Donnerstag, 14. Dezember 2017

"Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten." Albert Einstein (angeblich)

Pseudo-Albert-Einstein-Zitat.
Albert Einstein wurde dieses Zitat Jahrzehnte nach seinem Tod erstmals zugeschrieben. Einstein-Expertinnen wie Alice Calaprice oder Barbara Wolff haben es in keiner seiner Schriften gefunden (Link).

Die Evolution dieses Spruchs beginnt vor 120 Jahren in psychologischer und psychiatrischer Literatur. "Zwangshandlungen" sind unsinnige Wiederholungen und gehören zum Krankheitsbild von "Zwangsstörungen" und Sigmund Freud erkannte im "Wiederholungszwang" einen bedeutenden psychischen Mechanismus.

Garson O'Toole hat die früheste schriftliche Erwähnung einer Version dieses Spruchs in einem Dokument der Narcotics Anonymous aus dem Jahr 1981 entdeckt:
  • "The price may seem higher for the addict who prostitutes for a fix than it is for the addict who merely lies to a doctor, but ultimately both pay with their lives. Insanity is repeating the same mistakes and expecting different results."
       Unbekannter Autor, Narcotics Anonymous organization, 1981, (Link)
1983 kommt der Spruch in Rita Mae Browns Roman "Sudden Death" (deutsch: "Die Tennisspielerin") vor; 'Jane Fulton' ist eine Figur in diesem Roman:
  • "Unfortunately, Susan didn’t remember what Jane Fulton once said. 'Insanity is doing the same thing over and over again, but expecting different results'." 
  • "Wahnsinn ist, wenn man immer wieder das Gleiche tut, aber andere Resultate erwartet."
         Rita Mae Brown, 1983, deutsch: 1995 (Link)

Seit 1990 wird dieses inzwischen sehr weit verbreitete Zitat Albert Einstein, alten Chinesen, Benjamin Franklin und vielen anderen unterschoben.


Einige Varianten des Kuckuckszitats:

  • "Insanity: doing the same thing over and over again and expecting different results." 
  • "Insanity is repeating the same mistakes and expecting different results".
  • "Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten."
  • "Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert." 
  • "Verrückt ist der, der immer die gleichen Dinge tut, aber andere Ergebnisse erwartet".








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Quellen: 
Alice Calaprice: "The Ultimate Quotable Einstein", Foreword: Freeman Dyson, Princeton University Press, Princeton and Oxford: 2011, S. 474 (Link)
Ralph Keyes: "The Quote Verifier: Who Said What, Where, and When." St. Martin's Griffin, New York: 2006, S. 98f. (Link)
Rita Mae Brown: "Sudden Death." Bantam Books, New York:1983, S. 68 (Zitiert nach Garson O'Toole)
Rita Mae Brown: "Die Tennisspielerin." Rowohlt Verlag, Reinbek: 1995
Dominik Lagushkin: Über wiederverwendete Zitate, 2013 (Link)
Garson O'Toole (Quote Investigator): "Insanity Is Doing the Same Thing Over and Over Again and Expecting Different Results - Albert Einstein? Narcotics Anonymous? Max Nordau? George Bernard Shaw? George A. Kelly? Rita Mae Brown? John Larroquette? Jessie Potter? Werner Erhard?", 2017 (Link)

Beispiele für falsche Zuschreibungen:
Tassilo Wallentin: "Viel Lärm um nichts", Kronen Zeitung, 8. Juli 2018 (Link)
Anetta Kahane: "Der Wahnsinn der Einwanderungspolitik", Berliner Zeitung, 26. März 2018 (Link) 
platinnetz.de
Google News
Google Books  
 
Insanity: doing the same thing over and over again and expecting different results.
Read more at: https://www.brainyquote.com/quotes/quotes/a/alberteins133991.html
Insanity: doing the same thing over and over again and expecting different results.
Read more at: https://www.brainyquote.com/quotes/quotes/a/alberteins133991.html

Mittwoch, 13. Dezember 2017

"Das tiefste und erhabenste Gefühl, dessen wir fähig sind, ist das Erlebnis des Mystischen." Albert Einstein (angeblich)

Entstelltes Einstein-Zitat.
Dieses entstellte Zitat entstand aus der Rückübersetzung eines Satzes von Albert Einstein aus dem Englischen und hat einige exaltierte Interpretationen über Einstein als Mystiker verursacht (Link).  

