Dienstag, 25. August 2020

"Wenn man ein Wozu des Lebens hat, erträgt man jedes Wie.“ Friedrich Nietzsche (angeblich)

 

Wandtattoo.  Entstelltes Friedrich-Nietzsche-Zitat.

 
Friedrich Nietzsches Aphorismus: "Hat man sein warum? des Lebens, so verträgt man sich fast mit jedem wie? — ...", wird in den letzten Jahren oft verkürzt und entstellt zitiert und das Adverb "Warum" durch die Wörter "Wofür" oder "Wozu" ersetzt.
 
 
Entstelltes Friedrich-Nietzsche-Zitat.


Gekürztes Friedrich-Nietzsche-Zitat.
 
Das Kurz-Zitat mit dem Adverb "Warum" ist eine nicht sinnentstellende, in den 1920er Jahren entstandene, gekürzte Version eines Satzes von Friedrich Nietzsche aus dem Jahr 1888.

Diese gekürzte Version eines Nietzsche-Aphorismus wurde zum Leitsatz der Logotherapie des Psychiaters Viktor E. Frankl und auch Ingeborg Bachmann wurde von diesem Zitat "ein Leben lang begleitet", wie sie ihrem Verleger Siegfried Unseld erzählte.

 
Friedrich Nietzsche, 1888

  • "Hat man sein w a r u m? des Lebens, so verträgt man sich fast mit jedem  w i e? — Der Mensch strebt  n i c h t  nach Glück; nur der Engländer thut das."

    Friedrich Nietzsche: "Götzen-Dämmerung: Sprüche und Pfeile", § 12., 1888 (Link)

  •  "Hat man sein Warum? des Lebens, so verträgt man sich fast mit jedem Wie? Der Mensch strebt nicht nach Glück, wie die Engländer glauben. —"

    Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente, Frühjahr 1888, NF-1888, 15[118]
["Engländer" sind in diesem Zusammenhang Utilitaristen wie Jeremy Bentham oder John Stuart Mill, die sich zu dem Grundsatz bekennen: "The greatest happiness of the greatest number is the foundation of morals and legislation."]

Viktor E. Frankl


1946
  • "Die Devise nun, unter der alle psychotherapeutischen oder psychohygienischen Bemühungen den Häftlingen gegenüber stehen mußten, ist vielleicht am treffendsten ausgedrückt in den Worten von Nietzsche: 'Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie'".
    Viktor E. Frankl, 1946 
    (Link)
 1957
  • "Ein Wort von Nietzsche war es, das man als Motto über die ganze psychotherapeutische Arbeit im Konzentrationslager hätte setzen können: 'Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.'"
    Viktor E. Frankl, 1957 (Link)

1961
  • "There is much wisdom in the words of Nietzsche: 'He who has a why to live for can bear almost any how.'' I see in these words a motto which holds true for any psychotherapy'"
    Viktor E. Frankl, 1961 S. 101 (Link)

 

Ingeborg Bachmann, 1971

 

  • "Es kommt mir eine Ahnung, daß er aus dem braunen Schulheft ist, auf dessen erste Seite ich in der Neujahrsnacht geschrieben habe: Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie."Ingeborg Bachmann, Malina, 1971 (Link)


  • "Es [das Leben] ist auch ein Umhergehen in diesem Hohlraum, in dem das Ganze schon Platz hat, ein Weg zur Glan und die Wege entlang der Gail, auf die ganze Goria liege ich hingestreckt mit meinen Heften, ich kritzle sie wieder voll: Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie."
    Ingeborg Bachmann, Malina, 1971 (Link)

  • "... überhaupt Nietzsche. Sie [Ingeborg Bachmann] hat mir gesagt, daß sie ein Nietzsche-Wort ein Leben lang begleitet hätte; ja, sie hätte es für sich umformuliert: »Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.« Dies war ein Satz, den sie in ihr Tagebuch geschrieben hat. Jedes Neujahr gelesen und unter dem Christbaum gedacht. Auf das Nietzsche-Wort sei sie von einem Freund aufmerksam gemacht worden, und er hätte sie dann auch korrigiert."
    Siegfried Unseld über Ingeborg Bachmann, Chronik 1971
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1923  
  • "Nietzsche sagt: ,Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie'." (Link)


1985
  • "Das Wort stammt von Friedrich Nietzsche: „Wer ein Warum hat zu leben, erträgt fast jedes Wie". „Und wer kein Warum hat zu leben?" möchte man unwillkürlich nachfragen."
    (Link)
1991
  • Von Friedrich Nietzsche stammt das Wort: „Wer ein Warum hat zu leben, erträgt fast jedes Wie."(Link)
2003

