Dienstag, 15. Oktober 2019

"Sie können sich Ihre Leichen in den Arsch stecken." Peter Handke (angeblich)

"You can stick your corpses up your ass!" soll Peter Handke gesagt haben, als Kritiker ihn an die ermordeten Muslime von Sarajevo und Srebrenica erinnerten. Aber diese Anekdote ist erfunden.

Zum ersten Mal unterschoben wurde ihm dieser Satz anscheinend*) im SPIEGEL am 29. März 1999:

  • "Handke-Kritiker seien 'debil' oder 'durchgedreht', und auf Widerspruch bei öffentlichen Diskussionen beschied er knapp: 'Sie können sich Ihre Leichen in den Arsch stecken.' "
    Peter Stolle: "Maulwerker ahoi", Der Spiegel, 29. März 1999 spiegel.de

Ein paar Tage später taucht das Zitat in einer ausgeschmückten Anekdote in 'The Irish Times' auf:

  • "In the course of his attack on Western coverage of the Balkan conflict, Handke accuses the Bosnians of staging market massacres in Sarajevo and casts doubt on the murder of Muslims at Srebrenica. When critics pointed out that the victims' corpses provided evidence of Serb atrocities, the writer replied: "You can stick your corpses up your arse."
    "Serbia's eloquent ally",  The Irish Times, 3. April 1999 irishtimes.com/news/serbia-s-eloquent-ally-1.170173 

Seit der Ankündigung der Nobelpreisverleihung an Peter Handke wird diese Anekdote öfters im Internet zitiert, am 15. Oktober 2019 auch in der 'New York Times' (Link).

In einer Version dieser erlogenen Anekdote soll Peter Handke diesen Satz direkt zu Genozid-Überlebenden gesagt haben:

Pseudo-Peter-Handke quote; Twitter, 14. Oktober 2019.

Wenn Peter Handke als Apologet von Kriegsverbrechen bezeichnet wird, wird das oft mit diesem Pseudo-Zitat begründet.

  • Any survivor of genocide will tell you that disbelieving or dismissing their experience is a continuation of genocide. A genocide denier is an apologist for the next genocide. As for Mr. Handke, The Irish Times reported, “When critics pointed out that the victims’ corpses provided evidence of Serb atrocities, the writer replied: ‘You can stick your corpses up your ass!’”

    Aleksandar Hemon: ‘The Bob Dylan of Genocide Apologists’, NYT, 15. Oktober 2015 (Link)


Entstanden ist das Falschzitat offensichtlich aus der entstellten Wiedergabe eines Satzes Peter Handkes von einer Publikumsdiskussion im Wiener Akademietheater im März 1996. Diskutiert wurde über seinen Reisebericht und polemischen Essay: "Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien."

 Jemand aus dem Publikum meinte, Handke hätte nach Bosnien fahren sollen und nicht nach Serbien.  Handke antwortete, er wollte lieber auf die "falsche Seite", "akzeptieren Sie das", worauf der Frager vermutete:  "Vielleicht sind die Journalisten ... in Sarajevo ... betroffener als Sie".

Genervt von dem zur Phrase gewordenen Wort "betroffen" sagte Peter Handke:


Peter Handke, 1996, Akademietheater:

  • ",Betroffenheit'! Das kann ich schon überhaupt nicht hören. Gehen Sie nach Hause mit Ihrer Betroffenheit, stecken Sie sich die in den Arsch!"

    Wien, 18. März 1996, Akademietheater; Protokoll: konkret-magazin.de;
    Youtube 2:10

Twitter, 12. Oktober 2019:



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*)

Nachtrag, 20. Oktober 2019


Inzwischen haben auch Sebastian Hammelehle und Nadine Markwaldt für den SPIEGEL recherchiert, wie es zu dem falschen Zitat gekommen ist. Erstmals Peter Handke unterschoben hat es demnach der österreichische Journalist Günther Nenning drei Wochen vor dem SPIEGEL, am 7. März 1999 in einer Polemik in der 'Welt am Sonntag'.

