Freitag, 16. Oktober 2020

"Wenn Aufregung helfen würde, würde ich mich aufregen." Angela Merkel (angeblich)

Pseudo-Angelika-Merkel-Zitat.

Dieses Bonmot stammt aus dem ARD-Spielfilm "Die Getriebenen" über Angelika Merkels Flüchtlingspolitik im Jahr 2015,  und nicht von der Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Gleich nach der Ausstrahlung des Films am 15. April 2020 wurde das Zitat in einer prägnanten Kurzfassung in den sozialen Medien oft der deutschen Bundeskanzlerin selbst zugeschrieben, obwohl es nur die Darstellerin Angela Merkels in dem Film gesagt hat.

Vor dem April 2020 ist dieses angebliche Angela-Merkel-Zitat in keiner Variante in den digitalisierten Texten zu finden.

ARD-Film "Die Getriebenen":


  •  "Im Zentrum steht hierbei natürlich Kanzlerin Merkel, die versucht, die Lage in ihrer typischen Art und Weise zu regeln. Als ihr Mann, Joachim Sauer (Uwe Preuss), ihre Gelassenheit in der angespannten Lage bewundert, antwortet Merkel: "Wenn Aufregung helfen würde, Probleme zu lösen, würde ich mich aufregen."  web.de,  16. April 2020

 

Imogen Kogge, die Darstellerin von Angela Merkel im ARD-Film "Die Getriebenen"

  • "Als ihr Mann ihre äußere Gelassenheit unter höchstem Druck bewundert, antwortet sie: 'Wenn es bei der Lösung von Problemen helfen würde, sich aufzuregen, würde ich mich aufregen.' Ist diese Replik überliefert?

    [Imogen Kogge:] Das könnte ein Zitat sein – aber ich weiß es nicht. In jedem Fall zeigt dieser Satz, wie gut sie sich im Griff hat. Sie tut, was aktuell nützlich und wichtig ist, alles andere lässt sie erst mal beiseite." 15. April 2020 (Link)

 

 

Früheste Erwähnungen des Zitats auf Twitter

 

 15. April 2020

  •  "... der Satz könnte von der echten #Merkel sein." Margarete v. Ackeren, Focus (Twitter)
Twitter, 15. April 2020.

Bald nach der Filmausstrahlung wird das Zitat nicht mehr der Film-Merkel sondern der Bundeskanzlerin zugeschrieben:

 

15. April 2020

Twitter, 15. April 2020.

 

16., 17. April 2020 

Twitter, 16. April 2020.


Twitter, 16. und 17. April 2020.




 

 

Artikel in Arbeit.

 

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Quellen:
 
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Dank:  
Ich danke Bakri Hallak für den Hinweis auf dieses Kuckuckszitat.  

Montag, 12. Oktober 2020

"Man muss das Leben tanzen." Friedrich Nietzsche (angeblich)

 

Pseudo-Friedrich-Nietzsche-Zitat.
 

Dieses beliebte Pseudo-Nietzsche-Zitat ist vor etwa 7 Jahren entstanden und hat sich seither sehr schnell in der Meme-Welt, in Zeitungen sowie auf Plakaten und Postkarten verbreitet.

Da Friedrich Nietzsches Schriften mehrfach digitalisiert sind, kann man sich meinen Recherchen nach   sicher sein, dass dieses Zitat in seinen Texten nicht enthalten ist.

Vor dem Jahr 2013 ist dieses Kuckuckszitat in Zeitungen, Büchern und in den sozialen Medien meines Wissens nicht zu finden.

 

Früheste falsche Zuschreibungen an Friedrich Nietzsche auf Twitter, 2014:

 

Pseudo-Friedrich-Nietzsche-Zitate, Twitter 2014.


Friedrich Nietzsche wurde der Slogan von einer unbekannten Person wahrscheinlich deswegen unterschoben, weil kein anderer Philosoph so enthusiastisch das Tanzen feierte wie er:


Friedrich Nietzsche:

 

  • Und verloren sei uns der Tag, wo nicht Ein Mal getanzt wurde! Und falsch heisse uns jede Wahrheit, bei der es nicht Ein Gelächter gab!

  • 'Des Abends aber wird bei mir — getanzt!' — — Also sprach Zarathustra.

  • 'Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muß': das klingt meinen Ohren wie eine lachende tanzende Weisheit. Aber sie meinen, ich heiße sie, — zum Kreuze kriechen! Freilich: bevor man tanzen lernt, muß man gehen lernen.

