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Dienstag, 14. Februar 2023

"Alles Große in der Welt geschieht nur, weil einer mehr tut als er muss!" Pseudo-Albert-Einstein-Zitat.

Blechschild mit Pseudo-Albert-Einstein-Zitat.

Dieser Aphorismus wurde jahrzehntelang Hermann Gmeiner, dem Gründer der SOS-Kinderdörfer zugeschrieben, und wird erst im 21. Jahrhundert Albert Einstein untergeschoben.

In den digitalisierten Texten Albert Einsteins und in Alice Calaprices Standardwerk "The Ultimate Quotable Einstein" ist das angebliche Albert-Einstein-Zitat nicht zu finden.

Die erste Zuschreibung an Hermann Gmeiner habe ich bislang in Markus M. Ronners 1974 erschienener Zitatesammlung "Die Treffende Pointe" gefunden:

1974

  • "Alles Große in der Welt wird nur dadurch Wirklichkeit, daß irgendwer mehr tut, als er müßte. Hermann Gmeiner"

    Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe"1974 (books.google.at)
Bis zum Jahr 2006 wurde der Aphorismus, von dem ich noch nicht weiss, wann er wo geprägt wurde, mit geringfügigen Veränderungen fast immer nur Hermann Gmeiner zugeschrieben.

Klaus Landfried, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, hat im Jahr 1997 einmal den Satz Hermann Gmeiners bei einem Vortrag verwendet (books.google.at) . Seitdem wird auch er manchmal als Autor des Zitats genannt.

Man kann aber keinen Aphorismus prägen, der schon 20 Jahre davor unter einem andern Namen in einem Lexikon stand. 

Erst seit dem Jahr 2007 wird der Gmeiners Aphorismus ohne ersichtlichem Grund Albert Einstein zugeschrieben.

2011

"Hermann Gmeiner, the father of the SOS Children’s Villages, expressed it this way:


Auch die SOS-Kinderdörfer schreiben das Zitat ihrem Gründer zu.

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Quellen:


Alice Calaprice: "The Ultimate Quotable Einstein", Foreword: Freeman Dyson, Princeton University Press, Princeton and Oxford: 2011
Alice Calaprice: "Einstein sagt: Zitate, Einfälle, Gedanken", Vorwort von Freeman Dyson; übersetzt von Anita Ehlers, Piper Verlag, München / Berlin: 2015 ebook
The Collected Papers of Albert Einstein: einsteinpapers / princeton
Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974, S. 126 (books.google.at)
1985 Gmeiner (books.google)

1997

  • Alles Große in der Welt geschieht nur, weil einer mehr tut, als er muß." Klaus Landfried Präsident der Hochschulrektorenkonferenz  (books.google.at) 


2009 

Alles Große in unserer Welt geschieht nur, weil jemand mehr tut, als er muss.“ Hermann Gmeiner 

(eventuell 2002 Erstauflage) Hermann Gmeiner (books.google.)



Artikel in Arbeit.

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Dank:

Ich danke M. Wollmann für den Hinweis auf das falsche Einstein-Zitat und Ralf Bülow für seine Recherche.

Samstag, 17. April 2021

"Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und trotzdem den Mund halten." Karl Valentin (angeblich)

Pseudo-Karl-Valentin-Zitat.
Dieses Bonmot wird Oscar Wilde, Karl Valentin , Kurt Sowinetz und einigen anderen zugeschrieben, stammt aber so ähnlich von der viktorianischen Autorin George Eliot und dem amerikanischen Lyriker und Diplomaten James Russell Lowell.

Pseudo-Oscar-Wilde-Zitat.
 In den Texten Oscar Wildes oder Karl Valentins ist dieses Bonmot weder so noch so ähnlich zu finden und es ist unwahrscheinlich, dass es jemals dort gefunden werden wird.

Der amerikanische Diplomat James R. Rowell wollte bei einem Empfang in Boston nach einem brillanten Vorredner nicht sprechen und hat das mit elegantem Witz begründet (Link):

 1872, James R. Lowell

  • "James R. Lowell has invented a new beatitude, "Blessed are they who have nothing to say and who cannot be persuaded to say it."  (archive.org
    "James R. Lowell hat eine neue Seligkeit erfunden: 'Selig sind die, die nichts zu sagen haben und die nicht überredet werden können, es zu sagen.' "

George Eliot hat einen ähnlichen Witz in ihrem Roman "Impressions of Theophrastus Such" vielleicht unabhängig von James R. Lowell gemacht:

1879, George Eliot 

  • "Blessed is the man who, having nothing to say, abstains from giving us wordy evidence of the fact — from calling on us to look through a heap of millet-seed in order to be sure that there is no pearl in it."

  •  "Gepriesen sei derjenige, der nichts zu sagen hat und davon absieht, das zu beweisen".
  • "Selig der Mann, der nichts zu sagen hat und davon absieht, diese Tatsache durch Worte zu beweisen".

