In dieser Vorrede beschreibt Heinrich Heine sein Zusammentreffen mit einer Gruppe schwäbischer Auswanderer in Frankreich, denen in Algier Land zur Kolonisierung versprochen wurde. (Gauland nennt sie irrtümlich deutsche Auswanderer nach Übersee.)
Heinrich Heine, der so oft Deutsche kritisierte, findet diese deutschen Auswanderer sympathisch, aber besonders lobt er in dieser Vorrede die Humanität und Freundlichkeit der Franzosen, die diesen armen Wirtschaftsflüchtlingen täglich halfen:
- "Die Franzosen sind nicht bloß das
geistreichste, sondern auch das barmherzigste Volk. Sogar die Ärmsten
suchten diesen unglücklichen Fremden irgendeine Liebe zu erzeigen,
gingen ihnen tätig zu Hand beim Aufpacken und Abladen, liehen ihnen ihre
kupfernen Kessel zum Kochen, halfen ihnen Holz spalten, Wasser tragen
und waschen."
Heinrich Heine, 17. Oktober 1833
- Ich schwöre es bei allen Göttern des Himmels und der Erde, der zehnte Teil von dem, was jene Leute in Deutschland erduldet haben, hätte in Frankreich sechsunddreißig Revolutionen hervorgebracht,
und sechsunddreißig Königen die Krone mitsamt dem Kopf gekostet.
Heinrich Heine, 17. Oktober 1833 (Die kursivierten Wörter hat Gauland im Zitat weggelassen.)
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Quellen:
Heinrich Heine: Vorrede zum ersten Bande des »Salon«, Paris, den 17. Oktober 1833, in: Heinrich Heine: Lutetia? Berichte über Politik, Kunst und Volksleben. Werke in fünf Bänden. 4. Band, Aufbau Verlag, Berlin:1974 (Link); (Link)
Heinrich Heine: Vorrede zum ersten Bande des »Salon«, Paris, den 17. Oktober 1833
"... So erging's auch mir, und, ohne zu wissen wie, befand ich mich plötzlich auf der Landstraße von Havre, und vor mir her zogen hoch und langsam mehrere große Bauernwagen, bepackt mit allerlei ärmlichen Kisten und Kasten, altfränkischem Hausgeräte, Weibern und Kindern. Nebenher gingen die Männer, und nicht gering war meine Überraschung, als ich sie sprechen hörte – sie sprachen Deutsch, in schwäbischer Mundart. Leicht begriff ich, daß diese Leute Auswanderer waren, und als ich sie näher betrachtete, durchzuckte mich ein jähes Gefühl, wie ich es noch nie in meinem Leben empfunden; alles Blut stieg mir plötzlich in die Herzkammern und klopfte gegen die Rippen, als müsse es heraus aus der Brust, als müsse es so schnell als möglich heraus, und der Atem stockte mir in der Kehle. Ja, es war das Vaterland selbst, das mir begegnete, auf jenen Wagen saß das blaue Deutschland, mit seinen ernstblauen Augen, seinen traulichen, allzu bedächtigen Gesichtern, in den Mundwinkeln noch jene kümmerliche Beschränktheit, über die ich mich einst so sehr gelangweilt und geärgert, die mich aber jetzt gar wehmütig rührte – denn hatte ich einst, in der blühenden Lust der Jugend, gar oft die heimatlichen Verkehrtheiten und Philistereien verdrießlich durchgehechelt, hatte ich einst mit dem glücklichen, bürgermeisterlich gehäbigen, schneckenhaft trägen Vaterlande manchmal einen kleinen Haushader zu bestehen, wie er in großen Familien wohl vorfallen kann: so war doch all dergleichen Erinnerung in meiner Seele erloschen, als ich das Vaterland in Elend erblickte, in der Fremde, im Elend; selbst seine Gebrechen wurden mir plötzlich teuer und wert, selbst mit seinen Krähwinkeleien war ich ausgesöhnt, und ich drückte ihm die Hand, ich drückte die Hand jener deutschen Auswanderer, als gäbe ich dem Vaterland selber den Handschlag eines erneuten Bündnisses der Liebe, und wir sprachen Deutsch. Die Menschen waren ebenfalls sehr froh, auf einer fremden Landstraße diese Laute zu vernehmen; die besorglichen Schatten schwanden von ihren Gesichtern, und sie lächelten beinahe. Auch die Frauen, worunter manche recht hübsch, riefen mir ihr gemütliches »Griesch di Gott!« vom Wagen herab, und die jungen Bübli grüßten errötend höflich, und die ganz kleinen Kinder jauchzten mich an mit ihren zahnlosen lieben Mündchen. Und warum habt ihr denn Deutschland verlassen? fragte ich diese armen Leute. »Das Land ist gut und wären gern dageblieben«, antworteten sie, »aber wir konnten's nicht länger aushalten« –
