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Freitag, 8. September 2017

"Ich traue keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe." Winston Churchill (angeblich)

Pseudo-Winston-Churchill-Zitat.


Dieses Zitat stammt weder von Winston Churchill noch von Joseph Goebbels: Es taucht in den digitalisierten Texten 1946 erstmals ohne Namen auf und in der ersten Person Singular erstmals 1967 als Bonmot von Bischof Otto Dibelius (Link).

 
Erst ab dem Jahr 1980 wurde der Spruch Winston Churchill unterschoben und das Anekdotenbuch von Bischof Dibelius scheint vergessen worden zu sein.

Durch Recherchen von Werner Barke vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg weiß man seit 2004, dass der Spruch in keiner Schrift Winston Churchills zu finden ist, allerdings wurde damals die Legende in die Welt gesetzt, Joseph Goebbels oder einer seiner Mitarbeiter habe wahrscheinlich den Spruch Winston Churchill unterschoben. 

Diese Legende wird heute von vielen statistischen Fachbüchern und Webseiten verbreitet (Link)

Da aber bis heute aus den Jahren 1933 - 1979 kein einziger Beleg für diese These gefunden wurde, kann man davon ausgehen, dass das Zitat nicht im Propagandministerium von Joseph Goebbels für Winston Churchill geprägt wurde.

Englische und französische Versionen des angeblichen Churchill-Zitats sind nur in Texten aus dem 21. Jahrhundert zu finden.

 

1946: 

  • "Was nutzt es also, wenn gewisse deutsche Regionen versuchen, die Welt zu überzeugen, sie seien an dem nazistischen Unheil „weniger“ schuld als ihre Brüder jenseits des Flusses? So viel haben sie schon gelernt, daß sie nur den Statistiken glauben, die sie selbst gefälscht haben."

    Hanns-Erich Haack: "Ameisenstaat oder Sintflut." Deutsche Rundschau, 1946, S. 139
    (Link) 

 

Bischof Otto Dibelius:

1967
  • "Im übrigen glaube ich nur an die Statistik, die ich selbst gefälscht habe."

    [Es ist nicht überliefert, in welchem Jahr der 1967 verstorbene Bischof diesen Satz geprägt hat.]

    In: "Anekdoten um Bischof Dibelius: Geist und Witz eines grossen Kirchenmannes", Bechtle Verlag, München und Esslingen: 1967, S. 79 (Link)

Ohne Zuschreibung an Dibelius oder Churchill:

 1978

  • "Sie wissen, dass man einer Statistik nur dann Glauben schenken darf, wenn man sie selber gefälscht hat."

    G. Stadler, Basel: "Genetik und Gesellschaft." Bull. Schweiz. Akad. Med. Wiss. 34, 1978, S. 309 (pdf)

 1979
  • "alten Spruch, der Ihnen sicher auch bekannt ist, man solle nur der Statistik glauben, die man selbst gefälscht hat." (Link)
 
  
Die früheste Zuschreibung des Bonmots an Winston Churchill taucht in den digitalisierten Texten am 2. Oktober 1980 auf: in einer Rede des Abgeordneten Kurt Bürer im Schweizer Nationalrat (Link).

 

Früheste Zuschreibungen an Winston Churchill:

 

1980

  • "Diese Statistik ist sicher seriös geführt. Ich zweifle nicht daran, aber bei solchen Statistiken wäre man versucht, mit Churchill zu sagen: 'Ich traue nur jenen Statistiken, die ich selbst gefälscht habe.' "

    Kurt Bürer (CVP), am 2. Oktober 1980, Schweizer Nationalrat, in: Amtliches Bulletin der Bundesversammlung. Bulletin officiel de l'Assemblée fédérale, 1980, S. 1116 (Link); 
    (pdf)

 1981

  • "Wie hatte schon Winston Churchill gesagt? 'Ich glaube nur den Statistiken, die ich selbst gefälscht habe.'"
    Peter Koch: Wahnsinn Rüstung. stern-Buch im Verlag Gruner + Jahr,  Hamburg: 1981, S. 92 (Link)

  • "Wie es um den Informationsgehalt von Statistiken steht, ist jedem bekannt. Churchill sagte einmal: 'Trau keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.' "

    Marianne Kohnen: Zusammenhang von Lohn und Produktivität. Deutsche Bauzeitung 1981, S. 110.

