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Samstag, 2. Dezember 2017

"Der Antisemitismus ist der Sozialismus des dummen Kerls." August Bebel (angeblich)

Pseudo-August-Bebel-Zitat.
Dieses Zitat wird seit etwa siebzig Jahren irrtümlich dem deutschen Sozialdemokraten August Bebel zugeschrieben. 

Als August Bebel 1894 in einem Gespräch mit Hermann Bahr den Spruch Ferdinand Kronawetters zitiert, distanziert er sich gleichzeitig davon.


August Bebel, 1894:

  • "Bei Ihnen hat man einmal gesagt — ich glaube, es war Kronawetter —: 'Der Antisemitismus ist der Sozialismus des dummen Kerls.'  

    Das ist ein hübscher Einfall, aber er trifft doch die Sache nicht. Die eigentlichen Träger des Antisemitismus, das kleine Gewerbe und der kleine Grundbesitz, haben von ihrem Standpunkte aus nicht so Unrecht. ..."
  • In: Hermann Bahr: "Der Antisemitismus. Ein internationales Interview", 1894  (Archive.org)

Ferdinand Kronawetter, 1889: 

  • "Als Verräther, als Juden und Judenknecht werden wir Demokraten bezeichnet. Das sind wir nicht, aber wir sind auch keine Stiefelputzer der Liechtenstein, wir sind keine Pfaffenknechte, keine Heuchler, welche als Demokraten den telegraphischen Segen des Papstes kniend und augendrehend in Empfang nehmen. (Stürmischer Beifall) Der Antisemitismus ist nichts als der Socialismus des dummen Kerls von Wien (schallende Heiterkeit), denn welcher vernünftige Mensch kann glauben, daß die Zukunft besser wird, wenn man das Volk in das finstere Mittelalter zurückführt?"
  • Ferdinand Kronawetter, bei der Generalversammlung des Margaretner Wählervereins, in den "Drei Engel"-Sälen, am 23. April 1889, Neue Freie Presse (Link)
 Der Wiener Reichsratsabgeordnete Ferdinand Kronawetter, der sich von Karl Lueger trennte, als der sich antisemitischen Strömungen anbiederte, hat am 23. April 1889 dieses Zitat geprägt. 

Kronawetter  war eine Hassfigur der Wiener Antisemiten, aber ein hochgeschätzter politischer Partner der Sozialdemokraten. Die Stadt Wien verdankt ihm gute Initiativen; er stritt mit liberalen Grundsätzen gegen die Liberalen und gegen die Christlich-Sozialen.

Ferdinand Kronawetter ist heute vergessen, aber sein Aphorismus lebt auf der ganzen Welt weiter, allerdings wird er oft August Bebel, in Italien Lenin, in Spanien Karl Marx und hie und da auch den österreichischen Sozialdemokraten Victor Adler oder Engelbert Pernerstorfer unterschoben.

Varianten:


1890:  "wie Abgeordneter Kronawetter einst richtig bemerkte: der Antisemitismus ist
            der Socialismus des 'dummen Kerls von Wien'."
1893:   "'Der Antisemitismus', sagte Dr. Kronawetter in Bezug auf die Wiener Bewegung
             derb, 'ist der Socialismus der dummen Kerls.'" 
1893:   "Ausspruch Kronawetter's, daß der Antisemitsmus der Socialismus der dummen Kerle ist".    
1894:   "Wobei das bekannte Wort des österreichschen Reichsrathsabgeordneten Dr. Kronawetter
             citiert wurde: Der Antisemitismus ist der Socialismus des dummen Kerls.'"

             citiert wurde: Der Antisemitismus ist der Socialismus des dummen Kerls.'"
1895:   Als die antisemitische Partei in Wien auftauchte, das sagte Kronawetter in seiner
            drastischen Weise: 'Der Antisemitismus ist der Socialismus des dummen Kerls von Wien.'"