  • Hier auf glatten Felsenwegen
    Lauf’ ich tanzend dir entgegen,
    Tanzend, wie du pfeifst und singst:
    Der du ohne Schiff und Ruder Als der Freiheit freister Bruder
    Ueber wilde Meere springst.
    Kaum erwacht, hört’ ich dein Rufen,
    Stürmte zu den Felsenstufen,
    Hin zur gelben Wand am Meer.

  • Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.  

  • Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde.
Pseudo-Friedrich-Nietzsche-Zitat.

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Artikel in Arbeit.


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Google

Genios.de

anno 


Friedrich Nietzsche: Digitale Kritische Gesamtausgabe der Werke und Briefe, basierend auf der Ausgabe von G. Colli und M. Montinari, Berlin/New York, de Gruyter: 1967ff. (Link)  

Garson O'Toole: "Those Who Dance Are Considered Insane by Those Who Can’t Hear the Music. Friedrich Nietzsche? Megan Fox? Anne Louise Germaine de Staël? John Stewart? Norman Flint? Science Fiction fans? Angela Monet? Rumi? George Carlin? Anonymous?" 2012, Quote Investigator (Link)
 

Bibliogr. Angaben folgen.

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Dank:

Ich danke  Gabriel Jonas Levc für den Hinweis auf das Kuckuckszitat.

Samstag, 10. Oktober 2020

"Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen." Johann Wolfgang von Goethe (angeblich)

Pseudo-Johann-Wolfgang-von-Goethe-Zitat.

Dieses Bonmot wurde erst im 21. Jahrhundert Johann Wolfgang von Goethe unterschoben und ist in seinen digitalisierten Werken so wenig wie in relevanten Lexika zu finden.

Das inzwischen sehr beliebte Kuckuckszitat ist seit dem Ende des 20. Jahrhunderts als Motto von Wanderern nachweisbar, steht seit 1999 (ohne Zuschreibung an Goethe) als Spruch auf T-Shirts und wurde in den folgenden Jahren ohne Goethe-Zuschreibung als Werbeslogan von touristischen Unternehmen in Deutschland und Österreich verwendet.


 1998

 1999

 


 

Laut einer chronologischen Suche mit der Zeitungssuchmachine genios.de wurde das Wanderer-Motto in etwas verändertem Wortlaut im Jahr 2005 erstmals Goethe zugeschrieben (Badische Zeitung, 14. Januar 2005) und ungefähr seit dem Jahr 2012 hat sich die falsche Zuschreibung an Johann Wolfgang von Goethe in Zeitungen und im Internet durchgesetzt. 

 

Beispiele für falsche Zuschreibungen an Goethe: 


 2009

  • "'Nur wo du zu Fuß warst, warst du wirklich' – schrieb einst Goethe, möglicherweise, als er in Montebelluna vorbeikam, dem italienischen Schuhhimmel ..." alpenverein.at, 15. März 2009 

2012

  • "Wen wundert’s, denn schon Johann Wolfgang von Goethe schrieb: 'Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen.'"  Westfälische Nachrichten, 24. Dezember 2012

2014

  • "Doch ist man den Lahnwanderweg gegangen, versteht man den Satz von Goethe: 'Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen.'" Der Spiegel, 10. August 2014

2015

  • "Nur wo du zu Fuß warst, bis du wirklich gewesen. Das hat Johann Wolfgang von Goethe anno dazumal aufgeschrieben." Stuttgarter Zeitung, 17. März 2015 

Twitter, 3. Mai 2015.

2016

  • "Wer weit genug wandert, wird erleben, dass die Wanderarbeit ('Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen.' – Goethe) in Wanderlust umschlägt."  Die Welt, 31. Juli 2016 

2017 

  • "So führt uns Goethes 'Nur wo du zu Fuss warst, bist du auch wirklich gewesen' ..." NZZ, 14. November 2017 

2018

  • "'Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen', hielt Johann Wolfgang von Goethe bereits fest." Kurier, 21. Juni 2018

 2020

  • "'Nur wo du zu Fuß warst, bist du wirklich gewesen', schrieb Goethe. Dass diese viel zitierte Sentenz mehr ist als eine hübsche Phrase, deuten die Reisetrends der letzten Zeit an, bei denen das Fortbewegungstempo bewusst verlangsamt wird."
    TAZ, 24. Mai 2020

 

Twitter, 2020, libris.