  • "Wer ein Warum hat, dem ist kein Wie zu schwer."
 2018
  • "Wer ein Wozu zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie. (Nietzsche)"  (Link)
 


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Quellen:
Twitter 
Google
 
Friedrich Nietzsche: Digitale Kritische Gesamtausgabe der Werke und Briefe, basierend auf der Ausgabe von G. Colli und M. Montinari, Berlin/New York, de Gruyter: 1967ff., hrsg. von Paolo D’Iorio, "Götzen-Dämmerung: Sprüche und Pfeile", § 12, 1888 (Link)
Friedrich Nietzsche: "Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt," Sprüche und Pfeile § 12,  Leipzig: 1889, in: Nietzsche Werke, Kritische Gesamtausgabe. Herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Sechste Abteilung, Dritter Band, Walter de Gruyter, Berlin: 1969, S. 54f. (Link)
Der Neue Merkur, Band 7, Ausgabe 1, Efraim Frisch, Wilhelm Hausenstein 1923, S. 205(Link)
Viktor E. Frankl: "Ein Psycholog erlebt das Konzentrationslager." Verlag für Jugend und Volk, Wien:  1946 (Seitenangabe fehlt noch)
Viktor E. Frankl: "... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager" (EA 1946) Vorwort von Hans Weigel 1977, Kösel, München: 2009, ebooks, o J  (Link)
Viktor E. Frankl: "Man's Search for Meaning. An Introduction to Logotherapy", Beacon Press 1959,  Vorwort: Gordon W. Allport, Pocket Books, Simon and Schuster,  New York: 1963,  19th priniting: 1971, S. 164 
Viktor E. Frankl: "Basic Concepts of Logotherapy", Confins de la psychiatrie, Band 4, S. Karger, Basel/ New York: 1961, S. 101 (Link)
Ingbeorg Bachmann: "Malina", Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main: 1971, 1974, S. 225 und S. 307 
Siegfried Unseld: "Chronik", Band 2 1971, Hrsg. von Ulrike Anders, Raimund Fellinger und Katharina Karduck, Suhrkamp Verlag, Berlin: 2014, S. 13f.
Joachim Eberhardt: "'Es gibt für mich keine Zitate'. Intertextualität im dichterischen Werk Ingeborg Bachmanns", Studien zur deutschen Literatur, Band 165, Max Niemeyer Verlag, Tübingen: 2002, S. 336ff. (Link)
wikiquote
Politische Studien, Band 36, Ausgaben 279-284, Isar-Verlag. 1985, S. 113
Universitas: Zeitschrift für Wissenschaft, Kunst und Literatur, Band 46, Ausgaben 1-6; 535-540 Hrsg. von Änne Bäumer-Schleinkofer,  Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 1991, S. 247 (Link)
Ingo Reichardt, Anne Reichardt: "Treffende Worte: 3000 Zitate für Führungskräfte." Linde Verlag, Wien: 2003, S. 68 (Link)
tagesrandbemerkung.at/2015/05/29
lexikus.de/bibliothek/Zitate-von-Friedrich-Nietzsche
zitate.de

Artikel in Arbeit. Erweiterte Fassung.

Samstag, 22. August 2020

"Der größte Schaden entsteht durch die schweigende Mehrheit, die nur überleben will, sich fügt und alles mitmacht." Sophie Scholl (angeblich)

Pseudo-Sophie-Scholl-Zitat.
Dieser Satz wird anscheinend erst seit dem Juli 2020 der Widerstandskämpferin Sophie Scholl fälschlich zugeschrieben und ist besonders bei Rechtsextremen beliebt, die die Politik Angela Merkels hassen.

Pseudo-Sophie-Scholl-Zitat.
In ihren Briefen und in den Fluglättern der "Weißen Rose" kann dieser Satz schon allein deswegen nicht gefunden werden, weil der politische Terminus "schweigende Mehrheit" vor dem Jahr 1945 im deutschen Sprachraum (fast) unbekannt war.

Erst durch Berichte über eine TV-Rede Richard Nixons, in der er am 3. November 1969 die große "silent majority"  Amerikas um Unterstützung bat, wurde diese englische Metapher auch auf Deutsch allgemein bekannt.

Wer den Satz von der schweigenden Mehrheit als Erster Sophie Scholl zugeschrieben hat, ist unbekannt.

