Mittwoch, 15. April 2020

"Naturwissenschaften sind Barbarika, auf die man einen Jagdhund abrichten kann." Theodor Mommsen (angeblich)

Dieser höhnische Ausspruch wurde dem Historiker Theodor Mommsen in einer Anekdote zugeschrieben und ist bislang weder in seinen eigenen Texten, noch in zeitgenössischen Erinnerungen gefunden worden, obwohl schon viele danach gesucht haben.

Die Hauptperson der Anekdote ist ein Gymnasiallehrer des Erfinders Ferdinand Braun, der im Jahr 1909 den Nobelpreis für Physik erhalten hat, sieben Jahre nach dem Literaturnobelpreis von Theodor Mommsen.

Dieser Fuldaer  Lehrer des Physikers habe in den 1860er Jahren den Schüler Braun bestärkt, später einmal Mathematik zu studieren und dieser Lehrer Dr. Wilhelm Gies habe sich darüber geärgert, dass der große Historiker Theodor Mommsen so abfällig über Naturwissenschaften gesprochen und sie als, "Barbarika, auf die man einen Jagdhund abrichten kann", verspottet habe (Link).

Alle, die bis heute Theodor Mommsen dieses Zitat zuschreiben, beziehen sich direkt oder indirekt auf diese im Jahr 1965 ohne seriösen Quellennachweis verbreitete Anekdote aus der Biographie Ferdinand Brauns von Friedrich Kurylo (Link).

Ich folge hier dem Urteil von Andreas Kleinert, der seine Recherchen zu diesem Zitat mit dem Titel, "So kommt die historische Forschung auf den Hund", in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 15. April 2020 publiziert hat.

Durch welche Texte diese Anekdote 100 Jahre lang von den 1860er Jahren bis in die 1960er Jahre überliefert wurde bis sie in dieser  digitalisierten Biographie auftauchte, weiß man nicht. Angeblich stand sie irgendwann einmal in einer seit 1920 publizierten und noch nicht digitalisierten Geschichtsbeilage der Fuldaer Zeitung.

Nähere Angaben hielt Ferdinand Brauns Biograph Kurylo nicht für notwendig und in der englischen Fassung seiner Ferdinand-Braun-Biographie wurde zwar der Lehrer Wilhelm Gies mehrfach erwähnt, aber diese Anekdote ganz weggelassen.

Offen bleiben mehrere Fragen: Woher hat Wilhelm Gies den angeblichen Ausspruch Theodor Mommsens bezogen? Mit wem hat der 1918 verstorbene Ferdinand Braun über seinen Lehrer gesprochen und diese Anekdote erzählt?

Sollte der Ausspruch nicht von Theodor Mommsen stammen: Wer hat dann das Zitat geprägt?

Als Urheber des Zitats kommen auch Altphilologen infrage. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nannten klassisch gebildete Gymnasialdirektoren die vermehrt angebotenen naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichtsfächer "barbarische Eindringlinge" (Link), und Mathematiklehrer beklagten sich über die Geringschätzung ihrer Fachgebiete durch die Mehrzahl der anderen Gymnasialpädagogen (Link).


1850

  • "Man hat vielfach die Befürchtung ausgesprochen, daß mit der Missachtung und der Verbannung der alten Sprachen und der Einführung der Naturwissenschaften (Realien) in die höheren Schulen die Barbarei ausbrechen werde."

    Friedrich Traugott Kützing: "Die Naturwissenschaften in den Schulen als Beförderer des christlichen Humanismus" 1850, S. 33 (Link)

1873
  • Ein sächischer Rektor hat einen
    "Mathematik treibenden Zögling mit den Worten 'was treiben Sie da für Barbarica?!' angedonnert, ein anderer die Mathematik für 'dummes Zeug' erklärt [...].  Dass ein dritter sie laut ein 'Nebenfach' nannte, hat Referent selbst gehört."

     
    'Zeitschrift für mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht', Vierter Jahrgang,  1873, S. 428f. (Link) 


Die meisten Kuckuckszitate werden heute von Nichtakademikerinnen und Nichtakademikern in den sozialen Medien verbreitet.