 

 

 

Artikel in Arbeit.

 

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Quellen:

Google

Twitter

genios.de  

"Lexikon der Goethe-Zitate". Hrsg. von Richard Dobel, Artemis Verlag, Weltbild Verlag, Augsburg: 1991 
 
Beispiele für das Kuckuckszitat: 
 
alpenverein.at, 15. März 2009 
Der Spiegel, 10. August 2014
NZZ, 14. November 2017  
Kurier, 21. Juni 2018
TAZ, 24. Mai 2020

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Dank:

Ich danke libris für das Foto von diesem Kuckuckszitat.





Freitag, 2. Oktober 2020

"Wer Bücher liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaune." Johann Wofgang von Goethe (angeblich)

Pseudo-Johann-Wolfgang-von-Goethe-Zitat.

Dieses nicht nur  im Buchhandel beliebte Zitat wird Johann Wolfgang Goethe erst seit kaum 10 Jahren unterschoben und ist in seinen digitalisierten Werken und in Goethe-Lexika unauffindbar.

Entstanden ist der Spruch anscheinend als Werbeslogan für Zeitungen in den 1930er Jahren; die Redensart 'über den Zaun schauen' in der Bedeutung 'seinen Gesichtspunkt erweitern' ist allerdings schon viel älter:

  •  "Wer Zeitung liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaun!"
  • Variante:
    "Wer das 'Salzburger Volksblatt' liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaun!"

 

Das Kleine Blatt, 27. August, 1939, S. 19 (Link)


Salzburger Volksblatt, 10. Oktober 1936, S. 8 (Link).

Als der variierte Zeitungs-Werbespruch Anfang des 21. Jahrhunderts aufgekommen ist, wurde er noch nicht Goethe unterschoben, wie Moritz Jacob herausgefunden hat.

2004:

  • "Das Motto dieses Bücher-Flohmarktes lautet: Wer Bücher liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaune."

Ein Jahrzehnt später schmückt das Pseudo-Goethe-Zitat schon die Wand einer Buchhandlung, taucht auch schon in angesehenen Zeitungen auf, und wenn es im Internet nicht Goethe unterschoben wird, wird es als italienisches Sprichwort bezeichnet.

Bei einer chronologischen Suche mit der Zeitungssuchmaschine genios.de findet man die falsche Zuschreibung an Goethe das erste Mal in einem Artikel über eine Veranstaltung der Stadtbibliothek der sächsischen Kleinstadt Bad Düben  in der Leipziger Volkszeitung am 12. Juni 2009.


 2018

  • "An einer freien Wand steht in Großbuchstaben: 'Wer Bücher liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaune.' Das ist von Goethe und kann als aktueller Kommentar zur politischen Lage gelesen werden." (sueddeutsche.de)

.

Pseudo-Johann-Wolfgang-von-Goethe-Zitat. Foto: Güsten, dpa (Link).

 

 


Artikel in Arbeit.

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Quellen:

Google

´genios.de 

ANNO

 

"Lexikon der Goethe-Zitate". Hrsg. von Richard Dobel, Artemis Verlag, Weltbild Verlag, Augsburg: 1991  

Das Kleine Blatt, 27. August, 1939, S. 19

Salzburger Volksblatt, 10. Oktober 1936, S. 8

Leipziger Volkszeitung, 12. Juni 2009 (genios.de)

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Dank:

Ich danke Moritz Jacob für die Aufdeckung dieses Kuckuckszitats und Ralf Bülow für seine Recherchen zur Vorgeschichte des Zitats.


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Anhang

 

Facebook, 27. September 2020:

Pseudo-Johann-Wolfgang-von-Goethe-Zitat.

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Pseudo-Johann-Wolfgang-von-Goethe-Zitat.

Dienstag, 29. September 2020

"Das Sein bestimmt das Bewusstsein." Karl Marx (angeblich)

Verkürztes Karl-Marx-Zitat.
 

Das ist ein verkürztes Zitat aus dem Vorwort der 1859 publizierten Studie  "Zur Kritik der politischen Ökonomie" von Karl Marx: 

  • "Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt." (mlwerke.de)

In den  Manuskripten von Marx und Engels aus den Jahren 1845 und 1846, die 1932 unter dem Titel "Die Deutsche Ideologie" posthum veröffentlicht wurden, ist dieser Gedanke noch etwas anders formuliert:



Manuskript: "Nicht das Bewußtsein bestimmt ..." Quelle: IISG Amsterdam, 'Die Welt'.
 