Vielleicht entstand das Kuckuckszitat aus einer Fehlerinnerung an einen Text der Stiftung Weißer Rose, worin zum Flugblatt II der Weißen Rose gesagt wird, die Verfasser sprächen hier "der schweigenden Mehrheit in Deutschland eine Mitschuld zu, weil sie dazu beitrug, dass 'diese Regierung überhaupt entstehen konnte' (Link) ".

Inzwischen ist dieses Kuckuckszitat in dieser kurzen Zeit laut Google-Statistik schon fast so weit verbreitet wie  der folgende schöne Appell, der wirklich auf einem Flugblatt der "Weißen Rose" stand:





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Artikel in Arbeit.

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Quellen:
Zu "schweigende Mehrheit": Chronologische Suchen in Google books, archive.org, anno und genios.de.

Früheste Belege für den Terminus "schweigende Mehrheit" in deutschen Zeitungen laut genios.de:
1. Nordwest Zeitung, Ausgabe Oldenburger Nachrichten vom  5.11.1969, Leitartikel, S. 2
2. DIE ZEIT, 7. 11. 1969, "Nixons Wettlauf mit der Zeit"
Früher vereinzelter Beleg laut anno:
 Deutsche Volkszeitung, 25. April 1932, Nr. 115, S. 2 (anno)
 [Zwischen 1933 und 1945 habe ich in den digitalisierten Texten keinen einzigen Beleg gefunden; Belege für die nichtmetaphorische Verwendung der Wörter "schweigende Mehrheit" zähle ich nicht.]

Wikipedia:  "silent majority"  
Google "Ungefähr 3 000 Ergebnisse (0,66 Sekunden)"
Google "Ungefähr 4 360 Ergebnisse (0,30 Sekunden)"
[Die Google-Ergebnisstatistiken verändern sich manchmal an einem Tag um bis zu 50% , sind also unverlässlich.]
II. Flugblatt der Weißen Rose
V. Flugblatt der Weißen Rose (Link) 
(Link) 

Erste Erwähnung des Kuckuckszitats auf Twitter: 20. Juli 2020 (Link)
Frühe Erwähnung auf Facebook: 20. Juli 2020 (Link)

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Dank:
Ich danke Musenginst für die Frage zu diesem Falschzitat und Moritz Jacob für Korrekturen und seine Recherchen zum Begriff "schweigende Mehrheit".



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Anhang

 

II. Flugblatt der Weißen Rose, über die Mitschuld der deutschen Bevölkerung, 1942:

 

  •  "Es scheint so und ist es bestimmt, wenn der Deutsche nicht endlich aus dieser Dumpfheit auffährt, wenn er nicht protestiert, wo immer er nur kann gegen diese Verbrecherclique, wenn er mit diesen Hunderttausenden von Opfern nicht mitleidet. Und nicht nur Mitleid muß er empfinden, nein, noch viel mehr: Mitschuld. Denn er gibt durch sein apathisches Verhalten diesen dunklen Menschen erst die Möglichkeit, so zu handeln, er ­leidet diese „Regierung“, die eine so unendliche Schuld auf sich geladen hat, ja, er ist doch selbst schuld daran, daß sie überhaupt entstehen konnte! Ein jeder will sich von einer solchen Mitschuld freisprechen, ein jeder tut es und schläft dann wieder mit ruhigstem, bestem Gewissen. Aber er kann sich nicht freisprechen, ein jeder ist schuldig, schuldig, schuldig!"
    (II. Flugblatt der Weißen Rose)













Freitag, 21. August 2020

"Das Problem dieser Welt ist, dass die intelligenten Menschen so voller Selbstzweifel und die Dummen so voller Selbstvertrauen sind." Charles Bukowski (angeblich)

 
Pseudo-Charles-Bukoswki-Zitat.

Dieser Aphorismus wird seit zehn Jahren von tausenden, wahrscheinlich zehntausenden Leuten im Internet dem amerikanischen Autor Charles Bukowski zugeschrieben, stammt aber so ähnlich von dem britischen Philosophen Bertrand Russell, der wahrscheinlich den Satz "The best lack all conviction, while the worst / Are full of passionate intensity" aus William Butler Yeats berühmten Gedicht "The Second Coming" (1920)  gekannt hat.

