Dienstag, 12. Dezember 2017

"Kaffee dehydriert den Körper nicht. Ich wäre sonst schon Staub." Pseudo-Franz-Kafka-Zitat

Pseudo-Franz-Kafka-Zitat. 
Dieses beliebte Pseudo-Franz-Kafka-Zitat ist erst im 21. Jahrhundert - also etwa 80 Jahre nach Kafkas Tod - entstanden.
Es ist ein Kuckuckszitat, weil es in keinem Werk Franz Kafkas, in keinem seriösen Nachschlagwerk und in keinem digitalisierten Text vor dem 21. Jahrhundert zu finden ist und immer ohne Quellenangabe zitiert wird.

Das Zitat tauchte ohne Zuschreibung an Franz Kafka im Mai 2008 in den Sozialen Medien erstmals auf und wurde auf Twitter und Facebook ein paar Mal wiederholt bis es im Juli 2009 erstmals Franz Kafka untergeschoben wurde.

Schon ein paar Jahre später war dieses falsche Kafka-Zitat auch bei Journalistinnen und Autoren in Zeitungen und Büchern beliebt, besonders aber bei Werbeagenturen von Firmen, die Kaffee verkaufen.


Chronologie der Vorgeschichte des Kuckuckszitats:


Eine unbekannte Person mit dem Twitter-Namen "deeli" könnte am 26. Mai 2008 das Zitat geprägt haben:

26. Mai 2008
  • das kaffee dehydriert ist nicht wahr. sonst wäre ich nur staub. (Twitter/deeli)
Mit leichten Veränderungen des Wortlauts wurde das Zitat auf Twitter und Facebook in den folgenden Monaten wiederholt:

18. März 2009
  • kaffee dehydriert nicht, ich wäre sonst schon staub. (Twitter)
6. März 2009
  • An dieser Stelle möchte ich mit einem bösen Vorurteil aufräumen: Kaffee dehydriert den Körper nicht. Ich wäre sonst schon Staub 🙂 
     anonyme kaffeeoholiker, Claudia Lux,  (facebook.com)

14. Mai 2009

Erste Zuschreibungen des Zitats an Franz Kafka:


11. Juli 2009

22. September 2009

Seit dem Jahr 2013 gibt es dieses Pseudo-Kafka-Zitat auch auf Englisch:
  • "Coffee does not dehydrate. Otherwise I'd be dust by now. Franz Kafka (1883 - 1924)"

Pseudo-Franz-Kafka-Zitat. 
"
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Quellen:
Google
Twitter

Beispiele für falsche Zuschreibungen:

2009: 11. Juli 2009, 12:50 nachm. @PalmaKunkel  Twitter (frühe Zuschreibung) 
Karen Nieber: "Schwarz und stark. Wie Kaffee die Gesundheit fördert." Hirzel, Stuttgart: 2013. Verlagsanzeige: (Link)
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Ich danke Nicole delle Karth für den Hinweis auf das Falschzitat sowie Roland Reuß für die Bestätigung, dass dieses Zitat in Franz Kafkas Schriften nicht zu finden ist.

Letzte Änderung: 1/10 2019; 20/3 2021, 29/4 2023

Sonntag, 10. Dezember 2017

"Und plötzlich weißt du: Es ist Zeit, etwas Neues zu beginnen und dem Zauber des Anfangs zu vertrauen." Meister Eckhart (angeblich)

Pseudo-Meister-Eckhart-Zitat.
Dieser Spruch wird auf hunderten Webseiten, seit ein paar Jahren auch auf Englisch, dem mittelalterlichen christlichen Denker Meister Eckhart unterschoben. Der Spruch ist aber weder in seinen Schriften noch in einem seriösen Nachschlagwerk oder in einem digitalisierten Text vor dem 21. Jahrhundert zu finden.  

"And suddenly you know: It's time to start something new and trust the magic of beginnings."  Pseudo-Meister-Eckhart
Pseudo-Meister-Eckhart-Zitat.
Bei Google Books taucht das Zitat 2004 das erste Mal (Link) auf.

Das Zitat ist also ein Falschzitat. Wer es geprägt hat und durch welchen Irrtum es Meister Eckhart zugeschrieben wurde, wissen wir nicht.