  • "Churchills kluges Bonmot über die Statistik – nur solchen Statistiken könne man glauben , die man selber gefälscht habe – kann auf alle menschlichen Erkenntnisse angewandt werden."

    Alberto Manguel, Gianni Guadalupi: Von Atlantis bis Utopia. Ein Führer zu den imaginären Schauplätzen der Weltliteratur. Christian Verlag, München: 1981, S. 5.


1982

  • "Man kann einer Statistik nur dann trauen, wenn man sie selbst gefälscht hat."

    In: Tim Wesski: "Waffen in germanischen Gräbern der älteren römischen Kaiserzeit südlich der Ostsee." B.A.R. Internat. Ser. 147, Oxford: 1982 (Link) 

1989
  • "Von Winston Churchill ist ja bekannt, daß er gesagt hat, er glaube nur der Statistik, die er selbst gefälscht habe."
Pseudo-Winston-Churchill-Zitat.



 

Einige Varianten des Pseudo-Winston-Churchill-Zitats: 

 

  • "Ich traue keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe."
  • "Man kann einer Statistik nur dann trauen, wenn man sie selbst gefälscht hat."
  • "Man verwende keine Statistiken, es sei denn, man hat sie selbst gefälscht."
  • "Ich glaube nur Statistiken, die ich selbst gefälscht habe."
  • "I only believe in statistics that I doctored myself."
  • "The only statistics you can trust are those you falsified yourself." 
  • "The only statistics I trust are those I made up myself."
  • "Do not trust any statistics you did not fake yourself." 
  • "Je ne crois aux statistiques que lorsque je les ai moi-même falsifiées."
 
Pseudo-Churchill quote.

Pseudo-Winston-Churchill-Zitat.







 

________ 
Quellen:
Werner Barke: "Ich glaube nur der Statistik ... Was Winston Churchill über Zahlen und Statistik gesagt haben soll – und was er wirklich sagte." Hrsg.: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Stuttgart: (2004) 2011, 6. Auflage (pdf)
"Die Zeit", Nr. 34/2004: "Von Chruchill?" (Link)
Wolf-Dieter Zimmermann: "Anekdoten um Bischof Dibelius. Geist und Witz eines großen Kirchenmannes", Bechtle Verlag, München und Esslingen: 1967, S. 79 (Link)
G. Stadler, Basel: "Genetik und Gesellschaft." Bull. Schweiz. Akad. Med. Wiss. 34, 1978, S. 309 (pdf)
Tim Wesski: "Waffen in germanischen Gräbern der älteren römischen Kaiserzeit südlich der Ostsee." B.A.R. Internat. Ser. 147, Oxford: 1982 (Link) 
Hanns-Erich Haack: "Ameisenstaat oder Sintflut." Deutsche Rundschau, 1946, S. 139 (Link) (Zitiert nach Wikipedia)

Schweizer Nationalrat: Amtliches Bulletin der Bundesversammlung. Bulletin officiel de l'Assemblée fédérale, 1980, S. 1116 (Link);  (pdf) 

Peter Koch: Wahnsinn Rüstung. stern-Buch im Verlag Gruner + Jahr Hamburg 1981. (Link) 
Wikiquote
Wikipedia

dicocitations.lemonde.fr - 40610


Beispiele für falsche Zuschreibungen:
sezession.de

amp.programme-television.org/news-tv 

 _______
Dank:
Ich danke Ralf Bülow für seine Recherchen zu diesem Zitat und Christian Seidl für seinen Hinweis auf den Schweizer Abgeordneten Karl Bürer.

 

Korrigierte Fassung, 11/9/2017; weitere Zitat-Funde vor 1946 und vor 1967 würden mich freuen. Letzte Änderungen: 4/9 2020.



    Sonntag, 10. September 2017

    "Es gibt drei Arten von Lügen: Lügen, verdammte Lügen und Statistiken." Benjamin Disraeli (angeblich)

    Wir wissen nicht, wer diesen Spruch, den heutzutage fast jeder kennt, geprägt hat (eventuell Sir Charles Wentworth Dilke), wir wissen allerdings, dass er dem britischen Premierminister Benjamin Disraeli nur unterschoben wurde, auch von Mark Twain, dem heute der Spruch selbst oft fälschlich zugeschrieben wird. Mark Twain zitiert ihn in seiner Autobiographie, er hat ihn aber nicht geprägt.


