Sonntag, 9. September 2018

"Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen.“ Platon (angeblich)

Pseudo-Platon-Zitat.
Dieses Pseudo-Platon-Zitat, das als Motto in der Eingangssequenz des amerikanischen Kriegsfilms "Black Hawk Down" (2001) weltweit verbreitet wurde, hat der amerikanische Philosoph George Santayana ohne Zuschreibung an Platon im Jahr 1922 geprägt (Link).

In einem Text aus dem klassischen Athen ist das Zitat weder so noch so ähnlich gefunden worden, wie zum Beispiel auch Bernard Suzanne in seinem informativen Blog "Plato dialogues" bestätigt.

Der hochdekorierte Fünfsternegeneral Douglas MacArthur war einer der Ersten, oder der Erste, der diesen Aphorismus George Santayanas im Jahr 1962 bei seiner in Amerika berühmten Abschiedsrede in West Point dem griechischen Philosophen Platon unterschob (Link)

Vielleicht wurde das Zitat aber erstmals im Londoner "Imperial War Museums" irrtümlich Plato zugeschrieben (Link), und General Douglas MacArthur hat das Pseudo-Platon-Zitat von dort übernommen.

Der 1863 in Spanien geborene amerikanische Philosoph George Santayana ist im deutschen Sprachraum kaum bekannt, war aber in England und Amerika als "katholischer Atheist" sehr einflussreich, wie man in den Biographien von Bertrand Russell, Gertrude Stein, T. S. Eliot und Robert Frost nachlesen kann.

In seinem Buch "Selbstgespräche in England .." (Soliloquies in England ..) denkt Santayana in einem irischen Pub in Tipperary über die fröhlichen Männer um ihn herum nach, die nach dem Ersten Weltkrieg glauben, dieser Krieg sei der letzte Krieg gewesen und alles sei vorüber.

Santayana, 1922:

  • "Doch die armen Kerle glauben, sie seien sicher! Sie denken, dass der Krieg - vielleicht der letzte von allen - vorbei ist!

    Nur die Toten sind sicher; nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen."
  • "Yet the poor fellows think they are safe! They think that the war - perhaps the last of all - is over!

    Only the dead are safe; only the dead have seen the end of war."


    George Santayana, "Soliloquies in England and Later Soliloquies", 25. Tipperary, 1922 (Link)

MacArthur, 1962:

  • "This does not mean that you are warmongers. On the contrary, the soldier above all other people prays for peace, for he must suffer and bear the deepest wounds and scars of war. But always in our ears ring the ominous words of Plato, that wisest of all philosophers: "Only the dead have seen the end of war."
    Douglas MacArthur: Farewell to West Point, 12. Mai 1962 (Link);  (Link)

Pseudo-Plato quote.
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Quellen:
George Santayana: "Soliloquies in England and Later Soliloquies", Charles Scribner's sons, New York: 1922, (25. Tipperary) S. 102 (Link)
Bernard Suzanne: "Did Plato write 'Only the dead have seen the end of war'?", 2002 Plato dialogues
Wikiquote

Beispiele für falsche Zuschreibungen an Platon:
1962: General Douglas MacArthur's Farewell Speech. Given to the Corps of Cadets at West Point,  May 12, 1962   (Link)
Imperial War Museums
2001:  Eingangssequenz des  Films "Black Hawk Down" Youtube
Diverse Online-Zitatsammlungen.

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Ich danke Ralf Bülow für den Hinweis auf das Foto vom "Imperial War Museum".

Montag, 3. September 2018

"Niemand urteilt schärfer als der Ungebildete; er kennt weder Gründe noch Gegengründe und glaubt sich immer im Recht." Ludwig Feuerbach (angeblich)


Pseudo-Ludwig-Feuerbach-Zitat.
Dieser Aphorismus des Malers Anselm Feuerbach wird seit Jahrzehnten öfters seinem Onkel, dem Philosophen Ludwig Feuerbach, gegen den die "Thesen über Feuerbach" von Karl Marx (mit der berühmten 11. These) gerichtet waren, unterschoben.



Anselm Feuerbach, 1878


  • "Ein gutes Wort wirkt schöpferisch und erweckt neue Ideen. Eine alberne Bemerkung kann eine ganze Saat verwüsten.