Aus dem ursprünglichen Satz von Albert Einstein, "Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle", wurde die pathetische Aussage, "Das tiefste und erhabenste Gefühl, dessen wir fähig sind, ist das Erlebnis des Mystischen".

Ursprünglich lautet der Satz von Albert Einstein in "Wie ich die Welt sehe", 1931:
  • "Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht. Wer es nicht kennt und sich nicht mehr wundern, nicht mehr staunen kann, der ist sozusagen tot und sein Auge erloschen."
       Albert Einstein: Mein Weltbild. Hrsg. von Carl Seelig. Europa Verlag, Zürich Wien: 1953, S. 10 (Link)
    Erstdruck (nach Carl Seelig): "Forum and Century," vol. 84, pp. 193-194; Living Philosophies, Bd. 13, New York 1931

In der englischen Übersetzung von 1931:
  • "The fairest thing we can experience is the mysterious. It is the fundamental emotion which stands at the cradle of true art and true science. He who knows it not and can no longer wonder, no longer feel amazement, is as good as dead, a snuffed-out candle. It was the experience of mystery—even if mixed with fear—that engendered religion."
        Albert Einstein,  Übersetzung von
    Alan Harris, 1931 (Link)
Übersetzung 1954:
  • "The most beautiful experience we can have is the mysterious. It is the fundamental emotion which stands at the cradle of true art and true science. Whoever does not know it and can no longer wonder, no longer marvel is as good as dead, and his eyes are dimmed."
        Albert Einstein, Übersetzung von Sonja Bargmann, 1954
    Albert Einstein: Ideas and Opinions, based on Mein Weltbild, hrsg. von Carl Seelig, Bonzana Books,
    New York: 1954 
Allerdings gibt es noch eine andere deutsche Variante dieses Satzes, die von der gedruckten Fassung aus dem Essay "Wie ich die Welt sehe" etwas verschieden ist. Albert Einstein hat diese Fassung, die auch kürzer als der Essay ist,  mit dem Titel "Mein Glaubensbekenntnis" zugunsten der "Deutschen Liga für Menschenrechte" auf Schallplatte gesprochen.
Albert Einstein: "Mein Glaubensbekenntnis", Schellackplatte, September/Oktober 1932:
Youtube 3:05

      

  • "Das Schönste und Tiefste, was der Mensch erleben kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen. Es liegt der Religion sowie allem tieferen Streben in Kunst und Wissenschaft zugrunde. Wer dies nicht erlebt hat, erscheint mir, wenn nicht wie ein Toter, so doch wie ein Blinder."
    Albert Einstein: Mein Glaubensbekenntnis 1932 (Link)
Das Manuskript zur Schallplattenaufnahme wird auf 1932 datiert. Albert Einstein scheint es nicht gestört zu haben, dass er zwei verschiedene Fassungen über "das Schönste, was der Mensch erleben kann" hinterlassen hat.
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Quellen:
Hans-Josef Küpper: Einstein's Credo, mit einer Transkription des Manuskripts,  Einstein-Website.de, 2000-2016, (Link)
Albert Einstein: "Mein Glaubensbekenntnis", Schellackplatte, September/Oktober 1932: Youtube  (Link)
Albert Einstein: Ideas and Opinions, based on Mein Weltbild, hrsg. von Carl Seelig, Bonzana Books, New York: 1954, S. 11
Albert Einstein: Mein Weltbild. Hrsg. von Carl Seelig. Europa Verlag, Zürich Wien: 1953, S. 10 (Link) 
Albert Einstein: "Wie ich die Welt sehe" Erstdruck (nach Carl Seelig): "Forum and Century," vol. 84, pp. 193-194; Living Philosophies, Bd. 13, New York 1931
(Datierungen müssen noch überprüft werden.) 
 Juttas Zitateblog: "Über Einsteins Worte 'Wer sich nicht mehr wundern und in Ehrfurcht verlieren kann, ist seelisch bereits tot'",  2011 (Link)
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Dank:
Die Dokumentation auf  Juttas Zitateblog war sehr hilfreich.

