Dienstag, 4. Februar 2020

"Kinder, die sexuell stimuliert werden, sind nicht mehr erziehungsfähig. Die Zerstörung der Scham bewirkt eine Enthemmung auf allen anderen Gebieten, eine Brutalität und Missachtung der Persönlichkeit der Mitmenschen." Sigmund Freud (angeblich)

Dieses bei Gegnern von Sexualunterricht in Schulen und in rechtsextremen Kreisen beliebte Freud-Zitat wird Sigmund Freud seit dem Jahr 1983 unterschoben. In den Schriften Sigmund Freuds hat das Zitat noch niemand gefunden, obwohl schon viele danach gesucht haben.

Alle im Internet dargebotenen Quellenangaben für dieses angebliche Freud-Zitat haben sich als falsch oder zu ungenau herausgestellt (Link).


Der Wiener Psychoanalytiker Stephan Doering wies bei einer Frage (Link) von dpa-Faktencheckern nach diesem Falschzitat auf das Paradox hin, dass Gegner der sexuellen Aufklärung sich auf Sigmund Freud berufen, obwohl Freud explizit für die sexuelle Aufklärung von Kindern plädierte, am ausführlichsten in seinem 1907 publizierten 'Offenen Brief an Dr. M. Fürst' mit dem Titel: "Zur sexuellen Aufklärung der Kinder" (Link).

Verbreitet wird dieses peinlich falsche Sigmund-Freud-Zitat von Beginn an von Rechtsextremen:
Exemplar der Wiener Universitätsbibliothek; anonymer Bleistiftkommentar: "Nazis im grünen Heimatgewand".

  • "Freuds sicher zutreffende Erkenntis, »die Abwesenheit von Schamgefühl ist ein sicheres Kennzeichen von Schwachsinn«, verbannte man aus seiner Lehre, wie auch seine folgende Äußerung nicht mehr beachtet wurde: 'Kinder, die sexuell  stimuliert werden, sind nicht mehr erziehungsfähig. Die Zerstörung der Scham bewirkt eine Enthemmung auf allen anderen Gebieten, eine Brutalität und Missachtung der Persönlichkeit der Mitmenschen.' zit. in Illies, 1983, S. 169"

    Rudolf Künast: Umweltzerstörung und Ideologie. Die Frankfurter Schule: Fakten - Fehler - Folgen. Grabert Verlag, Tübingen: 1983, S. 150 (Link)
Doch geprägt hat das Zitat  nicht dieser Autor Rudolf Künast (ein Pseudonym des rechtsextremen Ideologen und Politikers Rolf Kosiek), sondern anscheinend der theologisch interessierte Biologe Joachim Illies , auf den Künast am Ende seines Falschzitats verweist.

Sein posthum 1983 herausgegebenes, Online nicht verfügbares Buch "Der Jahrhundert-Irrtum. Würdigung und Kritik des Darwinismus" habe ich durchgeblättert.  Das Zitat steht in Illies Buch auf Seite 169 genau so, wie es Rolf Kosiek zitiert hat, allerdings mit der unbrauchbaren Quellenangabe: Freud, "Gesammelte Werke, Bd. 5".

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Entstanden ist der erste Teil des Falschzitats vielleicht aus einer Fehlerinnerung eines längeren Satzes Sigmund Freuds aus dem Jahr 1905, in dem er auf die verkehrte Annahme zeitgenössischer Erzieher hinweist, "daß die sexuelle Betätigung das Kind unerziehbar" mache (Link).

Sigmund Freud redet in dieser Studie zur infantilen Sexualität über die "sexueller Betätigung" von Kindern wie Masturbation, die von damaligen Erziehern als "Laster" verurteilt und bestraft wurden.

Im Falschzitat steht "sexuell stimuliert" und nicht "sexuelle Betätigung", also ein völlig anderer Sachverhalt.

Sigmund Freud, 1905:

  •  "Die Erzieher benehmen sich, insofern sie überhaupt der Kindersexualität Aufmerksamkeit schenken, genauso, als teilten sie unsere Ansichten über die Bildung der moralischen Abwehrmächte auf Kosten der Sexualität und als wüßten sie, daß sexuelle Betätigung das Kind unerziehbar macht, denn sie verfolgen alle sexuellen Äußerungen des Kindes als »Laster«, ohne viel gegen sie ausrichten zu können. Wir aber haben allen Grund, diesen von der Erziehung gefürchteten Phänomenen Interesse zuzuwenden, denn wir erwarten von ihnen den Aufschluß über die ursprüngliche Gestaltung des Geschlechtstriebs."