Dieses angebliche Mommsen-Zitat wird hauptsächlich von Universitätsprofessoren verbreitet, also von Leuten, die ihren Studentinnen und Studenten beibringen sollten, wie man korrekt zitiert und Sekundärzitate kennzeichnet.

  • "Denn das ist der eigentliche Skandal bei der Geschichte des angeblichen Mommsen-Zitats: Die meisten der [...] Autoren, die das Pseudozitat verbreitet haben, sind oder waren Professoren an deutschen Universitäten."

    Andreas Kleinert: "So kommt die historische Forschung auf den Hund".  FAZ,  15. April 2020


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Quellen:
Andreas Kleinert: "So kommt die historische Forschung auf den Hund".  Frankfurter Allgemeine Zeitung,  15. April 2020, Nr. 88, S. N3 (fazarchiv.faz.net)
Andreas Kleinert: "Ohne den Hinweis, dass es sich um ein Sekundärzitat handelt, finden wir Mommsens Jagdhund bei Ernst Peter Fischer ("Glanz und Elend der zwei Kulturen", 1991) und bei Katja Schwiglewski ("Erzählte Technik", 1995). In "Kultur & Technik", der Zeitschrift des Deutschen Museums, ist das Zitat noch 2014 (Heft 1) ohne Quellenangabe reproduziert worden. "
Theodor Ickler, Kommentar zum FAZ-Artikel, 15/4 2020 (Link)
1965: Friedrich Kurylo: "Ferdinand Braun. Leben und Wirken des Erfinders der Braunschen Röhre", Heinz Moos Verlag, München: 1965, S. 18 (Link)
1981: Friedrich Kurylo: "Ferdinand Braun, A Life of the Nobel Prizewinner and Inventor of the Cathode-Ray Oscilloscope", übersetzt von Charles Susskind, revised edition of Kurylo: "Ferdinand Braun", München; 1955, MIT Press, Cambr. / London: 1981, S. 7 (keine Erwähnung Mommsens)
1985: Hans Queisser: Kristallene Krisen. Mikroelektronik - Wege der Forschung, Kampf der Märkte. Piper, München: 1985, S. 13 (Link)
1873: Rezension von H. (J.C.V. Hoffmann?) eines Buchs über die Geschichte des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts von Dr. C. Heym, in: 'Zeitschrift für mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht', Vierter Jahrgang, Verlag B.G. Teubner, Leipzig:  1873, S. 428f. (Link) 
1850: Friedrich Traugott Kützing: "Die Naturwissenschaften in den Schulen als Beförderer des christlichen Humanismus" Verlag Adolph Büchting, Nordhausen: 1850, S. 33 (Link) 



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Dank:
Ich danke Ralf Bülow sehr für seinen Hinweis auf die mathematischen "Barbarica" im 19. Jahrhundert und Andreas Kleinert für seinen sorgfältig recherchierten Artikel zu diesem Kuckuckszitat.





"Ich bin so wie ich bin. Die einen kennen mich, die anderen können mich." Konrad Adenauer (angbelich)

Im Jahr 1994 hat Erich Däniken sich zu dem Motto, "Ich bin wer ich bin. Die einen kennen mich, die anderen können mich" (Link), bekannt und dieses Motto auch in späteren Interviews wiederholt.

Die Wendung, "die einen kennen mich, die anderen können mich" ist in den digitalisierten Texten seit 1989 nachweisbar.

Konrad Andenauer wird das Zitat erst seit dem Jahr 2002 in Foren ohne wissenschaftlichem Anspruch und ohne Quellenangabe unterschoben.
Pseudo-Konrad-Adenauer-Zitat.
Offensichtlich angeregt durch die unbegründeten Zuschreibungen im Internet taucht das angebliche Adenauer-Zitat laut Google-Suchen im Jahr 2009 erstmals auch in einem gedruckten Text bei Google Books auf.

 Inzwischen ist das angebliche Adenauer-Zitat in Büchern, Zeitungen und vor allem im Internet weit verbreitet, obwohl es der Quellenlage nach zu beurteilen ein typisches Kuckuckszitat ist.