    Pseudo-Mark-Twain-Zitat.

    Im Department of Mathematics der University of York (Link) ist man der Sache am gründlichsten nachgegangen und die meisten der folgenden Zitate sind mit Links und Quellennachweisen in ihrer  Studie "Lies, Damned Lies and Statistics" verzeichnet.

    Es ist sicher etwas übertrieben, die Evolution dieses Statistik-Spruchs bei Thomas von Aquin und Augustinus, die drei Arten von Lügen unterschieden (sunt tria genera mendaciorum), beginnen zu lassen:


    1266
    • "Auf der anderen Seite sagt Augustin (l. c. 14.): „Drei Arten Lügen giebt es: Die einen geschehen für den Vorteil und den Nutzen des betreffenden; die anderen geschehen aus Scherz; die dritte Art Lügen vollzieht sich aus Bosheit, um zu schaden."
      "Sed contra est quod super illud Psalm., perdes omnes qui loquuntur mendacium, dicit Glossa quod sunt tria genera mendaciorum. Quaedam enim sunt pro salute et commodo alicuius; est etiam aliud genus mendacii, quod fit ioco; tertium vero mendacii genus est quod fit ex malignitate. Primum autem horum dicitur officiosum; secundum, iocosum; tertium, perniciosum. Ergo mendacium in tria praedicta dividitur."
      Thomas von Aquin: Summa theologica, Quaestio 110, Articulus 2, 1265-1273 (Link)

    1845
    • "Der heilige Thomas von Aquin unterscheidet drei Arten von Lügen: die Dienstlüge, die Scherzlüge und die schädliche Lüge." (Link)
    1859
    • "Es giebt drei Arten von Lügen: Lügen durch Reden; Lügen durch Verschweigen; und Lügen durch Verstellung; indem Jedes uns etwas zu glauben bestimmt, was wir nicht sollen." (Link)
    1885
    • "Talked politics, scandal, and the three classes of witnesses—liars, d—d liars, and experts."
    • "Bag is bad, but fibs are worse; and a mixture of brags and fibs is worst of all; and this is what we find in the Liberationist statistics". 
    1886
    • "Whereupon counsel on the other side was heard to explain to his client that there were three sorts of liars, the common or garden liar ... the damnable liar who is fortunately rather a rara avis in decent society, and lastly the expert, ...".
    1891
    • "false statements might be arranged according to their degree under three heads, fibs, lies, and statistics".
      Sir Charles Wentworth Dilke 
    • "It has been wittily remarked that there are three kinds of falsehood: the first is a ‘fib,’ the second is a downright lie, and the third and most aggravated is statistics."
    1892
    •  "... Balfour, der Erste Lord des Schatzamtes, erklärte neulich in einer Rede zu Manchester, es gebe drei Arten von Lügen, nämlich erstens einfache Lügen, zweitens verfluchte Lügen und drittens — die Statistik."
      Neue Freie Presse (Link)
    • "The statements were to the effect that there are three classes of unreliable witnesses, and they were respectively classified as the liar, the blanked liar and the medical expert. " 
    •  "the liar simple, the d–d liar and the expert witness."
    • "As to the three orders of untruth, a fib, a lie, and statistics".
    • "There are lies, there are outrageous lies, and there are statistics."
    1895
    • "Columns of figures are hurled about in the papers, and demonstrate the justice of the witty claim that there are three kinds of untruth : fibs, lies, and statistics."
    • "We all know, again, the famous degrees of comparison recently quoted by an eminent statesman: lies, d—d lies, and statistics."
    • "I think Lord Beaconsfield said that there were three degrees of veracity—viz., lies, d—d lies, and statistics."
    • "the proverbial kinds of falsehoods, 'lies, damned lies and statistics'".
    1896
    • "a recent president of Harvard" was saying that "There are three kinds of lies—lies, damned lies and statistics."
     1904
    • ".. the remark attributed to Disraeli would often apply with justice and force: 'There are three kinds of lies: lies, damned lies, and statistics.'" 
      Mark Twain, Autobiography (Link)