    George Eliot:  Impressions of Theophrastus Such, 1879, S. 89 (archive.org) 

 Im Jahr 1961 wird der Witz dem französischen Autor Jean Guéhenno zugeschrieben und taucht in deutschen Zeitungen in folgendem Wortlaut auf:

1961

  • "Gepriesen seien diejenigen, die nichts zu sagen haben und es trotzdem für sich behalten." Jean Guéhenno (Link)

Das Bonmot war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch im deutschen Sprachraum schon in verschiedenen Varianten weit verbreitet und wurde einmal auch als "chinesisches Sprichwort" bezeichnet.

1974

  • "Selig der Synodale, der nichts zu sagen hat und trotzdem schweigt. Helmut Müller"
    Ronner: "Die Treffende Pointe", S. 280 (Link)

 1994

  • "ein Gelangweilter: 'Gepriesen seien diejenigen, die nichts zu sagen haben und es dennoch für sich behalten'." (Link)

 2000 

  • "Ist Ihnen bekannt, daß Gustav Heinemann einmal gesagt hat: 'Wohl dem Politiker, der nichts zu sagen hat und trotzdem schweigt'." (Link)

Mit der falschen Zuschreibung an Oscar Wilde hat im Jahr 1989 anscheinend - der auch bei anderen Zitaten problematische Autor -  Erich von Däniken in seinem Buch "Die Augen der Sphinx: neue Fragen an das alte Land am Nil"  begonnen.  

1989 Oscar-Wilde-Kuckuckszitat

  • "Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und den Mund halten. Oscar Wilde (1856-1900)"

    Erich von Däniken: "Die Augen der Sphinx: neue Fragen an das alte Land am Nil" Bertelsmann, München: 1989, 2. Auflage, S. 185 (Link)


Mit der falschen Zuschreibung an Karl Valentin begonnen hat anscheinend der Autor des Buches "Böse Sprüche für jeden Tag" im Jahr 2003, wie der Aphoristiker M. Wollmann herausgefunden hat.


2003 Karl-Valentin-Kuckuckszitat

Pseudo-Karl-Valentin-Zitat in: Dietmar Bittrich: "Böse Sprüche für jeden Tag" 2003, 24. April (Link) 

Diese falsche Zuschreibung wurde bald auch von anderen Autoren übernommen. Ein Beispiel aus dem Jahr 2007:
  • "'Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und den Mund halten.'
     Karl Valentin"
    Zwilling: 21. Mai bis 21. Juni" (Link)

Die erste Zuschreibung des Zitats an Karl Valentin ist in den digitalisierten Texten erst über 50 Jahre nach seinem Tod nach den Zuschreibungen an alle anderen im 21. Jahrhundert zu finden. 

Auch deswegen ist es unwahrscheinlich, dass Karl Valentin diesen alten Witz jemals verwendet hat; geprägt kann er ihn nicht haben, da das Bonmot im 19. Jahrhundert entstanden ist. 

 

 Artikel in Arbeit.

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Quellen: 

Google

genios.de 

 "Harenberg Lexikon der Sprichwörter u. Zitate: mit 50000 Einträgen das umfassendste Werk in deutscher Sprache." (1997) 3. Auflage 2002, Harenberg Verlag, Dortmund: 2002, S. 1032  [George Eliot]

Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974, S. 280 (Link)

Anonym: "His Imperial Highness the Grand Duke Alexis in the United States of America During the Winter of 1871-72", Riverside Press, For Private Distribution, Cambridge: 1872, S. 102 (Link)
George Eliot: "Impressions of Theophrastus Such", in: The Works of George Eliot. William Blackwood and Sons, Edinburgh and London, o.D. [1879], S. 80  (archive.org)  [Erstveröffentlichung vielleicht schon in: Felix Holt, the Radical, 1866] 

Nordwest Zeitung, Ausgabe Oldenburger Kreiszeitung, 27. Juli 1961, S. 14 (Link)  

"Der gute Deutsche": Dokumente zur Diskussion um Steven Spielbergs "Schindlers Liste" in Deutschland, Röhrig: 1995, S. 270   (Link) 

Erich von Däniken: "Die Augen der Sphinx: neue Fragen an das alte Land am Nil" Bertelsmann, München: 1989, 2. Auflage, S. 185 (archive.org) [Oscar Wilde]
Dietmar Bittrich: "Böse Sprüche für jeden Tag" dtv, München: (2003) 12. Auflage 2009, 24. April (Link) Zitiert nach M. Wollmann [Karl Valentin]
Zwilling: 21. Mai bis 21. Juni"(Link) [Karl Valentin]

 


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Dank:

Ich danke Claire für die Frage nach diesem Zitat und M. Wollmann für den Hinweis auf Bittrichs Buch.


Letzte Änderung 3/7 2022 (Zusatz Bittrich, 2003

Dienstag, 20. Oktober 2020

"Es ist idiotisch, sieben oder acht Monate an einem Roman zu schreiben, wenn man in jedem Buchladen für zwei Dollar einen kaufen kann." Mark Twain (angeblich)


Pseudo-Mark-Twain-Zitat.