Es ist wahrscheinlich in Anspielung auf Hermann Hesses berühmte Verszeile, "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne",  aus dessen Gedicht "Stufen", das auch in seinem Roman "Das Glasperlenspiel" enthalten ist, entstanden (Link).
 
  • "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
    Der uns beschützt und der uns hilft zu leben."

    Herman Hesse, "Stufen", 1941

    (Link)

Pseudo-Meister-Eckhart-Zitat.

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Quellen:
 Google Statistik:  "Ungefähr 46 400 Ergebnisse" (Die Google-Zählung ist in letzter Zeit sehr ungenau.)
Dieses Zitat wird in vielen unseriösen Online-Zitatsammlungen und Managementratgebern fälschlich Meister Eckhart zugeschrieben (Google), zum Beispiel in, Aphorismen.de oder  Gutezitate.de.
Wikipedia: "Stufen" von Hermann Hesse.
(Link)
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Dank:
Ich danke Eduard Habsburg für den Hinweis auf dieses falsch zugeschriebene Zitat.

Freitag, 8. Dezember 2017

"Manche Menschen sehen die Dinge, wie sie sind, und fragen: 'Warum?' Ich wage von Dingen zu träumen, die es niemals gab, und frage: 'Warum nicht?'" Robert Browning (angeblich)

Book title.
Dieses Zitat wird seit ein paar Jahren irrtümlich Robert Browning zugeschrieben; es stammt von George Bernard Shaw und wurde durch Robert Kennedy in Amerika populär.

Der englische Dichter und Dramatiker Robert Browning hat mit diesem Zitat nichts zu tun, auch wenn es ihm wie durch ein Schneeballsystem immer öfter auf hunderten deutschsprachigen Webseiten, in unseriösen Zitatsammlungen und von Autoren wie Richard David Precht (Link) unterschoben wird.

Ein Beispiel:
  • "Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz hat seinen Vorstoß für die Umwandlung der Europäischen Union in die Vereinigten Staaten von Europa gegen Kritik aus der Union verteidigt. Beim SPD-Parteitag in Berlin antwortete er den Skeptikern mit einem Zitat des englischen Dichters Robert Browning. „Ich wage von Dingen zu träumen, die es niemals gab, und frage: Warum nicht?“ Schulz fügte hinzu: 'Lasst uns in diesem Sinne die Vereinigten Staaten von Europa schaffen.'"
          Der Tagesspiegel, 8. Dezember 2017  (Link)

 Robert Kennedy, 1968
  • "George Bernard Shaw schrieb einmal: 'Es gibt Menschen, die sehen die Dinge wie sie sind und sagen, warum? Ich träume Dinge, die nie waren und sage, warum nicht?'"
         Robert Kennedy, 18. März 1968
Das Robert-Kennedy-Shaw-Zitat ist in mehreren Versionen überliefert und wird heute oft auch ohne seine Zuschreibung an Shaw zitiert.
  • "Manche Menschen sehen die Dinge, wie sie sind, und fragen: »Warum?« Ich wage, von Dingen zu träumen, die es niemals gab, und frage: »Warum nicht?«"
         Robert Kennedy, 1968
    (2008) (Link)
Geprägt hat das Zitat ohne Zweifel George Bernard Shaw für das erste Drama seines fünfteiligen Werks "Back to Methuselah", das im Garten Eden im Jahr 4004 vor Chr. spielt. Die Schlange im Paradies sagt den fraglichen Satz zu Eva (Link).

John F. Kennedy und Robert F. Kennedy haben bei ihren Shaw-Zitaten diesen Kontext nie erwähnt und den Satz der Schlange etwas verändert.

 

1921, George Bernard Shaw


  • "THE SERPENT. If I can do that, what can I not do? I tell you I am very subtle. When you and Adam talk, I hear you say 'Why?' Always 'Why?' You see things; and you say 'Why?' But I dream things that never were; and I say 'Why not?' I made the word dead to describe my old skin that I cast when I am renewed. I call that renewal being born."
         George Bernard Shaw: Back to Methuselah. A Metabiological Pentateuch, 1921, Part I, Act I (Link)

1963, John F. Kennedy

  • "George Bernard Shaw, speaking as an Irishman, summed up an approach to life, 'Other people', he said 'see things and ... say: Why? ... But I dream things that never were—and I say: why not?' ... The problems of the world cannot possibly be solved by skeptics or cynics, whose horizons are limited by the obvious realities. We need men who can dream of things that never were, and ask why not.”
         John F. Kennedy, 28. Juni 1963, Address Before the Irish Parliament in Dublin (Link)