    1911  
    • Es seien dann "... alkoholfeindliche Statistiken zu Tage gefördert worden und da ist denn auch das hübsche Wort des alten Lord Beaconsfield aufgeflattert, demzufolge es drei Arten von Lügen gebe: Lügen, verdammte Lügen und Statistiken". (Link)

    1921
    • "There are three degrees or classes of lies; there are lies, damned lies and statistics."
    1926
    • "Wie es für den geistreichen Spötter Antoine Rivarol drei Arten von Lügen gibt, nämlich die Behauptung, die Auslassung und die Statistik, so gibt es für mich als Statistiker drei Arten von Menschen: solche, die die Statistik brauchen, andere, die sie missbrauchen, und dritte, die über sie schimpfen." (Link)

    _________
    Quellen:
    "Lies, Damned Lies and Statistics" , Department of Mathematics der University of York, 2012 (Link)
    Wikipedia: "Lies, damned lies, and statistics"
    Thomas von Aquin: "Summa theologica", Quaestio 110, Articulus 2, 1265-1273 (Link) 

    (Artikel in Arbeit.)

    Montag, 17. April 2017

    "La ley básica del capitalismo es tú o yo, no tú y yo." Karl Kraus (angeblich)

    Quote of Karl Liebknecht falsely attributed to Karl Kraus.
    Bildergebnis für Karl Kraus capitalismo
    Quote of Karl Liebknecht falsely attributed to Karl Kraus.
                                    
    Der Satz des deutschen Sozialisten Karl Liebknecht über den "Grundzug des Kapitalismus" wird auf Spanisch ("La ley básica del capitalismo es tú o yo, no tú y yo.”) in den neuen Medien sehr oft irrtümlich Karl Kraus zugeschrieben.

    Karl Liebknecht:
    • "Der Grundzug des Kapitalismus ist ja nicht: sowohl du als ich, sondern: du oder ich."
    • "The basic law of capitalism is 'you or me', not 'you and me'."
    • "La ley básica del capitalismo es tú o yo, no tú y yo."
    _________
    Google-Statistik, Spanisch: "Ungefähr 1.870 Ergebnisse" 
    Google-Statistik, Englisch: "8 Ergebnisse"
    Google-Statistik, Deutsch: 0 Ergebnisse
    Karl Liebknecht: "Militarismus und Antimilitarismus unter besonderer Berücksightigung der Internationalen Jugendbewegung", 1911  (Link)  (bibl. Angabe folgt) 

    Freitag, 5. Mai 2017

    "Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist." Franz Kafka (angeblich)

    Pseudo-Franz-Kafka-Zitat.
    Dieses Zitat wurde erst im 21. Jahrhundert Franz Kafka unterschoben und ist inzwischen millionenfach verbreitet; die Autorin oder der Autor dieses Trauerspruchs ist unbekannt.

    Bei Google Books und in "Der SPIEGEL" taucht dieses Pseudo-Franz-Kafka-Zitat im Jahr 2013 das erste Mal auf (Link), im Internet ist das Zitat schon ein paar Jahre länger verbreitet (Link).

    Varianten des Falschzitats:

    • "Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist."
    • "Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel wird."
    • "You see the sun go down, very slowly, and yet one is still surprised when it's suddenly dark."
    • "You see the sun slowly set, yet you're surprised when it's suddenly dark."
    In den Werken und Briefen Franz Kafkas ist das Zitat weder so noch so ähnlich zu finden.
    __________
    Quellen:
    Google-Statistik, Deutsch: "Ungefähr 11 300 Ergebnisse"; 09/2017: "152.000 Ergebnisse"
    Google-Statistik, Englisch: "6 Ergebnisse"
    "Die schönsten Grablieder der Schweiz": Trauersprüche
    Arbeitsgruppe von Ulrich Seelbach von der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld, 2009ff. "Trauersprüche"

    Frühe falsche Zuschreibungen:
    2008: Traueranzeige, 5. Januar 2008 (Link)
    2010: Twitter 
    2013: Rafael Buschmann, Jürgen Dahlkamp und Jörg Schmitt: "Schrauber unter Heuschrecken", "Der SPIEGEL", 44/2013, 28. Oktober 2013 (Link)
    Google Books

    ______
    Dank:
    Ich danke Ulrich Seelbach und seinem Team, die als Erste auf dieses Kuckuckszitat aufmerksam machten.

