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Pseudo-Karl-Valentin-Zitat. |
Dieses Bonmot wird Oscar Wilde, Karl Valentin , Kurt Sowinetz und einigen anderen zugeschrieben, stammt aber so ähnlich von der viktorianischen Autorin George Eliot und dem amerikanischen Lyriker und Diplomaten James Russell Lowell. |
Pseudo-Oscar-Wilde-Zitat. |
In den Texten Oscar Wildes oder Karl Valentins ist dieses Bonmot weder so noch so ähnlich zu finden und es ist unwahrscheinlich, dass es jemals dort gefunden werden wird.Der amerikanische Diplomat James R. Rowell wollte bei einem Empfang in Boston nach einem brillanten Vorredner nicht sprechen und hat das mit elegantem Witz begründet (Link):
1872, James R. Lowell
- "James R. Lowell has invented a new beatitude, "Blessed are they who have nothing to say and who cannot be persuaded to say it." (archive.org)
"James R. Lowell hat eine neue Seligkeit erfunden: 'Selig sind die, die nichts zu sagen haben und die nicht überredet werden können, es zu sagen.' "
George Eliot hat einen ähnlichen Witz in ihrem Roman "Impressions of Theophrastus Such" vielleicht unabhängig von James R. Lowell gemacht:
1879, George Eliot
- "Blessed is the man who, having nothing to say,
abstains from giving us wordy evidence of the fact — from calling on us
to look through a heap of millet-seed in order to be sure that there
is no pearl in it."
- "Gepriesen sei derjenige, der nichts zu sagen hat und davon absieht, das zu beweisen".
- "Selig der Mann, der nichts zu sagen hat und davon absieht, diese Tatsache durch Worte zu beweisen".
George Eliot: Impressions of Theophrastus Such, 1879, S. 89 (archive.org)
Im Jahr 1961 wird der Witz dem französischen Autor Jean Guéhenno zugeschrieben und taucht in deutschen Zeitungen in folgendem Wortlaut auf:
1961
- "Gepriesen seien diejenigen, die nichts zu sagen haben und es trotzdem für sich behalten." Jean Guéhenno (Link)
Das Bonmot war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch im deutschen Sprachraum schon in verschiedenen Varianten weit verbreitet und wurde einmal auch als "chinesisches Sprichwort" bezeichnet.
1974
- "Selig der Synodale, der nichts zu sagen hat und trotzdem schweigt. Helmut Müller"
Ronner: "Die Treffende Pointe", S. 280 (Link)
1994
- "ein Gelangweilter: 'Gepriesen seien diejenigen, die nichts zu sagen haben und es dennoch für sich behalten'." (Link)
2000
- "Ist Ihnen bekannt, daß Gustav Heinemann einmal gesagt hat: 'Wohl dem Politiker, der nichts zu sagen hat und trotzdem schweigt'." (Link)
Mit der falschen Zuschreibung an Oscar Wilde hat im Jahr 1989 anscheinend - der auch bei anderen Zitaten problematische Autor - Erich von Däniken in seinem Buch "Die Augen der Sphinx: neue Fragen an das alte Land am Nil" begonnen.
1989 Oscar-Wilde-Kuckuckszitat
- "Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und den Mund halten. Oscar Wilde (1856-1900)"
Erich von Däniken: "Die Augen der Sphinx: neue Fragen an das alte Land am Nil" Bertelsmann, München: 1989, 2. Auflage, S. 185 (Link)
Mit der falschen Zuschreibung an Karl Valentin begonnen hat anscheinend der Autor des Buches "Böse Sprüche für jeden Tag" im Jahr 2003, wie der Aphoristiker M. Wollmann herausgefunden hat.
2003 Karl-Valentin-Kuckuckszitat
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Pseudo-Karl-Valentin-Zitat in: Dietmar Bittrich: "Böse Sprüche für jeden Tag" 2003, 24. April (Link) |
Diese falsche Zuschreibung wurde bald auch von anderen Autoren übernommen. Ein Beispiel aus dem Jahr 2007:
- "'Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und den Mund halten.'
Karl Valentin"
"Zitatenschatz Zwilling: 21. Mai bis 21. Juni", S. 68 (Link)
Die erste Zuschreibung des Zitats an Karl Valentin ist in den digitalisierten Texten erst über 50 Jahre nach seinem Tod nach den Zuschreibungen an alle anderen im 21. Jahrhundert zu finden.
Auch deswegen ist es unwahrscheinlich, dass Karl Valentin diesen alten Witz jemals verwendet hat; geprägt kann er ihn nicht haben, da das Bonmot im 19. Jahrhundert entstanden ist.
Artikel in Arbeit.
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Quellen:
Google
genios.de
"Harenberg Lexikon der Sprichwörter u. Zitate: mit 50000 Einträgen das
umfassendste Werk in deutscher Sprache." (1997) 3. Auflage 2002,
Harenberg Verlag, Dortmund: 2002, S. 1032 [George Eliot]
Markus M. Ronner: "Die Treffende Pointe: humoristisch-satirische
Geistesblitze des 20. Jahrhunderts nach Stichwörtern alphabetisch
geordnet." Ott Verlag, Thun: 1974, S. 280 (Link)
Anonym: "His Imperial Highness the Grand Duke Alexis in the United States of America During the Winter of 1871-72", Riverside Press, For Private Distribution, Cambridge: 1872, S. 102 (Link)
George Eliot: "Impressions of Theophrastus Such", in: The Works of George Eliot. William Blackwood and Sons, Edinburgh and London, o.D. [1879], S. 80 (archive.org) [Erstveröffentlichung vielleicht schon in: Felix Holt, the Radical, 1866]
Nordwest Zeitung, Ausgabe Oldenburger Kreiszeitung, 27. Juli 1961, S. 14 (Link)
"Der gute Deutsche": Dokumente zur Diskussion um Steven Spielbergs "Schindlers Liste" in Deutschland, Röhrig: 1995, S. 270 (Link)
Erich von Däniken: "Die Augen der Sphinx: neue Fragen an das alte Land am Nil" Bertelsmann, München: 1989, 2. Auflage, S. 185 (archive.org) [Oscar Wilde] Dietmar Bittrich: "Böse Sprüche für jeden Tag" dtv, München: (2003) 12. Auflage 2009, 24. April (Link) Zitiert nach M. Wollmann [Karl Valentin] Ralph Schneider, Herausgeber: "Zitatenschatz Zwilling: 21. Mai bis 21. Juni" Humboldt Verlag, Baden Baden: 2007, S. 68 (Link) [Karl Valentin]
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Dank:
Ich danke Claire für die Frage nach diesem Zitat und M. Wollmann für den Hinweis auf Bittrichs Buch.
Letzte Änderung 3/7 2022 (Zusatz Bittrich, 2003