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Artikel in Arbeit.


    "Ein Druckfehler ist wichtig, weil er den Entdecker stolz macht, dass er ihn gefunden hat." Karl Kraus

    Pseudo-Karl-Kraus quote.
    Dieses Scherzlein gibt es seit 2013 als Postkarte (Link), und es hat mit Karl Kraus, dem Herausgeber und Autor der 'Fackel', gar nichts zu tun.

    Für die Postkarte ist Thomas Howeg verantwortlich, der den Spruch vielleicht auch geprägt hat.
     _______
    Quellen:
    Österreichische Akademie der Wissenschaften, AAC: DIE FACKEL von Karl Kraus (digitale Edition)
    Edition Howeg, Zürich: 2013  (Link)

    "Wenn ein unordentlicher Schreibtisch einen unordentlichen Geist repräsentiert, was repräsentiert dann ein leerer Schreibtisch?" Albert Einstein (angeblich)

    • "Wenn ein unordentlicher Schreibtisch einen unordentlichen Geist repräsentiert, was sagt dann ein leerer Schreibtisch über den Menschen, der ihn benutzt, aus?"
    •  "Wenn ein unordentlicher Schreibtisch ein Zeichen für einen unordentlichen Geist ist, was sollen wir dann von einem leeren Schreibtisch denken?"
    • "Wenn ein unordentlicher Schreibtisch ein Zeichen für einen unordentlichen Geist ist, worauf weist dann ein leerer Schreibtisch hin?"
    • "If a Cluttered Desk Is a Sign of a Cluttered Mind, We Can’t Help Wondering What an Empty Desk Indicates."
    • "If a cluttered desk is a sign of a cluttered mind, of what, then, is an empty desk a sign?"
    Das ist ein Einstein-Zitat aus dem 21. Jahrhundert, das noch niemand (Link), (Link) in einem Text von Albert Einstein gefunden hat. Es steht auch nicht in seriösen Nachschlagwerken wie in dem 'Ultimate Quotable Einstein' von Alice Calaprice.

    Es ist also ein Falschzitat.

    Der Witz hat sich offensichtlich aus Sprichwörtern wie, "Tidy desk, tidy mind" oder, "A disordered desk is an evidence of a disordered brain and a disordered character", entwickelt und wird manchmal gleichzeitig mit dem Aphorismus, "Ordnung braucht nur der Dumme, das Genie beherrscht das Chaos", der auch Albert Einstein unterschoben wird, zitiert.

    Garson O'Toole ist der englischsprachigen Vorgeschichte dieses Spruchs ausführlich nachgegangen (Link)
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    Google
    Barry Popik: “If a cluttered desk is a sign of a cluttered mind, of what, then, is an empty desk a sign?” 2013  (Link)
    Garson O'Toole (Quote Investigator): "If a Cluttered Desk Is a Sign of a Cluttered Mind, We Can’t Help Wondering What an Empty Desk Indicates  Albert Einstein? Truman Twill? Lyndon B. Johnson? Laurence J. Peter? Paul A. Freund? Anonymous?" 2017 (Link)  

    Falsche Zuschreibungen:
    In vielen Online-Zitatsammlungen:  Google

    Dienstag, 12. Dezember 2017

    "Kaffee dehydriert den Körper nicht. Ich wäre sonst schon Staub." Pseudo-Franz-Kafka-Zitat

    Pseudo-Franz-Kafka-Zitat. 
    Dieses beliebte Pseudo-Franz-Kafka-Zitat ist erst im 21. Jahrhundert - also etwa 80 Jahre nach Kafkas Tod - entstanden.
    Es ist ein Kuckuckszitat, weil es in keinem Werk Franz Kafkas, in keinem seriösen Nachschlagwerk und in keinem digitalisierten Text vor dem 21. Jahrhundert zu finden ist und immer ohne Quellenangabe zitiert wird.