    Samstag, 13. Mai 2017

    "Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel." Johann Wolfgang von Goethe (angeblich)

    Pseudo-Goethe-Zitat. 
    Dieses Pseudo-Goethe-Zitat kam vor knapp 20 Jahren auf und wurde in einer germanistischen Fachzeitschrift längst als Falschzitat entlarvt.

    Auf Englisch ist das angebliche Goethe-Zitat - wie Garson O'Toole herausgefunden hat - als Ausspruch einer unbekannten "weisen Frau" seit 1953 nachweisbar (Link).

     Das Zitat wird in Amerika einigen Personen unterschoben, in den letzten 10 Jahren auch sehr oft Johann Wolfgang von Goethe.

    Zeitschriften wie Stern und Focus haben neben Facebook und Twitter zu seiner Verbreitung beigetragen und es fehlen auch keine Online-Zitatesammlungen sowie die üblichen Ratgeber für Manager, wie: "Maucher und Malik über Management: Maximen unternehmerischen Handelns", die mit diesem Falschzitat Nähe zu Bildung und Tradition simulieren.
    • "Zwei Dinge sollten Kinder von Ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel."
    • "There are two things children should get from their parents: roots and wings."
    Pseudo-Goethe quote.
    _________
    Quellen:
    "Goethismus. Zur Phänomenologie literarischer Zitation." Von Robert Charlier, Berlin Jahrbuch für internationale Germanistik, Band 37: 2005, S. 165
    Über die Metapher (ohne Goethebezug):
    Gabriele Meyer: "Spuren lesen im Ego-Tunnel: Autobiographisches Schreiben im 21. Jahrhundert", Diplomica Verlag: 2013,  Kapitel: "Die Wirkungsebene - Wurzel und Flügel spüren", S. 25ff.
    Garson O'Toole: "'There Are Two Lasting Bequests We Can Give Our Children: Roots and Wings ': Henry Ward Beecher? Jonas Salk? Hodding Carter? Wise Woman? Ronald Reagan? Jean W. Rindlaub? Anonymous?", 2014 (Link) 

    Beispiele für falsche Zuschreibungen:
    Google-Statistik, Deutsch: "Ungefähr 1 480 Ergebnisse"
    Google-Statistik, Englisch: "Ungefähr 958 Ergebnisse"
    mysmallboat.info , 2006 (frühe englische Zuschreibung)
    Helmut Maucher, Fredmund Malik, Farsam Farschtschian: "Maucher und Malik über Management: Maximen unternehmerischen Handelns", Campus: 2012, S. 344
     Stern
    Focus

    ________
    Dank:
    Ich danke wieder einmal Ralph Bülow sehr für seinen Hinweis auf Garson O'Tooles Recherchen.

    Artikel in Arbeit.

    Donnerstag, 31. Dezember 2020

    "Wer denkt, ist nicht wütend." Theodor W. Adorno (angeblich)

      

    Verkürztes Theodor-W.-Adorno-Zitat.
    Dieses beliebte Adorno-Zitat ist eine verkürzte Wiedergabe des Satzes "Wer denkt, ist in aller Kritik nicht wütend: Denken hat die Wut sublimiert" aus Theodor W. Adornos letztem Radio-Essay, den er kurz vor seinem Tod im Jahr 1969 verfasst hat.

    In diesem berühmten Essay mit dem Titel "Resignation" verteidigt Adorno die gesellschaftsanalytische Arbeit gegen den Vorwurf, die Frankfurter Schule habe resigniert, weil sie sich von der politischen  Praxis fernhielte und sich bei politischen Aktionen nicht beteilige, und er wendet sich gegen politische Pseudo-Aktivitäten.


     Theodor W. Adorno: "Resignation", 1969:

    • "Wer denkt, ist in aller Kritik nicht wütend: Denken hat die Wut sublimiert. Weil der Denkende es sich nicht antun muß, will er es auch den anderen nicht antun. Das Glück, das im Auge des Denkenden aufgeht, ist das Glück der Menschheit. Die universale Unterdrückungstendenz geht gegen den Gedanken als solchen.
      Glück ist er, noch wo er das Unglück bestimmt: indem er es ausspricht. Damit allein reicht Glück ins universale Unglück hinein. Wer es sich nicht verkümmern läßt, der hat nicht resigniert." (Link)


    Artikel in Arbeit.