    Tadeln ist leicht, deshalb versuchen sich so viele darin. Mit Verstand loben ist schwer, darum tun es so wenige.

    Niemand urteilt schärfer als der Ungebildete; er kennt weder Gründe noch Gegengründe und glaubt sich immer im Recht.

    Das echte Kunstwerk bedarf keiner Vermittlung. Es spricht oder schweigt, je nach der Natur des Beschauers."

    Anselm Feuerbach: "Kunstkritik" (Link)

Unvollständiges Anselm-Feuerbach-Zitat.
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Quellen:
Anselm Friedrich Feuerbach: "Ein Vermächtnis von Anselm Feuerbach." Herausgegeben von Henriette Feuerbach, Deutsche Buch-Gemeinschaft, Berlin: 1878, S. 271 (Link); Kurt Wolff Verlag, Leipzig: 1920 (Link)
Marx-Engels Werke, Band 3,  Dietz Verlag, Berlin: 1969, Seite 5ff. (Link)


Beispiele für falsche Zuschreibungen an Ludwig Feuerbach:
1968: "Die besten Regeln der Rhetorik aus zwei Jahrtausenden: Aussprüche zur Redekunde in der systematischen Anordnung eines Lehrbuchs", Econ Verlag, Düsseldorf/ Wien: 1969, S. 168  (Link)
2009: Stefan Knischek: "Lebensweisheiten berühmter Philosophen: 4000 Zitate von Aristoteles bis Wittgenstein", Humboldt, 8. Auflage, Hannover: 2009, S. 104 (Link)
gutzitiert.de
zitate.eu



Donnerstag, 30. August 2018

"Nun, Volk, steh auf, und Sturm, brich los!" Theodor Körner (angeblich)

Broschüre, hrsg. von Joseph Goebbels, 1943, © Deutsches Historisches Museum, Berlin.

Der Wortlaut dieses Appells stammt von Joseph Goebbels, dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, und war der Titel und der Schlußsatz seiner sogenannten Sportpalastrede, mit der er - kurz nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Stalingrad - in dem mit Nazi-Parolen und Nazi-Symbolen geschmückten Berliner Sportpalast den baldigen deutschen Sieg verkündete und phrasenreich für den "totalen Krieg" warb.
  • "Die Nation ist zu allem bereit. Der Führer hat befohlen, wir werden ihm folgen. Wenn wir je treu und unverbrüchlich an den Sieg geglaubt haben, dann in dieser Stunde der nationalen Besinnung und der inneren Aufrichtung. Wir sehen ihn greifbar nahe vor uns liegen; wir müssen nur zufassen. Wir müssen nur die Entschlusskraft aufbringen, alles seinem Dienst unterzuordnen. Das ist das Gebot der Stunde. Und darum lautet von jetzt ab die Parole: Nun, Volk, steh auf und Sturm brich los!"

    J. Goebbels, Berlin, Sportpalast, 18. Februar 1943 (Link)

Goebbels' Imperativ geht auf die erste Zeile des 1813 entstandenen patriotischen Gedichts "Männer und Buben" Theodor Körners zurück, die im Indikativ steht: "Das Volk steht auf, der Sturm bricht los".

Am Ende der nationalsozialistischen Herrschaft wurde diese Zeile oft in der Nazi-Propaganda verwendet, auch zum Beispiel in dem teuersten und aufwendigsten Nazi-Propagandafilm "Kolberg", der erst 1945 in die deutschen Kinos kam.

Die Goebbels-Parole, "Nun, Volk, steh auf und Sturm, brich los!", mit der Goebbels versuchte die deutsche Bevölkerung zu überreden, die in Stalingrad geschlagene Wehrmacht noch mehr zu unterstützen, wird heute gerne von rechtsextremen und AfD/FPÖ-nahen AktivistInnen auf Facebook und Twitter verbreitet und manchmal fälschlich Theodor Körner zugeschrieben.



 Theodor Körner, 1813, "Männer und Buben", 1. Strophe


"Das Volk steht auf, der Sturm bricht los;
Wer legt noch die Hände feig in den Schoß?
Pfui über dich Buben hinter dem Ofen,
Unter den Schranzen und unter den Zofen!