Dieses wahrscheinlich von der amerikanischen Schauspielerin und Entertainerin  Gracie Allen geprägte Bonmot wird auf Deutsch irrtümlich Mark Twain zugeschrieben.

 

  • "S.S. Van Dine is silly to spend six or seven months writing a novel when you can buy one for two dollars ..."  Gracie Allen  (books.google)  

 

Bei einer chronologischen Durchsuchung der digitalisierten Texte taucht die Zuschreibung an Mark Twain das erste Mal im Jahr 1974 in Markus M. Ronners Zitate-Sammlung "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts" auf.
 

Markus M. Ronners Zitate-Sammlung ist keine verlässliche Quelle für Zitate, da die Zitate erstens ohne Quellennachweis präsentiert werden, und ich zweitens in diesem Buch schon mehrere  falsche Zuschreibungen entdeckt und dokumentiert habe (Link).


1974
  • "Es ist idiotisch, sieben oder acht Monate an einem Roman zu schreiben, wenn man in jedem Buchladen für zwei Dollar einen kaufen kann.  Mark Twain"

    Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974,  S. 38 ; 247; 257 (books.google)

Sogar in einer Mark-Twain-Anthologie des Insel Verlags wurde das Zitat aufgenommen, allerdings mit dem Zusatz, diese Gruppe von Zitaten seien nicht literarisch belegt, aber allgemein als Mark-Twain-Zitate bekannt und "vorwiegend mündlich überliefert."

Ein Kuckuckszitat, das einem Autor aus unbekannten Gründen Jahrzehnte nach seinem Tod erstmals untergeschoben wurde, sollte nicht als "mündlich überliefert" bezeichnet werden.

2012

  • "Es ist idiotisch, sieben oder acht Monate an einem Roman zu schreiben, wenn man in jedem Buchladen für zwei Dollar einen kaufen kann."
    Mark Twain für Boshafte. Ausgewählt von Günter Stolzenberger. (2010) insel taschenbuch, Berlin: 2012 ebook [Zusatz: nicht belegt; mündlich überliefert] (books.google)


Artikel in Arbeit.

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Quellen:
"The Quotable Mark Twain: His Essential Aphorisms, Witticisms and Concise Opinions" R. Kent Rasmussen, McGraw-Hill Education: New York 1998 (Link)

Beispiele für falsche Zuschreibungen:
Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974, S. 38 ; 247; 257 (books.google)
"Mark Twain für Boshafte." Ausgewählt von Günter Stolzenberger. (2010) insel taschenbuch, Berlin: 2012 ebook
 
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Dank:
Ich danke Zitante Christa für den Hinweis auf dieses Kuckuckszitat und Ralf Bülow und Moritz Jacob für ihre Recherchen zum Ursprung des Zitats.

Sonntag, 5. Juli 2020

"Das Recht auf Dummheit wird von der Verfassung geschützt. Es gehört zur Garantie der freien Entfaltung der Persönlichkeit." Mark Twain (angeblich)


Pseudo-Mark-Twain-Zitat.
Dieses angebliche Zitat des amerikanischen Autors Mark Twain existiert anscheinend nur auf Deutsch und ist deswegen höchstwahrscheinlich ein Kuckuckszitat.

Bei einer chronologischen Durchsuchung der digitalisierten Texte taucht dieses Zitat das erste Mal im Jahr 1974 in Markus M. Ronners Zitate-Sammlung "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts" auf.

Markus M. Ronners Zitate-Sammlung ist keine verlässliche Quelle für Zitate, da die Zitate erstens ohne Quellennachweis präsentiert werden, und ich zweitens in diesem Buch schon mehrere  falsche Zuschreibungen entdeckt und dokumentiert habe (Link).


1974
  • "Das Recht auf Dummheit wird von der Verfassung geschützt. Es gehört zur Garantie der freien Entfaltung der Persönlichkeit. - Mark Twain" 

    Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974,  S. 53 (books.google)

Aber auch in der großen deutschsprachigen Zitatesammlung "Harenberg Lexikon der Sprichwörter u. Zitate" ist dieses angebliche Mark-Twain-Zitat verzeichnet, naturgemäß ohne Quellenangabe.

1997

  • "Das Recht auf Dummheit wird von der Verfassung geschützt. Es gehört zur Garantie der freien Persönlichkeitsentfaltung. - Mark Twain" 
    "Harenberg Lexikon der Sprichwörter u. Zitate", Dortmund: 1997/2002, S. 1278
Sogar in einer Mark-Twain-Anthologie des Insel Verlags wurde eine Version des Zitats aufgenommen, allerdings mit dem Zusatz, diese Gruppe von Zitaten seien nicht literarisch belegt, aber allgemein als Mark-Twain-Zitate bekannt und "vorwiegend mündlich überliefert."

Ein Kuckuckszitat, das einer Autorität aus unbekannten Gründen Jahrzehnte nach ihrem Tod erstmals unterschoben wurde, sollte nicht als "mündlich überliefert" bezeichnet werden.