    ______

    Quellen:

    Google-Statistik "Ungefähr 6 390 Ergebnisse" (verkürztes Zitat)

    Google-Statistik "Ungefähr 383 Ergebnisse" (Zitat)

    Theodor W. Adorno: "Resignation" (1969), in: Gesammelte Schriften in 20 Bänden, Band 10,2 "Kulturkritik und Gesellschaft II", Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main: 1977, S. 799; Online: (Link)

    Sonntag, 9. Juli 2017

    „Ein Haus mit einer Bücherei darin besitzt eine Seele.“ Platon (angeblich)

    Pseudo-Platon-Zitat.
    Für dieses Zitat gibt es keine griechische Quelle, aber eine englische, denn seit 1877 wird es in der Fassung, "A house that has a library in it has a soul", irrtümlich Platon zugeschrieben, und zwar erstmals von dem amerikanischen Schriftsteller und Politiker Robert G. Ingersoll in seinem Buch: "The Liberty Of All"  (Google Books).

    Es könnte aus der Fehlerinnerung an ein Cicero-Zitat entstanden sein, das heute in vielen Varianten verbreitet ist. 

    Cicero bekam von seinem Freund Atticus neue Bücherregale und freute sich sehr, als der römische Grammatiker Tyrannio seine Bücher neu geordnet hatte.

     Cicero schrieb deswegen an Atticus:

    • "postea vero quam Tyrannio mihi libros disposuit mens addita videtur meis aedibus." (Link)
    •  "Seitdem Tyrannio meine Bücher in Ordnung gebracht hat, scheint mein Haus die Seele bekommen zu haben." (Link)
    • "Jetzt erst ist der Geist in mein Haus eingezogen – seit Tyrannio meine Bücher geordnet hat."
    • "And now that Tyrannio has put my books straight, my house seems to have woken to live."

      Marcus Tullius Cicero: Atticus-Briefe IV, 8 (Link)

    Aus diesem Satz Ciceros sind 2000 Jahre später folgende Pseudo-Zitate entstanden:


    • "A house that has a library in it has a soul." Plato
    • "Ein Haus mit einer Bücherei darin besitzt eine Seele." Platon
    • "Ein Haus ohne Bücher ist wie ein Körper ohne Seele." Cicero
    • "Einem Haus eine Bibliothek hinzuzufügen, heißt, dem Haus eine Seele zu geben." Cicero 

      Pseudo-Platon-Zitat.

    ________
    Quellen:
    Google-Statistik, Deutsch: Cicero: "Ungefähr 3 820 Ergebnisse"
    Googe-Statistik, Englisch: Plato: "Ungefähr 12 200 Ergebnisse"
    Marcus Tullius Cicero: Atticus-Briefe, lateinisch-deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Helmut Kasten. Sammlung Tusculum, Artemis und Winkler, Düsseldorf / Zürich: 1990, 5. Auflage: 1998,  IV.8 (Link)
    Aphorismen.de
    Zitate.eu
    Rede von Frau Bundesministerin Dr. Claudia Schmied zur Eröffnung des „Belvedere Research Center“ am 27. Oktober 2009: (Link)
    the CAMPVS, 2011: "Cicero on books and the soul."
    Wikiquote: List of misquotations 


    Letzte Änderung: 1/12 2022.

    Montag, 8. Mai 2017

    "Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du." Mahatma Gandhi (angeblich)

    Pseudo-Mahatma-Gandhi-Zitat.
     
    Sarah Palin, Bernie Sanders, Donald Trump und Hillary Clinton haben diesen angeblichen Gandhi-Spruch verbreitet, so wie tausende andere auch, obwohl seit 2011 in verschiedensten Zeitungen zu lesen war, dass der Spruch falsch zugeschrieben wird.

    Er ist die realistische Zusammenfassung der Erfahrung von vielen politischen Aktivisten. Gandhi hat es ähnlich erlebt und auch beschrieben, aber er hat diesen Spruch, der ihm seit 1981 untergeschoben wird, selber nie so prägnant gesagt.