Günther Nenning behauptete in diesem Artikel mit dem Titel "Handke nach Serbien! Dichter gehören in den Krieg", der Satz, "Sie können sich Ihre Leichen in den Arsch stecken", sei 1996 bei der Diskussion im Wiener Akademietheater gefallen.

Im Protokoll dieser Diskussion ist dieser Satz allerdings nicht enhalten.

Der Spiegel, 19. Oktober 2019:




Artikel in Arbeit.
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Quellen:
Google
"Handke und die Arschlöcher." Protokoll des Magazins "konkret" der Diskussion vom 18. März 1996 im Wiener Akademietheater mit Peter Handke, Peter Turrini und Peter Huemer. "konkret": Rubrik »Zu Protokoll« (5/96). Auszüge aus einer Aufzeichnung dieser Veranstaltung. konkret-magazin.de
"Peter Handke - Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte". Ein Film von Corinna Belz. 2016, Ausschnitt  Youtube 2:00
"Serbien: Eine Winterliche Reise (1996)" Handkeonline 
Andrea Maria Dusl Twitter, 12. Oktober 2019

Beispiele für das Falschzitat:
Peter Stolle: "Maulwerker ahoi", 'Der Spiegel' 13/1999, 29. März 1999 spiegel.de
"Serbia's eloquent ally",  'The Irish Times', 3. April 1999 irishtimes.com/news/serbia-s-eloquent-ally-1.170173
Aleksandar Hemon: ‘The Bob Dylan of Genocide Apologists’, 'New York Times', 15. Oktober 2015 Nytimes.com/2019/10/15
Twitter, 14. Oktober 2019
aljazeera.com
exit.al/en/2019/10/12/widespread-outrage-among-albanians-as-genocide-denier-peter-handke-wins-nobel-prize-in-literature/
Bret Stephens: "The Scandal of a Nobel Laureate", 'New York Times', 17. Oktober 2019 (Link)

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Peter Handke: "Am Ende ist fast nichts mehr zu verstehen", Süddeutsche Zeitung, 19. Mai 2010 (Link)
Peter Handke: Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien. Suhrkamp, Frankfurt am Main: 1996
Peter Handke: Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise. Suhrkamp, Frankfurt am Main: 1996
Peter Handke: Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg.  Suhrkamp, Frankfurt am Main: 1999
Peter Handke: Unter Tränen fragend. Nachträgliche Aufzeichnungen von zwei Jugoslawien-Durchquerungen im Krieg, März und April 1999. Suhrkamp, Frankfurt am Main: 2000 
Martin Sexl: "Poesie als Medienkritik. Die Jugoslawien-Kriege im Werk Peter Handkes", 2013 Handkeonline - pdf
Lothar Struck: "Peter Handke und Jugoslawien. Die dritte Erregungswelle", 2012 Handkeonline - pdf

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"Wie ein falsches Handke-Zitat um die Welt ging." "Sie könnnen sich Ihre Leichen in den Arsch stecken.  Ein viel zitierter Satz dient dazu, Peter Handke zum literarischen Kriegsverbrecher zu stempeln. Nur: Er hat ihn nie gesagt." Von Sebastian Hammelehle und Nadine Markwaldt, Der Spiegel, 2019/43, 19. Oktober 2019, S. 116
Günther Nenning: "Handke nach Serbien! Dichter gehören in den Krieg", 'Welt am Sonntag', 7. März 1999 (Vorerst zitiert nach 'Der Spiegel'.)


Letzte Änderung: 18/10 2019; 20/10 2019.



Mittwoch, 9. Oktober 2019

"Genieße Deine Zeit, denn du lebst nur jetzt und heute. Morgen kannst du gestern nicht nachholen und später kommt früher als du denkst." Albert Einstein (angeblich)


Pseudo-Albert-Einstein-Zitat.
Diese Lebensweisheit wird seit kaum 10 Jahren Albert Einstein unterschoben und ist weder in seinen digitalisierten Schriften noch in seriösen Nachschlagwerken zu finden.