    Sigmund Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. II. Die infantile Sexualität. 1905, S. 35 (Link),

 Artikel in Arbeit.
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Quellen:
Sigmund Freud: Zur sexuellen Aufklärung der Kinder (Offener Brief an Dr. M. Fürst) (1907) in: Studienausgabe Band V, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main: 1982, S. 159-168; auch in: Gesammelte Werke, Band VII, Hrsg. von Anna Freud,  Imago Publishing, London: 1941, S. 20-27 
Sigmund Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien: 1905, S. 35 (Link), auch in:  Gesammelte Werke, Band V, Hrsg. von Anna Freud,  Imago Publishing, London: 1942, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main: 1968, S. 80
Joachim Illies: Der Jahrhundert-Irrtum. Würdigung und Kritik des Darwinismus. Umschau Verlag, Franfurt am Main: 1983, S. 169
Rudolf Künast: Umweltzerstörung und Ideologie. Die Frankfurter Schule: Fakten - Fehler - Folgen. Grabert Verlag, Tübingen: 1983, S. 150 (Link)
komm-heim-new-sturmer/295 
dpa-Faktencheck: "Experten über falsches Freud-Zitat: widerspricht seinen Positionen", 29.11.2019  presseportal.de/pm/133833/4453871 

freud-online.de/Texte/PDF/freud_werke_alle_bd.pdf

Beispiele für falsche Zuschreibungen mit erfundenen Seitenangaben:

sexualerziehung.at (angebliche Quelle in Freuds Werken: "Gesamtwerke Bd. 5, S. 159")
aktion-kig.eu  (angebliche Quelle in Freuds Werken: "Gesamtwerke Bd. 5, S. 159")
katholisches.info/2017/03/25  (angebliche Quelle in Freuds Werken: "Gesammelt Werke, Bd. 7, S. 149")
PEGIDA Nürnberg facebook.com (angebliche Quelle in Freuds Werken: "Sigmund Freud (1905) Ges. Werke VII, S. 149") 
[Weder in der zehnbändigen Frankfurter Studienausgabe, noch in der siebzehnbändigen Londoner Ausgabe von Freuds Werken ist in den Bänden V und VII das Zitat auf Seite 159 oder Seite 149 enthalten. Ich habe nicht nur die angegebenen Seiten durchsucht, sondern auch Digitalisate der Gesammelten Werke. Auch ich habe das Zitat weder so noch so ähnlich in einem Text Sigmund Freuds gefunden. GK]
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  • Prof. Dr. Hans Schieser, 2011:
    "Sigmund Freud, auf den man sich ja immer wieder beruft, hat immer wieder ausdrücklich betont, daß man diese Latenz nicht verfrüht „wecken“ darf, weil es sonst zu negativen Verhaltensstörungen (nicht im Bereich der Sexualität, sondern im allgemeinen Verhalten) führt: „Der Verlust des Schamgefühls ist das erste Zeichen von Schwachsinn… Kinder, die sexuell stimuliert werden, sind nicht mehr erziehungsfähig; die Zerstörung der Scham bewirkt eine Enthemmung auf allen anderen Gebieten, eine Brutalität und Mißachtung der Persönlichkeit des Mitmenschen“."
    familien-schutz.de/2011/08/23/
 science-blog.at/2019/06/
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Dank:
 
Ich danke Wofgang Gruber sehr für seinen Hinweis auf dieses Kuckuckszitat auf und Lucia Gerber für den Hinweis auf Freuds Studie zur infantilen Sexualität.

Korrigierte Fassung: 6/3 2020

Montag, 3. Februar 2020

"Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende." Demokrit (angeblich)

Das ist ein verkürztes Zitat aus einem Fragment des Philosophen Demokrit von Abdera, das in dieser missverständlichen Version seit ein paar Jahrzehnten nur außerhalb der philosophischen Fachliteratur kursiert.