    Geprägt wurde der Aphorismus 1918 von einem US-Gewerkschafter namens Nicholas Klein, von dem man nicht viel mehr weiß, als dass er unseren globalen Wortschatz mit diesem Spruch bereichert hat. 
     
    Er schrieb zum Beispiel für die Hobo News, eine Zeitung für obdachlose Arbeitsimmigranten (Hobos). Ursprünglich hatte der Spruch diese Fassung:

    Nicholas Klein, 1918


    • "First they ignore you.
      Then they ridicule you.
      And then they attack you and want to burn you.
      And then they build monuments to you."
      Nicholas Klein, Baltimore, 15. Mai 1918 (Link)
    • "Und, liebe Freunde, in dieser Geschichte findet ihr die Historie unserer gesamten Bewegung wieder: Zuerst ignorieren sie dich. Dann machen sie dich lächerlich. Dann greifen sie dich an und wollen dich verbrennen. Und dann errichten sie dir Denkmäler. Und das ist genau das, was den vereinigten Arbeitern der Bekleidungsindustrie Amerikas passieren wird."
      Nicholas Klein, 15. Mai 1918, auf einem Gewerkschaftsstag der vereinigten Textilarbeiter Amerikas in Baltimore. (Übersetzung: Jungle World)

    1922 schreibt Mahatma Gandhi: "Lächerlich gemacht zu werden ist wie Unterdrückung" ... "Wenn in einem zivilisierten Land der Spott eine Bewegung nicht umzubringen vermag, dann wird sie langsam respektiert".

    Mahatma Gandhi, 1922

    • "Unfortunately for His Excellency the movement is likely to grow with ridicule as it is certain to flourish on repression. No vital movement can be killed except by the impatience, ignorance or laziness of its authors. A movement cannot be 'insane' that is conducted by men of action as I claim the members of the Non-co-operation Committee are. … Ridicule is like repression. Both give place to respect when they fail to produce the intended effect. … It will be admitted that non-co-operation has passed the stage [of] ridicule. Whether it will now be met by repression or respect remains to be seen. … But the testing time has now arrived. In a civilized country when ridicule fails to kill a movement it begins to command respect."
      Mahatma Ghandhi, Freedom's Battle, 1922 (Link) 




    Pseudo-Gandhi-Zitat.

    ***

    ZITATFORSCHUNG unterstützen.

     ***
    _________
    Quellen:
    Google-Statistik, Deutsch: "Ungefähr 38 000 Ergebnisse"
    Google-Statistik, Englisch: "Ungefähr 98 700 Ergebnisse"

    Nicholas Klein: "Address of Nicholas Klein to the Biennial Convention of the Amalgamated Clothing Workers of America", Baltimore, 15. Mai 1918, in:  Proceedings of the Third Biennial Convention of the Amalgamated Clothing Workers of America: 1918, S . 53;   (Link wikisource)
    Mahatma Gandhi: "Freedom's Battle. Being a Comprehensive Collection of Writings and Speeches on the Present Situation." Second Edition: 1922, Gutenberg ebook: 2003 (Link) 
    Wikiquote, Englisch 
    Wikiquote, Deutsch
    Elke Wittich, Boris Mayer: "Gandhi ist immer gut",  20. Oktober 2011, Jungle World
    Snopes, "First They Ignore You, Then They Vote for You? A quote misattributed to Mahatma Gandhi started recirculating after it was tweeted by presidential candidate Donald Trump." 2016

      

    Samstag, 27. Mai 2017

    "Der Vorteil der Klugheit liegt darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger." Kurt Tucholsky (angeblich)

    Pseudo-Kurt-Tucholsky-Zitat.

    Dieser beliebte Aphorismus wird seit etwa 50 Jahren in vielen Sprachen fäschlich Kurt Tucholsky zugeschrieben, und ist inzwischen auf Spanisch noch mehr verbreitet als auf Deutsch oder auf Englisch.

    Pseudo-Kurt-Tucholsky-Zitat.

    Bei einer chronologischen Durchsuchung deutschsprachiger Zeitungen taucht das Zitat erstmals am 11. Oktober 1971 als "Spruch des Tages" in der Oldenburger Ausgabe der Nordwest Zeitung auf:

     
    Nordwest Zeitung, 11. Oktober 1971, S. 4.