  • "Nicht das Bewußtsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewußtsein." (mlwerke)

Die Herausgeber und die Herausgeberin der Neuausgabe (2017) der 'Deutschen Ideolgie" haben klar gestellt, dass diese Manuskripte von Karl Marx und Friedrich Engels Fragmente geblieben sind und nicht für eine Buchpublikation, sondern als Beiträge für eine Vierteljahresschrift, die nie erschienen ist, vorgesehen waren.

 

Karl Marx, Friedrich Engels (1845/1846) 1932

 

  • "Die Moral, Religion, Metaphysik und sonstige Ideologie und die ihnen entsprechenden Bewußtseinsformen behalten hiermit nicht länger den Schein der Selbständigkeit. Sie haben keine Geschichte, sie haben keine Entwicklung, sondern die ihre materielle Produktion und ihren materiellen Verkehr entwickelnden Menschen ändern mit dieser ihrer Wirklichkeit auch ihr Denken und die Produkte ihres Denkens. Nicht das Bewußtsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewußtsein. In der ersten Betrachtungsweise geht man von dem Bewußtsein als dem lebendigen Individuum aus, in der zweiten, dem wirklichen Leben entsprechenden, von den wirklichen lebendigen Individuen selbst und betrachtet das Bewußtsein nur als ihr Bewußtsein."

    Karl Marx, Friedrich Engels: "Die deutsche Ideologie" Geschrieben 1845-1846 (1932), Karl Marx / Friedrich Engels - Werke, Band 3, Dietz Verlag, Berlin: 1969, S. 27 (mlwerke)
 

Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, 1859

  •  "In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein."

    Karl Marx: Vorwort zur "Kritik der politischen Ökonomie", in: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke,  Band 13,  Dietz Verlag, Berlin: (1961), 7. Auflage 1971,  S. 8f. (mlwerke.de)

 

 

Artikel in Arbeit.

 

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Quellen:

Google

Matthias Bohlender: "Entmythologisierung. Zur Neuausgabe der 'Deutschen Ideologie' (MEGA2 I/5)", 28. März 2018 (theorieblog.de)

Alex Demirović: "Die 'Deutsche Ideologie' hat es nie gegeben. Und jetzt?" 8. April 2018 (marx200.org) 

Dudenredaktion: Duden - Zitate und Ausspüche, Band 12, Duden Verlag, Mannheim: 2012, S. 477 (Link)

Karl Marx: Vorwort zur "Kritik der politischen Ökonomie", in: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke,  Band 13,  Dietz Verlag, Berlin: (1961), 7. Auflage 1971,  S. 8f.

Karl Marx, Friedrich Engels: "Die deutsche Ideologie" Geschrieben 1845-1846, Erstveröffentlichung: 1932, Karl Marx / Friedrich Engels - Werke, Band 3, Dietz Verlag, Berlin: 1969, S. 27 (mlwerke)

Karl Marx/Friedrich Engels: Deutsche Ideologie. Manuskripte und Drucke. Karl Marx/Friedrich Engels, Gesamtausgabe, Abt. I, Band 5, herausgegeben von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung Amsterdam, bearbeitet von Ulrich Pagel, Gerald Hubmann und Christine Weckwerth, Texte und Apparat, 1893 Seiten, Berlin/Boston: 2017 (zitiert nach  Alex Demirović)


Samstag, 26. September 2020

"Vollständige Sorglosigkeit und eine unerschütterliche Zuversicht sind das Wesentliche eines glücklichen Lebens." Thomas von Aquin (angeblich)

Pseudo-Thomas-von-Aquin-Zitat.

 Dieser Gedanke stammt so ähnlich aus einer älteren Übersetzung von Senecas 44. Brief an Lucilius und wird im Internet seit ein paar Jahren irrtümlich manchmal Thomas von Aquin zugeschrieben.

 

Lucius Annaeus Seneca, 44. Brief an Lucilius: 


  • "Nam cum summa vitae beatae sit solida securitas et eius inconcussa fiducia .."

  •  "Denn während eine vollständige Sorglosigkeit und eine unerschütterliche Zuversicht das Wesentliche eines glücklichen Lebens ist ..."
    Übersetzt von Albert Forbiger.
  • "Denn da das Wesentliche an einem glücklichen Leben dauernde Sicherheit und deren unerschütterliche Gewißheit ist ..."
    Übersetzt von Gerhard Fink.