Twitter, 2018:





Artikel in Arbeit,
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 Quellen:

Google: Books, News, Bilder
 994 (Link)


Konrad Adenauer zugeschrieben:

2002: geschichtsspuren.de/forum , Signatur von  TimoL » 16.10.2002 13:12
2004: radarforum.de/forum Signatur von Flitzeber, 17 Mai 2004 - 20:16 (Erstmals mit: "Ich bin ..").
2004: agrar.de/pferde/forum  Signatur von Eva 09.12.04, 12:39
2005 winboard.org/threads/unfreiwillig-witzige-politiker-sprueche.19912/ 28. März 2005

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Dank:
Ich danke Ralf Bülow für seinen Hinweis auf dieses Kuckuckszitat.

Montag, 13. April 2020

"Die einzige Art, gegen die Pest zu kämpfen, ist die Ehrlichkeit." Albert Camus (angeblich)

 
Entstelltes Zitat aus "Die Pest" von Albert Camus.
Eine korrekte Übersetzung dieses entstellten Zitats aus dem Roman "Die Pest" von Albert Camus lautet: "die einzige Art, gegen die Pest anzukämpfen, ist der Anstand."

Diesen Satz sagt der engagierte atheistische Arzt Rieux zu dem Journalisten Rambert in Albert Camus' Bestseller "Die Pest",   einem Roman, der  als "Plädoyer für die Solidarität der Menschen im Kampf gegen Tod und Tyrannei" verstanden wird.


Albert Camus: "Die Pest", 1947:

Übersetzerin: Uli Aumüller, 1997.
  • " ' ... bei alldem handelt es sich nicht um Heldentum. Es handelt sich um Anstand. Das ist eine Idee, über die man lachen kann, aber die einzige Art, gegen die Pest anzukämpfen, ist der Anstand.'

    'Was ist Anstand?', sagte Rambert, plötzlich ernst.

    'Ich weiß nicht, was er im Allgemeinen ist. Aber in meinem Fall weiß ich, dass er darin besteht, meinen Beruf auszüben.' "

    Albert Camus: "Die Pest". Übersetzt von Uli Aumüller, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg:  (1997) 2013 ebook
    (Link)



Im 1947 erschienenen Original lautet der Satz: "la seule façon de lutter contre la peste, c'est l'honnêteté", in der englischen Übersetzung: "the only means of fighting a plague is — common decency".

Doch in der ersten deutschen Übersetzung stand: "die einzige Art, gegen die Pest zu kämpfen, ist die Ehrlichkeit." 

 
Übersetzer: Guido G. Meister, 1949, rororo 1950.

Übersetzer: Guido G. Meister, 1949, rororo bis 1996.
Diese falsche Übersetzung wurde erst nach über 1 Million verkauften Exemplaren im Jahr 1997 durch die Übersetzerin Uli Aumüller in der Neuausgabe des Rowohlt Verlags korrigiert (Link).

Das französische Wort  "honnêteté" hat zwar auch die Bedeutung "Ehrlichkeit", aber hier ergibt die Übersetzung mit Ehrlichkeit keinen Sinn, was noch im selben Absatz klar wird. 

Der Arzt Rieux kann dem Journalisten zwar nicht genau erklären, was honnêteté im Allgemeinen ist, aber für ihn als Arzt besteht sie darin, während der Pest seinen Beruf auszuüben. Man kann während einer Pest aus Anstand seinen Beruf weiter ausüben, aber nicht aus Ehrlichkeit.


  • "... il ne s'agit pas d'héroïsme dans tout cela. Il s'agit d'honnêteté. C'est une idée qui peut faire rire, mais la seule façon de lutter contre la peste, c'est l'honnêteté. -

    Qu'est-ce que l'honnêteté, dit Rambert, d'un air
    soudain sérieux. -

    Je ne sais pas ce qu'elle est en général. Mais da
    ns mon cas, je sais qu'elle consiste à faire mon métier. "

    • Albert Camus: "La peste", Les Éditions Gallimard, Collection NRF, 347e édition, Paris:  (1947), 1955, Digitalisat  S. 153 pdf

  • " 'However, there's one thing I must tell you: there's no question of heroism in all this. It's a matter of common decency. That's an idea which may make some people smile, but the only means of fighting a plague is — common decency.'

    'What do you mean by 'common decency?' Rambert's tone was grave.


    '
    I don't know what it means for other people. But in my case I know it consists in doing my job.'"