Bist doch ein ehrlos erbärmlicher Wicht;
Ein deutsches Mädchen küßt dich nicht,
Ein deutsches Lied erfreut dich nicht,
Und deutscher Wein erquickt dich nicht.
   Stoßt mit an,
   Mann für Mann,
   Wer den Flamberg schwingen kann!"
(gutenberg.spiegel.de)

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Quellen:
Deutsches Historisches Museum, Berlin: "Nun, Volk, steh auf und Sturm brich los"  dhm.de
"Kolberg", Film von Veit Harlan im Auftrag von J. Goebbels, 1945, Ausschnitt  youtube.com/
Spiegelredaktion: "Nun Volk",  SPIEGEL 46/1967, 16. November 1967 (spiegel.de)
Peter Longerich:  "Goebbels' Sportpalastrede - Stiller Staatsstreich", 2011  (Link)
Joseph Goebbels: "Der steile Aufstieg. Reden und Aufsätze aus den Jahren 1942/43" Hrsg. von M.A. v. Schirmeister, Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf., München: 1944, 167-204 (Mit fehlenden Kommata im Zitat.) (Link)
Theodor Körner: "Männer und Buben", 1813 
Wikipedia
Facebook; Twitter 
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Dank an die Wikipedia-MitarbeiterInnen für ihren ausführlichen Artikel zur Sportpalastrede.

Dienstag, 28. August 2018

"Erfolg hat 3 Buchstaben: TUN!" Johann Wolfgang von Goethe (angeblich)

Pseudo-Johann-Wolfgang-von-Goethe-Zitat.

 Dieses angebliche Goethe-Zitat wurde Johann Wolfgang von Goethe im Jahr 2005 - also mehr als 170 Jahre nach seinem Tod - erstmals unterschoben.


Entstanden ist dieser Motivationsspruch einer unbekannten Autorin anscheinend ein paar Jahre davor ohne Zuschreibung an Goethe.

In den digitalisierten Werken Goethes ist dieses Kuckuckszitat so wenig zu finden wie in seriösen Nachschlagwerken.

Das Wort "tun"  hatte übrigens zur Zeit Goethes vier Buchstaben. Bis zum Beginn des 20 Jahrhunderts schrieb man "thun": ich thue, du thust, er thut. 

Erst im Juni 1901 bei der Berliner Orthographischen Konferenz wurde der generelle Wegfall der th- Schreibung in deutschen Wörtern beschlossen.

Hätte Johann Wolfgang Goethe den Slogan geprägt, hätte er geschrieben: Erfolg hat vier Buchstaben: THUN!

 

Pseudo-Johann-Wolfgang-von-Goethe-Zitat.



Die englische Version des Zitats, "Success has 2 Letters - DO", ist kaum 10 Jahre alt und wird selten Goethe unterschoben.  

 

Vielleicht ist das angebliche Goethe-Zitat aus folgendem Satz eines unbekannten Autors oder einer Autorin mit den Siglen A. M. aus dem Jahr 1924 entstanden:

 

1924

  • "Your religion has two letters — d-o; mine has four — d-o-n-e." (books.google)

 


Varianten:


  • "Das Gesetz hat drei Buchstaben: TUN." (1994)
  • "Jemand  hat  einmal gesagt: 'Religion  besteht grundsätzlich aus drei Buchstaben: t u n – tun, tun, tun!'"
  • "Erfolg hat drei Buchstaben: TUN!"  
  • "Erfolg hat 3 Buchstaben: TUN!"
Pseudo-Johann-Wolfgang-von-Goethe-Zitat.



 

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Quellen:
"Lexikon der Goethe-Zitate" Hrsg. von Richard Dobel, Artemis Verlag, Weltbild Verlag, Augsburg: 1991
simonsegur: "Warum wir das Zitieren wieder lernen müssen!", 2017 (einbuchwiekingsturm)
1994: "Das Gesetz hat drei Buchstaben: TUN" pdf 
2000: Andreas Ackermann: "Easy zum Ziel: Wie man zum mentalen Gewinner wird", CH-Anwil: 2000, S. 3 (bislang früheste Erwähnung; ohne Zuschreibung an Goethe) pdf
2005: forum.oeh-wu.at  (ohne Zuschreibung an Goethe)
2006: Religion, S. 60 pdf

Beispiele für falsche Zuschreibungen an J.W. v. Goethe 
2005: montignac-forum.com
2006: books.google 
2008: sprueche-und-zitate.blogspot.com/2008
2012:  kurier.at
2014: books.google

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Dank:

Ich danke John Reddick für den Hinweis auf die alte Rechtschreibung.

