahners: "Kant und die Stammtischwahrheiten" FAZ, 20. Juni 2020 (faz.net)
Marcus Willaschek: "Kants Rassismus. Ein Kind seiner Zeit" FAZ, 24. Juni 2020 (faz.net)
Michael Wolff: "Prüfung eines Zitats. Kant war ein Anti-Rassist" FAZ, 9. Juni 2020 (faz.net)
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Dank:
Dank an Michael Wolff, dessen Argumenten ich hier folge.
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ANHANG
Kant hat von ungefähr 1757 bis 1795 vier Jahrzehnte lang populäre Vorlesungen zur "Physischen Geographie" gehalten, und damit nicht nur Philosophie-Studenten, sondern auch Handlungsreisende und Kaufleute angesprochen. (Link)
- "Wenn man die (noch nicht edierten) Nachschriften der Geographie-Vorlesung aus der Frühzeit bis in die frühen siebziger Jahre verfolgt, kommt man zu einer überraschenden Feststellung: Wären die Hefte nicht in deutscher Sprache überliefert, wäre man auf den ersten Blick kaum in der Lage, auf den Ort oder auch das Land zu schließen, aus dem der Autor stammt. Die Theorie der Winde und der Quellen, die Beschreibung der Einwohner Japans und Amerikas, Mitteleuropas und Madagaskars, alles wird, so scheint es, ohne jeden Eurozentrismus eingeordnet und dargestellt. Die Weltgeographie wird von einem Weltbürger verfasst – das ist eine Neuerung, die Kant hier gegen frühere Autoren einführt, die die physische Geographie unter einem vorwiegend an Europas Geopolitik orientierten Interesse behandelten." Reinhard Brandt: "Kant und Europa", in: LOGOS n.s. 6-7, ScriptaWeb, Napoli: 2010, S. 9-36, S. 11 (Link)