Mittwoch, 21. November 2018

"Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, indem ihr die Starken schwächt. Ihr werdet denen, die ihren Lebensunterhalt verdienen müssen nicht helfen, indem ihr die ruiniert, die bezahlen." Abraham Lincoln (angeblich)


Pseudo-Abraham-Lincoln-Zitat.
Der AfD-Abgeordnete Alexander Gauland hat dieses Zitat am 21. November 2018 im Deutschen Bundestag Abraham Lincoln unterschoben (Link), aber dieser Satz stammt so ähnlich von Rev. William John Henry Boetcker, einem völlig vergessenen, äußerst konservativen amerikanischen Prediger, wie der Historiker Arthur Schlesinger Jr. im Jahr 1992 in The Washington Post und einige andere Zitatforscher aufgedeckt haben.

  • "The Rev. William John Henry Boetcker was a Presbyterian minister and notable public speaker who served as director of the pro-employer Citizens’ Industrial Alliance, a position he held when, in 1916, he produced a booklet of “nuggets” from his lectures, which included maxims such as “We cannot strengthen the weak by weakening the strong” ..."
    Snopes: "Abraham Lincoln on Prosperity" (Link)

 

Zehn Gebote ("The Ten Cannots") von John Henry Boetcker, die Abraham Lincoln unterschoben werden:


  • "You cannot bring about prosperity by discouraging thrift.
    You cannot strengthen the weak by weakening the strong.
    You cannot help little men by tearing down big men.
    You cannot lift the wage earner by pulling down the wage payer.
    You cannot help the poor by destroying the rich.
    You cannot establish sound security on borrowed money.
    You cannot further the brotherhood of man by inciting class hatred.
    You cannot keep out of trouble by spending more than you earn.
    You cannot build character and courage by destroying men’s initiative and independence.
    You cannot help men permanently by doing for them what they can and should do for themselves."
    Wikipedia 
Auf Deutsch gibt es dieses Pseudo-Abraham-Lincoln-Zitat in verschiedenen Varianten seit ungefähr zwanzig Jahren; es wird seitdem von Managementratgebern, Online-Zitatlexika, aber auch durch eine Duden-Ausgabe und durch Zeitungen verbreitet.

In Amerika agitieren liberale und konservative Gegner des Sozialstaats seit Roosevelts New Deal mit diesem Pseudo-Abraham-Lincoln-Zitat gegen die Kosten des Sozialstaats.

Man versucht, seiner Meinung über den angeblich für die Wohlhabenden zu kostspieligen Wohlfahrtsstaat mit Berufung auf den allgemein anerkannten Politiker Abraham Lincoln Autorität zu verleihen: aber diese Autorität ist hier erschwindelt.

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Quellen:
Google
Arthur Schlesinger Jr.:  "THE HISTORY OF THOSE WORDS LINCOLN NEVER SAID", The Washington Post, 28. Augst 1992 (Link)
Alexander Gauland: 21. November 2018 Youtube 13:39 (Link)
Dudenredaktion: Duden - Zitate und Ausspüche, Duden Verlag, 2012, S. 661 (Link) (fälschlich Abraham Lincoln zugeschrieben.)
Wikipedia 
Snopes: "Abraham Lincoln on Prosperity" 2009, 2018 (Link)

"Ich schwöre ...., der zehnte Teil von dem, was jene Leute in Deutschland erduldet haben, hätte in Frankreich sechsunddreißig Revolutionen hervorgebracht ..." Heinrich Heine

Der AfD-Abgeordnete Alexander Gauland hat am 21. November 2018 im deutschen Parlament einen Satz (etwas verkürzt) aus Heinrich Heines Vorrede zum ersten Band des "Salon" aus dem Jahr 1833 zitiert (Link).

In dieser Vorrede beschreibt Heinrich Heine sein Zusammentreffen mit einer Gruppe schwäbischer Auswanderer in Frankreich, denen in Algier Land zur Kolonisierung versprochen wurde. (Gauland nennt sie irrtümlich deutsche Auswanderer nach Übersee.)