Yeats spricht in dem vielzitierten Weltuntergangsgedicht "Das Zweite Kommen" von drohender Anarchie, einer Welt, die zerfällt und in der den Besten jede Überzeugung fehle, während die Ärgsten voll von leidenschaftlicher Intensität seien:


William Butler Yeats: "The Second Coming"

  • "Turning and turning in the widening gyre
    The falcon cannot hear the falconer;
    Things fall apart; the centre cannot hold;
    Mere anarchy is loosed upon the world,
    The blood-dimmed tide is loosed, and everywhere
    The ceremony of innocence is drowned;
    The best lack all conviction, while the worst
    Are full of passionate intensity.
    ..."




Pseudo-Charles-Bukoswki-Zitat.

In dem am 10. Mai 1933 publizierten Artikel "Triumph of Stupidity" analysierte Bertrand Russell das Paradox einer Nation, die ein Jahrhundert lang viele der besten Wissenschaftler und Künstler der Welt hervorgebracht hat, 1933 aber von den dümmsten und barbarischsten Politikern der Welt regiert wird, die die besten Köpfe ihrer Nation bedrohten, einsperrten und vertrieben.

Die brutalsten und dümmsten Elemente der Bevölkerung hätten sich gegen den Rest vereint, während die Klügsten unter den Deutschen miteinander über Nebensächlichkeiten gestritten haben. 

 "Die Hauptursache des Problems ist, dass in der modernen Welt die Dummen selbstsicher und die Intelligenten voller Zweifel sind."

Vor hundert Jahren hätten die philosophisch Radikalen noch voller Selbsicherheit und Einfluß die Politik ihrer Länder zum Besseren verändert, schreibt Russell.


Bertrand Russell: "Triumph of Stupidity", 10. Mai 1933


  • "What has been happening in Germany is a matter of the gravest portent for the whole civilised world. Throughout the last hundred and fifty years, individual Germans have done more to further civilisation than the individuals of any other country; during the latter half of this period, Germans, collectively, have been equally effective in degrading civilisation."

  • "What has happened? What has happened is quite simple. Those elements of the population which are both brutal and stupid (and these two qualities usually go together) have combined against the rest. By murder, by torture, by imprisonment, by the terrorism of armed forces, they have subjected the intelligent and humane parts of the nation and seized power with the view of furthering the glory of the Fatherland." 

  • "The fundamental cause of the trouble is that in the modern world the stupid are cocksure while the intelligent are full of doubt." 
     (Die Hauptursache des Problems ist, dass in der modernen Welt die Dummen selbstsicher und die Intelligenten voller Zweifel sind.)

Dieser Satz Bertrand Russells wurde in den folgenden Jahrzehnten etwas verkürzt zitiert und mehr oder weniger verändert auch in Zitatsammlungen aufgenommen. Aus Russells Problem der "modernen Welt" von 1933 wurde ein "Problem mit der Welt" ohne Beziehung zum Nationalsozialismus.


Varianten des verkürzten Bertrand-Russell-Zitats:



  • "The trouble with the world is that the stupid are cocksure and the intelligent full of doubt. - 1949  ("Das Problem mit der Welt ist, dass die Dummen fest überzeugt und die Klugen voller Zweifel sind.")
  • 'The trouble with the world is that the stupid are cocksure and the intelligent are full of doubt.'  - 1996 (archive.org)
  •  "Es ist ein Jammer, dass die Dummköpfe so selbstsicher sind und die Klugen so voller Zweifel. (Bertrand Russell)" -  2009
  • "Das tragischste im Leben ist, dass sich die Dummen todsicher und die Intelligenten voller Zweifel sind. B. Russell"  - 2009
     
  • "»Das Ärgerlichste in dieser Welt ist, dass die Dummen todsicher und die Intelligenten voller Zweifel sind.« - Bertrand Russell." -  2009
  • "Es ist ein Jammer, dass die Dummköpfe so selbstsicher sind und die Klugen so voller Zweifel. Bertrand Russell"  - 2010
  • "Der Jammer mit der Menschheit ist, dass die Narren so selbstsicher sind und die Gescheiten so voller Zweifel. von Bertrand Russell -   2010
  • "Das Ärgerliche in dieser Welt ist, dass die Dummen todsicher und die Intelligenten voller Zweifel sind." (B. Russell) -  2010
  •  "Es ist ein Jammer, dass die Dummköpfe so selbstsicher sind und die Klugen so voller Zweifel. Bertrand Russell" -  2010
  • "Das Problem mit der Welt ist, dass Spinner und Fanatiker so von sich überzeugt sind, aber weisere Leute voller Zweifel. (Bertrand Russell)" -  2010
  •  "Das Problem mit der Welt ist, dass die Dummen fest überzeugt und die Klugen voller Zweifel sind. Bertrand Russell" -  2014