1924
"Your religion has two letters — d-o; mine has four — d-o-n-e." The "two-letter" religion is the religion of the day. It is the religion of the multitudes. Do, work, pray, strive, give, resolve, renounce are the keywords of the two- letter religion."
books.google

Donnerstag, 23. August 2018

"Das Gegenteil von gut ist gut gemeint". Karl Kraus (angeblich)

Dieses Sprichwort wurde Karl Kraus vier Jahrzehnte nach seinem Tod erstmals unterschoben. Es ist weder so noch so ähnlich in seinen Schriften zu finden.

Entstanden ist dieses Sprichwort, das auch Bertolt Brecht, Erich Kästner, Friedrich Torberg und Kurt Tucholsky fälschlich zugeschrieben wird, aus einem längeren Satz von Gottfried Benns Essay "Roman als Phänotyp" aus dem Jahr 1958:


Genese des Sprichworts (mit falschen Zuschreibungen):


1958, Gottfried Benn
  • "Es hat sich allmählich herumgesprochen, daß der Gegensatz von Kunst nicht Natur ist, sondern gut gemeint; Stil ist eine bösartige Neubildung, eine letale."
    Gottfried Benn: "Roman des Phänotyp", 1958  (Link);  (Link)
1967
  • "(Vielleicht muß man Heidegger ins Französische übersetzen, um ihn zu verstehen.) Gottfried Benn: 'Das Gegenteil der Kunst ist nicht die Natur; das Gegenteil der Kunst ist — , gut gemeint'.'" (Link)
1974
  • "In der Kunst und in der Politik ist gut gemeint das Gegenteil von gut. Andre Malraux " (Link)
1976
  • "Das Gegenteil von Kunst, sagt Gottfried Benn, ist »gut gemeint« ..." (Link) 
 1977
  • "Das Gegenteil von gut ist gut gemeint". (Link) 
1981
  • "Man würde also in dieser Beilage sicher einmal und recht bald einem der aktuellsten Sätze von Gottfried Benn begegnen: «Das Gegenteil von gut ist gut-gemeint.»"  (Link)
1983
  • "Das Gegenteil von 'gut' heißt nach Karl Kraus in der Politik 'gut gemeint'" .   (Link)
1983
  • "Nach Bert Brecht ist das Gegenteil von 'gut' oft 'gut gemeint'". (Link)
1989
  • "'Das Gegenteil von gut ist nicht schlecht, sondern gut gemeint.' — (weil man nicht zu Ende denkt, HCR). Karl Kraus " (Link)
1990
  • "Aber ein Aphorismus von Karl Kraus lautet: 'Das Gegenteil von gut ist gut gemeint'."  (Link) 
2015
  • "'Gut gemeint', sagte einst der Kulturkritiker Karl Kraus, 'ist ein anderes Wort für schlecht.'" (Link)  

 Varianten

 

  • "Doch gut gemeint ist oft nicht nur das Gegenteil von Kunst, sondern auch ein nur entfernter Verwandter der Wahrheit."
  • "Von Gottfried Benn haben wir jedoch gelernt, dass das Gegenteil von Kunst nicht Natur ist, sondern gut gemeint."  (Link) 
  • "Das Gegenteil von Kunst, sagt Gottfried Benn, ist »gut gemeint«". 
  • "Gut gemeint ist in der Regel das Gegenteil von gut gemacht". 
  • "Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint."  
  • "Gut gemeint ist meist das Gegenteil von gut."   
  • "Dass „gut gemeint" oft das Gegenteil von „gut" ist - das ist in Österreich ein geflügeltes Wort." 