Demokrit, Fragment B269, D275  (Link)

  • τόλμα πρήξιος ἀρχή, τύχη δὲ τέλεος κυρίη.
  • tólma príxios archí, týchi dé téleos kyríi.

 

Übersetzungsvarianten:

  • "Mut ist der Tat Anfang, doch das Glück entscheidet über das Ende."
  • "Mut ist Handelns Anfang, Glück [τύχη im Original; P. V.] aber Endes Herrin."
  • "Kühnheit ist des Handelns Anfang, Glück (tyche, Zufall) aber Endes Herrin."
  • "Wagemut ist Handelns Anfang, aber Tyche bestimmt den Ausgang."
  • "Audacity begins an action, but fortune is in charge of its end."
  • "Boldness begins a deed; but chance governs its completion."
  • "Courage initiates action, but fortune is mistress of the end."
  • "Risk is the commencement of action, Destiny, however, mistress of the end."  

Artikel in Arbeit.
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Quellen:
Google books
Google 












(Link)

Sonntag, 2. Februar 2020

"Ein Optimist ist ein Mensch, der ein Dutzend Austern bestellt, in der Hoffnung, sie mit der Perle, die er darin findet, bezahlen zu können." Theodor Fontane (angeblich)

Dieses weit verbreitete Bonmot ist über 100 Jahre alt, anonymen Ursprungs und wird - immer ohne Quellenangabe - in verschiedenen Varianten Ugo Tognazzi, Theodor Fontane, Paul Getty und Jean Paul zugeschrieben.

In den digitalisierten Werken Jean Pauls und Theodor Fontanes ist das Zitat so oder so ähnlich so wenig zu finden wie in seriösen Nachschlagwerken.
Pseudo-Theodor-Fontane-Zitat.

In den digitalisierten deutschsprachigen Texten taucht der anonyme Witz meines Wissens erstmals im Jahr 1931 in einer deutschsprachigen Tageszeitung aus Pilsen (Tschechoslowakei) auf:

1931
  • "Definition. 'Können Sie mir erklären, was ein Optimist ist?'  'Ein völlig mittelloser Mann, der sich in einem Restaurant erster Klasse Austern bestellt, in der Hoffnung, daß er das Diner mit einer Perle bezahlt, die er in einer Auster finden wird.'"

    Westböhmische Tageszeitung, XXXII. Jg., Nr. 189, 15. Juli 1931, S. 5, anonym (Link)

Bis 1974 wird der Witz immer ohne Zuschreibung an einen Autor zitiert (Link), in diesem Jahr wird er in einer Zitatesammlung dem italienischen Schauspieler und Regisseur Ugo Tognazzi zugeschrieben.

1974
  • "Ein Optimist ist ein Mensch, der ohne Geld in der Tasche Austern bestellt - in der Hoffnung, von den gefundenen Perlen die Zeche bezahlen zu können. Ugo Tognazzi"

    Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974, S. 325 (Link)

Ugo Tognazzi hat den Witz vielleicht einmal erzählt, aber geprägt kann er ihn nicht haben, da er im Jahr 1931 erst 9 Jahre alt war.

Die erstmalige Zuschreibung an Theodor Fontane wurde in der Zeitschrift "Westermanns Monatshefte"  im Jahr 1986 ohne Quellenangabe publiziert (Link):

  • "Optimist? Ein Mensch, der ein Dutzend Austern bestellt, in der Hoffnung, sie mit der Perle, die er darin findet, bezahlen zu können.

    Theodor Fontane"
    Westermanns Monatshefte (Westermann's), 1986, Ausgaben 9-12, S. 161 (Link)

Ein paar Jahre später wird der alte Witz etwas verändert dem amerikanischen Milliardär Paul Getty unterschoben:


1992
  • "Ein Spekulant ist ein Mann, der ohne einen Pfennig in der Tasche Austern bestellt, in der Hoffnung,  mit einer Perle bezahlen zu können. Paul Getty"

    Albert H. Savelberg: "Währungsoptionsscheine: Grundlagen, Preisbildung, Strategien", Springer Fachmedien, Wiesbaden: 1992, S. V (Link)
Und im 21. Jahrhundert wird das Zitat erstmals auch Jean Paul zugeschrieben:

2011
  • "Ein Optimist ist ein Mann, der – ohne einen Pfennig Geld in der Tasche – Austern bestellt in der Hoffnung, mit der Perle bezahlen zu können. Jean Paul"Roland Leonhardt: Weltklassezitate für Hochstapler. rowohlt:  2011 (Link) 
Auf Grund der Geschichte dieses Zitats ist es sehr unwahrscheinlich, dass es so oder so ähnlich jemals in einem Text Jean Pauls oder Theodor Fontanes gefunden werden wird. Weitere Funde vor dem Jahr 1931 sind aber nicht auszuschließen.