 Seit dem Jahr 2011 wird dieses veränderte Bertrand-Russell-Zitat Charles Bukowski zugeschrieben:

  • "'The problem with the world is that the intelligent people are full of doubts while the stupid ones are full of confidence.' Charles Bukowski21. Juli 2011
  • "'Das Problem der Welt ist, dass die intelligenten Menschen voller Zweifel sind und die dummen Menschen voller Selbstsicherheit.' - C. Bukowski" 22. Juli 2011
Pseudo-Charles-Bukoswki-Zitat.
 
Der amerikanische Zitatforscher Garson O' Toole hat herausgefunden, dass Charles Bukowski in der Tat einmal das Thema Selbstsichere vs. Selbstzweifler erwähnt hat, allerdings nicht allgemein, sondern Bukowski sprach von dem Gegensatz zwischen selbstzweifelnden guten und selbstsicheren schlechten Autoren.  

Bukowski empfiehlt in dem Gedicht "Friendly advice to a lot of young men" jungen Männern unter anderem nach Tibet zu fahren, ein Kamel zu reiten, die Bibel zu lesen, nur auf der linken Seite des Mundes zu kauen, in einer Tonne zu leben und rät am Ende davon ab, Gedichte zu schreiben.



Auf die Frage eines Interviewers, ob Bukowski immer noch meine, das Leben in einer Tonne sei besser als Gedichte zu schreiben, antwortete Bukowski:


Charles Bukowski, Interview, 1989:

 

  • "Ich glaube, was ich damit gemeint habe ist, dass du besser dran bist, nichts zu machen, als etwas schlecht zu machen. Aber das Problem ist, dass schlechte Schriftsteller eher selbstsicher sind, während die guten Autoren Selbstzweifel haben."
  • " I guess what I meant is that you are better off doing nothing than doing something badly. But the problem is that bad writers tend to have the self-confidence, while the good ones tend to have self-doubt. So the bad writers tend to go on and on writing crap and giving as many readings as possible to sparse audiences. These sparse audiences consist mostly of other bad writers waiting their turn to go on, to get up there and let it out in the next hour, the next week, the next month, the next sometime."

    “Charles Bukowski”, Alden Mills, Arete, July/August 1989, Pages 66-69, 73, 76-77 [zitiert nach Garson O'Toole quoteinvestigator.com]

Das weit verbreitete Phämomen, dass sich inkompetente Leute selbst überschätzen und mit großer Selbstsicherheit Halbwahrheiten oder Unsinn verbreiten wird in der Sozialpsychologie "Dunning-Kruger-Effekt" und  in der Verhaltensökonomie Overconfidence effect genannt.


Artikel in Arbeit.



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Quellen:
Google Deutsch
Google English 
Garson O'Toole: "The Best Lack All Conviction While the Worst Are Full of Passionate Intensity. William Butler Yeats? Bertrand Russell? Charles Bukowski?, 2015 quoteinvestigator.com
The Oxford dictionary of political quotations, 1996 archive.org
 Bertrand Russell: The Triumph of Stupidity, (Stupidity Rules), 10. Mai 1933 in: Bertrand Russell: Mortals and Others. American Essays 1931-1935, Volumes I and II, Routledge Classics. London and New York: 2009,  S. 203f. (books.google)
William Butler Yeats: "The Second Coming"
 “Charles Bukowski”, Alden Mills, Arete, July/August 1989, Pages 66-69, 73, 76-77 [zitiert nach Garson O'Toole quoteinvestigator.com
 bukowskiforum.com
“Charles Bukowski”, Alden Mills, Arete, July/August 1989, Pages 66-69, 73, 76-77 [zitiert nach Garson O'Toole quoteinvestigator.com
Wikipedia: Dunning-Kruger effect 
Artikel in Arbeit.

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Dank:
Ich danke Garson O'Toole für seinen gründlichen Artikel zur Geschichte dieses Zitats.


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Anhang





Pseudo-Charles-Bukoswki-Zitat.



 


Pseudo-Charles-Bukoswki-Zitat.



  •   Früheste Zuschreibungen an Bukowski auf Twitter:



     



     

     
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Montag, 17. August 2020

" Was nützt einem die Gesundheit, wenn man sonst ein Idiot ist?" Theodor W. Adorno (angeblich)


Pseudo-Theodor-W.-Adorno-Zitat.
Diese schroffe rhetorische Frage klingt nicht wie ein Zitat des Stilisten Theodor W. Adorno und ist in seinen Texten und Interviews auch nicht zu finden.