Heinrich Heine, der so oft Deutsche kritisierte, findet diese deutschen Auswanderer sympathisch, aber besonders lobt er in dieser Vorrede die Humanität und Freundlichkeit der Franzosen, die diesen armen Wirtschaftsflüchtlingen täglich halfen:

  • "Die Franzosen sind nicht bloß das geistreichste, sondern auch das barmherzigste Volk. Sogar die Ärmsten suchten diesen unglücklichen Fremden irgendeine Liebe zu erzeigen, gingen ihnen tätig zu Hand beim Aufpacken und Abladen, liehen ihnen ihre kupfernen Kessel zum Kochen, halfen ihnen Holz spalten, Wasser tragen und waschen."

    Heinrich Heine,  17. Oktober 1833
Seiner Ideologie gemäß zitiert Gauland nicht Heinrich Heines Bewunderung für das Mitgefühl der Französinnen und Franzosen mit Wirtschaftsflüchtlingen (heute von AfDlern als "Bahnhofsklatscher" verspottet), sondern folgenden Satz von Heinrich Heine über den Unterschied zwischen Deutschen und Franzosen:

  • Ich schwöre es bei allen Göttern des Himmels und der Erde, der zehnte Teil von dem, was jene Leute in Deutschland erduldet haben, hätte in Frankreich sechsunddreißig Revolutionen hervorgebracht, und sechsunddreißig Königen die Krone mitsamt dem Kopf gekostet.

    Heinrich Heine,  17. Oktober 1833 (Die kursivierten Wörter hat Gauland im Zitat weggelassen.)
 Artikel in Arbeit.
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Quellen:
Heinrich Heine: Vorrede zum ersten Bande des »Salon«, Paris, den 17. Oktober 1833, in: Heinrich Heine:  Lutetia? Berichte über Politik, Kunst und Volksleben. Werke in fünf Bänden. 4. Band, Aufbau Verlag, Berlin:1974 (Link);  (Link) 

Heinrich Heine: Vorrede zum ersten Bande des »Salon«, Paris, den 17. Oktober 1833


"...  So erging's auch mir, und, ohne zu wissen wie, befand ich mich plötzlich auf der Landstraße von Havre, und vor mir her zogen hoch und langsam mehrere große Bauernwagen, bepackt mit allerlei ärmlichen Kisten und Kasten, altfränkischem Hausgeräte, Weibern und Kindern. Nebenher gingen die Männer, und nicht gering war meine Überraschung, als ich sie sprechen hörte – sie sprachen Deutsch, in schwäbischer Mundart. Leicht begriff ich, daß diese Leute Auswanderer waren, und als ich sie näher betrachtete, durchzuckte mich ein jähes Gefühl, wie ich es noch nie in meinem Leben empfunden; alles Blut stieg mir plötzlich in die Herzkammern und klopfte gegen die Rippen, als müsse es heraus aus der Brust, als müsse es so schnell als möglich heraus, und der Atem stockte mir in der Kehle. Ja, es war das Vaterland selbst, das mir begegnete, auf jenen Wagen saß das blaue Deutschland, mit seinen ernstblauen Augen, seinen traulichen, allzu bedächtigen Gesichtern, in den Mundwinkeln noch jene kümmerliche Beschränktheit, über die ich mich einst so sehr gelangweilt und geärgert, die mich aber jetzt gar wehmütig rührte – denn hatte ich einst, in der blühenden Lust der Jugend, gar oft die heimatlichen Verkehrtheiten und Philistereien verdrießlich durchgehechelt, hatte ich einst mit dem glücklichen, bürgermeisterlich gehäbigen, schneckenhaft trägen Vaterlande manchmal einen kleinen Haushader zu bestehen, wie er in großen Familien wohl vorfallen kann: so war doch all dergleichen Erinnerung in meiner Seele erloschen, als ich das Vaterland in Elend erblickte, in der Fremde, im Elend; selbst seine Gebrechen wurden mir plötzlich teuer und wert, selbst mit seinen Krähwinkeleien war ich ausgesöhnt, und ich drückte ihm die Hand, ich drückte die Hand jener deutschen Auswanderer, als gäbe ich dem Vaterland selber den Handschlag eines erneuten Bündnisses der Liebe, und wir sprachen Deutsch. Die Menschen waren ebenfalls sehr froh, auf einer fremden Landstraße diese Laute zu vernehmen; die besorglichen Schatten schwanden von ihren Gesichtern, und sie lächelten beinahe. Auch die Frauen, worunter manche recht hübsch, riefen mir ihr gemütliches »Griesch di Gott!« vom Wagen herab, und die jungen Bübli grüßten errötend höflich, und die ganz kleinen Kinder jauchzten mich an mit ihren zahnlosen lieben Mündchen. Und warum habt ihr denn Deutschland verlassen? fragte ich diese armen Leute. »Das Land ist gut und wären gern dageblieben«, antworteten sie, »aber wir konnten's nicht länger aushalten« –