1968, Robert F. Kennedy

  • "George Bernard Shaw once wrote, 'Some people see things as they are and say why? I dream things that never were and say why not?'"
         Robert Kennedy, 18. März 1968, University of Kansas, Youtube 30:33

 

     
     

1968, Edward Kennedy

  •  "As he (Robert Kennedy)  said many times, in many parts of this nation, to those he touched and who sought to touch him: 'Some men see things as they are and say why? I dream things that never were and say why not?'"
         Edward Kennedy, 8. Juni 1868, Address at the Public Memorial Service for Robert F. Kennedy, New York (Link)

 2004, Barack Obama

  • "In the end, that is god's greatest gift to us, the bedrock of this nation; the belief in things not seen; the belief that there are better days ahead."
         Barack Obama,
    24. Juli 2004, Boston (Link)
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Quellen: 
George Bernard Shaw: Back to Methuselah. A Metabiological Pentateuch, 1921, Part I, Act I, Project Gutenberg (Link)
John F. Kennedy: Address Before the Irish Parliament in Dublin, 28. Juni1963 (Link)
Robert F. Kennedy: Rede, University of Kansas, 18. März 1968, Tonbandaunahme, Youtube, 30:33  (Link)
Edward Kennedy: Address at the Public Memorial Service for Robert F. Kennedy, New York, 8. Juni 1968 (Link)
Ralph Keyes: "The Quote Verifier: Who Said What, Where, and When." St. Martin's Griffin, New York: 2006, S. 248 (Link)
Werner Katzengruber: "Einfach erfolgreich", Gräfe und Unzer, München: 2008, S. 160 (Link)
Wolfgang Mieder: “Yes we can”: Barack Obama’s proverbial rhetoric. Peter Lang, New York: 2009, S. 112 (Link)
Wikiquote (Mit einer anderen Version von Robert Kennedys Zitat.)

Falsche Zuschreibungen:
2004 (Link); Deutsch seit 2009 (Link); (Link) Google 
Aphorismen.de
Zitate-online.de 
Richard David Precht: Vortrag zum Thema „Bildungsrevolution“, regionalWolfenbüttel.de, 29. September 2014 (Link) 
Iris Seidenstricker: Der kleine Taschencoach: Zufriedener arbeiten - glücklicher leben", dtv digital, München: 2016, ebook   (Link)
Martin Schulz, 8. Dezember 2017, Der Tagesspiegel, 8. Dezember 2017  (Link); zitiert in über 100 anderen Zeitungen: Google
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Dank:
Tobias Blanken hat mich auf dieses Zitat aufmerksam gemacht. Danke.



"Die Kapitalisten werden uns noch den Strick verkaufen, mit dem wir sie aufknüpfen." Lenin (angeblich)

Pseudo-Lenin quote.
Dieses Zitat entwickelte sich aus einer Lenin-Anekdote, die 1958, also mehr als dreißig Jahre nach seinem Tod, das erste Mal in den digitalisierten Texten auftaucht: "Genossen", soll Lenin gesagt haben, "sorgt euch nicht um die Kapitalisten. Wir müssen ihnen nur genug Stricke liefern und sie werden sich selber aufhängen" (Link).

Ein Jahr später hängen sich die Kapitalisten in der revidierten Lenin-Anekdote nicht mehr selber auf, sondern werden aufgehängt. Zwei Jahre später wird der Spruch Stalin unterschoben (Link). Dann bekommt der Spruch langsam die kurze aphoristische Form, die wir heute kennen, und 1982 wird die älteste Lenin-Anekdote Alexander Solschenyzin zugeschrieben, der sie 1975 in Amerika erzählt haben soll (Link).

In den gesammelten Schriften Lenins wurde das Zitat weder so noch so ähnlich je gefunden. Der Journalist William Safire erzählte 1987 in einem amüsanten Artikel von seiner vergeblichen Suche nach dem Ursprung des Zitats bei Kommunisten, Professoren und Bibliothekaren in Moskau und New York (Link).

Die Evolution dieses Zitats legt den Schluß nahe, dass es ein Kuckuckszitat ist. Vor 1950 ist es weder auf Deutsch, noch auf Englisch oder Russisch in einem digitalisierten Text als "Lenin"-Zitat zu finden. 