    Das Zitat tauchte ohne Zuschreibung an Franz Kafka im Mai 2008 in den Sozialen Medien erstmals auf und wurde auf Twitter und Facebook ein paar Mal wiederholt bis es im Juli 2009 erstmals Franz Kafka untergeschoben wurde.

    Schon ein paar Jahre später war dieses falsche Kafka-Zitat auch bei Journalistinnen und Autoren in Zeitungen und Büchern beliebt, besonders aber bei Werbeagenturen von Firmen, die Kaffee verkaufen.


    Chronologie der Vorgeschichte des Kuckuckszitats:


    Eine unbekannte Person mit dem Twitter-Namen "deeli" könnte am 26. Mai 2008 das Zitat geprägt haben:

    26. Mai 2008
    • das kaffee dehydriert ist nicht wahr. sonst wäre ich nur staub. (Twitter/deeli)
    Mit leichten Veränderungen des Wortlauts wurde das Zitat auf Twitter und Facebook in den folgenden Monaten wiederholt:

    18. März 2009
    • kaffee dehydriert nicht, ich wäre sonst schon staub. (Twitter)
    6. März 2009
    • An dieser Stelle möchte ich mit einem bösen Vorurteil aufräumen: Kaffee dehydriert den Körper nicht. Ich wäre sonst schon Staub 🙂 
       anonyme kaffeeoholiker, Claudia Lux,  (facebook.com)

    14. Mai 2009

    Erste Zuschreibungen des Zitats an Franz Kafka:


    11. Juli 2009

    22. September 2009

    Seit dem Jahr 2013 gibt es dieses Pseudo-Kafka-Zitat auch auf Englisch:
    • "Coffee does not dehydrate. Otherwise I'd be dust by now. Franz Kafka (1883 - 1924)"

    Pseudo-Franz-Kafka-Zitat. 
    "
    __________
    Quellen:
    Google
    Twitter

    Beispiele für falsche Zuschreibungen:

    2009: 11. Juli 2009, 12:50 nachm. @PalmaKunkel  Twitter (frühe Zuschreibung) 
    Karen Nieber: "Schwarz und stark. Wie Kaffee die Gesundheit fördert." Hirzel, Stuttgart: 2013. Verlagsanzeige: (Link)
    _______
    Ich danke Nicole delle Karth für den Hinweis auf das Falschzitat sowie Roland Reuß für die Bestätigung, dass dieses Zitat in Franz Kafkas Schriften nicht zu finden ist.

    Letzte Änderung: 1/10 2019; 20/3 2021, 29/4 2023

    Sonntag, 10. Dezember 2017

    "Und plötzlich weißt du: Es ist Zeit, etwas Neues zu beginnen und dem Zauber des Anfangs zu vertrauen." Meister Eckhart (angeblich)

    Pseudo-Meister-Eckhart-Zitat.
    Dieser Spruch wird auf hunderten Webseiten, seit ein paar Jahren auch auf Englisch, dem mittelalterlichen christlichen Denker Meister Eckhart unterschoben. Der Spruch ist aber weder in seinen Schriften noch in einem seriösen Nachschlagwerk oder in einem digitalisierten Text vor dem 21. Jahrhundert zu finden.  

    "And suddenly you know: It's time to start something new and trust the magic of beginnings."  Pseudo-Meister-Eckhart
    Pseudo-Meister-Eckhart-Zitat.
    Bei Google Books taucht das Zitat 2004 das erste Mal (Link) auf.

    Das Zitat ist also ein Falschzitat. Wer es geprägt hat und durch welchen Irrtum es Meister Eckhart zugeschrieben wurde, wissen wir nicht.

    Es ist wahrscheinlich in Anspielung auf Hermann Hesses berühmte Verszeile, "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne",  aus dessen Gedicht "Stufen", das auch in seinem Roman "Das Glasperlenspiel" enthalten ist, entstanden (Link).
     