  • "For although the sum and substance of the happy life is unalloyed freedom from care, and though the secret of such freedom is unshaken confidence,  ..."
    Übersetzt von Richard M. Gummere.

 

Seneca, 44. Brief, bersetzt von Albert Forbiger (Link).

In der neuen Übersetzung von Gerhard Fink bekommt der Satz Senecas aus dem 44. Brief an Lucilius eine andere Bedeutung. In seiner Übersetzung heisst es nicht "vollständige Sorglosigkeit", sondern: "dauernde Sicherheit".


Seneca, 44. Brief, übersetzt von Gerhard Fink (Link)


Seneca, 44. Brief (Link)
 

Seneca, 44. Brief an Lucius.


Artikel in Arbeit.

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Quellen:

Ausgewählte Schriften des Philosophen Lucius Annäus Seneca. Uebersetzt und durch Anmerkungen erläutert von Albert Forbiger, Erstes Bändchen, Krais u. Hoffmann, Stuttgart: 1866, S. 143 (Link)

Lucius Annaeus Seneca: Epistulae morales ad Lucilium / Briefe an Lucilius. Band 1, Lateinisch-deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Gerhard Fink, Artemis u. Winkler; Patmos, Düsseldorf: 2007, 44. Brief  (Link) 


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Dank:

Ich danke flyte für die Frage nach diesem Falschzitat.



Donnerstag, 24. September 2020

"Lärm ist das Geräusch der anderen." Kurt Tucholsky (angeblich)

Dieses Bonmot, das an Jean Paul Sartres berühmten Satz "Die Hölle, das sind die anderen" erinnert, ist in diesem Wortlaut in den 1960er Jahren entstanden und könnte auf eine Bemerkung des Dortmunder Arbeitsphysiologen Gunther Lehmann aus dem Jahr 1954 zurückgehen (Link), wie Ralf Bülow herausgefunden hat.

 

Gunther Lehmann, 1954:

 

  • "Meist ist Lärm das Geräusch, das der andere macht, ein Geräusch, mit dessen Entstehung man selbst nichts zu tun hat. So wird auch der Fabrikdirektor durch das Geräusch des benachbarten Maschinensaals nicht gestört, das dem Besucher eine vernünftige Unterhaltung fast unmöglich zu machen scheint und für die Sekretärin eine nervöse Belastung erster Ordnung darstellt." (Link)

 

Der Autor Wilhelm Drey scheint dem Bonmot im Jahr 1963 als Erster die prägnante Form: "Lärm ist das Geräusch der anderen",  gegeben zu haben (Link).

Vor dem Jahr 1954 ist es in den digitalisierten Texten weder in Zeitungen noch in Büchern zu finden und erst im 21. Jahrhundert wird es sehr oft fälschlich Kurt Tucholsky zugeschrieben.

Vielleicht entstand die falsche Zuschreibung des Bonmots an Kurt Tucholsky durch die Fehlerinnerung an einen der vielen Sätze in seinen Schriften gegen die Zumutungen von Lärm:

 

 Kurt Tucholsky:

 

Die erste falsche Zuschreibung an Kurt Tucholsky ist vielleicht im Jahr 2001 im Wiener Lärm-Online-Informationssystem (LOIS) entstanden, die durch die APA verbreitet und danach von vielen deutschsprachigen Zeitungen übernommen wurde, wovon man sich durch eine chronologische Suche mit der Zeitungssuchmaschine genios.de überzeugen kann.  


 

Artikel in Arbeit.

 

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Quellen: 

Google

genios.de

Universitas: Zeitschrift für Wissenschaft, Kunst und Literatur, 9. Jahrgang, Band 2, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft: 1954, S. 962  (Link)

APA :  OTS0038, 17. Jan. 2002, 09:30

Wilhelm Drey: "Bessere Werktage: Mehr Erfolg mit weniger Mühe", Leske, Opladen: 1963, S. 5, 88, 95  (Link) 

 

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Dank:

Ich danke Friedhelm Greis (sudelblog.de) für die Bestätigung, dass dieses Zitat in den Schriften Kurt Tucholskys nicht zu finden ist, sowie Ralf Bülow, Moritz Jacob, Weltgeist redux, Sonja Brünzels, Max Koss und Klaus Pohlmann für ihre Recherchen und Hinweise auf  Twitter.