Wer den Satz geprägt hat, weiß ich nicht. Er taucht im Mai 2010 in einem Brigitte-Forum ohne Zuschreibung an Albert Einstein auf.  Ein paar Monate später wird er schon Albert Einstein unterschoben und ist inzwischen im Internet sehr weit verbreitet.

Mai 2010: bfriends.brigitte.de/foren
September 2010: grosseleute.de/forum/   (Zuschreibung an Albert Einstein)
September 2010: bfriends.brigitte.de/foren/
Oktober 2010: .cbf-1000.de/VBForum (Zuschreibung an Albert Einstein)



Artikel in Arbeit.
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Quellen:
 Google
Alice Calaprice: "The Ultimate Quotable Einstein", Foreword: Freeman Dyson, Princeton University Press, Princeton and Oxford: 2011

  1. Ich danke Martin Anton Müller für den Hinweis auf diese Kuckuckszitat. 


Montag, 7. Oktober 2019

"Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit." Pseudo-Kurt-Schumacher-Zitat.

Dieser Satz wurde dem SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher anscheinend erstmals etwa 40 Jahre nach seinem Tod von dem CDU-Politiker Erwin Teufel untergeschoben.

Patrick Bahners hat in der F.A.Z. vom 7. Oktober 2019 darauf aufmerksam gemacht, dass bei diesem beliebten Politiker-Zitat noch niemand eine genaue Quelle in einer Rede oder in einem Text des 1952 verstorbenen SPD-Fraktionsvorsitzenden Kurt Schumacher nachweisen konnte.

1991 hatte das angebliche Schumacher-Zitat noch folgenden Wortlaut:

1991
  • " 'Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität', sagt Kurt Schumacher. "

    Erwin Teufel, Deutscher Bundestag, 18. Oktober 1991, S. 4228, 2. Spalte (Link)

Seither ist dieser Spruch in unzähligen Zeitungsartikeln und auch im Deutschen Bundestag - überwiegend von CDU-Abgeordneten - in über 40 Sitzungen zitiert und fast immer Kurt Schumacher unterschoben worden.

2009
  • "'Politik  beginnt  mit  der  Betrachtung  der  Wirklichkeit.'  Diesen Satz des Sozialdemokraten Kurt Schumacher zitiert der Christdemokrat Erwin Teufel gerne und oft. Und er lebt und arbeitet danach."
    Laudatio von Bundespräsident Horst Köhler, Tübingen, 12. Oktober 2009 (Link)
Im Herbst 2019 ist das angebliche Schumacher-Zitat auch in der SPD angekommen, wo es die Sächsische Staatsministerin Petra Köpping und der Niedersächsische Minister Boris Pistorius zu ihrem Motto erklärt haben (FAZ), (Link):

2019
  • "Wir machen Politik, damit es den Menschen morgen besser geht als heute. Kurt Schumacher hat gesagt, dass Politik mit dem Betrachten der Wirklichkeit beginnt. So machen wir es auch." (Link)

Vereinzelt wurde das Zitat auch den CDU-Politikern Volker Kauder  (Link) oder Erwin Teufel (Link) zugeschrieben. 

2019
  • "Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit - ein Spruch von Volker Kauder, unserem ehemaligen Fraktionsvorsitzenden. Wir leben im 21. Jahrhundert. Es hält nun einmal nicht jede Ehe."
    12. Januar 2019, Yvonne Magwas
    (Link)
  • "Deshalb gilt auch der Satz des früheren Ministerpräsidenten Erwin Teufel: 'Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.'"
    2. September 2015, Boris Palmer und Jens Spahn (Link)


Wenn Zeithistoriker nicht bald eine Quelle für dieses Zitat in einem Text Schumachers finden, wird man zur Kenntnis nehmen müssen, dass es ein Kuckuckszitat ist.

Nachtrag:

Bernd-Christoph Kämper hat einen Satz Kurt Schumachers gefunden, der das falsche Zitat angeregt haben könnte. 

In dem Artikel "Wir rufen die Frauen zur Mitarbeit auf" bittet Kurt Schumacher 1949 auch Frauen um ihre Mitarbeit in der Sozialdemokratie. 