    • "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
      Der uns beschützt und der uns hilft zu leben."

      Herman Hesse, "Stufen", 1941

      (Link)

    Pseudo-Meister-Eckhart-Zitat.

    ___________
    Quellen:
     Google Statistik:  "Ungefähr 46 400 Ergebnisse" (Die Google-Zählung ist in letzter Zeit sehr ungenau.)
    Dieses Zitat wird in vielen unseriösen Online-Zitatsammlungen und Managementratgebern fälschlich Meister Eckhart zugeschrieben (Google), zum Beispiel in, Aphorismen.de oder  Gutezitate.de.
    Wikipedia: "Stufen" von Hermann Hesse.
    (Link)
    ______
    Dank:
    Ich danke Eduard Habsburg für den Hinweis auf dieses falsch zugeschriebene Zitat.

    Freitag, 8. Dezember 2017

    "Manche Menschen sehen die Dinge, wie sie sind, und fragen: 'Warum?' Ich wage von Dingen zu träumen, die es niemals gab, und frage: 'Warum nicht?'" Robert Browning (angeblich)

    Book title.
    Dieses Zitat wird seit ein paar Jahren irrtümlich Robert Browning zugeschrieben; es stammt von George Bernard Shaw und wurde durch Robert Kennedy in Amerika populär.

    Der englische Dichter und Dramatiker Robert Browning hat mit diesem Zitat nichts zu tun, auch wenn es ihm wie durch ein Schneeballsystem immer öfter auf hunderten deutschsprachigen Webseiten, in unseriösen Zitatsammlungen und von Autoren wie Richard David Precht (Link) unterschoben wird.

    Ein Beispiel:
    • "Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz hat seinen Vorstoß für die Umwandlung der Europäischen Union in die Vereinigten Staaten von Europa gegen Kritik aus der Union verteidigt. Beim SPD-Parteitag in Berlin antwortete er den Skeptikern mit einem Zitat des englischen Dichters Robert Browning. „Ich wage von Dingen zu träumen, die es niemals gab, und frage: Warum nicht?“ Schulz fügte hinzu: 'Lasst uns in diesem Sinne die Vereinigten Staaten von Europa schaffen.'"
            Der Tagesspiegel, 8. Dezember 2017  (Link)

     Robert Kennedy, 1968
    • "George Bernard Shaw schrieb einmal: 'Es gibt Menschen, die sehen die Dinge wie sie sind und sagen, warum? Ich träume Dinge, die nie waren und sage, warum nicht?'"
           Robert Kennedy, 18. März 1968
    Das Robert-Kennedy-Shaw-Zitat ist in mehreren Versionen überliefert und wird heute oft auch ohne seine Zuschreibung an Shaw zitiert.
    • "Manche Menschen sehen die Dinge, wie sie sind, und fragen: »Warum?« Ich wage, von Dingen zu träumen, die es niemals gab, und frage: »Warum nicht?«"
           Robert Kennedy, 1968
      (2008) (Link)
    Geprägt hat das Zitat ohne Zweifel George Bernard Shaw für das erste Drama seines fünfteiligen Werks "Back to Methuselah", das im Garten Eden im Jahr 4004 vor Chr. spielt. Die Schlange im Paradies sagt den fraglichen Satz zu Eva (Link).

    John F. Kennedy und Robert F. Kennedy haben bei ihren Shaw-Zitaten diesen Kontext nie erwähnt und den Satz der Schlange etwas verändert.