"Das Gegenteil von gut ist gut gemeint" wurde 1996  zum Titel eines Songs der Hip-Hop-Band Kinderzimmer Productions, mit den Zeilen: "Denn das Gegenteil von gut ist gut gemeint / Habt ihr kapiert!"
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Quellen:
Gottfried Benn: „Roman des Phänotyp“. Gesammelte Werke in vier Bänden: Bd. Prosa und Szenen.  Limes Verlag, Wiesbaden: 1958, S. 161f.  Google Books
Österreichische Akademie der Wissenschaften, AAC: "DIE FACKEL" (1899-1936) von Karl Kraus (digitale Edition)  
Wikiquote
german.stackexchange.com/questions 
Friedhelm Greis: Sudelblog, Angebliche Tucholsky-Zitate
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Das Sprichwort wurde auch Bertolt Brecht, Erich Kästner, Friedrich Torberg, Kurt Tucholsky  und anderen unterschoben.
archive.org 
1974: Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974, S. 127 (Link)
1996: google.com/search Bertolt Brecht
2002: groups.google Tucholsky
2017: Tassilo Wallentin: "Der Bärendienst", Kronen Zeitung (Krone Bunt), 19. März 2017  (Link) Tucholsky

Beispiele für falsche Zuschreibungen an Karl Kraus:
1983: Horst Bieber: "Guter Wille mit Verspätung", DIE ZEIT 47/1983, 18. November 1983 (Link) 
1990: books.google 
2002:  books.google   
2009: derstandard.at
2015 books.google  
theeuropean.de/kraus-karl

Mittwoch, 22. August 2018

"Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf." Johann Wolfgang von Goethe (angeblich)

Pseudo-Johann-Wolfgang-Goethe-Zitat.
Diesen politischen Aphorismus einer unbekannten Autorin schrieb ein Lehrer beim Geschichtsunterricht um 1960 auf eine Schultafel. Der Lehrer wurde mit diesem Zitat auf der Tafel photographiert und das Foto in den "Nürnberger Nachrichten" veröffentlicht.

Deswegen wird diesem ehemaligen Lehrer und späterem Professor Hermann Glaser manchmal der Aphorismus zugeschrieben. Doch nach einer Anfrage von Dominik Lagushkin teilte Hermann Glaser mit, dass er diesen Aphorismus nicht geprägt habe, und 50 Jahre danach nicht mehr feststellen könne, woher er das Zitat damals hatte (Link).

Seit 2012, seit eine rechtsextreme Webseite damit begann, wird das Zitat auf Facebook, in der Kronen Zeitung und in anderen unseriösen Medien meistens Johann Wolfgang Goethe untergeschoben, vereinzelt auch Shakespeare, Kurt Tucholksy oder Immanuel Kant.

In den Schriften und dazugehörigen Nachschlagwerken Goethes, Kants und Tucholskys ist dieses Zitat, das in der Mitte des 20. Jahrhunderts als politische Parole entstanden sein könnte, nicht zu finden.


 Entwicklung des Zitats



1998, unbekannt
  • "In unseren Tagen kursiert ein Satz, der Aichers Philosophie vorwegzunehmen scheint: „Wer in der Demokratie schläft, wacht auf in der Diktatur.“ Oder schlagender: „Schlaf in der Demokratie, wach auf in der Diktatur!“ Dieser Erkenntnis der jüngsten Vergangenheit diente seine Art der Prophylaxe." 
    Joerg Crone, Dissertation (pdf)

2007, unbekannt
  • "Wählen tut Not! Denn wer in der Demokratie pennt, der wacht in der Dikatur auf. "
    groups.google
2011?, Glaser
  • „Wer in der Demokratie schläft, erwacht in der Diktatur“. Dieses hochaktuelle Zitat stammt vom Nürnberger Professor und Publizisten Hermann Glaser".
    amadeu-antonio-stiftung.de

2012, Goethe
  •  "Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf." J W Goethe
    dasgelbeforum
2012, Shakespeare
  • "Liebe Landratsmitglieder, wachen Sie endlich auf. Sie haben einen Auftrag vom Volk! Nehmen Sie sowohl Ihre Pflichten wie auch Ihre Rechte wahr. Erinnern Sie sich an Shakespeare, der sagte:
    'Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf.'"
    etwasanderekritik.wordpress.com/2012
2016, Goethe
  • Da fällt mir ein Satz Goethes ein: „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“.
    Tassilo Wallentin: "Der große Coup", Kronen Zeitung, 27/3 2016 (Link)
  2017
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Johann Wolfgang von Goethe ist übrigens nie als Verteidiger der Demokratie aufgefallen. Im Gegenteil:

Goethe, 1792

  • "Was mir aber noch mehr auffiel, war, daß ein gewisser Freiheitssinn, ein Streben nach Demokratie sich in die hohen Stände verbreitet hatte; man schien nicht zu fühlen, was alles erst zu verlieren sei, um zu irgendeiner Art zweideutigen Gewinnes zu gelangen."
    Johann Wolfgang von Goethe, Kampagne in Frankreich, Pempelfort, November 1792 (Link)

Goethe, 1827

  • "Man spricht immer viel von Aristokratie und Demokratie, die Sache ist ganz einfach diese: In der Jugend, wo wir nichts besitzen oder doch den ruhigen Besitz nicht zu schätzen wissen, sind wir Demokraten; sind wir aber in einem langen Leben zu Eigenthum gekommen, so wünschen wir dieses nicht allein gesichert, sondern wir wünschen auch, daß unsere Kinder und Enkel das Erworbene ruhig genießen mögen. Deshalb sind wir im Alter immer Aristokraten ohne Ausnahme, wenn wir auch in der Jugend uns zu andern Gesinnungen hinneigten."
    Gespräche mit Eckerman, 15. Juli 1827 (Link)
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Quellen:
"Lexikon der Goethe-Zitate". Hrsg. von Richard Dobel, Artemis Verlag, Weltbild Verlag, Augsburg: 1991, Stichwort "Demokratie", S. 110
Johann Wolfgang von Goethe, Kampagne in Frankreich, Pempelfort, November 1792 (Link)
Gespräche mit Eckerman, 15. Juli 1827 (Link)
Immanuel Kant: Gesammelte Werke, Akademieausgabe. Elektronische Edition: Universität Duisburg  
Altes Sprichwort: "Wer mit Hunden schläft, wacht mit Flöhen auf."
Joerg Crone: "Die visuelle Kommunikation der Gesinnung - Zu den grafischen Arbeiten von Otl Aicher und der Entwicklungsgruppe 5 für die Deutsche Lufthansa 1962", Dissertation, Freiburg, 1998, S. 46 (pdf)
Edwin Baumgartner: "Retten wir Goethes Karriere!", Wiener Zeitung, 3. Dezember 2015 wienerzeitung.at
Dominik Lagushkin: "Über adoptierte Zitate", 2013 (Link)

Frühe falsche Zuschreibung an Goethe: 
2012:  dasgelbeforum
Beispiel für falsche Zuschreibung:
Tassilo Wallentin: "Der große Coup", Kronen Zeitung, 27. März 2016 (Link)

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Dank
Ich danke Dominik Lagushkin für seine informative Dokumentation aus dem Jahr 2013 (Link).

Artikel in Arbeit. 

Montag, 20. August 2018

"Was nichts kostet, ist nichts wert." Albert Einstein (angeblich)

Deutsches Sprichwort aus dem 19. Jahrhundert.

Albert Einstein hat sich dieses Sprichwort am 20. Juni 1927 (Link) notiert, aber es ist doch nicht korrekt, es als Einstein-Aphorismus zu bezeichnen, da das Sprichwort schon Jahrzehnte vor seiner Geburt im Jahr 1848 eine bekannte Maxime war, und zum Beispiel im Württembergischen Landtag zitiert wurde.

Wir wissen nicht, warum sich Albert Einstein dieses alte Sprichwort notiert hat, dessen Aussage auch völlig jenem Aphorismus widerspricht, den Albert Einstein 20 Jahre später verfasste, und der seine Einstellung zu Geld wohl besser audrückt:

Albert Einstein, 1946


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Quellen:
Alice Calaprice: "The Ultimate Quotable Einstein", Foreword: Freeman Dyson, Princeton University Press, Princeton and Oxford: 2011
Albert Einstein: Aphorismus, 20. Juli 1927, Einstein-Archiv 36-582 und Albert Einstein: Aphorismus, 1946, Einstein-Archiv 36-576 in: Alice Calaprice: "Einstein sagt: Zitate, Einfälle, Gedanken", Piper Verlag, München: 1997/2015 ebook (Link) 
Verhandlungen der Württembergischen Kammer der Abgeordneten aus dem Landtage von 1848-49, 2. Band, J. Kreuzer und Comp., Stuttgart: 1849, 13. Dezember 1848, S. 899  (Link) 

Früheste Erwähnung des Sprichworts:
1815: books.google 

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Ich danke Harald im Spring für seinen Hinweis auf dieses Zitat.