    Albert Camus: "The plague", übersetzt von
    Stuart Gilbert, S. 142 (Link) 
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Quellen:
Google
Twitter
Albert Camus: "La peste", Les Éditions Gallimard, Collection NRF, 347e édition, Paris:  (1947), 1955, Digitalisat  S. 153 pdf
Albert Camus: "The Plague", übersetzt von Robin Buss, Nachwort: Tony Judt, Penguin Classics, London: 2013
Albert Camus: "The Plague". übersetzt von Stuart Gilbert, The Modern Library, New York: copyright  1948, S.  150 (Link)
Albert Camus: "Die Pest", übersetzt von Uli Aumüller, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg:  (1997) 2013 ebook (Link)
Albert Camus: "Die Pest", übersetzt von Guido G. Meister, Rowohlt Verlag, Hamburg: 1950 / 1994 (1 286 000 - 1 305 000) , S. 134 archive.org

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Dass Albert Camus an dieser Stelle von "Anständigkeit" und nicht wie in der deutschen Übersetzung von  Guido G. Meister von "Ehrlichkeit" spricht, hat schon der Tübinger Philosoph Otto Friedrich Bollnow im Jahr 1957 in einem Essay erklärt (Link).


Artikel in Arbeit. 

Samstag, 11. April 2020

"Er hat ihre Augen blind gemacht und ihr Herz hart ..., damit sie sich nicht bekehren und ich sie nicht heile." Johannes 12, 40 (angeblich)

Mit diesem Satz aus dem Johannesevangelium wurde jahrhundertelang der christliche Antijudaismus  begründet. Gott selbst habe die Juden verflucht, indem er "ihre Augen blind und ihr Herz hart" gemacht habe.

  • "Denn sie konnten nicht glauben, weil Jesaja an einer anderen Stelle gesagt hat: Er hat ihre Augen blind gemacht und ihr Herz hart, damit sie mit ihren Augen nicht sehen und mit ihrem Herzen nicht zur Einsicht kommen, damit sie sich nicht bekehren und ich sie nicht heile."

    Joh 12,39-40 (Link)

Einem Kommentar des griechischen Kirchenvaters Origenes folgend schlägt der Wiener Kirchenhistoriker Hans Förster eine andere Übersetzung dieser problematischen Stelle vor:


  • "Er hat ihre Augen blind gemacht und ihr Herz hart. Folglich sehen sie mit ihren Augen nicht und kommen mit ihrem Herzen nicht zur Einsicht und bekehren sich nicht. Und ich werde sie heilen."


Wenn diese Übersetzung korrekt ist, dann widerspricht die Aussage dieser Bibelstelle völlig einigen Übersetzungen der christlichen theologischen Tradition, ja, diese Aussage ist das Gegenteil: Keine Verfluchung des Judentums, sondern eine Heilsbotschaft.

Hans Förster, Wiener Zeitung, 12. April 2020:


  • "Einer der besten Philologen der griechischen Kirche, Origenes (er wirkte im dritten Jahrhundert), bemerkt zu dieser Stelle: "Einer ist es, der die Augen blind macht und die Herzen verhärtet, ein anderer ist es, der Heilung bringt."
  • "Der griechische Text kann eigentlich nur als Heilszusage verstanden werden. In der Rezeptionsgeschichte wird er zur Unheilsbotschaft."
  • "Einer der bedeutendsten und einflussreichsten Neutestamentler des zwanzigsten Jahrhunderts, Gerhard Kittel, der während des Nationalsozialismus in Tübingen und von 1939 bis 1943 auch an der Universität Wien wirkte, ist ein Beispiel für diese [judenfeindliche] Haltung. ...

    Das überzeugte NSDAP-Mitglied war Herausgeber des "Theologischen Wörterbuchs zum Neuen Testament", das im Jahr 2019 unverändert nachgedruckt wurde. Gleich zwei Artikel in diesem Wörterbuch betonen bezüglich der im Johannesevangelium zitierten Weissagung des Propheten Jesaja, dass es Gott selbst war, der die Verhärtung der Herzen verursacht habe. Das "Volk unter dem Fluch" wird damit durch ein Standardwörterbuch zum Neuen Testament als sachlich richtiges Verständnis des Zitats des Propheten Jesaja im Johannesevangelium ausgewiesen. Diese Behauptung ist sprachwissenschaftlich nachweislich falsch."
-

 Wenn Hans Förster mit seiner Interpretation recht hat, wäre die traditionelle Übersetzung wohl das verhängnisvollste Falschzitat der europäischen Geschichte.