Nein, ich gehöre nicht zu den Demagogen, die nur die Leidenschaft aufregen wollen, und ich will nicht alles wiedererzählen, was ich auf jener Landstraße bei Havre unter freiem Himmel gehört habe über den Unfug der hochnobeln und allerhöchst nobeln Sippschaften in der Heimat – auch lag die größere Klage nicht im Wort selbst, sondern im Ton, womit es schlicht und grad gesprochen, oder vielmehr geseufzt wurde. Auch jene armen Leute waren keine Demagogen; die Schlußrede ihrer Klage war immer: »Was sollten wir tun? Sollten wir eine Revolution anfangen?«

Ich schwöre es bei allen Göttern des Himmels und der Erde, der zehnte Teil von dem, was jene Leute in Deutschland erduldet haben, hätte in Frankreich sechsunddreißig Revolutionen hervorgebracht, und sechsunddreißig Königen die Krone mitsamt dem Kopf gekostet.

»Und wir hätten es doch noch ausgehalten und wären nicht fortgegangen«, bemerkte ein achtzigjähriger, also doppelt vernünftiger Schwabe, »aber wir taten es wegen der Kinder. Die sind noch nicht so stark wie wir an Deutschland gewöhnt, und können vielleicht in der Fremde glücklich werden; freilich, in Afrika werden sie auch manches ausstehen müssen.«

Diese Leute gingen nämlich nach Algier, wo man ihnen unter günstigen Bedingungen eine Strecke Landes zur Kolonisierung versprochen hatte. »Das Land soll gut sein«, sagten sie, »aber wie wir hören, gibt es dort viel' giftige Schlangen, die sehr gefährlich, und man hat dort viel auszustehen von den Affen, die die Früchte vom Felde naschen und gar die Kinder stehlen und mit sich in die Wälder schleppen. Das ist grausam. Aber zu Hause ist der Amtmann auch giftig, wenn man die Steuer nicht bezahlt, und das Feld wird einem von Wildschaden und Jagd noch weit mehr ruiniert und unsere Kinder wurden unter die Soldaten gesteckt – Was sollten wir tun? Sollten wir eine Revolution anfangen?«

Zur Ehre der Menschlichkeit muß ich hier des Mitgefühls erwähnen, daß, nach der Aussage jener Auswanderer, ihnen auf ihren Leidensstationen durch ganz Frankreich zuteil wurde. Die Franzosen sind nicht bloß das geistreichste, sondern auch das barmherzigste Volk. Sogar die Ärmsten suchten diesen unglücklichen Fremden irgendeine Liebe zu erzeigen, gingen ihnen tätig zu Hand beim Aufpacken und Abladen, liehen ihnen ihre kupfernen Kessel zum Kochen, halfen ihnen Holz spalten, Wasser tragen und waschen. Habe mit eigenen Augen gesehen, wie ein französisch Bettelweib einem armen kleinen Schwäbchen ein Stück von ihrem Brot gab, wofür ich mich auch herzlich bei ihr bedankte. Dabei ist noch zu bemerken, daß die Franzosen nur das materielle Elend dieser Leute kennen; jene können eigentlich gar nicht begreifen, warum diese Deutschen ihr Vaterland verlassen. Denn wenn den Franzosen die landesherrlichen Plackereien so ganz unerträglich werden, oder auch nur etwas allzu stark beschwerlich fallen, dann kommt ihnen doch nie in den Sinn, die Flucht zu ergreifen, sondern sie geben vielmehr ihren Drängern den Laufpaß, sie werfen sie zum Lande hinaus und bleiben hübsch selber im Lande, mit einem Wort: sie fangen eine Revolution an."

Heinrich Heine: Vorrede zum ersten Bande des »Salon«, Paris, den 17. Oktober 1833 (Projekt Gutenberg)



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Ich danke Goran für die Frage nach diesem Zitat.

"Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose." Gertrude Stein

In der urspünglichen Fassung des berühmtesten Zitats der amerikanischen Schriftstellerin Gertrude Stein fehlt noch der unbestimmte Artikel vor dem ersten Wort:

Das Wort "Rose", das auch als Anagramm von "Eros" gelesen werden kann, bezieht sich in dem 1913 verfassten und 1922 erstmals publizierten Gedicht "Sacred Emily" auf den Namen  "Jack Rose", der in dem Gedicht mehr als hundert Zeilen vor dem berühmten Satz einmal erwähnt wird.

Wie in dem ausführlichen (oft kopierten) englischen Wikipedia-Artikel nachzulesen ist, hat Gertrude Stein diesen Satz später noch öfters verwendet, auch mit dem unbestimmten Artikel vor dem ersten Wort:


Der englische Wikipedia-Artikel gibt auch einen guten Überblick über die unzähligen Variationen und Interpretationen dieses Satzes (Link).

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Quellen:
Gertrude Stein: "Geography and Plays." (Erstausgabe: 1922)  Introduction: Cyren N. Pondrom, The University of Wisconsin Press, Madison: 1993, S. 187 (Link);  "Sacred Emily" online: (Link)
Wikipedia
"The Yale Book of Quotations". Edited by Fred R. Shapiro. Foreword by Joseph Epstein, Yale University Press, New Haven and London: 2006, S. 728/1
Oxford Dictionary of Quotations. Edited by Elizabeth Knowles. Sixth edition. Oxford University Press, New York: 2004, S. 755/9 ( Irrtümlich mit Komma und einer Rose zuviel wiedergegeben: "Rose is a rose is a rose is a rose, is a rose.") auch: (Link)



Sonntag, 18. November 2018

"Gott ist tot, Marx ist tot, und ich selber fühle mich nicht sehr gut." Eugène Ionesco (angeblich)

In Frankreich wird neuerdings dieser Witz oft dem amerikanischen Filmregisseur Woody Allen zugeschrieben und in Deutschland und Amerika dem französisch-rumänischen Autor Eugène Ionesco. 



Manchmal wird behauptet, dieser Witz, der in einigen Varianten jahrzehntelang auf vielen Haus- und Klowänden der westlichen Welt verbreitet wurde, sei im Mai 1968 in Paris entstanden. 

Meinen Recherchen nach hat den Spruch aber wahrscheinlich der französische Autor Michel Le Bris Mitte der 1970er Jahre geprägt. Meines Wissens gibt es keinen Beleg für die Vermutung, der Spruch stamme in diesem Wortlaut aus dem Jahr 1968 oder von Woody Allen oder Eugène Ionesco.

Eugène Ionesco zitiert den Witz 1977 in einem Artikel in der Zeitung "Le Figaro", meint aber, der Spruch wäre ein Slogan im Pariser Mai 1968 gewesen (Link). Man sollte nicht Eugène Ionesco einen Witz zuschreiben, den er selbst anderen zuschreibt und für den er die Autorschaft nicht beansprucht.

Zwei Jahre vor  Eugène Ionescos Artikel taucht der Witz in den digitalisierten Texten erstmals auf: Michel Le Bris, der damals als maoistischer Philosoph galt, plane ein Buch mit dem Titel "Gott ist tot, Marx ist tot, und ich selber fühle mich nicht sehr gut", steht 1975 und 1977 in französischen und englischen Zeitschriften.

Die Metapher "Marx ist tot" ("Marx est mort") war der Titel eines Pamphlets aus dem Jahr 1970, mit dem der  französischen Philosoph Jean-Marie Benoist seinen Abschied von marxistischen Theorien erklärte. 

Vor 1970 war die Diagnose "Marx est mort" - wenn man Google-Suchen glauben kann - in Frankreich völlig unbekannt.  Ein Witz mit der Metapher "Marx est mort" kann also erst nach 1970 entstanden sein. (Zukünftige Recherchen kommen vielleicht zu einem anderen Ergebnis.) 

Gut belegt ist hingegen die Behauptung, dass auf einer Mauer der Sorbonne 1968 die Parole "Nietzsche ist tot" zu lesen war:

 Paris, Sorbonne, 1968:


  • "GOTT IST TOT
        Unterschrieben Nietzsche"
Am nächsten Tag stand darunter:
  • "NIETZSCHE IST TOT!
          Unterschrieben Gott"

    Quelle, zum Beispiel: Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Ausgabe 4, C. Winters Universitätsbuchhandlung, Heidelberg: 1969, S. 9  (Link)
Wie die irrtümliche Zuschreibung des "Marx ist tot"-Spruchs an Woody Allen entstanden ist, kann ich noch nicht sagen. Jemand müsste den Nachweis erbringen, dass Allen diesen Witz vor 1975 geprägt hat, damit er als dessen Urheber bezeichnet werden könnte.