Erstmals zugeschrieben wurde dem 1969 verstorbenen Philosophen das Zitat anscheinend im Jahr 2003 (ohne Quellenangabe) in einer Glosse der konservativen Zeitung "Frankfurter Neue Presse".

2003
  • "'Was nützt einem Gesundheit, wenn man sonst ein Idiot ist?', fragte schon Adorno, obwohl er zu seiner Frankfurter Zeit von einer Evaluierungskommission verschont blieb."Frankfurter Neue Presse, Gemeinsame Ausgabe vom 17.03.2003, S. 2 (genios.de)

Ein Jahr später glaubt sich der Schriftsteller Gerhard Zwerenz zu erinnern, dieses Zitat von dem Tübinger Philosophen Ernst Bloch gehört zu haben.

Die Floskel "vor allem Gesundheit" in vielen Geburtstagwünschen soll der uralte Philosoph Ernst Bloch einmal mit folgenden Worten kommentiert haben: 

2004
  • "Was soll das heißen, vor allem Gesundheit? Was nützt einem Gesundheit, wenn man sonst ein Idiot ist?"

    Ernst Bloch, laut Gerhard Zwerenz  (https://books.google)
Da das Zitat Ernst Bloch anscheinend erst 27 Jahre nach seinem Tod erstmals zugeschrieben wurde, kann man sich nicht sicher sein, ob er es jemals wirklich gesagt hat.

Und weil seit über 10 Jahren vergeblich nach einer Quelle in den Texten Adornos gesucht wurde, ist anzunehmen, dass das angebliche Adorno-Zitat ein Kuckuckszitat ist.

Das Zitat wurde im Jahr 2008 erstmals in eine Zitatsammlung aufgenommen und wird seither auch in angesehenen Zeitungen fälschlich Adorno zugeschrieben.

 

Varianten des Kuckuckzitats:

 

  • "Was nützt die beste Gesundheit wenn man sonst ein Idiot ist?"  
  • "Was nützt einem Gesundheit, wenn man ansonsten ein Idiot ist."
  • "Was nützt einem die Gesundheit, wenn man sonst ein Idiot ist?" 
  • "Was nützt einem die Gesundheit, wenn man ansonsten ein Idiot ist?"

Artikel in Arbeit.
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Quellen:
2003: 
Sabine Kinner: Nachrichten, Rubrik: Kultur und Service, Frankfurter Neue Presse, Gemeinsame Ausgabe vom 17.03.2003, S. 2 (genios.de)
2004:
Gerhard Zwerenz, Ingrid Zwerenz: Sklavensprache und Revolte, der Bloch-Kreis und seine Feinde in Ost und West." Schwartzkopff Buchwerke, Hamburg: 2004, S. 17  (Link)
 2008: Reinhard Jellen: Warum wird Adorno in Deutschland als Humorist so stark unterschätzt? Interview mit Günther Willen über seine Enzyklopädie des gemeinen Wortschatzes der Deutschen, Telepolis, 13. September 2008 (heise.de)
Günther Willen: "Niveau ist keine Hautcreme: Gepflegte Sprüche für alle Lebenslagen." (2008) Erweiterte Neuausgabe im Ullstein Taschenbuch, Ullstein Buchverlage, Berlin: 2018 ebook (Adorno-Zitate, die man immer mal anbringen kann)   (books.google)
 2009: Twitter
 
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Dank:
Ich danke Tobias Blanken für den Hinweis auf das Falschzitat. 

Montag, 10. August 2020

"Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler." Ingeborg Bachmann (angeblich)

Verändertes Zitat aus Ingeborg Bachmanns Roman "Malina" (denkschatz.de).
Dieses Zitat steht in einem etwas anderen Wortlaut in Ingeborg Bachmanns Roman "Malina", stammt aber ursprünglich aus einem Artikel Antonio Gramscis, den er am 11. März 1921 in der von ihm mitgegründeten kommunistischen Zeitung "L'Ordine Nuovo" publiziert hat.