2012

  • "Das Recht auf Dummheit gehört zur Garantie der freien Entfaltung der Persönlichkeit."
    Mark Twain für Boshafte. Ausgewählt von Günter Stolzenberger. (2010) insel taschenbuch, Berlin: 2012 ebook [Zusatz: nicht belegt; mündlich überliefert] (books.google)


Artikel in Arbeit.

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Quellen:

Beispiele für falsche Zuschreibungen:
Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974,  S. 53 (books.google)
"Harenberg Lexikon der Sprichwörter u. Zitate: mit 50000 Einträgen das umfassendste Werk in deutscher Sprache." (1997) 3. Auflage 2002, Harenberg Verlag, Dortmund: 2002, S. 1278
Mark Twain für Boshafte. Ausgewählt von Günter Stolzenberger. (2010) insel taschenbuch, Berlin: 2012 ebook
Oskar Beck: "Mats Hummels ist der Zahnstocher im Gebiss der Nazis", Die Welt, 3. September 201  (welt.de)



Donnerstag, 30. April 2020

"Der Österreicher blickt voller Zuversicht in die Vergangenheit." Karl Kraus (angeblich)

Seit den 1970er Jahren wird Österreichern nachgesagt, sie blickten 'voller Zuversicht', 'vertrauensvoll', mit 'Optimismus' und 'hoffnungsvoll' in die Vergangenheit. Der Ursprung dieser Redensart ist ungewiss.

Die Variante, "Wir Wiener blicken vertrauensvoll - in unsere Vergangenheit!", hat wahrscheinlich der Wiener Kabarettist Karl Farkas geprägt. Sie wurde 1983 in der Karl-Farkas-Biographie von Georg Markus publiziert, allerdings ohne genaue Quellen- und Datumsangabe. 

Erstmals zugeschrieben wurde das Bonmot Karl Farkas 1974 von Markus M. Ronner in seiner Anthologie: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts" (Link), leider auch ohne Quellenangabe.

 Eine Version dieses Bonmots wird seit 30 Jahren Karl Kraus unterschoben, eine andere Version seit 20 Jahren Alfred Polgar. 

Den digitalisierten Texten nach zu schließen wird das Bonmot Alfred Polgar und Karl Kraus immer nur untergeschoben, aber von Karl Farkas könnten meiner Meinung nach noch eine seriöse Quelle dieser fast schon sprichwörtlich gewordenen satirischen Charakterisierung der österreichischen Mentalität gefunden werden.



Doron Rabinovici, SPIEGEL-Gespräch, 5. Mai 2014:


  • "Nach 1945 haben die Österreicher die Vergangenheit nach Deutschland exportiert. Man hat es sich in einem Opfermythos bequem gemacht. Die Erinnerung daran, dass auch Österreicher Täter waren, hat erst 1986 in der Auseinandersetzung um den damaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim und dessen NS-Vergangenheit begonnen. Überspitzt formuliert: Was ist der Unterschied zwischen Deutschland und Österreich? Die Deutschen blicken voller Pessimismus in die Zukunft und die Österreicher voller Optimismus in die Vergangenheit." (Link)



Chronologie der Zuschreibungen:

1974 - Farkas

  • "Wir Wiener blicken vertrauensvoll in unsere Vergangenheit!"
    Früheste Zuschreibung an Karl Farkas. Von Markus M. Ronner
    (books.google)



1978 - Unbekannt

  •  "Denn zusehr ist der Österreicher — und da zitiere ich einen großen Landsmann — 'zusehr ist er ein Mensch, der voll hoffnungsfrohem Optimismus in seine glorreiche Vergangenheit blickt' ". (Link)

1983 - Farkas

  • "Oder - wie es etwas später der Kabarettist Karl Farkas ausdrückte: Wir Wiener blicken vertrauensvoll - in unsere Vergangenheit!"

    Georg Markus: "Karl Farkas", Amalthea, Wien München: 1983, S. 43 archive.org; (books.google)

1991 - Kraus
  • "zur nostalgischen 'Flucht aus der Gegenwart', einem Denken, das bloß 'vertrauensvoll in die Vergangenheit schaut' (Karl Kraus), als Legitimation und damit Stabilisierung von Herrschaft verwendet zu werden.  (Link)


2000 - Polgar

  • "Denn schon der Polgar hat gesagt: Die Österreicher sind ein Volk, das mit Zuversicht in die Vergangenheit blickt". (Link)
2012 - Farkas
  • "Der Österreicher als 'ein Mensch, der voller Optimismus – in die Vergangenheit blickt'". (Farkas).  (Link)

2018 - Kraus

  • In anderen Worten, er will, wie Karl Kraus sagen würde, »hoffnungsvoll in die Vergangenheit schauen« (das sagte der österreichische Satiriker über seine Landsleute, so am Rande bemerkt)"  (Link)
2018  - Polgar
  • " 'Die Österreicher', so hat es der begnadete Aphoristiker Alfred Polgar einst gesagt, 'sind ein Volk, das mit Zuversicht in die Vergangenheit blickt.'" (SZ)

Postkarte mit Kuckuckszitat?