            drastischen Weise: 'Der Antisemitismus ist der Socialismus des dummen Kerls von Wien.'"
1897:  "Der Antisemitismus ist die Politik des dummen Kerls von Wien!" 
1919: "Viktor Adler war es wohl, der einmal sagte, daß der Wiener Antisemitismus der
            Sozialismus der dummen Wiener Jugend ist."
  • "Der Antisemitismus ist der Sozialismus des dummen Kerls von Wien."
  • "Der Antisemitismus ist der Sozialismus der dummen Kerle."
  • "Der Antisemitismus ist der Sozialismus der dummen  Mannes."
  • "Der Antisemitismus ist der  Sozialismus der Dummen." 
  • "Anti-Semitism is the socialism of fools."
  • "Anti-Semitism is the socialism of imbeciles."
  • "L'antisémitisme est le socialisme des imbéciles."
  • "L’antisemitismo è il socialismo degli imbecilli." 
  • "El antisemitismo es el socialismo de los tontos." 
 
Pseudo-Pernerstorfer-Zitat.
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Anmerkung:
 "Der dumme Kerl von Wien" war seit den 1860er Jahren ein Typus und eine satirische Figur in humoristischen Zeitschriften (Google Books); auch in der antisemitischen Satire-Zeitschrift "Kikeriki", die die schweinische Ironie des "Stürmers" vorwegnahm.
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— Leigh Hunt (@jhleighhunt) 1. Mai 2017

 


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Quellen:
Hermann Bahr: Der Antisemitismus. Ein internationales Interview. S. Fischer Verlag, Berlin: 1894, S. 21 (Link) 
1889: Neue Freie Presse, 24. April 1889, Abendblatt, S. 2
1890: Bukowiner Rundschau, 16. Januar 1890, S. 3
1893: Tages-Post, 26. Oktober 1893, S. 2
1893: Neue Freie Presse, 26. Juni 1893, S. 5
1894: Freies Blatt, 10. Juni 1894, S. 6
1895: Tages-Post, 5. Februar 1895, S. 1
1897: Badener Zeitung, 27. Oktober 1897, S. 3
1919: Jüdische Korrespondenz, 21. November 1919, S. 3
Wikiquote 
Google Books 
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Dank:
Ich danke Justus Radmacher für seine Recherchen.




Montag, 5. Juni 2017

"Die Wahrheit enthält immer auch Lüge." Johann Wolfgang von Goethe (angeblich)

Pseudo-Goethe quote.

Diese Weisheit ist nach Wikiquote und anderen Webseiten in einem Brief Johann Wolfgang von Goethes an Charlotte von Stein zu finden. Das Datum des Briefes wird nirgends erwähnt. Nun: Ich habe die Korrespondenz Goethes mit Frau von Stein in mehreren Online-Ausgaben durchsucht und in Richard Dobels Lexikon der Goethe-Zitate nachgeschlagen. Bei Literaturwissenschaftlern kommt das Zitat ebensowenig vor wie im Briefwechsel mit Charlotte Stein. Vor dem 21. Jahrhundert ist dieser Satz nirgends zu finden.

Dieses Zitat wurde also Goethe irgendwann im 21. Jahrhundert von einer unbekannten Person unterschoben und gilt seither zu Unrecht als "Goethe"-Zitat.

Wer glaubt, Wahrheit enthalte immer eine Lüge, was, nebenbei gesagt, nicht stimmt, kann sich also nicht auf Goethe berufen. Außerdem rate ich, Autorinnen und Autoren nur nach seriösen Lexika und sorgfältig hergestellten Editionen zu zitieren und nicht nach Zitat-Sammlungen wie Gutezitate.com.
Pseudo-Goethe quote.

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Quellen:
 Lexikon der Goethe-Zitate. Hrsg. von Richard Dobel, Artemis Verlag, Weltbild Verlag, Augsburg: 1991
Falsche Zuschreibungen zum Beispiel in:
Gutezitate.com (Das ist eine große Zitate-Sammlung mit hunderten falsch zugeschriebenen Zitaten und Memes.)
Wikiquote
 "Der Standard", 3./4./5. Juni 2017, S. 31

Dienstag, 2. Mai 2017

"Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht." Bertolt Brecht (angeblich)


Pseudo-Bertolt-Brecht-Zitat.
Dieser Slogan ist um 1974 von Atomkraftgegnern geprägt worden. Er fand in den Versionen: "Wo RECHT zu Unrecht, wird Widerstand zur Pflicht" sowie: "Wo UNRECHT zu Recht, wird Widerstand zur Pflicht", bald große Verbreitung.