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Nachtrag 12. Februar 2020

Der Witz ist anscheinend in Amerika entstanden:

1914
  •  "An Optimist is a penniless chap who will go into an oyster house and order 'a dozen on the half-shell' in the hope of finding a pearl wherewith to pay the charges."

Twitter:




Artikel in Arbeit.
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 Quellen:
Google
Westböhmische Tageszeitung, XXXII. Jg., Nr. 189, 15. Juli 1931, S. 5, anonym (Link)
Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974, S. 325 (Link) 
Westermanns Monatshefte (Westermann's), 1986, Ausgaben 9-12, S. 161 (Link)
Albert H. Savelberg: "Währungsoptionsscheine: Grundlagen, Preisbildung, Strategien", Springer Fachmedien, Wiesbaden: 1992, S. V (Link)
Roland Leonhardt: Weltklassezitate für Hochstapler. rowohlt:  2011 (Link) 

books.google 

"Aufrichtigkeit ist wahrscheinlich die verwegenste Form der Tapferkeit" William Somerset Maugham (angeblich)

Dieses Zitat wird in unseriösen Zitatsammlungen im 21. Jahrhundert dem englischen Autor William Somerset Maugham oder dem deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer unterschoben.

Da dieses Zitat weder auf Englisch noch auf Deutsch in einem digitalisierten Text Maughams zu finden ist und es ihm erst 40 Jahre nach seinem Tod erstmals zugeschrieben wurde, sollte man dieses Zitat William Somerset Maugham nur dann wieder zuschreiben, wenn man eine seriöse Quelle dafür angeben kann. 

Auch in den digitalisierten Texten Schopenhauers ist dieser Spruch anonymen Ursprungs unauffindbar.

Erstmals zugeschrieben wurde der Aphorismus dem englischen Autor William Somerset Maugham,  der unter dem Sternzeichen Wassermann am 25. Januar 1874 geboren wurde, in einem Zitatebuch für das Sternzeichen Wassermann im Jahr 2006.

Vier Jahre danach wird das Zitat (ohne Quellenangabe) erstmals auch Arthur Schopenhauer in einer Zitatesammlung unterschoben (Link).



Pseudo-Somerset-Maugham-Zitat. Renate Tewes: "Führungskompetenz ist lernbar." Springer Medizin Verlag,  Heidelberg: 2009, S. 51 (Link)








forum.prostatakrebs-bps.de,


Hans Werner Wüst: "Zitate u. Sprichwörter", Bassermann, München: 2010 ebook (Link)

Freitag, 20. Dezember 2019

"Napoleon, der Weltgeist zu Pferde." Georg Wilhelm Friedrich Hegel (angeblich)

Der Philosoph Hegel hat nie gesagt, Napoleon sei der "Weltgeist zu Pferde"; er bezeichnete Napoleon in einem Brief einmal als "diese Weltseele".

Auch die  Formel "Weltseele zu Pferd" stammt in diesem Wortlaut nicht von Hegel.

 Bilder von Napoleon in Heldenpose zu Pferd waren um diese Zeit in Europa schon verbreitet (Link).

Jacques-Louis David: Bonaparte beim Überschreiten der Alpen am Großen Sankt Bernhard, 1802, wikipedia (Link)


Hegel sah Napoleon  am 13. Oktober 1806, einen Tag vor der Schlacht bei Jena, in Jena durch die Stadt reiten und schrieb noch am selben Tag an seinen Bamberger Freund Niethammer von der "wunderbare(n) Empfindung", den Kaiser, "den es nicht möglich ist, nicht zu bewundern", "diese Weltseele",  "auf einem Pferde sitzend" zu sehen.