Artikel in Arbeit.
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 Quellen:

Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974, S. 319 (books.google)
Georg Markus: "Karl Farkas", Amalthea, Wien München: 1983, S. 43 (archive.org)

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Dank:
Ich danke Wolfgang Gruber für seine Recherchen.

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 Anhang

In der Satire "Kraliktag" zu dem christlichsozialen Philosophen  Richard Kralik kommt in der 'Fackel' von Karl Kraus einmal die Wendung mit "Zuversicht in die Vergangenheit blicken" vor, da auch einer österreichischen Generation um die Jahrhundertwende nachgesagt wurde, sie blickten "vertrauensvoll in die Vergangenheit".

"Kraliks 'Oesterreichische Geschichte' ", Grazer Volksblatt, 2. Dezember 1913, S. 1 (Link)

Karl Kraus, Kralikstag, 1922


  • " Wenn wir trotzdem mit jener Zuversicht, die nach ihm ihren Namen führt, in die Vergangenheit blicken können, so tun wir dies im Vertrauen auf eine Jugend, die, wenn sie dereinst ausziehen sollte, um dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist und was ihm die Republik genommen hat, entschlossen ist, nicht heimzukehren, ohne vorher im Zeichen Kraliks gesiegt zu haben, und die schon heute so weit hält, daß ihr ein Kralikstag über einen Benkeabend geht. "
    Karl Kraus: Die Fackel Nr. 601-607, 1922, S. 123 (https://fackel.oeaw.ac.at/F/601,123)

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Letzte Änderung: 8/1 2021

Donnerstag, 6. Februar 2020

"Der Verlust der Scham ist das erste Zeichen von Schwachsinn." Sigmund Freud (angeblich)

Pseudo-Sigmund-Freud-Zitat.
Diese Aussage wird Sigmund Freud seit etwa 60 Jahren unterschoben und ist in seinen digitalisierten Schriften weder so noch so ähnlich zu finden. 

Der Psychotherapeut Wolfgang Gruber hat auf Twitter eine Wette angeboten: Wer das angebliche Freud-Zitat in  einem Text Sigmund Freuds nachweisen kann, bekommt von Gruber die siebzehnbändige Ausgabe der Gesammelten Werke Sigmund Freuds (Link) geschenkt.

Die Diagnose, der Verlust des Schamgefühls sei ein Symptom des Idiotismus, war schon zu einer Zeit verbreitet, als der 1856 geborene Sigmund Freud noch kein einziges Wort publiziert hat:


 1877
  • "Hier liegt ein eclatanter Fall von Verlust des Schamgefühls vor, ein Symptom des Idiotismus."

    Musikalisches Wochenblatt, 9. Februar 1877, S. 6 (Link)
1871 war in einem deutsch-nationalistischen Pamphlet zu lesen, der "Verlust des Schamgefühls" wäre typisch für die französische Nation:
  • "Wie endlich der Verlust des Schamgefühls, des Gefühls für Anstand, Zucht und Sitte, für Recht und wahre Ehre so häufig eine Folge von Geistesstörung ist, so haben wir auch dieses Symptom an der französischen Nation zu constatiren."
    (Link)
1910 wird von manchen Psychopathologen der Verlust des Schamgefühls als "sicheres Anzeichen von Schwachsinn oder Entartung" diagnostiziert, aber nicht von Sigmund Freud:

  • "Der beste Schutz vor den Gefahren der Sexualität ist die Schamhaftigkeit, und die Psychopathologie lehrt, daß der Verlust des Schamgefühls ein sicheres Anzeichen von Schwachsinn oder Entartung ist."
    "Die Deutsche Schule", Band 14, S. 796 (Link)

In den 1920er Jahren warnte der profaschistische "Ärzte- und Volksbund für Gesellschaftsethik" vor den Gefahren des Nacktbadens und moderner Theaterinszenierungen mit den Worten: "eines der frühestenen Anzeichen mancher Geisteskrankheiten" ist "der Verlust des Schamgefühls":

1927
  • "Die Gefahren der Nacktkultur.
    ... Ärzte- und Volksbund für Gesellschaftsethik .... In einer Vorstandsitzung des Bundes wurde die Nacktkultur und die Entwicklung unseres Theaterwesens erörtert und darauf hingewiesen, daß eines der frühestenen Anzeichen mancher Geisteskrankheiten der Verlust des Schamgefühls ist."

    Salzburger Volksblatt, 18. August 1927, S. 4 (Link); NWJ (Link)
 
books.google
Zwei Jahrzehnte nach dem Tod Sigmund Freuds wurde ihm anscheinend das erste Mal ein Satz über den "Verlust der Scham" zugeschrieben.