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Quellen:
Johannes 12,39-40  bibeltext.com (Link); Herder Verlag (Link)
Hans Förster: "Christlicher Andijudaismus: Das Volk unter dem Fluch. Wie ein falsch verwendetes Zitat aus dem Neuen Testament bis heute fatal und folgenreich nachwirkt." Wiener Zeitung extra, 11./12. April 2020, S. 31 (wienerzeitung.at)

"Wer aufhört, Fehler zu machen, lernt nichts mehr dazu.“ Theodor Fontane (angeblich)


Pseudo-Theodor-Fontane-Zitat.
Dieser Motivationsspruch wird seit kaum 10 Jahren dem 1898 in Berlin verstorbenen Schriftsteller  Theodor Fontane unterschoben und ist weder in seinen digitalisierten Texten noch in seriösen Nachschlagwerken zu finden.

Entwicklung des Kuckuckzitats:


Vor dem 21. Jahrhundert ist dieser Satz auch in keinem anderen digitalisierten Text enthalten. Auf Twitter taucht das Kuckuckzitat erstmals im Jahr 2012 auf:


Twitter, 2012


Pseudo-Theodor-Fontane-Zitat.

Ein paar Jahre später, seit dem Jahr 2016,  findet man den Satz schon in Ratgeberliteratur (Link) und Onlinezitatsammlungen (Link)  und inzwischen wird das angebliche Fontane-Zitat auch durch Memes und von Journalisten (rbb24.de) verbreitet.


Screenshot, 2020:


Pseudo-Theodor-Fontane-Zitat.
Da dieses Zitat Theodor Fontane erst über hundert Jahre nach seinem Tod erstmals zugeschrieben wurde, noch dazu immer ohne Quellenangabe, ist es äußerst unwahrscheinlich, dass dieser Satz so oder so ähnlich jemals in einem Text Theodor Fontanes gefunden werden wird.



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Quellen:
Google
google.books

Beispiele für falsche Zuschreibungen:

 "12 Fakten zum großen deutschen Denker. Angeber-Wissen zu Theodor Fontane", 30. März 2019 rbb24.de
Twitter
aphorismen.de -183635


Artikel in Arbeit.

Freitag, 10. April 2020

"Nichts hindert mich, weiser zu werden." Konrad Adenauer (angeblich)

Konrad Adenauers berühmter Ausspruch, "es kann mich doch niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden", wird im Internet und in Zeitungen oft verkürzt und entstellt wiedergegeben (Link).

Versionen des verkürzten und entstellten Konrad-Adenauer-Zitats:


  • "Es kann mich niemand daran hindern, über Nacht klüger zu werden." zitate.eu
  • "Wer will mich daran hindern, jeden Tag klüger zu werden?"  (Link)
  • "Kein Mensch kann mich daran hindern, jeden Tag klüger zu werden.“ (Link)
  • "Nichts hindert mich, klüger zu werden."
  • "Nichts hindert mich, weiser zu werden."
  • "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, weiser zu werden." heute.at 

Oft wird dieses verkürzte Zitat zusammen mit dem Sprichwort, "was kümmert mich mein Geschwätz von gestern", zitiert, das allerdings Konrad Adenauer seit den 1960er Jahren nur unterschoben wird (Link).
 
Konrad Adenauer trat aus Furcht vor dem Aufleben des deutschen Militarismus noch 1949 gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands auf und warb für eine Europäischen Armee unter Teilnahme deutscher Soldaten.

Nach dem Beginn des Korea Krieges änderte Konrad Adenauer seine Meinung, was ihm bei einer CDU-Fraktionssitzung im Sommer 1950 vorgehalten wurde.

Darauf antwortete der deutsche Bundeskanzler, der Westdeutschland jetzt militärisch ähnlich bedroht sah wie Südkorea:

Konrad Adenauer, 1950: 

  • "Aber meine Herren, es kann mich doch niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden."