Artikel in Arbeit.
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Quellen:
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Ausgabe 4, C. Winters Universitätsbuchhandlung, Heidelberg: 1969, S. 9  (Link)

Zuschreibungen an Michel Le Bris:
1975 (Link) /books.google
1977: "le point", Nr. 250, 4. Juli 1977, S. 37  books.google

Eugène Ionesco:  (Link)

Irrtümlich Eugène Ionesco zugeschrieben: Google
Hans-Horst Skupy: "Das große Handbuch der Zitate" (Erstausgabe: 1993) Sonderausgabe Bassermann Verlag, München: 2013, 2. Auflage 2017, S. 527


Irrtümlich Woody Allen zugeschrieben: Google
1992: books.google
1997: books.google
2006: books.google

 Dieu est mort, Marx est mort, et moi-même je ne me sens pas très bien.




1990
Ionesco

Samstag, 17. November 2018

"Der Tod ist das Tor zum Licht am Ende eines mühsam gewordenen Lebens." Franz von Assisi (angeblich)

Dieser  Trauerspruch ist vor dem 21. Jahrhundert völlig unbekannt und weder in den Texten Franz von Assisis noch in seriösen Nachschlagwerken zu finden.
 
Aufgekommen ist dieses inzwischen bei Traueranzeigen sehr beliebte Zitat einer unbekannten Autorin anscheinend um das Jahr 2005, und da es auch immer ohne Quellenangabe zitiert wird, ist es mit großer Wahrscheinlichkeit eines der vielen Kuckuckszitate, die in den letzten Jahrzehnten christlichen Heiligen unterschoben wurden.

Pseudo-Franz-von-Assisi-Zitat.

 Dieses Pseudo-Franz-von-Assisi-Zitat könnte aus dem lateinischen Spruch "Mors janua vitae" (Der Tod ist das Tor zum Leben), der übrigens in Sprichwortsammlungen nie in Zusammenhang mit Franz von Assisi gebracht wird, entstanden sein.


Artikel in Arbeit.
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Quellen:
Ulrich Seelbach, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld: "Trauersprüche"
 Früheste Erwähnnungen:
 2005: groups.google
2005: med1.de/forum/ 

Wörterbücher: (Link)
Burton Egbert Stevenson: The Macmillan Book of Proverbs, Maxims, and Famous Phrases" 1948, S. 501  (Link)
(Link)
(Link)
von Salis (Link)
 Wiki italienisch (Link)

St. Bernhard (Link)

Koloman Moser, Gemälde, Verzeichnis Belvedere (Link)

"Die Basis einer gesunden Ordnung ist ein großer Papierkorb." Kurt Tucholsky (angeblich)


Dieser Aphorismus von Kurt Tucholsky wird oft mit einem veränderten Wort zitiert: statt "einer gesunden Ordnung" steht im Original: "jeder gesunden Ordnung".


Fast korrektes Kurt-Tucholsky-Zitat.


Kurt Tucholsky hat den Aphorismus 1930 und 1932 in zwei leicht verschiedenen Varianten publiziert:

Kurt Tucholsky

  • 1930: Die Basis jeder gesunden Ordnung ist ein großer Papierkorb.
  • 1932: Die Seele einer jeden Ordnung ist ein großer Papierkorb. (Link)
-

Spätere Varianten von Zitierenden:  

  • Die Basis einer gesunden Ordnung ist ein großer Papierkorb.
  • Die Seele jeder Ordnung ist ein großer Papierkorb.
  • Ein großer Papierkorb ist die Basis jeder Ordnung.