Der Technikhistoriker Ralf Bülow hat herausgefunden (Link), dass die früheste Zuschreibung dieses Zitats an Sigmund Freud aus dem 1959 erschienen Buch "Die Geister scheiden sich" des bekennenden Nationalsozialisten und Kämpfers "gegen die entartete Linke" Kurt Ziesel stammen könnte. 

Heinrich Böll erwähnte das angebliche Sigmund-Freud-Zitat aus Ziesels Buch in seiner Polemik gegen diesen inzwischen wohl zu Recht vergessenen Journalisten und Autor Kurt Ziesel am 16. März 1962 in der ZEIT (Link).

Seit damals ist das Kuckuckszitat in verschiedenen Varianten sehr weit verbreitet.
  

Varianten des Pseudo-Sigmund-Freud-Zitats:

  • "Der Verlust des Schamgefühls ist das erste Zeichen von Schwachsinn."
  • "Die Abwesenheit von Schamgefühl ist ein sicheres Kennzeichen von Schwachsinn." 
  • "Der Verlust der Scham ist der Beginn der Idiotie."
  • "Der Verlust von Scham ist das erste Zeichen des Schwachsinns."
  • "Der Verlust der Scham, ist der Beginn der Verblödung." 
  • "Der Verlust der Scham ist der Beginn der Barbarei".
  • "Der Verlust der Scham ist das sicherste Indiz der Dummheit."
  • "Der Verlust der Scham zählte nach Freud zu den sicheren Merkmalen des Wahnsinns."
  • "The first indication of stupidity is a complete lack of shame."
Pseudo-Sigmund-Freud quote.


1964
  • "'Der Verlust der Scham ist das erste Zeichen von Schwachsinn.' Sie[!]gmund Freud"

    Fritz Kempe: Fetisch des Jahrhunderts: ein Lesebuch für Fotofreunde,Econ Verlag,  Düsseldorf, Wien: 1964, S. 176
    (Link) 

Seit 1983 wird dieses Zitat besonders in rechtsextremen Kreisen oft zusammen mit einem anderen Freud-Kuckuckszitat verbreitet:

  • "Freuds sicher zutreffende Erkenntis, »die Abwesenheit von Schamgefühl ist ein sicheres Kennzeichen von Schwachsinn«, verbannte man aus seiner Lehre, wie auch seine folgende Äußerung nicht mehr beachtet wurde: »Kinder, die sexuell  stimuliert werden, sind nicht mehr erziehungsfähig. Die Zerstörung der Scham bewirkt eine Enthemmung auf allen anderen Gebieten, eine Brutalität und Missachtung der Persönlichkeit der Mitmenschen. zit. in Illies, 1983, S. 169»

    Rudolf Künast: Umweltzerstörung und Ideologie. Die Frankfurter Schule: Fakten - Fehler - Folgen. Grabert Verlag, Tübingen: 1983, S. 150 (Link)

1986
  • "Nach langer psychotherapeutischer Erfahrung sagte Freud, der Verlust von Scham sei das erste Zeichen von Schwachsinn. Scham konstituiert also den geistig gesunden Menschen, auf welchen Stufen sie auch praktiziert wird".
    Bruno Moser (Link)

1993
Spiegel (Link)


2015
(Link)

Artikel in Arbeit.
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Quellen:
Google: "Verlust der Scham"
Google: "Verlust von Scham" 
Heinrich Böll: Der Schriftsteller und Zeitkritiker Kurt Ziesel, DIE ZEIT, 16. März 1962 (Link)
Kurt Ziesel: Die Geister scheiden sich. Dokumente zum Echo auf das Buch 'Das verlorene Gewissen+. J.F. Lehmanns Verlag: 1959 [noch nicht kollationiert]
Sigmund Freud: Zur sexuellen Aufklärung der Kinder (Offener Brief an Dr. M. Fürst) (1907) in: Studienausgabe Band V, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main: 1982, S. 159-168; auch in: Gesammelte Werke, Band VII, Hrsg. von Anna Freud,  Imago Publishing, London: 1941,, S. 20-27
freud-online.de/Texte/PDF/freud_werke_alle_bd.pdf 
Musikalisches Wochenblatt, 9. Februar 1877, S. 6 (Link)
Salzburger Volksblatt, 18. August 1927, S. 4 (Link); NWJ (Link)
Joachim Illies: Der Jahrhundert-Irrtum. Würdigung und Kritik des Darwinismus. Umschau Verlag, Franfurt am Main: 1983, S. 169
Rudolf Künast: Umweltzerstörung und Ideologie. Die Frankfurter Schule: Fakten - Fehler - Folgen. Grabert Verlag, Tübingen: 1983, S. 150 (Link)
Wolfgang Gruber, Twitter (Link)
Ralf Bülow, Twitter (Link)
  
dpa-Faktencheck: "Experten über falsches Freud-Zitat: widerspricht seinen Positionen", 29. November 2019  presseportal.de/pm/133833/4453871 

freud-online.de/Texte/PDF/freud_werke_alle_bd.pdf

Beispiele für das Falschzitat:
Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974,  S. 251 (Link)
bild.de 21. April 2018
tichyseinblick.de  3. Januar 2020
zitate.eu 27735
gutezitate.com/zitat/262703



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Dank:
Ich danke Wolfgang Gruber für die Aufdeckung und Ralf Bülow für seine Recherchen zum Ursprung dieses Falschzitats.