    Paul Weymar: "Konrad Adenauer. Die autorisierte Biographie", 1955, S. 521 (Link)
  • "But, gentlemen, who is going to stop me from getting a little wiser every day?"
    Übersetzung: Peter De Mendelssohn, 1957, S. 328 (Link)
Vielleicht ist die Version, "Nichts hindert mich, weiser zu werden", aus einer Rückübersetzung aus dem Englischen entstanden.

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Google
Twitter 
Paul Weymar: Konrad Adenauer. Die autorisierte Biographie. Kindler Verlag, München: 1955, S. 521 (Link)
Paul Weymar: Adenauer. His authorized biography. Translated by Peter De Mendelssohn, E.P. Dutton and Company, New York: 1957, S. 328 (Link)
G. K.: "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?"  (Link)


 

Donnerstag, 9. April 2020

"Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?" Konrad Adenauer (angeblich)

Deutsche Redensart, Pseudo-Konrad-Adenauer-Zitat.
Dieses beliebte angebliche Konrad-Adenauer-Zitat ist eine deutsche Redensart, die noch  niemand in Konrad Adenauers Reden, Texten oder Interviews gefunden hat; zu diesem Ergebnis kamen auch  Historiker der Berliner Konrad-Adenauer-Stiftung (Link).

Manchmal wird diese Formel dem deutschen Bundekanzler zusammen mit dem Satz, "es kann mich doch niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden", zugeschrieben.

Diesen zweiten Satz hat Konrad Adenauer aber wirklich gesagt, wie man in Paul Weymars 1955 erschienenem Buch, 'Konrad Adenauer. Die autorisierte Biographie',  auf Seite 521 nachlesen kann (Link).

Nach dem Beginn des Koreakrieges trat Konrad Adenauer erstmals für die Wiederbewaffnung Deutschlands ein, noch ein halbes Jahr davor, im Dezember 1949, wollte er deutsches Militär nur im Rahmen einer zu schaffenden Europäischen Armee.

Dem deutschen Bundeskanzler wurde bei einer CDU-Fraktionssitzung im Sommer 1950 vorgeworfen, in der Frage der Wiederbewaffnung Deutschlands seine Meinung geändert zu haben, worauf Adenauer antwortete:

Konrad Adenauer, 1950:

  • "Aber meine Herren, es kann mich doch niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden."

  • Paul Weymar: "Konrad Adenauer. Die autorisierte Biographie", 1955, S. 521 (Link)


Über Konrad Adenauer 1953:


Konrad Adenauer wurde als Politiker beschrieben, auf dessen Wort man sich verlassen könne, und der niemals nach dem Grundsatz  "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern" als "Rattenfänger" agiert habe. 
  •   "Klar und eindeutig gibt Dr. Adenauer Rechenschaft über seine vierjährige Arbeit: 'Wenn einmal der Nebel und der Wirbel von dieser Zeit gewichen ist, so will ich, daß man von mir sagen kann, daß ich meine Pflicht getan habe.'

    Das ist die Haltung dieses Mannes, der nicht als Rattenfänger kommt, nicht als Politiker, der heute verspricht um morgen nach dem Grundsatz zu handeln: 'Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.' Was er sagt sitzt."
     
    Nordwest-Zeitung, Nr. 183, 8. August 1953, S. 2 
    (genios.de)

[Ist Ihnen ZITATFORSCHUNG zur Eindämmung falscher Zitate etwas wert? (Link)]

 

Kurze Geschichte der Redensart:


Die Redensart vom "Geschwätz von gestern" scheint am Ende des 19. Jahrhunderts  entstanden zu sein und wurde im Zusammenhang mit  dem 1908 verstorbenen preußischen Kulturpolitiker Friedrich Althoff erstmals erwähnt.

Der ersten schriftliche Beleg für die sprichwörtliche Redensart und die Zuschreibung an Friedrich Althoff stammt aus dem Jahr 1917, wie Wikipedia-Autorinnen herausfanden (Link).