Anfang der 1930erJahre habe die internationale Solidarität versagt, die Menschen seien zu passiv gewesen, auch die Passivität der Frauen habe den verheerenden Erfolg der Nationalsozialisten ermöglicht.

Drei Worte des tatsächlichen Kurt-Schumacher-Zitats ("Politik beginnt mit") aus diesem Aufruf sind mit dem beliebten Falschzitat identisch.

1949
  • "Jede Politik beginnt mit der Selbsterkenntnis und mit der Arbeit am eigenen Gemeinwesen." (Link) Kurt Schumacher: "Wir rufen die Frauen zur Mitarbeit auf." In: Neue Ruhr-Zeitung, 12. März 1949, S. 5. (Link)
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Twitter:

 

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 Artikel in Arbeit.

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Quellen:
Kurt Schumacher: Wir rufen die Frauen zur Mitarbeit auf. In: Neue Ruhr-Zeitung, 12. März 1949, S. 5. 
(Link)
Deutscher Bundestag: Stenographischer Bericht. 51. Sitzung, 18. Oktober 1991, Bonn: 2011, S. 4228, 2. Spalte, Ministerpräsident Erwin Teufel (Link) [Früheste Erwähnung des Zitats und zugleich früheste Zuschreibung an Kurt Schumacher; zukünftige Recherchen könnten noch andere Quellen entdecken.]
Laudatio von Bundespräsident Horst Köhler, Tübingen, 12. Oktober 2009 (Link)
Patrick Bahners: "Sie haben Kurt", Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Oktober 2019 (Link)


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Dank:
Ich danke Bernd-Christoph Kämper und der Friedrich Ebert Stiftung für ihre Recherchen.

Letzte Änderungen: 8/2 2023 (Kämper / Schumacher 1949)



Samstag, 5. Oktober 2019

"Das Schicksal einer Gesellschaft wird dadurch bestimmt, wie sie ihre Lehrer achtet." Karl Jaspers (angeblich)

Das ist ein verkürztes Zitat von Gedanken des Philosophen Karl Jaspers über die Bedeutung der Erziehung für die Entwicklung eines Volkes.

Karl Jaspers, 1972:

  • "Was aus einem Volk wird, liegt an seiner Erziehung durch Eltern und Schulen und des Einzelnen durch sich selbst. Es ist ein Schicksal des Volkes, welche Lehrer es hervorbringt und wie es seine Lehrer achtet, in welcher Atmosphäre, unter welchen Maßstäben und Selbstverständlichkeiten es den Alltag lebt."
    Karl Jaspers: Aspekte der Bundesrepublik, R. Piper Verlag, München: 1972, S. 85f. (Link)
Entstelltes Karl-Jaspers-Zitat.

Im verkürzten Zitat bleibt nur mehr die Achtung vor Lehrern übrig; Jaspers' Betonung der Bedeutung von Eltern, des Alltags, der Lehrerausbildung, der Maßstäbe, der Atmosphäre und der Selbsterziehung für die Entwicklung einer Gesellschaft wird in dem Kurzzitat ignoriert.

Das bei Lehrern und Politikern sehr beliebte zu einem Slogan verkürzte Zitat wurde im Jahr 2007 bei wikiquote aufgenommen und ein paar Jahre danach auch durch Publikationen von Universitäten (Link)  verbreitet.


Artikel in Arbeit.
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Quellen:

Karl Jaspers: Aspekte der Bundesrepublik, R. Piper Verlag, München: 1972, S. 85f. (Link)
"40 Jahre Universität Kassel". Redaktionsteam der Universität Kassel. kassel univerity press, Kassel: 2011, S. 86 (Link) 


Beispiele für das Kurzzitat:

„Das Schicksal einer Gesellschaft wird dadurch bestimmt, wie sie ihre Lehrer achtet.“
2007: wikiquote Version 2007 ; 2009:  zitate-online.de- 17569;   lehrerforen.de; groups.google (früheste Belege)