Sonntag, 2. Februar 2020

"Ein Optimist ist ein Mensch, der ein Dutzend Austern bestellt, in der Hoffnung, sie mit der Perle, die er darin findet, bezahlen zu können." Theodor Fontane (angeblich)

Dieses weit verbreitete Bonmot ist über 100 Jahre alt, anonymen Ursprungs und wird - immer ohne Quellenangabe - in verschiedenen Varianten Ugo Tognazzi, Theodor Fontane, Paul Getty und Jean Paul zugeschrieben.

In den digitalisierten Werken Jean Pauls und Theodor Fontanes ist das Zitat so oder so ähnlich so wenig zu finden wie in seriösen Nachschlagwerken.
Pseudo-Theodor-Fontane-Zitat.

In den digitalisierten deutschsprachigen Texten taucht der anonyme Witz meines Wissens erstmals im Jahr 1931 in einer deutschsprachigen Tageszeitung aus Pilsen (Tschechoslowakei) auf:

1931
  • "Definition. 'Können Sie mir erklären, was ein Optimist ist?'  'Ein völlig mittelloser Mann, der sich in einem Restaurant erster Klasse Austern bestellt, in der Hoffnung, daß er das Diner mit einer Perle bezahlt, die er in einer Auster finden wird.'"

    Westböhmische Tageszeitung, XXXII. Jg., Nr. 189, 15. Juli 1931, S. 5, anonym (Link)

Bis 1974 wird der Witz immer ohne Zuschreibung an einen Autor zitiert (Link), in diesem Jahr wird er in einer Zitatesammlung dem italienischen Schauspieler und Regisseur Ugo Tognazzi zugeschrieben.

1974
  • "Ein Optimist ist ein Mensch, der ohne Geld in der Tasche Austern bestellt - in der Hoffnung, von den gefundenen Perlen die Zeche bezahlen zu können. Ugo Tognazzi"

    Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974, S. 325 (Link)

Ugo Tognazzi hat den Witz vielleicht einmal erzählt, aber geprägt kann er ihn nicht haben, da er im Jahr 1931 erst 9 Jahre alt war.

Die erstmalige Zuschreibung an Theodor Fontane wurde in der Zeitschrift "Westermanns Monatshefte"  im Jahr 1986 ohne Quellenangabe publiziert (Link):

  • "Optimist? Ein Mensch, der ein Dutzend Austern bestellt, in der Hoffnung, sie mit der Perle, die er darin findet, bezahlen zu können.

    Theodor Fontane"
    Westermanns Monatshefte (Westermann's), 1986, Ausgaben 9-12, S. 161 (Link)

Ein paar Jahre später wird der alte Witz etwas verändert dem amerikanischen Milliardär Paul Getty unterschoben:


1992
  • "Ein Spekulant ist ein Mann, der ohne einen Pfennig in der Tasche Austern bestellt, in der Hoffnung,  mit einer Perle bezahlen zu können. Paul Getty"

    Albert H. Savelberg: "Währungsoptionsscheine: Grundlagen, Preisbildung, Strategien", Springer Fachmedien, Wiesbaden: 1992, S. V (Link)
Und im 21. Jahrhundert wird das Zitat erstmals auch Jean Paul zugeschrieben:

2011
  • "Ein Optimist ist ein Mann, der – ohne einen Pfennig Geld in der Tasche – Austern bestellt in der Hoffnung, mit der Perle bezahlen zu können. Jean Paul"Roland Leonhardt: Weltklassezitate für Hochstapler. rowohlt:  2011 (Link) 
Auf Grund der Geschichte dieses Zitats ist es sehr unwahrscheinlich, dass es so oder so ähnlich jemals in einem Text Jean Pauls oder Theodor Fontanes gefunden werden wird. Weitere Funde vor dem Jahr 1931 sind aber nicht auszuschließen.

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Nachtrag 12. Februar 2020

Der Witz ist anscheinend in Amerika entstanden:

1914
  •  "An Optimist is a penniless chap who will go into an oyster house and order 'a dozen on the half-shell' in the hope of finding a pearl wherewith to pay the charges."

Twitter:




Artikel in Arbeit.
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 Quellen:
Google
Westböhmische Tageszeitung, XXXII. Jg., Nr. 189, 15. Juli 1931, S. 5, anonym (Link)
Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974, S. 325 (Link) 
Westermanns Monatshefte (Westermann's), 1986, Ausgaben 9-12, S. 161 (Link)
Albert H. Savelberg: "Währungsoptionsscheine: Grundlagen, Preisbildung, Strategien", Springer Fachmedien, Wiesbaden: 1992, S. V (Link)
Roland Leonhardt: Weltklassezitate für Hochstapler. rowohlt:  2011 (Link) 

books.google 

Donnerstag, 23. August 2018

"Das Gegenteil von gut ist gut gemeint". Karl Kraus (angeblich)

Dieses Sprichwort wurde Karl Kraus vier Jahrzehnte nach seinem Tod erstmals unterschoben. Es ist weder so noch so ähnlich in seinen Schriften zu finden.