Antonio Gramsci


1921

  • "L'illusione è la gramigna più tenace della coscienza collettiva: la storia insegna, ma non ha scolari." (Link)
  • "Die Illusion ist das zäheste Unkraut des Kollektivbewußtseins; die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler." (Link)
  • "Illusion is the most tenacious weed in the collective consciousness; history teaches, but it has no pupils." (Link) 

Ingeborg Bachmann legt diesen Aphorismus Antonio Gramscis in ihrem  1971 erschienen Roman "Malina" der Icherzählerin in einem Interview mit dem Journalisten Mühlbauer, einer anderen Romanfigur, in den Mund:

 

  Ingeborg Bachmann: "Malina"


1971
  • "Zu der großen Zeit, den großen Zeiten fällt mir doch etwas ein, aber damit sage ich Ihnen nichts Neues: die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler."

     Ingeborg Bachmann: Malina, Suhrkamp 1985, S. 90, Icherzählerin zu einem Interviewer (books.google)

Dieser Aphorismus aus Ingeborg Bachmanns Roman "Malina" wurde im Österreichischen Parlament zwischen 1980 und 2015 ein Dutzend Mal zitiert und dabei wurde das Zitat im Lauf der Jahre von den ÖVP-Abgeordneten Alois Mock und Andreas Khol etwas ausgeschmückt und dadurch entstellt.

Aus dem knappen Satz "die Geschichte lehrt" wurde der Satz, die Geschichte lehre "andauernd",  "dauernd", ständig" oder "ununterbrochen" und das schlichte Verb "hat" wurde durch das Verb "findet" ersetzt.


Varianten des Ingeborg-Bachmann-Zitats - Einige Beispiele aus dem österreichischen Parlament:


1980 - Alois Mock
  • Ingeborg Bachmann hat einmal gemeint, ich darf frei zitieren: Die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler. Das mag leider für den Großteil der Geschichte durchaus zutreffen.
    Alois Mock - Nationalrat XV. GP - 44. Sitzung - 21. August 1980, S. 4236 (parlament.gv.at)
 1985 - Alois Mock
  • "Die große Dichterin Ingeborg Bachmann hat einmal festgestellt: 'Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler.'

    Wir können in allen Fraktionen hier mit Stolz sagen, daß wir als Volk aus dieser Geschichte gelernt haben; und das sollten wir in einem Jahr betonen, in dem wir besonders die Wiedererrichtung der Republik und den österreichischen Staatsvertrag feiern." 
    Alois Mock - Nationalrat XVI. GP - 78. Sitzung - 1. Februar 1985, S. 6969 (parlament.gv.at)
 1987 - Andreas Khol
  • Ingeborg Bachmann hat einmal gesagt: 'Die Geschichte lehrt ununterbrochen, nur leider hat sie wenig Schüler.' " 
    Nationalrat XVII. GP - 8. Sitzung - 20. März 1987, S. 823 (parlament.gv.at)
 1991 - Andreas Khol
  • "Ingeborg Bachmann hat einmal gesagt: 'Das ist die große Tragik, daß die Geschichte ununterbrochen lehrt, aber so wenig Schüler findet.'"
    Andreas Khol - Nationalrat XVIII. GP - 11. Sitzung - 16. Jänner 1991, S. 653 (parlament.gv.at)
1993 - Alois Mock
  •   Es könnte sein, meine Damen und Herren, daß Ingeborg Bachmann, die berühmte österreichische Dichterin, einmal nicht recht hat mit ihrer Aussage: Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler! - Wenn man sich durch die Geschichte durchliest, muß man feststellen, daß sie leider oft recht hatte.
    Alois Mock . Nationalrat XVIII. GP - 107. Sitzung - 10. März 1993, S. 12360 (parlament.gv.at)
1995 - Alois Mock
  • "Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß diese Einladungen der österreichischen Tradition entsprechen. Sie kennen eines meiner Lieblingszitate: Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler. - Ingeborg Bachmann."
    Alois Mock - Nationalrat, XIX. GP - -35. Sitzung , 26. April 1995,  S. 97 (parlament.gv.at)
Alois Mocks Variante des Ingeborg-Bachmann-Zitats mit den Wörtern "dauernd" und "findet" wurde später auch von Journalisten und Zitatsammlungen übernommen und wird inzwischen viel öfters zitiert als das Original.