Tobias Blanken hat mich darauf hingewiesen, dass dieses Lenin-Zitat wahrscheinlich ein späte Erfindung ist, der Literaturwissenschaftler und Übersetzer Joseph Wälzholz hat auf Russisch den Urspung des Zitats recherchiert und ich bin ihm auf Deutsch und Englisch nachgegangen: Auch wir sind, wie die Autoren des Buches "They Never Said It: A Book of Fake Quotes, Misquotes, and Misleading Attributions" und die Rechercheurinnen von Wikiquote zu dem Schluß gekommen, dass dieses Lenin-Zitat eine Erfindung aus der Zeit des Kalten Kriegs ist. 

Ralf Bülow verdanken wir den Hinweis, dass ein ähnliches Sprichwort auf Englisch schon im 19. Jahrhundert verbreitet war.

 Evolution des Sprichworts

 1671

  1788
1817
1834
1882

1890
1893
  • "Let these newspaper fellows have all the rope they want; they will hang themselves without assistance."

 Evolution des Kuckuckszitats


Das Pseudo-Lenin-Zitat taucht das erste Mal 1958 auf Englisch auf, ein Jahr später auf Deutsch, wobei der Strick aus dem Sprichwort nicht mehr als Metapher für Freiheit, sondern nur noch wörtlich genommen wird.
  

1958
  • "Some 35 years ago, in the course of a report on Russia's economic future, Lenin is reported to have said: 'Comrades, we have nothing to worry about the capitalists. All we have to do is give them enough rope and they will hang themselves.' Thereupon, one of his comrades asked Lenin: 'But where will we get the rope to give to the capitalists ?' Lenin quickly replied: 'from the capitalists, of course'."
    AFL-CIO, Dept. of International Affairs, AFL-CIO Free Trade Union News,  Bände 13-15, 1958,  S. 36
    (Link)
 
1959
  • "Über letztere hat Lenin einmal gesagt: 'Die Kapitalisten treten sich gegenseitig auf die Füße, um die Stricke zu verkaufen, an denen sie später einmal aufgehängt werden'.
    "
    Richard Etschmann: "Die Währungs- und Devisenpolitik des Ostblocks und ihre Auswirkungen ...", 1959, S. 209 (Link)
1960
  • "Lenin sagte: «Wenn die kapitalistische Welt anfängt, mit uns Handel zu treiben - von dem Tag ab beginnt sie, ihre eigene Vernichtung zu finanzieren.» Noch anschaulicher formulierte Stalin: «Wenn es dann so weit ist, daß wir die Kapitalisten dieser Welt aufhängen, werden sie sich gegenseitig auf die Zehen treten, um uns die Stricke zu verkaufen.»" 
    Reformatio, Band 9, 1960, S. 269 (Link)
1974
  • "Among the statements of the late Vladimir Lenin, founder of the modern Soviet state, are his words: "The capitalists are so greedy they will sell the rope for their own hanging." In the light of communist exploitation of American gullibility that is a statement of deep meaning and dire consequences."
    Life Line Freedom Talk, 1974  (Google) 
 1976
  • "daß — nach einem Wort Lenins — die Kapitalisten so habgierig und dumm sein können, daß sie ihrem Henker auch noch die Stricke verkaufen, an denen er sie früher oder später aufhängen wird."
    Criticón, Bände 33-38, 1976,  S. 14