Nein, ich gehöre nicht zu den Demagogen, die nur die Leidenschaft aufregen wollen, und ich will nicht alles wiedererzählen, was ich auf jener Landstraße bei Havre unter freiem Himmel gehört habe über den Unfug der hochnobeln und allerhöchst nobeln Sippschaften in der Heimat – auch lag die größere Klage nicht im Wort selbst, sondern im Ton, womit es schlicht und grad gesprochen, oder vielmehr geseufzt wurde. Auch jene armen Leute waren keine Demagogen; die Schlußrede ihrer Klage war immer: »Was sollten wir tun? Sollten wir eine Revolution anfangen?«
Ich schwöre es bei allen Göttern des Himmels und der Erde, der zehnte Teil von dem, was jene Leute in Deutschland erduldet haben, hätte in Frankreich sechsunddreißig Revolutionen hervorgebracht, und sechsunddreißig Königen die Krone mitsamt dem Kopf gekostet.
»Und wir hätten es doch noch ausgehalten und wären nicht fortgegangen«, bemerkte ein achtzigjähriger, also doppelt vernünftiger Schwabe, »aber wir taten es wegen der Kinder. Die sind noch nicht so stark wie wir an Deutschland gewöhnt, und können vielleicht in der Fremde glücklich werden; freilich, in Afrika werden sie auch manches ausstehen müssen.«
Diese Leute gingen nämlich nach Algier, wo man ihnen unter günstigen Bedingungen eine Strecke Landes zur Kolonisierung versprochen hatte. »Das Land soll gut sein«, sagten sie, »aber wie wir hören, gibt es dort viel' giftige Schlangen, die sehr gefährlich, und man hat dort viel auszustehen von den Affen, die die Früchte vom Felde naschen und gar die Kinder stehlen und mit sich in die Wälder schleppen. Das ist grausam. Aber zu Hause ist der Amtmann auch giftig, wenn man die Steuer nicht bezahlt, und das Feld wird einem von Wildschaden und Jagd noch weit mehr ruiniert und unsere Kinder wurden unter die Soldaten gesteckt – Was sollten wir tun? Sollten wir eine Revolution anfangen?«
Zur Ehre der Menschlichkeit muß ich hier des Mitgefühls erwähnen, daß, nach der Aussage jener Auswanderer, ihnen auf ihren Leidensstationen durch ganz Frankreich zuteil wurde. Die Franzosen sind nicht bloß das geistreichste, sondern auch das barmherzigste Volk. Sogar die Ärmsten suchten diesen unglücklichen Fremden irgendeine Liebe zu erzeigen, gingen ihnen tätig zu Hand beim Aufpacken und Abladen, liehen ihnen ihre kupfernen Kessel zum Kochen, halfen ihnen Holz spalten, Wasser tragen und waschen. Habe mit eigenen Augen gesehen, wie ein französisch Bettelweib einem armen kleinen Schwäbchen ein Stück von ihrem Brot gab, wofür ich mich auch herzlich bei ihr bedankte. Dabei ist noch zu bemerken, daß die Franzosen nur das materielle Elend dieser Leute kennen; jene können eigentlich gar nicht begreifen, warum diese Deutschen ihr Vaterland verlassen. Denn wenn den Franzosen die landesherrlichen Plackereien so ganz unerträglich werden, oder auch nur etwas allzu stark beschwerlich fallen, dann kommt ihnen doch nie in den Sinn, die Flucht zu ergreifen, sondern sie geben vielmehr ihren Drängern den Laufpaß, sie werfen sie zum Lande hinaus und bleiben hübsch selber im Lande, mit einem Wort: sie fangen eine Revolution an."
Heinrich Heine: Vorrede zum ersten Bande des »Salon«, Paris, den 17. Oktober 1833 (Projekt Gutenberg)
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Ich danke Goran für die Frage nach diesem Zitat.