     

    1921, George Bernard Shaw


    • "THE SERPENT. If I can do that, what can I not do? I tell you I am very subtle. When you and Adam talk, I hear you say 'Why?' Always 'Why?' You see things; and you say 'Why?' But I dream things that never were; and I say 'Why not?' I made the word dead to describe my old skin that I cast when I am renewed. I call that renewal being born."
           George Bernard Shaw: Back to Methuselah. A Metabiological Pentateuch, 1921, Part I, Act I (Link)

    1963, John F. Kennedy

    • "George Bernard Shaw, speaking as an Irishman, summed up an approach to life, 'Other people', he said 'see things and ... say: Why? ... But I dream things that never were—and I say: why not?' ... The problems of the world cannot possibly be solved by skeptics or cynics, whose horizons are limited by the obvious realities. We need men who can dream of things that never were, and ask why not.”
           John F. Kennedy, 28. Juni 1963, Address Before the Irish Parliament in Dublin (Link)

    1968, Robert F. Kennedy

    • "George Bernard Shaw once wrote, 'Some people see things as they are and say why? I dream things that never were and say why not?'"
           Robert Kennedy, 18. März 1968, University of Kansas, Youtube 30:33

     

       
       

    1968, Edward Kennedy

    •  "As he (Robert Kennedy)  said many times, in many parts of this nation, to those he touched and who sought to touch him: 'Some men see things as they are and say why? I dream things that never were and say why not?'"
           Edward Kennedy, 8. Juni 1868, Address at the Public Memorial Service for Robert F. Kennedy, New York (Link)

     2004, Barack Obama

    • "In the end, that is god's greatest gift to us, the bedrock of this nation; the belief in things not seen; the belief that there are better days ahead."
           Barack Obama,
      24. Juli 2004, Boston (Link)
    ________ 
    Quellen: 
    George Bernard Shaw: Back to Methuselah. A Metabiological Pentateuch, 1921, Part I, Act I, Project Gutenberg (Link)
    John F. Kennedy: Address Before the Irish Parliament in Dublin, 28. Juni1963 (Link)
    Robert F. Kennedy: Rede, University of Kansas, 18. März 1968, Tonbandaunahme, Youtube, 30:33  (Link)
    Edward Kennedy: Address at the Public Memorial Service for Robert F. Kennedy, New York, 8. Juni 1968 (Link)
    Ralph Keyes: "The Quote Verifier: Who Said What, Where, and When." St. Martin's Griffin, New York: 2006, S. 248 (Link)
    Werner Katzengruber: "Einfach erfolgreich", Gräfe und Unzer, München: 2008, S. 160 (Link)
    Wolfgang Mieder: “Yes we can”: Barack Obama’s proverbial rhetoric. Peter Lang, New York: 2009, S. 112 (Link)
    Wikiquote (Mit einer anderen Version von Robert Kennedys Zitat.)

    Falsche Zuschreibungen:
    2004 (Link); Deutsch seit 2009 (Link); (Link) Google 
    Aphorismen.de
    Zitate-online.de 
    Richard David Precht: Vortrag zum Thema „Bildungsrevolution“, regionalWolfenbüttel.de, 29. September 2014 (Link) 
    Iris Seidenstricker: Der kleine Taschencoach: Zufriedener arbeiten - glücklicher leben", dtv digital, München: 2016, ebook   (Link)
    Martin Schulz, 8. Dezember 2017, Der Tagesspiegel, 8. Dezember 2017  (Link); zitiert in über 100 anderen Zeitungen: Google
     ________
    Dank:
    Tobias Blanken hat mich auf dieses Zitat aufmerksam gemacht. Danke.



    "Die Kapitalisten werden uns noch den Strick verkaufen, mit dem wir sie aufknüpfen." Lenin (angeblich)

    Pseudo-Lenin quote.
    Dieses Zitat entwickelte sich aus einer Lenin-Anekdote, die 1958, also mehr als dreißig Jahre nach seinem Tod, das erste Mal in den digitalisierten Texten auftaucht: "Genossen", soll Lenin gesagt haben, "sorgt euch nicht um die Kapitalisten. Wir müssen ihnen nur genug Stricke liefern und sie werden sich selber aufhängen" (Link).

    Ein Jahr später hängen sich die Kapitalisten in der revidierten Lenin-Anekdote nicht mehr selber auf, sondern werden aufgehängt. Zwei Jahre später wird der Spruch Stalin unterschoben (Link). Dann bekommt der Spruch langsam die kurze aphoristische Form, die wir heute kennen, und 1982 wird die älteste Lenin-Anekdote Alexander Solschenyzin zugeschrieben, der sie 1975 in Amerika erzählt haben soll (Link).

