Paul Celan zitiert den Satz in seiner berühmten Büchnerpreisrede mit dem Hinweis auf den Urspung des Zitats in Walter Benjamins zum 10. Todestag Franz Kafkas erschienenem Kafka-Essay.
Paul Celan, 22. Oktober 1960, Darmstadt:
- " 'Aufmerksamkeit' — erlauben Sie mir hier, nach dem Kafka-Essay Walter Benjamins, ein Wort
von Malebranche zu zitieren —, 'Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet
der Seele'."
Paul Celan: Büchnerpreisrede, "Der Meridian", 22. Oktober 1960, Darmstadt, in: Suhrkamp: 1988: S. 52 (Link). (Link)
Walter Benjamin, Ende Dezember 1934:
- "In seiner Tiefe berührt Kafka den Grund, den weder das 'mythische Ahnungswissen' noch die 'existenzielle Theologie' ihm gibt. Es ist der Grund des deutschen Volkstums so gut wie des jüdischen. Wenn Kafka nicht gebetet hat — was wir nicht wissen — so war ihm doch aufs höchste eigen, was Malebranche 'das natürliche Gebet der Seele' nennt — die Aufmerksamkeit. Und in sie hat er, wie die Heiligen in ihre Gebete, alle Kreatur eingeschlossen."
Walter Benjamin: "Franz Kafka. Zur zehnten Wiederkehr seines Todestages", Jüdische Rundschau, 21. und 28. Dezember 1934 pdf
- "Even if Kafka did not pray — and this we do not know — he still possessed in the highest degree what Malebranche called ‘the natural prayer of the soul’: attentiveness."
Der im 17. Jahrhundert einflußreiche Philosoph Nicolas Malebranche spricht in seinen Schriften öfters von dem natürlichen Gebet, dem prière naturelle, aber nie in der prägnanten Form des deutschsprachigen Zitats, das der Philosoph Ernst Cassirer (1906) schon Jahrzehnte vor Walter Benjamin dem französischen Philosophen Malebranche zugeschrieben hat (Link).
Wahrscheinlich hat Ernst Cassirer unter anderem folgendes Zitat von Nicolas Malebranche paraphrasiert:
Nicolas Malebranche: Méditations chretiennes et métaphysiques, 1683
- "9. L'attention est une prière naturelle,
que l'esprit me fait comme à la raison universelle, afin qu'il reçoive
de moi la lumière et l'intelligence;"
Nicolas Malebranche: Méditations chrétiennes, in: Oeuvres de Malebranche, S. 170 (Link) ;
S. 200 (Link)
- "9.
Die Aufmerksamkeit ist ein natürliches Gebet, welches der Geist an mich
als die allgemeine Vernunft richtet, damit er von mir Licht und
Intelligenz erhalte; und immer erhöre ich dieses Gebet, wenn es gewissen
Bedingungen Genüge leistet, die ich dir vorhin erklärt habe."
Nicolas Malebranche: "Christlich-metaphysische Betrachtungen." Anonyme Übersetzung. In der Theissingschen Buchhandlung, Münster: 1842, S. 178 (Link)
- "Die Aufmerksamkeit des Geistes ist ein natürliches Gebet, das wir an die innere Wahrheit richten, damit sie sich uns enthüllt." 2004, S. 266 (Link)
- "Die Aufmerksamkeit des Geistes ist ein natürliches Gebet, durch das uns zuteil wird, daß die Vernunft uns aufklärt." Christoph Türcke, C.H. Beck, München: 2019 ebook (Link)
Eine Paraphrase dieses Satzes findet man auch in einem philosophischen Lehrbuch aus dem Jahr 1870.
Albert Stöckl: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, 1870
- "Die
Aufmerksamkeit ist gewissermaßen ein natürliches Gebet, das die Seele
an Gott richtet, ihr eine bestimmte Idee zu offenbaren."
Albert Stöckl: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, 1870, Kapitel Nikolaus Malebranche, S. 608 books.google.
Der preußische König Friedrich II. schrieb von der Aufmerksamkeit als einem natürlichen Gebet ohne Hinweis auf den Ursprung dieser Formel bei Malebranche:
Friedrich II.: Gedanken über Religion, 1789
- "Das Forschen und die Aufmerksamkeit sind ein natürliches Gebet, das wir zu Gott richten, damit er uns leite, die Wahrheit zu entdecken."
Friedrich II.: Gedanken über Religion, Aus dem Nachlass, 1789, S. 4 (Link)
(Artikel in Arbeit.)
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Quellen:
Paul Celan: Büchnerpreisrede, "Der Meridian", 22. Oktober 1960, Darmstadt, in: Suhrkamp: 1988: S. 52 (Link). (Link)
Walter Benjamin: "Franz Kafka. Zur zehnten Wiederkehr seines Todestages", Jüdische Rundschau, 21 und 28. Dezember 1934 pdf
Nicolas Malebranche: Méditations chrétiennes, in: Oeuvres de Malebranche, S. 170 (Link)
Nicolas Malebranche: "Christlich-metaphysische Betrachtungen." Anonyme Übersetzung. In der Theissingschen Buchhandlung, Münster: 1842, S. 178 (Link)
Albert Stöckl: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, Verlag von Franz Kirchheim. Münster: 1870, Kapitel Nikolaus Malebranche, S. 608 (Link)
Friedrich II.: Gedanken über Religion, Aus dem Nachlass, 1789, S. 4 (Link)
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