Adolf Matthias, ein Mitarbeiter Althoffs, hat von dem organisatorischen Zickzackkurs des Politikers Althoff berichtet, bei dem dann Äußerungen gefallen seien, wie:

1917
  • "'Was gebe ich auf mein dummes Geschwätz von gestern!' Althoff besaß jene Heiterkeit des Humors, die nicht vor der eigenen Person Halt macht." (Link)

    Alfred Biese: "Adolf Matthias, Zur Würdigung und Erinnerung", in: Monatsschrift für höhere Schulen, 1917, S. 533 (Link)
Im Jahr 1931 taucht die Wendung ohne Zuschreibung an Althoff in einer humoristischen Geschichte der Zeitschrift "Die Muskete" in folgender Version auf:

1931
  • "Was geb' ich schon auf mein dummes Geschwätz von gestern?" (Link)
20 Jahre später hält der Politkwissenschaftler und Mitherausgeber des "Wörterbuchs des Unmenschen" Dolf Sternberger, der später auch viele Leiterartikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung verfasst hat, den Spruch für ein Frankfurter Sprichwort:

1950
  • "Oder, 'was geb' ich auf mein Geschwätz von gestern', wie es ein Frankfurter Sprichwort ausdrückt."
    Dolf Sternberger: Figuren der Fabel, S. 15 (Link)


Ungefähr seit 1969 gilt das Sprichwort in Deutschland als Adenauer-Zitat. Begonnen damit hat  anscheinend der Soziologe Horst Jürgen Helle in seiner Habilitationsschrift, wobei in Zukunft noch frühere Quellen für die falsche Zuschreibung gefunden werden könnten:


1969

  • "Man braucht also nicht sogleich an das Adenauer-Zitat zu denken: 'Was kümmert mich mein törichtes Geschwätz von gestern'."

    Horst Jürgen Helle: Soziologie und Symbol,  1969, 
    S. 56 (Link)

Seitdem wurde dem pragmatischen deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer das Sprichwort in verschiedenen Versionen unzählige Male unterschoben. Einige Beispiele:


2002
  • "'Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern', polterte schon Konrad Adenauer."
    welt.de
2019
  • "Frei nach dem Ausspruch von Konrad Adenauer, 'Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern', agiert derzeit Ex-Kanzler Sebastian Kurz." (Link)

2020

  • "Der gute, alte Spruch von Ur-Bundeskanzler Konrad Adenauer ist aktueller denn je: 'Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?' Wobei der Zusatz ja gerne unter den Tisch fällt: 'Nichts hindert mich, weiser zu werden.' " (Link)

Versionen des Pseudo-Konrad-Adenauer-Zitats:


  • "Wat kümmert mich ming Jeschwätz von jestern?"
  • "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?"
  • "Was kümmert mich mein törichtes Geschwätz von gestern?"
  • "Was stört mich mein Geschwätz von gestern?"
  • "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern."


Pseudo-Konrad-Adenauer-Zitat.

  • "What do I care about my chitchat from yesterday?" 

Pseudo-Konrad-Adenauer-Zitat. Google





 Artikel in Arbeit.
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Quellen:
 Google

www.konrad-adenauer.de: Zitate
 Alfred Biese: "Adolf Matthias, Zur Würdigung und Erinnerung", in: Monatsschrift für höhere Schulen, XVI. Jahrgang, Weidmannsche Buchhandlung, Berlin: 1917, S. 533 (Link)

"Wahl-Wochenende eines 77jährigen."Autor: anonymer Korrespondent, in: Nordwest-Zeitung, Nr. 183, 8. August 1953, S. 2 (genios.de)

Paul Weymar: Konrad Adenauer. Die autorisierte Biographie. Kindler Verlag, München: 1955, S. 521 (Link)
Dolf Sternberger: Figuren der Fabel. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1950, S. 15 (Link)
Horst Jürgen Helle: Soziologie und Symbol. Ein Beitrag zur Handlungstheorie und zur Theorie des sozialen Wandels. Habilitationsschrift, Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen: 1969,  S. 56 (Link)
Albert Martens: "Gastspiel im Bett", in: Die Muskete, das blatt für kunst und humor, XXVI.  Jahrgang, 1931, Nr. 14, S. 6 (Link)
Wikipedia  

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Ich danke den Wikipedia-Mitarbeitern und -Mitarbeiterinnen für ihre gründlichen Recherchen zu diesem Kuckuckszitat. 

Letzte Änderung 29/11 2020; 28/02/2021; 18/3 2023 (Kein Rattenfänger).