    In den gesammelten Schriften Lenins wurde das Zitat weder so noch so ähnlich je gefunden. Der Journalist William Safire erzählte 1987 in einem amüsanten Artikel von seiner vergeblichen Suche nach dem Ursprung des Zitats bei Kommunisten, Professoren und Bibliothekaren in Moskau und New York (Link).

    Die Evolution dieses Zitats legt den Schluß nahe, dass es ein Kuckuckszitat ist. Vor 1950 ist es weder auf Deutsch, noch auf Englisch oder Russisch in einem digitalisierten Text als "Lenin"-Zitat zu finden. 

    Tobias Blanken hat mich darauf hingewiesen, dass dieses Lenin-Zitat wahrscheinlich ein späte Erfindung ist, der Literaturwissenschaftler und Übersetzer Joseph Wälzholz hat auf Russisch den Urspung des Zitats recherchiert und ich bin ihm auf Deutsch und Englisch nachgegangen: Auch wir sind, wie die Autoren des Buches "They Never Said It: A Book of Fake Quotes, Misquotes, and Misleading Attributions" und die Rechercheurinnen von Wikiquote zu dem Schluß gekommen, dass dieses Lenin-Zitat eine Erfindung aus der Zeit des Kalten Kriegs ist. 

    Ralf Bülow verdanken wir den Hinweis, dass ein ähnliches Sprichwort auf Englisch schon im 19. Jahrhundert verbreitet war.

     Evolution des Sprichworts

     1671

      1788
    1817
    1834
    1882

    1890
    1893
    • "Let these newspaper fellows have all the rope they want; they will hang themselves without assistance."

     Evolution des Kuckuckszitats


    Das Pseudo-Lenin-Zitat taucht das erste Mal 1958 auf Englisch auf, ein Jahr später auf Deutsch, wobei der Strick aus dem Sprichwort nicht mehr als Metapher für Freiheit, sondern nur noch wörtlich genommen wird.
      

    1958
    • "Some 35 years ago, in the course of a report on Russia's economic future, Lenin is reported to have said: 'Comrades, we have nothing to worry about the capitalists. All we have to do is give them enough rope and they will hang themselves.' Thereupon, one of his comrades asked Lenin: 'But where will we get the rope to give to the capitalists ?' Lenin quickly replied: 'from the capitalists, of course'."
      AFL-CIO, Dept. of International Affairs, AFL-CIO Free Trade Union News,  Bände 13-15, 1958,  S. 36
      (Link)
     
    1959
    • "Über letztere hat Lenin einmal gesagt: 'Die Kapitalisten treten sich gegenseitig auf die Füße, um die Stricke zu verkaufen, an denen sie später einmal aufgehängt werden'.
      "
      Richard Etschmann: "Die Währungs- und Devisenpolitik des Ostblocks und ihre Auswirkungen ...", 1959, S. 209 (Link)
    1960
    • "Lenin sagte: «Wenn die kapitalistische Welt anfängt, mit uns Handel zu treiben - von dem Tag ab beginnt sie, ihre eigene Vernichtung zu finanzieren.» Noch anschaulicher formulierte Stalin: «Wenn es dann so weit ist, daß wir die Kapitalisten dieser Welt aufhängen, werden sie sich gegenseitig auf die Zehen treten, um uns die Stricke zu verkaufen.»" 
      Reformatio, Band 9, 1960, S. 269 (Link)
    1974
    • "Among the statements of the late Vladimir Lenin, founder of the modern Soviet state, are his words: "The capitalists are so greedy they will sell the rope for their own hanging." In the light of communist exploitation of American gullibility that is a statement of deep meaning and dire consequences."
      Life Line Freedom Talk, 1974  (Google) 
     1976
    • "daß — nach einem Wort Lenins — die Kapitalisten so habgierig und dumm sein können, daß sie ihrem Henker auch noch die Stricke verkaufen, an denen er sie früher oder später aufhängen wird."
      Criticón, Bände 33-38, 1976,  S. 14