Erst im 21. Jahrhundert wird der Slogan diversen berühmten Autoren, die alle mit diesem Zitat nichts zu tun hatten, unterschoben.

Varianten des Kuckuckszitats:

  • "Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht."  Bertolt Brecht 
  • "Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht."  Bertolt Brecht
  • "Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht." Johann Wolfgang von Goethe
  • "Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht."  Wladimir Iljitsch Lenin
  • "Wenn Recht Unrecht wird, wird Widerstand Pflicht."  Günther Nenning
  • "Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht, Gehorsam aber Verbrechen!"  Papst Leo XIII., 1891

Pseudo-Goethe-Zitat
Die ursprüngliche Autorin des Spruchs ist noch unbekannt; es könnte die damalige Führungsfigur der Grünen, Petra Kelly, gewesen sein.

Sie bezieht sich in einer Bundestagssrede einmal auf ein katholische  Widerstandspflicht, die Papst Leo XIII. in der Enzyklika "Sapientiae christianae", gefordert hat.


Petra Kelly (GRÜNE), 1983

  • "Wir berufen uns auch auf die Worte Papst Leo XIII. - ich zitiere -: 'Wenn aber die Staatsgesetze sich offen gegen das göttliche Recht auflehnen ... dann ist Widerstand Pflicht, Gehorsam aber Verbrechen.' ...."

    Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht,10. Wahlperiode, 13. Sitzung, 15. Juni 1983, S. 768 (archive.org)


Deutscher Bundestag, 15. Juni 1983, S.768 (archive.org)

Papst Leo XIII.: "Enzyklika Sapientiae christianae", 10. Januar 1890:


  • "10 Wenn aber die Gesetze des Staates mit dem göttlichen Recht in offenbarem Widerspruch stehen, wenn sie der Kirche Unrecht zufügen oder den religiösen Verpflichtungen widerstreiten oder die Autorität Jesu Christi in seinem Hohenpriester verletzen, dann ist Widerstand Pflicht und Gehorsam Frevel, und das selbst im Interesse des Staates, zu dessen Nachteil alles ausschlägt, was der Religion Abbruch tut. -

    Hieraus ergibt sich aber auch, mit welchem Unrecht diese Anschauung der Auflehnung beschuldigt wird, da man doch keiner staatlichen Obrigkeit und keinem Gesetzgeber den schuldigen Gehorsam verweigert, sondern nur jene Vorschriften unbeachtet lässt, zu deren Erlass es keine Gewalt gibt; denn da sie unter Verletzung des göttlichen Rechts erteilt wurden, sind sie ungerecht und eher alles andere als Gesetze."

    Papst Leo XIII.: "Enzyklika Sapientiae christianae", 10. Januar 1890 (Link)

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Schmariator
: Richtig heißt es "Wo Unbrecht zu Brecht wird, wird Zitatforschung zur Pflicht" (
) (Twitter)

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(Dieser Artikel ist noch in Bearbeitung.)
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Quellen:
Papst Leo XIII.: "Enzyklika Sapientiae christianae", 10. Januar 1890 (Link); bibliographische Angaben dazu: kathpedia.com
Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht,10. Wahlperiode, 13. Sitzung, 15. Juni 1983, S. 768 (archive.org) 
Worte gegen den Wind ... "Die Seite mit kritischer Lyrik und Satire"
Petra Kelly
Constantin von Dietze: "Volkswirtschaftspolitik", 1936 
Franz Klüber: "Katholische Gesellschaftslehre", 1968 
Der Sprachdienst, 1985: Vermutung, der Slogan sei 1974 bei Demonstrationen Gegen das AKW Whyl entstanden 
Wikiquote: "Dieser Satz wird seit Jahrzehnten Bertolt Brecht zugeschrieben - ist vielleicht sogar sein bekanntestes "Zitat"" - (Seit Jahrzehnten? Wirklich?)


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Ich danke Markus Pirchner für den Hinweis auf diese Pseudo-Brecht-Zitate und Ralf Bülow für seine Recherchen.

Letzte Änderung: 22/6 2020