  • "Ein berühmter Satz von Karl Jaspers lautet: 'Das Schicksal einer Gesellschaft wird dadurch bestimmt, wie sie ihre Lehrer achtet.'
    "40 Jahre Universität Kassel". Redaktionsteam der Universität Kassel. kassel univerity press, Kassel: 2011, S. 86 (Link)
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wikiquote (Der Link zum - philologisch nicht vertrauenswürdigen - Quellennachweis funktioniert nicht mehr.)
Uni Regensburg (Link)
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1969
Lassen Sie mich mit einem versöhnlichen Zitat von Karl Jaspers schließen, das sich nahe bei den früheren findet (loc. cit. Seite 201 ) : »Was ... Es ist ein Schicksal des Volkes, welche Lehrer es hervorbringt und wie es seine Lehrer achtet  (Link)

Freitag, 4. Oktober 2019

"Predige das Wort zu jeder Zeit; wenn nötig, benutze Worte." Franz von Assisi (angeblich)

Dieses Kuckuckszitat kam in den 1980er Jahren in Amerika auf und ist dort inzwischen zu einem der beliebtesten  Franz-von-Assisi-Zitate geworden.
Pseudo-Franz-von-Assisi-Zitat.

In den Schriften des Heiligen Franziskus hat dieses Zitat noch niemand gefunden. Es steht auch im Gegensatz zu den Predigtverboten und Predigtbedingungen, die auf Franz von Assisi zurückgehen:

Regula bullata, 1223:

  • "IX. Kapitel, Von den Predigern 
  • 1. Die Brüder sollen im Bistum eines Bischofs nicht predigen, wenn es ihnen von diesem untersagt worden ist. 
  • 2. Und auf keine Weise getraue sich irgendein Bruder, dem Volke zu predigen, er sei denn vom Generalminister dieser Brüderschaft geprüft und bestätigt und es sei ihm von diesem das Predigtamt gestattet worden. 
  • 3. Ich warne auch und ermahne diese Brüder, daß sie in der Predigt, die sie halten, wohlbedacht und lauter reden sollen (vgl. Ps 11,7, 17,31) zum Nutzen und zur Erbauung des Volkes, 
  • 4. indem sie zu ihnen sprechen von den Lastern und Tugenden , von der Strafe und Herrlichkeit mit Kürze der Rede, weil der Herr auf Erden sein Wort kurz gefaßt hat (vgl. Röm 9,28). "

    (pdf)


Regula non bullata, 1221, Kapitel XVII, Prediger: (Link)



 In den franziskanischen Ordenregeln von 1221 steht im Kapitel XVII bei den Predigtbedingungen noch folgender  Satz: 
  • "Lasst alle Brüder jedoch durch Taten predigen." 1221

Vielleicht ist das Falschzitat im 20. Jahrhundert aus einer Paraphrase dieses Satzes entstanden.


Früheste falsche Zuschreibungen an Franz von Assisi:


1989
  • "Remember what St. Francis said: 'Preach the gospel wherever you go; when necessary use words.' " (Google books)

1990
  • "Commonly attributed to St. Francis of Assisi is the admonition / Preach Jesus, and only when necessary use words." (Google books)

Pseudo-St.-Francis-Zitat; Screenshot October 2019.

 Der Franz-von-Assisi-Biograph Mark Galli hat vor 10 Jahren klargestellt, dass dieser Spruch in den Schriften Franz von Assisis und in mittelalterlichen Texten nicht zu finden ist:


Mark Galli: "Speak the Gospel", 2009: (Link)


  • "The problem is that he did not say it. Nor did he live it. And those two contra-facts tell us something about the spirit of our age."


Artikel in Arbeit.

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Quellen:    
Regula non bullata, 1221, Kapitel XVII, Prediger (Link)
"Regula bullata" von  von 1223
(Link)  
Wikiquote 
Mark Galli: "Speak the Gospel", Christianity Today, 21. Mai 2009 (Link)
vaticannews.va/en/pope/news/2019-09/pope-conversations-jesuits-mozambique-madagascar-spadaro.html 

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Dank:
Ich danke Eduard Habsburg für den Hinweis auf diese
s Kuckuckszitat.