Harper's New Monthly Magazine, Vol XCI, June, 1895, No. DXLI,  S. 209 (Link)



Georg Wilhelm Friedrich Hegel an Friedrich Immanuel Niethammer,
Jena, 13. Oktober 1806: 

 

  • "Den Kaiser – diese Weltseele – sah ich durch die Stadt zum Rekognoscieren hinausreiten. – Es ist in der That eine wunderbare Empfindung, ein solches Individuum zu sehen, das hier auf einen Punkt concentrirt, auf einem Pferde sitzend, über die Welt übergreift und sie beherrscht."
  • "Wie ich schon früher that, wünschen nun Alle der Französischen Armee Glück, was ihr bei dem ganz ungeheuern Unterschiede ihrer Anführer und des gemeinen Soldaten von ihren Feinden auch gar nicht fehlen kann."
  •  "Den Preußen war freilich kein besseres Prognosticon zu stellen, aber von Donnerstag bis Montag sind solche Fortschritte nur diesem außerordentlichen Manne möglich, den es nicht möglich ist, nicht zu bewundern." (Link)



Der Brief Hegels an Niethammer wurde von seinem Biographen Karl Rosenkranz im Jahr 1844 erstmals veröffentlicht und 15 Jahre danach, im Jahr 1859, wurde die Formel "Weltgeist zu Pferde" das erste Mal Hegel in den Mund gelegt.


 1859

  • "Napoleon — am Tage zuvor beim Durchreiten durch Jena vom damals noch nicht berühmten (übrigens wenig deutsch, sondern bis 1813 französisch gesinnten) Hegels als 'Weltgeist zu Pferde" (!) angestaunt'." 
    Jenaische Blätter, Jena: 1859,
    S. 176, (Link) 

 Als Hegel Napoleon sah, hatte er vielleicht einen Teil seines gerade fertiggestellten Manuskripts der "Phänomenologie des Geistes" bei sich, um es vor Plünderern in Sicherheit zu bringen.

 In dieser Phänomenologie des Geistes kommt der Begriff "Weltgeist" vor, aber nicht der platonische Begriff "Weltseele", der um 1800 durch Schelling wiederbelebt wurde.

 Hätte der Philosoph Hegel in Napoleon den personifizierten Weltgeist gesehen, hätte er ihn so bezeichnet.

 
Artikel in Arbeit.


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Quellen:
"Georg Wilhelm Friedrich Hegel's Leben, beschrieben durch Karl Rosenkranz. Supplement zu Hegel's Werken. Verlag von Duncker und Humblot, Berlin: 1844, S. 229f. (Link) [Spätere Briefausgaben differieren in einigen Details von dem Erstdruck.]
Wolfgang Schild: Napoléon und Hegel. In: Europa nach Napoléon, herausgegeben von Christoph Enders, Michael Kahlo, Andreas Mosbacher. mentis Verlag, Paderborn: 2018, S. 57-78 (Link)
Karl Hermann Scheidler: "Geschichte der Jenaer Wehrschaft",  Jenaische Blätter für Geschichte und Reform des deutschen Universitätswesens etc., Drittes Heft, Verlag von Friedrich Mauke, Jena: 1859, S. 176, (Link)
Harper's New Monthly Magazine, Vol XCI, June, 1895, No. DXLI,  S. 209 (Link)





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 Zu Davids Gemälden, 1802: (Link)
Nader Ahriman: Die Hegelmaschine trifft die Weltseele blouinshop.com

Sonntag, 15. Dezember 2019

"Der Mensch ist die dümmste Spezies! Er verehrt einen unsichtbaren Gott und tötet eine sichtbare Natur ... " Hubert Reeves (angeblich)

Pseudo-Hubert-Reeves-Zitat.
Der kanadische Astrophysiker und Umweltschützer Hubert Reeves hat vor vier Jahren auf seiner Facebook-Seite gebeten, dieses Zitat nicht mehr unter seinem Namen weiterzuverbreiten, da es ihm fälschlich zugeschrieben wird.

 Diese Facebook-Seite von Hubert Reeves wird von 2 Administratoren betreut.

Diese Bitte hat Hubert Reeves bisher nicht viel genützt. Im Gegenteil. Das Zitat wird ihm seither auf Twitter und auf Facebook öfter unterschoben als davor.