    Das von einer unbekannten Person geprägte Kuckuckszitat steht seit dem Jahr 1974 auch in  diversen Zitatesammlungen, zum Beispiel in Harenbergs "Lexikon der Sprichwörter und Zitate" sowie im Band "Zitate und Aussprüche" des DUDEN Verlags.

    Dass dieser Aphorismus in den Briefen und Schriften des 1935 verstorbenen Satirikers Kurt Tucholsky nicht zu finden ist, hat Friedhelm Greis auf seinem amüsanten und informativen Sudelblog aufgedeckt.


    Varianten des Pseudo-Kurt-Tucholsky-Zitats:


    • "Der Vorteil der Klugheit besteht darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger."
    • "Der Vorteil der Klugheit liegt darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger." 
    • "La ventaja de ser inteligente es que así resulta más fácil pasar por tonto. Lo contrario es mucho más difícil." 
    • "The advantage of being intelligent is that you can pretend to be stupid. The opposite is rather difficult."
    • "The advantage of wisdom is that you can play dumb. The opposite is more difficult."


    Pseudo-Kurt-Tucholsky-Zitat.

     
    Pseudo-Woody-Allen-Zitat:
     
     
    In Frankreich und in Italien wird dieser vor 50 Jahren in Deutschland entstandene Aphorismus im 21. Jahrhundert dem amerikanischen Regisseur Woody Allen untergeschoben.
     
    Auf Französisch ist dieses angebliche Woody-Allen-Zitat seit dem Jahr 2007 auf Twitter zu finden, auf Italienisch seit 2008 und die englische Version erst seit dem Jahr 2009.
    • "The advantage of being smart is that you can always act like an idiot, but the opposite is completely impossible."  (twitter)
    •  "The advantage of being intelligent, is that we can always play stupid, however being the opposite is completely impossible"


    • "L'avantage d'être intelligent, c'est qu'on peut toujours faire l'imbécile, alors que l'inverse est totalement impossible." (twitter)
    Pseudo-Woody-Allen-Zitat.
     
    • "Il vantaggio di essere intelligente è che si può sempre fare l'imbecille, mentre il contrario è del tutto impossibile." (twitter.)
    Pseudo-Woody-Allen-Zitat.
     
    Aber in Woody Allens Texten kommt dieses Zitat meines Wissens so wenig vor wie in den Texten Kurt Tucholskys. 
     

     
    __________ 
     
     

    Quellen:
    Google Books; Suche ohne "Tucholsky": Google Books
    Google-Statistik, Spanisch: "Ungefähr 3 050 Ergebnisse"
    Google-Statistik, Deutsch: "Ungefähr 2 480 Ergebnisse"
    Friedhelm Greis: Sudelblog, Angebliche Tucholsky-Zitate

    Beispiele für falsche Zuschreibungen:
    Nordwest Zeitung, Ausgabe Oldenburger Nachrichten, Nr. 236, 11. Oktober 1971, S. 4 
    Nordwest Zeitung, Nr. 105, 7. Mai 1974 [ohne Seitenangabe] "Spruch des Tages"
    Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974, S. 52 (archive.org)
    Dudenredaktion: Duden - Zitate und Ausspüche, Band 12, Duden Verlag, Mannheim: 1993, S. 650
    "Harenberg Lexikon der Sprichwörter u. Zitate: mit 50000 Einträgen das umfassendste Werk in deutscher Sprache." (1997) 3. Auflage 2002, Harenberg Verlag, Dortmund: 2002, S. 653
    "Die Weltbühne", Hrsg. von  Hermann Budzislawski, Band 36, Ausgaben 1-26, Verlag der Weltbühne, Ost-Berlin: 1981, S. 352 (Link)
    Humberto Herrera Carles: "1500 Frases, pensamientos para la vida." Verlag: unbekannt, Kindle Edition: 2011 (Link)
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    Dank:
    Ich danke Friedhelm Greis für seine Liste angeblicher Tucholsky-Zitate auf seinem  informativen Sudelblog zu Kurt Tucholsky.

    Letzte Änderung: 29/11 2021; 9/1 2023 (Zusatz Ronner, dank Friedhelm Greis; Woody Allen.)