Donnerstag, 26. September 2019

"Dass es 'so weiter' geht, ist die Katastrophe." Walter Benjamin

Dieser prägnante Satz Walter Benjamins aus seiner posthum publizierten Studie "Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus" wird meistens etwas entstellt zitiert:

  •  "Die eigentliche Katastrophe besteht darin, dass es so weitergeht."
  • "Die Katastrophe besteht darin, dass es so weitergeht." 
  • "Daß es so weitergeht, ist die Katastrophe."

 

 Walter Benjamin: 'Zentralpark', 1937 (Link):

 

  • "Der Begriff des Fortschritts ist in der Idee der Katastrophe zu fundieren. Daß es »so weiter« geht, ist die Katastrophe. Sie ist nicht das jeweils Bevorstehende sondern das jeweils Gegebene. Strindbergs Gedanke: die Hölle ist nichts, was uns bevorstünde - sondern dieses Leben hier.

    Die
    Rettung hält sich an den kleinen Sprung in der kontinuierlichen Katastrophe."
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Quelle:
Walter Benjamin: "Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus"; Zentralpark, 1937, in:  Gesammelte Schriften. 1. Band. Herausgegeben von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Suhrkamp, Frankfurt am Main: 1991, S. 683 (Link)

Mittwoch, 18. September 2019

"Die Tanzenden wurden für verrückt gehalten von denjenigen, die die Musik nicht hören konnten." Friedrich Nietzsche (angeblich)

Pseudo-Friedrich-Nietzsche quote.

Das amerikanische Sprichwort "Those Who Dance Are Thought Mad by Those Who Hear Not the Music" ist, wie Garson O' Toole herausgefunden hat, schon bald 100 Jahre alt (Link), und wird seit etwa 20 Jahren Friedrich Nietzsche zugeschrieben.

In Nietzsches Schriften ist es nicht zu finden.

Pseudo-Friedrich-Nietzsche-Zitat.
Friedrich Nietzsche wurde das Sprichwort wahrscheinlich deswegen unterschoben, weil kein anderer  Philosoph so enthusiastisch das Tanzen feierte wie er:


Friedrich Nietzsche:

  • Und verloren sei uns der Tag, wo nicht Ein Mal getanzt wurde! Und falsch heisse uns jede Wahrheit, bei der es nicht Ein Gelächter gab! 
  • 'Des Abends aber wird bei mir — getanzt!' — — Also sprach Zarathustra.
  • 'Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muß': das klingt meinen Ohren wie eine lachende tanzende Weisheit. Aber sie meinen, ich heiße sie, — zum Kreuze kriechen! Freilich: bevor man tanzen lernt, muß man gehen lernen.
  • Hier auf glatten Felsenwegen
    Lauf’ ich tanzend dir entgegen,
    Tanzend, wie du pfeifst und singst:
    Der du ohne Schiff und Ruder Als der Freiheit freister Bruder
    Ueber wilde Meere springst.
    Kaum erwacht, hört’ ich dein Rufen,
    Stürmte zu den Felsenstufen,
    Hin zur gelben Wand am Meer. 
  • Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.   
  • Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde.
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Artikel in Arbeit.
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Friedrich Nietzsche: Digitale Kritische Gesamtausgabe der Werke und Briefe, basierend auf der Ausgabe von G. Colli und M. Montinari, Berlin/New York, de Gruyter: 1967ff. (Link)
Garson O'Toole: "Those Who Dance Are Considered Insane by Those Who Can’t Hear the Music. Friedrich Nietzsche? Megan Fox? Anne Louise Germaine de Staël? John Stewart? Norman Flint? Science Fiction fans? Angela Monet? Rumi? George Carlin? Anonymous?" 2012, Quote Investigator (Link)
 Bibliogr. Angaben folgen.

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Dank:
Ich danke Garson O'Toole für seine sorgfältige Dokumentation zur Entstehung dieses Kuckuckszitats.