Entstanden ist dieses Sprichwort, das auch Bertolt Brecht, Erich Kästner, Friedrich Torberg und Kurt Tucholsky fälschlich zugeschrieben wird, aus einem längeren Satz von Gottfried Benns Essay "Roman als Phänotyp" aus dem Jahr 1958:


Genese des Sprichworts (mit falschen Zuschreibungen):


1958, Gottfried Benn
  • "Es hat sich allmählich herumgesprochen, daß der Gegensatz von Kunst nicht Natur ist, sondern gut gemeint; Stil ist eine bösartige Neubildung, eine letale."
    Gottfried Benn: "Roman des Phänotyp", 1958  (Link);  (Link)
1967
  • "(Vielleicht muß man Heidegger ins Französische übersetzen, um ihn zu verstehen.) Gottfried Benn: 'Das Gegenteil der Kunst ist nicht die Natur; das Gegenteil der Kunst ist — , gut gemeint'.'" (Link)
1974
  • "In der Kunst und in der Politik ist gut gemeint das Gegenteil von gut. Andre Malraux " (Link)
1976
  • "Das Gegenteil von Kunst, sagt Gottfried Benn, ist »gut gemeint« ..." (Link) 
 1977
  • "Das Gegenteil von gut ist gut gemeint". (Link) 
1981
  • "Man würde also in dieser Beilage sicher einmal und recht bald einem der aktuellsten Sätze von Gottfried Benn begegnen: «Das Gegenteil von gut ist gut-gemeint.»"  (Link)
1983
  • "Das Gegenteil von 'gut' heißt nach Karl Kraus in der Politik 'gut gemeint'" .   (Link)
1983
  • "Nach Bert Brecht ist das Gegenteil von 'gut' oft 'gut gemeint'". (Link)
1989
  • "'Das Gegenteil von gut ist nicht schlecht, sondern gut gemeint.' — (weil man nicht zu Ende denkt, HCR). Karl Kraus " (Link)
1990
  • "Aber ein Aphorismus von Karl Kraus lautet: 'Das Gegenteil von gut ist gut gemeint'."  (Link) 
2015
  • "'Gut gemeint', sagte einst der Kulturkritiker Karl Kraus, 'ist ein anderes Wort für schlecht.'" (Link)  

 Varianten

 

  • "Doch gut gemeint ist oft nicht nur das Gegenteil von Kunst, sondern auch ein nur entfernter Verwandter der Wahrheit."
  • "Von Gottfried Benn haben wir jedoch gelernt, dass das Gegenteil von Kunst nicht Natur ist, sondern gut gemeint."  (Link) 
  • "Das Gegenteil von Kunst, sagt Gottfried Benn, ist »gut gemeint«". 
  • "Gut gemeint ist in der Regel das Gegenteil von gut gemacht". 
  • "Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint."  
  • "Gut gemeint ist meist das Gegenteil von gut."   
  • "Dass „gut gemeint" oft das Gegenteil von „gut" ist - das ist in Österreich ein geflügeltes Wort." 

"Das Gegenteil von gut ist gut gemeint" wurde 1996  zum Titel eines Songs der Hip-Hop-Band Kinderzimmer Productions, mit den Zeilen: "Denn das Gegenteil von gut ist gut gemeint / Habt ihr kapiert!"
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Quellen:
Gottfried Benn: „Roman des Phänotyp“. Gesammelte Werke in vier Bänden: Bd. Prosa und Szenen.  Limes Verlag, Wiesbaden: 1958, S. 161f.  Google Books
Österreichische Akademie der Wissenschaften, AAC: "DIE FACKEL" (1899-1936) von Karl Kraus (digitale Edition)  
Wikiquote
german.stackexchange.com/questions 
Friedhelm Greis: Sudelblog, Angebliche Tucholsky-Zitate
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Das Sprichwort wurde auch Bertolt Brecht, Erich Kästner, Friedrich Torberg, Kurt Tucholsky  und anderen unterschoben.
archive.org 
1974: Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974, S. 127 (Link)
1996: google.com/search Bertolt Brecht
2002: groups.google Tucholsky
2017: Tassilo Wallentin: "Der Bärendienst", Kronen Zeitung (Krone Bunt), 19. März 2017  (Link) Tucholsky

Beispiele für falsche Zuschreibungen an Karl Kraus:
1983: Horst Bieber: "Guter Wille mit Verspätung", DIE ZEIT 47/1983, 18. November 1983 (Link) 
1990: books.google 
2002:  books.google   
2009: derstandard.at
2015 books.google  
theeuropean.de/kraus-karl