     1981
    • "In einem der am häufigsten zitierten Lenin-Worte wird prophezeit, daß die kapitalistischen Länder eines Tages der Sowjetunion noch den Strick verkaufen würden, mit dem diese sie aufknüpft."
      Europäische Wehrkunde, Band 13, 1981 (Link)
    1982
    • "When things go very hard for us, we will give a rope to the bourgeoisie and the bourgeoisie will hang itself." When Radek asked, "Where are we going to get enough rope to hang the whole bourgeoisie?" Lenin replied, "They'll supply us with it."
      Cord Meyer: Facing Reality: From World Federalism to the CIA, 1982 (
      Alexander Solschenizyn soll das am 30. Juni 1975 zur Gewerkschaft AFL-CIO gesagt haben) S.  303  (Link)  
     1983
    • "SPIEGEL: Sie kennen sicher das Lenin-Zitat: 'Die Kapitalisten werden uns auch noch den Strick verkaufen, an dem wir sie aufhängen ...'
      KENDALL: ... der Spruch wird oft zitiert. Ich habe mich schon öfters bemüht, die Quelle dieses Zitats zu finden. Niemand konnte mir bisher die Quelle nennen."
      DER SPIEGEL 6/1983, 7. Februar 1983 (Link)
     1987
    • "Former Colgate Prof. Albert Parry writes in The St. Petersburg Times: 'You will not find the rope prophecy in any of the voluminous Lenin works published in the Soviet Union.' Right."
      William Safire: "Useful Idiots Of the West", NYT, 12. April 1987 (Link) 
    2008
    • "Ich kann diese Filme machen, weil ich das Glück habe, eine der wunderschönsten Schwächen des Kapitalismus auszunutzen: Ein Kapitalist wird Dir noch den Strick verkaufen, an dem Du ihn dann aufhängst, wenn der damit was verdient."
      Michael Moore, 14. September 2008, Telepolis (Link)
      2013
    • "Lenin said, 'The capitalists will sell us the rope with which to hang them'."
      Google
    • "Die Kapitalisten werden uns noch den Strick verkaufen, mit dem wir sie aufknüpfen."
    • "Ein Kapitalist wird Dir noch den Strick verkaufen, an dem Du ihn dann aufhängst." 
    • "Die Kapitalisten treten sich gegenseitig auf die Füße, um die Stricke zu verkaufen, an denen sie später einmal aufgehängt werden."
    • "The capitalists will sell us the rope with which to hang them."
    • "We will hang the capitalists with the rope that they sell us."


    _________
    Quellen:
    Marxist Internet Archive: (Link)
    Google books, Deutsch
    Google books, English
    William Safire: "Useful Idiots Of the West", New York Times, 12. April 1987 (Link)
    Paul F. Boller jr., John George: "They Never Said It: A Book of Fake Quotes, Misquotes, and Misleading Attributions", Oxford University Press, Oxford / New York: 1989, ebook (Link)
    AFL-CIO, Dept. of International Affairs, AFL-CIO Free Trade Union News,  Bände 13-15, 1958,  S. 36 (Link)
    Richard Etschmann: "Die Währungs- und Devisenpolitik des Ostblocks und ihre Auswirkungen ...", 1959, S. 209 (Link)
    Reformatio, Band 9, 1960, S. 269 (Link)
    Criticón, Bände 33-38, 1976,  S. 14
    Europäische Wehrkunde, Band 13, 1981 (Link)
    Cord Meyer: Facing Reality: From World Federalism to the CIA, 1982 (Alexander Solschenizyn soll das am 30. Juni 1975 zur Gewerkschaft AFL-CIO gesagt haben) S.  303  (Link) 
    DER SPIEGEL 6/1983, 7. Februar 1983 (Link)   
    Michael Moore, 14. September 2008, Telepolis (Link)
    Wikiquote
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    Dank:
    Ich danke Tobias Blanken, Joseph Wälzholz und Ralf Bülow sehr für ihre Recherchen.

    Letzte Änderung: 4. Juni 2018