Artikel in Arbeit


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Quellen:
Google
Twitter
parlament.gv.at 
Antonio Gramsci: "Socialismo E Fascismo: L'Ordine Nuovo 1921-1922." G. Einaudi, Turin: 1966, S. 103 (Link) [Dieser Artikel Gramscis wird öfters fälschlich als Gefängnisbrief bezeichnet und falsch datiert.]
Antonio Gramsci: "Selections from Political Writings (1921-1926): With Additional Texts by Other Italian Communist Leaders." Translated and edited by Quintin Hoare, Lawrence and Wishart, London: 1978, S. 24 (Link)
(Link)
Christian Riechers (Hrg.): "Antonio Gramsci, Philosopie der Praxis, Eine Auswahl", Frankfurt am Main: 1967, S.100-101. Vorerst zitiert nach marxists.org.
Ingeborg Bachmann: "Malina." Roman (1971), Suhrkamp, Frankfurt am Main: 1985,  S. 90 (books.google); (archive.org)
Stenographische Protokolle des Österreichischen Nationalrats parlament.gv.at 




zitate-online.de

Donnerstag, 6. August 2020

"Der Mensch erfand die Atombombe, doch keine Maus der Welt würde eine Mausefalle konstruieren." Albert Einstein (angeblich)

Pseudo-Albert-Einstein-Zitat.

Der Aphorismus "Mankind invented the atomic bomb, but no mouse would ever construct a mousetrap" wird seit kaum 20 Jahren Albert Einstein unterschoben, stammt aber von dem deutschen Aphoristiker Werner Mitsch:

 1983

Letsch Verlag, Stuttgart: 1983, S. 91
  • "Der Mensch hat die Atombombe erfunden. Keine Maus der Welt käme auf die Idee, eine Mausefalle zu konstruieren."

    Werner Mitsch: "Das Schwarze unterm Fingernagel. Sprüche. Nichts als Sprüche." Letsch Verlag, Stuttgart: 1983, S. 91

1993
DUDEN 12, Zitate und Aussprüche, 1993, S. 550.
 In den digitalisierten Texten Albert Einsteins sowie in dem Standardwerk "The new quotable Einstein" von Alice Calaprice kommt das Wort "Mausefalle" gar nicht vor.

Trotzdem wurde dieses Kuckuckszitat vor ein paar Jahren zu einem der bekanntesten Zitate Albert Einsteins erklärt, obwohl es Albert Einstein erst im 21. Jahrhundert untergeschoben wurde.


2005
  • "Auf die Kürze des Bonmots gebracht: 'Der Mensch erfand die Atombombe, doch keine Maus der Welt würde eine Mausefalle konstruieren'." 

    Irene Tüngler books.google
2013
  • "Von Albert Einstein stammt die Feststellung: »Der Mensch erfand die Atombombe. Keine Maus der Welt würde eine Mausefalle konstruieren.«"

    Jürgen Todenhöfer (Link)
2016
  • " 'Der Mensch erfand die Atombombe, doch keine Maus der Welt würde eine Mausefalle konstruieren.' So lautet eines der bekanntesten Zitate von einem der populärsten und prägendsten Menschen des 20. Jahrhunderts: Albert Einstein."

    Thomas Hürmer (books.google)

Seit ungefähr 10 Jahren existiert dieses Kuckuckszitat auch auf Englisch und ist inzwischen nicht nur in der Meme-Welt sehr beliebt geworden:

2011
  • "Mankind invented the atomic bomb, but no mouse would ever construct a mousetrap."(Twitter)
Pseudo-Albert-Einstein-Zitat.
 2020

Pseudo-Albert-Einstein quote.


Problematische Zitate werden oft einfach zu chinesischen Sprichwörtern erklärt. Das ist auch diesem Zitat passiert:


Twitter



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Artikel in Arbeit.
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Quellen:
Google
Twitter (frühe Erwähnung auf Englisch: 2011) 
Werner Mitsch: "Das Schwarze unterm Fingernagel. Sprüche. Nichts als Sprüche." Letsch Verlag, Stuttgart: 1983, S. 91 
Dudenredaktion: Duden - Zitate und Ausspüche, Band 12, Duden Verlag, Mannheim: 1993, S. 550
genios.de
Alice Calaprice: "The Ultimate Quotable Einstein", Foreword: Freeman Dyson, Princeton University Press, Princeton and Oxford: 2011
Einstein Archives Online  alberteinstein.info 
Einstein Archives Online Database (Link) 



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Dank:
Für die Entdeckung dieses Kuckuckszitats bin ich meinem Kollegen Martin Anton Müller sehr dankbar. Herzlichen Dank auch an Zitante Christa, der Rechteinhaberin von Werner Mitschs Nachlass, für den Nachweis des Erstdrucks des Zitats. Dank auch an Ralf Bülow, Florian Gallwitz und Einzeller.