Wer das Zitat geprägt hat und wer es vor etwa 10 Jahren das erste Mal Hubert Reeves unterschoben hat, ist unbekannt.

Das Kuckuckszitat taucht im Jahr 2010 in Internetforen zuerst auf Englisch auf, ein paar Jahre später auch auf Französisch, Deutsch und Italienisch.

Hubert Reeves unterschoben:


  • "Man is the most insane species. He worships an invisible god and destroys a visible nature. Unaware that this nature he's destroying is this god he's worshipping."
„Man is the most insane species. He worships an invisible God and destroys a visible Nature. Unaware that this Nature he’s destroying is this God he’s worshiping.“

Fuente: https://citas.in/frases/1320226-hubert-reeves-man-is-the-most-insane-species-he-worships-an-inv/
„Man is the most insane species. He worships an invisible God and destroys a visible Nature. Unaware that this Nature he’s destroying is this God he’s worshiping.

Fuente: https://citas.in/frases/1320226-hubert-reeves-man-is-the-most-insane-species-he-worships-an-inv/
„Man is the most insane species. He worships an invisible God and destroys a visible Nature. Unaware that this Nature he’s destroying is this God he’s worshiping.

Fuente: https://citas.in/frases/1320226-hubert-reeves-man-is-the-most-insane-species-he-worships-an-inv/
  • "Der Mensch ist die dümmste Spezies! Er verehrt einen unsichtbaren Gott und tötet eine sichtbare Natur, ohne zu wissen, dass diese Natur, die er vernichtet, dieser unsichtbare Gott ist, den er verehrt."
  • ''L'uomo è la specie più folle: venera un Dio invisibile e distrugge una Natura visibile. Senza rendersi conto che la Natura che sta distruggendo è quel Dio che sta venerando.'' 
  • "L'homme est fou. Il adore un Dieu invisible et détruit une nature visible, inconscient que la Nature qu'il détruit est le Dieu qu'il vénère."

Pseudo-Hubert-Reeves quote.

Pseudo-Hubert-Reeves quote.

Pseudo-Hubert-Reeves quote.


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Quellen:
Google Deutsch: Ungefähr 9 110 Ergebnisse
Google Englisch: Ungefähr 25 100 Ergebnisse
Google Französisch: Ungefähr 22 300 Ergebnisse
Facebook-Seite von Hubert Reeves (betreut von zwei Administratoren)

Früheste falsche Zuschreibung auf Englisch:
2010: nzguitars.com/forum BY GrantB
Früheste falsche Zuschreibung auf Deutsch:

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Dank:
Ich danke Bonita für die Frage zu diesem Zitat.

Dienstag, 10. Dezember 2019

"Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele." Malebranche (angeblich)

Dieses Zitat wurde duch Walter Benjamin und Paul Celan weltweit bekannt, ist aber in diesem  Wortlaut in den Schriften des französischen Priesters, Mathematikers und Philosophen Nicolas Malebranche nicht gefunden worden.

Paul Celan zitiert den Satz in seiner berühmten Büchnerpreisrede mit dem Hinweis auf den Urspung des Zitats in Walter Benjamins zum 10. Todestag Franz Kafkas erschienenem Kafka-Essay.

Paul Celan, 22. Oktober 1960, Darmstadt:


  • " 'Aufmerksamkeit' erlauben Sie mir hier, nach dem Kafka-Essay Walter Benjamins, ein Wort von Malebranche zu zitieren ,  'Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele'."

    Paul
    Celan: Büchnerpreisrede, "Der Meridian", 22. Oktober 1960, Darmstadt, in: Suhrkamp: 1988:  S. 52 (Link). (Link)

Walter Benjamin, Ende Dezember 1934:

  • "In seiner Tiefe berührt Kafka den Grund, den weder das 'mythische Ahnungswissen' noch die 'existenzielle Theologie' ihm gibt. Es ist der Grund des deutschen Volkstums so gut wie des jüdischen. Wenn Kafka nicht gebetet hat was wir nicht wissen so war ihm doch aufs höchste eigen, was Malebranche 'das natürliche Gebet der Seele' nennt die Aufmerksamkeit. Und in sie hat er, wie die Heiligen in ihre Gebete, alle Kreatur eingeschlossen."