 1981
  • "In einem der am häufigsten zitierten Lenin-Worte wird prophezeit, daß die kapitalistischen Länder eines Tages der Sowjetunion noch den Strick verkaufen würden, mit dem diese sie aufknüpft."
    Europäische Wehrkunde, Band 13, 1981 (Link)
1982
  • "When things go very hard for us, we will give a rope to the bourgeoisie and the bourgeoisie will hang itself." When Radek asked, "Where are we going to get enough rope to hang the whole bourgeoisie?" Lenin replied, "They'll supply us with it."
    Cord Meyer: Facing Reality: From World Federalism to the CIA, 1982 (
    Alexander Solschenizyn soll das am 30. Juni 1975 zur Gewerkschaft AFL-CIO gesagt haben) S.  303  (Link)  
 1983
  • "SPIEGEL: Sie kennen sicher das Lenin-Zitat: 'Die Kapitalisten werden uns auch noch den Strick verkaufen, an dem wir sie aufhängen ...'
    KENDALL: ... der Spruch wird oft zitiert. Ich habe mich schon öfters bemüht, die Quelle dieses Zitats zu finden. Niemand konnte mir bisher die Quelle nennen."
    DER SPIEGEL 6/1983, 7. Februar 1983 (Link)
 1987
  • "Former Colgate Prof. Albert Parry writes in The St. Petersburg Times: 'You will not find the rope prophecy in any of the voluminous Lenin works published in the Soviet Union.' Right."
    William Safire: "Useful Idiots Of the West", NYT, 12. April 1987 (Link) 
2008
  • "Ich kann diese Filme machen, weil ich das Glück habe, eine der wunderschönsten Schwächen des Kapitalismus auszunutzen: Ein Kapitalist wird Dir noch den Strick verkaufen, an dem Du ihn dann aufhängst, wenn der damit was verdient."
    Michael Moore, 14. September 2008, Telepolis (Link)
  2013
  • "Lenin said, 'The capitalists will sell us the rope with which to hang them'."
    Google
  • "Die Kapitalisten werden uns noch den Strick verkaufen, mit dem wir sie aufknüpfen."
  • "Ein Kapitalist wird Dir noch den Strick verkaufen, an dem Du ihn dann aufhängst." 
  • "Die Kapitalisten treten sich gegenseitig auf die Füße, um die Stricke zu verkaufen, an denen sie später einmal aufgehängt werden."
  • "The capitalists will sell us the rope with which to hang them."
  • "We will hang the capitalists with the rope that they sell us."


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Quellen:
Marxist Internet Archive: (Link)
Google books, Deutsch
Google books, English
William Safire: "Useful Idiots Of the West", New York Times, 12. April 1987 (Link)
Paul F. Boller jr., John George: "They Never Said It: A Book of Fake Quotes, Misquotes, and Misleading Attributions", Oxford University Press, Oxford / New York: 1989, ebook (Link)
AFL-CIO, Dept. of International Affairs, AFL-CIO Free Trade Union News,  Bände 13-15, 1958,  S. 36 (Link)
Richard Etschmann: "Die Währungs- und Devisenpolitik des Ostblocks und ihre Auswirkungen ...", 1959, S. 209 (Link)
Reformatio, Band 9, 1960, S. 269 (Link)
Criticón, Bände 33-38, 1976,  S. 14
Europäische Wehrkunde, Band 13, 1981 (Link)
Cord Meyer: Facing Reality: From World Federalism to the CIA, 1982 (Alexander Solschenizyn soll das am 30. Juni 1975 zur Gewerkschaft AFL-CIO gesagt haben) S.  303  (Link) 
DER SPIEGEL 6/1983, 7. Februar 1983 (Link)   
Michael Moore, 14. September 2008, Telepolis (Link)
Wikiquote
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Dank:
Ich danke Tobias Blanken, Joseph Wälzholz und Ralf Bülow sehr für ihre Recherchen.

Letzte Änderung: 4. Juni 2018 

"Die Wahrheit ist der Todfeind der Lüge, und daher ist die Wahrheit der größte Feind des Staates." Joseph Goebbels (angeblich)

Pseudo-Goebbels quote.

Dieser in Amerika weit verbreitete Spruch eines unbekannten Autors wird Joseph Goebbels seit etwa zwanzig Jahren unterschoben und ist eine Übersetzung aus dem Englischen.

In den Schriften von Joseph Goebbels hat diesen Satz noch niemand gefunden.

Das vollständige Falschzitat:
  • "If you tell a lie big enough and keep repeating it, people will eventually come to believe it. The lie can be maintained only for such time as the State can shield the people from the political, economic and or military consequences of the lie. It thus becomes vitally important for the State to use all of its powers to repress dissent, for the truth is the mortal enemy of the lie, and thus by extension, the truth is the greatest enemy of the State."
    German Propaganda Archive

Pseudo-Goebbels quote.
  • "Von Joseph Goebbels, dem 'Propaganda-Minister' Hitlers, stammt die Aussage:
    'Wenn man eine große Lüge erzählt und sie oft genug wiederholt, dann werden die Leute sie am Ende glauben. Man kann die Lüge so lange behaupten, wie es dem Staat gelingt, die Menschen von den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Konsequenzen der Lüge abzuschirmen. Deshalb ist es von lebenswichtiger Bedeutung für den Staat, seine gesamte Macht für die Unterdrückung abweichender Meinungen einzusetzen. Die Wahrheit ist der Todfeind der Lüge, und daher ist die Wahrheit der größte Feind des Staates'."
    achgut.com




Seit 2008 dokumentiert Randall Bytwerk im German Propaganda Archive (Calvin College) und auf seinem Blog "Goebbels Didn't Say It" die Weiterverbreitung dieses Falschzitats (Link).