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Quellen:

Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 8, Reinbek bei Hamburg: 1975, S. 188-191; Erstdruck: Peter Panter: "»Das kann man noch gebrauchen –!«", Neue Leipziger Zeitung, 19. August 1930. zeno.org
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Reinbek bei Hamburg: 1975, S. 106-108; Erstdruck: Peter Panter,  Rubrik "Schnipsel", Die Weltbühne, 19. Juli 1932, Nr. 29, S. 98. zeno.org

In Arbeit. (Vorerst zitiert nach zeno.org)

Montag, 12. November 2018

"Die Pharisäer aber gingen hinaus und fassten den Beschluss, Jesus umzubringen." Matthäus 12,14 (angeblich)

Dieser Satz aus der deutschen Einheitsübersetzung (2016) des Matthäus-Evangeliums ist umstritten, weil im griechischen Original dieser Stelle nichts von einem Mordplan der Pharisäer steht.

Der von Karl Kraus geschätzte Leander van Eß zum Beispiel übersetzte diesen Satz in seiner Edition des Neuen Testaments 1884 mit folgenden Worten:
  • "Nun begaben sich die Pharisäer weg und hielten miteinander Rath, wie sie ihn aus dem Wege schaffen könnten."
    Leander van Eß, Matthäus 12:14, Wien: 1884, S. 13
 Der Kirchenhistoriker Hans Förster schlägt vor, statt "umbringen" in der Übersetzung das Verb "loswerden" zu wählen:

  • "Als aber die Pharisäer hinausgegangen waren, berieten sie über ihn, wie sie ihn loswürden."
    Hans Förster: "Mörder oder Störenfried?", 2018 (Link)
     
"Einen Störenfried - auf welche Art auch immer - loszuwerden, ist etwas ganz anderes," schreibt Hans Förster, " als der bewusste Vorsatz, diesen töten zu wollen. (Link)"

Die Darstellung von Juden als "Christusmörder" steht in der antisemitischen Tradition des Christentums:


Hans Förster:


  • "Kittel und andere Theologen aus der Zeit des Nationalsozialismus haben mit Standardwerken wie dem "Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament" mit dazu beigetragen, dass es zwei aktuellen Revisionen, also Überarbeitungen von zentralen Bibelübersetzungen, unzureichend gelungen ist, traditionelle Antijudaismen zu überwinden. Vielmehr verschärfen die revidierte Lutherbibel (2017) und die revidierte Einheitsübersetzung (2016) das Motiv einer Dämonisierung der Juden im Neuen Testament, verglichen mit Übersetzungen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg.

    Deshalb sei in Erinnerung gerufen: Die Darstellung der Juden als Teufel und Dämonen war eines der am häufigsten verwendeten Motive der nationalsozialistischen Propaganda. Damit zeigt sich: Der wissenschaftlichen Aufarbeitung philologisch problematischer antijüdischer Verzerrungen des Neuen Testaments hat sich die Theologie überhaupt erst anzunehmen. Dabei handelt es sich nicht nur um eine faszinierende und schwierige wissenschaftliche Herausforderung - es ist vielmehr eine moralische Pflicht."

    Hans Förster: "Mörder oder Störenfried?", Wiener Zeitung, 2018 (Link)


Matthäus 12,14


  • Ἐξελθόντες δὲ οἱ Φαρισαῖοι συμβούλιον ἔλαβον κατ’ αὐτοῦ ὅπως αὐτὸν ἀπολέσωσιν. (Link)
  • Exeuntes autem pharisaei, consilium faciebant adversus eum, quomodo perderent eum. 
  • Then the Pharisees went out, and held a council against him, how they might destroy him. King James Version (Link)
  • Aber die Pharisäer gingen hinaus und hielten Rat gegen ihn, damit sie ihn vernichten könnten. jw.org 
  • Nun begaben sich die Pharisäer weg und hielten miteinander Rath, wie sie ihn aus dem Wege schaffen könnten.
  • Die Pharisäer aber gingen hinaus und fassten den Beschluss, Jesus umzubringen.
  •  Als aber die Pharisäer hinausgegangen waren, berieten sie über ihn, wie sie ihn loswürden.


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Quellen:
"Die heiligen Schriften des Neuen Testamentes", übersetzt und mit zugefügten Sach-Parallelstellen und grundtextlichen Abweichungen neu revidiert von Leander van Eß, Verlag der britischen und ausländischen Bibelgesellschaft, Wien: 1884, S. 13
Hans Förster: "Mörder oder Störenfried?", Wiener Zeitung extra, 10./11. November 2018, S. 25f. (Link)
bibelwissenschaft.de/online-bibeln

Artikel in Arbeit.