    Walter Benjamin: "Franz Kafka. Zur zehnten Wiederkehr seines Todestages", Jüdische Rundschau, 21. und 28. Dezember 1934
    pdf
  • "Even if Kafka did not pray — and this we do not know — he still possessed in the highest degree what Malebranche called ‘the natural prayer of the soul’: attentiveness."

Der im 17. Jahrhundert einflußreiche Philosoph Nicolas Malebranche spricht in seinen Schriften öfters von dem natürlichen Gebet, dem prière naturelle, aber nie in der prägnanten Form des deutschsprachigen Zitats, das der Philosoph Ernst Cassirer (1906) schon Jahrzehnte vor Walter Benjamin dem französischen Philosophen Malebranche zugeschrieben hat (Link).


Wahrscheinlich hat Ernst Cassirer unter anderem folgendes Zitat von Nicolas Malebranche paraphrasiert:

   Nicolas Malebranche: Méditations chretiennes et métaphysiques, 1683

 

  • "9. L'attention est une prière naturelle, que l'esprit me fait comme à la raison universelle, afin qu'il reçoive de moi la lumière et l'intelligence;"

    Nicolas Malebranche: Méditations chrétiennes, in:  Oeuvres de Malebranche, S. 170 (Link)  ;

    S. 200 (Link)
  •  "9. Die Aufmerksamkeit ist ein natürliches Gebet, welches der Geist an mich als die allgemeine Vernunft richtet, damit er von mir Licht und Intelligenz erhalte; und immer erhöre ich dieses Gebet, wenn es gewissen Bedingungen Genüge leistet, die ich dir vorhin erklärt habe."

    Nicolas Malebranche: "Christlich-metaphysische Betrachtungen." Anonyme Übersetzung.  In der Theissingschen Buchhandlung, Münster: 1842, S. 178 (Link)
  • "Die Aufmerksamkeit des Geistes ist ein natürliches Gebet, das wir an die innere Wahrheit richten, damit sie sich uns enthüllt." 2004, S. 266 (Link) 
  • "Die Aufmerksamkeit des Geistes ist ein natürliches Gebet, durch das uns zuteil wird, daß die Vernunft uns aufklärt." Christoph Türcke, C.H. Beck, München: 2019 ebook (Link)


Eine Paraphrase dieses Satzes findet man auch in einem philosophischen Lehrbuch aus dem Jahr 1870.

Albert Stöckl: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, 1870

  • "Die Aufmerksamkeit ist gewissermaßen ein natürliches Gebet, das die Seele an Gott richtet, ihr eine bestimmte Idee zu offenbaren."

    Albert Stöckl: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, 1870, Kapitel Nikolaus Malebranche, S. 608 books.google. 

Der preußische König Friedrich II. schrieb von der Aufmerksamkeit als einem natürlichen Gebet ohne Hinweis auf den Ursprung dieser Formel bei Malebranche:

Friedrich II.: Gedanken über Religion, 1789


  •  "Das Forschen und die Aufmerksamkeit sind ein natürliches Gebet, das wir zu Gott richten, damit er uns leite, die Wahrheit zu entdecken."

    Friedrich II.: Gedanken über Religion, Aus dem Nachlass, 1789, S. 4 (Link)
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(Artikel in Arbeit.)

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Quellen:
Paul Celan: Büchnerpreisrede, "Der Meridian", 22. Oktober 1960, Darmstadt, in: Suhrkamp: 1988:  S. 52 (Link). (Link)
Walter Benjamin: "Franz Kafka. Zur zehnten Wiederkehr seines Todestages", Jüdische Rundschau, 21 und 28. Dezember 1934 pdf
Nicolas Malebranche: Méditations chrétiennes, in:  Oeuvres de Malebranche, S. 170 (Link)  
Nicolas Malebranche: "Christlich-metaphysische Betrachtungen." Anonyme Übersetzung.  In der Theissingschen Buchhandlung, Münster: 1842, S. 178 (Link)  
Albert Stöckl: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, Verlag von Franz Kirchheim. Münster: 1870, Kapitel Nikolaus Malebranche, S. 608 (Link) 
Friedrich II.: Gedanken über Religion, Aus dem Nachlass, 1789, S. 4 (Link)


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