Mehr dazu in dem Artikel: "Eine Lüge muss nur oft genug wiederholt werden. Dann wird sie geglaubt." (Link)
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Quellen:
Das Falschzitat ist zum Beispiel hier zu finden: Wikimannia  
Randall L. Bytwerk: German Propaganda Archive, "False Nazi Quotations", 2008ff. (Link)
Randall L. Bytwerk, Quentin J. Schultze: "Goebbels Didn't Say It", Blog, 2012ff. (Link)

Mittwoch, 6. Dezember 2017

"Eine Lüge muss nur oft genug wiederholt werden. Dann wird sie geglaubt." Joseph Goebbels (angeblich)


Pseudo-Joseph-Goebbels-Zitat.
Der Spruch wird Goebbels seit sieben Jahrzehnten in verschiedenen Varianten unterschoben. Es ist ein peinlicher Widerspruch, wenn man mit erfundenen Goebbels-Zitaten gegen Lügen in der Politik argumentiert (Link), wie zum Beispiel Donald-Trump-Gegner, die mit demselben Fake-Zitat gegen Trump polemisieren wie Hillary-Clinton-Gegner gegen Clinton (Link). Man bekämpft Fake News mit Fake Zitaten und suggeriert, der politische Gegner arbeite mit Nazipropaganda-Methoden.

Dieses auf Englisch und Deutsch hunderttausendfach verbreitete Pseudo-Goebbels-Zitat hat noch niemand in einem Text von Joseph Goebbels gefunden und es widerspricht auch der Ideologie von Goebbels, der sich seinen Zuhörern und Lesern gerne als Kämpfer für die Wahrheit gegen die verlogene Presse und gegen die ausländische 'Lügenpropaganda' präsentierte.
NSDAP-Plakat, 1940. Quelle: GERMAN PROPAGANDA ARCHIVE.

In der Tat hat kaum ein Politiker so schamlos gelogen wie Joseph Goebbels, aber in seinen Reden und auch in seinem Tagebuch posierte er als Person, die der Wahrheit verpflichtet ist. Seine Propaganda nennt er nicht Lüge, sondern "Probleme auf die einfachste Formel bringen" und suggerierte: Lügen, das tun die anderen, zum Beispiel 'die Engländer', die anders als die treuherzigen Nazis angeblich aus Prinzip logen.

Propagandaminister und Spindoktoren, die zugäben, Lügen zu verbreiten, wären wohl kaum glaubwürdig und erfolgreich.

Erfundene Goebbels-Zitate, eine Auswahl:

  • "'Angeblich verfolgt Trump mit seinen Lügereien die Goebbels-Doktrin', sagte der iranische Politiker. Er bezog sich auf das Goebbels-Zitat 'Eine Lüge muss nur oft genug wiederholt werden. Dann wird sie geglaubt'."
    Die ZEIT, 24. September 2017 (Link)
  • "Als mephistophelischer Meister der perfiden Lügenmaschinerie ging der Propagandaminister des Dritten Reichs, Joseph Goebbels, in die Geschichte ein, der bereits 1933 sein Credo formulierte: „Wenn du einmal mit dem Lügen begonnen hast, darfst du nie wieder damit aufhören.“ Und: „Man muss Lügen nur oft genug wiederholen, dass sie geglaubt werden.“"
    profil, 26. März 2010 (Link)
  • "Goebbels sagte, wenn man eine Lüge häufig genug wiederholt, dann wird sie zur Wahrheit."
    Welt, 20. Juli 2008 (Link)
    "'Man muss eine Lüge nur sooft wiederholen, bis man selber daran glaubt'- Joseph Göbbels" (Blog) "Joseph Goebbels schrieb einmal in sein Tagebuch: 'Man muss eine Lüge nur oft wiederholen, bis man selber daran glaubt'."Heise.de/Forum 
  • "Wenn die Wahrheit erfolgreich vergewaltigt wird, sind bald auch die Menschen, ihr Leben, ihre Würde an der Reihe. Deshalb darf man zu Sarrazin nicht schweigen. Die Maxime des PR-Experten Joseph Goebbels, man müsse die Lügen nur häufig genug wiederholen, bis die Masse sie glaube – unser Bundesbanker handelt gerne danach und hat dies in einer schwachen Minute der Süddeutschen sogar zu Protokoll gegeben  ..."
    Neue Rheinische Zeitung, 18. Mai 2011 (Link)
  • "If you tell a lie big enough and keep repeating it, people will eventually come to believe it. The lie can be maintained only for such time as the State can shield the people from the political, economic and or military consequences of the lie. It thus becomes vitally important for the State to use all of its powers to repress dissent, for the truth is the mortal enemy of the lie, and thus by extension, the truth is the greatest enemy of the State."
    German Propaganda Archive
  • "Von Joseph Goebbels, dem 'Propaganda-Minister' Hitlers, stammt die Aussage:
    'Wenn man eine große Lüge erzählt und sie oft genug wiederholt, dann werden die Leute sie am Ende glauben. Man kann die Lüge so lange behaupten, wie es dem Staat gelingt, die Menschen von den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Konsequenzen der Lüge abzuschirmen. Deshalb ist es von lebenswichtiger Bedeutung für den Staat, seine gesamte Macht für die Unterdrückung abweichender Meinungen einzusetzen. Die Wahrheit ist der Todfeind der Lüge, und daher ist die Wahrheit der größte Feind des Staates'."
    achgut.com
Das letzte Zitat wurde vor etwa 20 Jahren von einer unbekannten Person geprägt und ist eine Übersetzung aus dem Englischen.

Das Thema der "großen Lüge" in der Propaganda geht auf folgende Stelle in Hitlers "Mein Kampf" zurück:
  • "Man ging dabei von dem sehr richtigen Grundsatze aus, daß in der Größe der Lüge immer ein gewisser Faktor des Geglaubtwerdens liegt, da die große Masse des Volkes bei der primitivsten Einfalt ihres Gemütes einer großen Lüge leichter zum Opfer fällt als einer kleinen".
    A.H.: Mein Kampf, S. 252 
Diese Satz wird auch oft falsch zitiert: Hitler unterstellt hier die "Große Lüge" Juden und Marxisten, aber er bekennt sich nicht selbst offen zur "Großen Lüge" als Nazi-Propagandataktik.

Dass Wiederholung in der Propaganda wichtig ist, war schon in den 1920er Jahren ein Gemeinplatz und steht auch in "Mein Kampf":
  • "Aber alle Genialität der Aufmachung der Propaganda wird zu keinem Erfolg führen, wenn nicht ein fundamentaler Grundsatz immer gleich scharf berücksichtigt wird. Sie hat sich auf wenig zu beschränken und dieses ewig zu wiederholen."
    A.H.: Mein Kampf, S. 202
Dazu Goebbels, 1942:
  • "Ich kann wieder sehr viel lernen; vor allem, daß das Volk meistens viel primitiver ist, als wir uns  das vorstellen. Das Wesen der Propaganda ist deshalb die Einfachheit und die Wiederholung. Nur wer die Probleme auf die einfachste Formel bringen kann, und den Mut hat, sie auch gegen die Einsprüche der Intellektuellen ewig in dieser vereinfachten Form zu wiederholen, der wird auf die Dauer zu grundlegenden Erfolgen in der Beeinflussung der öffentlichen Meinung kommen. Wer einen anderen Weg einschlägt, mag den oder jenen labilen Intellektuellenkreis beeinflussen, das Volk ist er nicht einmal an der Oberfläche zu ritzen in der Lage."Joseph Goebbels, Tagebuch, 29. Januar 1942
Goebbels, 1941:
  • "Die Engländer gehen nach dem Prinzip vor, wenn du lügst, dann lüge gründlich, und vor allem bleibe bei dem, was du gelogen hast! Sie bleiben also bei ihren Schwindeleien, selbst auf die Gefahr hin, sich damit lächerlich zu machen."
    Joseph Goebbels, 1941, "Die Zeit ohne Beispiel" (Link)
  • "Die Engländer haben eine Art, die Wahrheit zu verschleiern und mit moralischen Phrasen allen bekannte und manchmal auch sehr zweifelhafte Zustände zu überdecken, die geradezu Bewunderung erregen muß."
    Joseph Goebbels, 1941, "Die Zeit ohne Beispiel" (Link)

Seit 2008 dokumentiert Randall Bytwerk im German Propaganda Archive (Calvin College) und auf seinem Blog "Goebbels Didn't Say It" die anscheinend unaufhaltsame Weiterverbreitung dieser Falschzitate im Internet, in diversen Büchern und durch Zeitungen (Link).

Man kann nie beweisen, dass ein Falschzitat niemals in einem Text des fraglichen Autors gefunden werden wird. Aber wenn ein Spruch immer nur ohne genaue Quellenangabe zitiert wird und kompetente Forscher jahrelang vergeblich nach einer seriösen Quelle gesucht haben, dann muss man davon ausgehen, dass das Zitat ein Falschzitat ist.



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Quellen:
Frühe Zuschreibung:
Publications Relating to Various Aspects of Communism  by United States Congress, House Committee on Un-American Activities, 1946, Issues 1-15, p. 19,   (Link) (Zitiert nach Wikiquote)
Wikiquote
Wikipedia: "Big Lie"
Randall L. Bytwerk: German Propaganda Archive,  "False Nazi Quotations", 2008ff. (Link)
Randall L. Bytwerk, Quentin J. Schultze: "Goebbels Didn't Say It", Blog, 2012ff. (Link)
Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente, hrsg. von Elke Fröhlich im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Russlands. Teil II, Diktate 1941-1945 (Bd. III: Januar-März 1942). New Providence, London und Paris: 1994, 29. Januar 1942, S. 213 (Zititert nach?: mhm)
Joseph Goebbels: "Die Zeit ohne Beispiel. Reden und Aufsätze aus den Jahre 1939/40/41", Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf., München: 1941, 12. Januar 1941, S. 364; S. 86 (Link)
Adolf Hitler: Mein Kampf, Verlag Franz Eher Nachf., München: 1943, S. 252; S. 202
"Plausible quotations and reverse credibility in online vernacular communities.." The Free Library. 2012, Institute of General Semantics (retrieved 6 Dec. 2017) (Link)
Peter Longerich: "Joseph Goebbels. Biographie." Siedler Verlag, München: 2010
Randall L. Bytwerk: "Bending Spines: The Propagandas of Nazi Germany and the German Democratic Republic." Michigan State University Press: 2004

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Dank:
Ich danke Randall Bytwerk für die Erlaubnis, das Goebbels-NSDAP-Plakat von 1940 hier wiedergeben zu dürfen und Tobias Blanken für einen Hinweis.


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Artikel in Arbeit.

1939
  • "I want to stress first two principles of the new art of Hitler and Goebbels which is still underestimated. The basic principle is that the illusion of truth can be created by an intensive repetition of a lie. If one repeats often enough, for example, and in a thousand variations which seem not to come from the same source that the German air fleet is invincible, then people will become afraid, will not dare to fight it, and in this way make it appear so powerful that it becomes the victor..."
    Report, 1939, S. 18 (Link)
1940
  • ".. Goebbels, covers the whole world with nets and traps and infection points. Nazi propaganda ranges from the most subtle forms of intellectual argument justifying manifold heresies and evil principles down to the crudest examples of the application of Hitler's brazen maxim that one of the best ways to spread a lie is to lie boldly — lie outrageously — lie most loudly — lie with a loud-speaker — lie incessantly, so that simple souls, child-like souls, the souls of great masses of people, will believe the lie because of their sheer inability to comprehend that there can be human beings really capable of inventing such cosmic whoppers. "Lie boldly" is a nazi application, and perversion, of Luther's paradoxical "Sin boldly."
    The Commonweal, Volume XXXIII, 5 November 1940, S. 101
1943
  • "'Propaganda,' Dr. Goebbels once wrote, 'should not be in the least respectable; nor should it be mild or humble. It should be successful.' In the event Goebbels accepted Hitler's famous dictum that the bigger the lie, the better: and that if you repeat a whopper often enough, the people will eventually come to believe it."
    David Walker: Civilian attack, 1943 S. 87 (Link)