Dienstag, 5. Juli 2022

"Und wenn du den Eindruck hast, dass das Leben ein Theater ist, dann suche dir eine Rolle aus, die dir so richtig Spaß macht." William Shakespeare (angeblich)

 

Und wenn du den Eindruck hast, daß das Leben ein Theater ist, dann suche dir eine Rolle aus, die dir so richtig Spaß macht.
Pseudo-William-Shakespeare-Zitat. 
(gutezitate.com)
Dieses Pseudo-Shakespeare-Zitat ist erst im 21. Jahrhundert nachweisbar und in den Werken William Shakespeares und seinen digitalisierten Übersetzungen nicht zu finden.

Das Optimismus verbreitende, mutmachende Falschzitat scheint bei Matura-Abschlussfeiern beliebt zu sein und ist vielleicht als Antithese zu einem Seufzer aus Shakespeares Drama "Der Kaufmann von Venedig" entstanden.

In diesem im Jahr 1600 veröffentlichten Drama klagt der schwermütige Kaufmann Antonio, die ganze Welt sei ein Schauplatz, wo man eine Rolle spielen muss, und seine Rolle sei traurig:


William Shakespeare: "Der Kaufmann von Venedig"

"I hold the world but as the world, Gratiano;
A stage where every man must play a part,
And mine a sad one."
Antonio — Act I, Scene I (archive.org)

Antonio:
"Mir gilt die Welt nur wie die Welt, Graziano;
Ein Schauplatz, wo man eine Rolle spielt,
Und mein' ist traurig." 
 
 Übersetzung: A. W. Schlegel(archive.org)


Dass "das Leben ein Theater ist", ist ein alter Gedanke, der so ähnlich auch das Motto von Shakespeares Globe Theatre bildete: "Totus mundus agit histrionem" (Die ganze Welt ist ein Schauspiel) (Link).

Am bekanntesten wurde dieser Gedanke in der Formulierung "Die ganze Welt ist Bühne" ("All the world's a stage") aus Shakespeares Kömödie "Wie es euch gefällt".

Doch bei Shakespeare ist man zu einer Rolle im Leben verflucht und kann sich nicht jene aussuchen, die, wie im Pseudo-Shakespear-Zitat, "so richtig Spaß macht".



Kurze Geschichte des Shakespeare-Kuckuckzitats:


Seit mehr als zwanzig Jahren wird jungen Leuten nach der bestandenen Matura mit Berufung auf Shakespeares Welttheater-Metapher geraten, sich im Leben eine gute Rolle zu suchen. 

1999
  • "Die Freude über den Erfolg sei berechtigt, so Bürgermeister Alfred Wacker. Doch für den neuen Lebensabschnitt gälten andere Bedingungen, und deshalb solle man es mit Shakespeare halten: 'Wenn das Leben ein Theater ist, dann suche dir eine Rolle aus und gestatte auch anderen, ihre Rolle zu spielen.'"

     MAINPOST, Bad Kissingen, Ausgabe vom 28.06.1999 (genios.de)
Vor dem Jahr 2009 habe ich bis jetzt den Wortlaut des Falschzitats nicht entdecken können.

2009
  • " 'Wenn Du den Ein[d]ruck hast, dass das Leben Theater ist, dann suche Dir eine Rolle aus, die Dir so richtig Spaß macht'. Diese Worte von William Shakespeare sprach Protektor Volker Becker, stellvertretendes Vorstandsmitglied der Sparkasse Merzig-Wadern."

     Saarbrücker Zeitung vom 08.09.2009 /
     (genios.de)

2010 Twitter

Seit 10 Jahren verbreitet sich dieses falsche Shakespeare-Zitat in Schulen, Zeitungen und in  den Sozialen Medien und auch in vielen Online-Zitate-Sammlungen wird es fälschlich William Shakespeare zugeschrieben.

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Quellen:

Shakespeare: "Der Kaufmann von Venedig" Englisch/ Deutsch. Übersetzung: August Wilhlem Schlegel, Tempel Verlag, Leipzig: [1900], 1. Akt, 1. Szene, S. 6 (archive.org)
Shakespeares sämtliche Dramen in vier Bänden. Schlegel-Tiecksche Übersetzung, 2. Band, Phaidon-Verlag, Stuttgart / Wien / New York: (o. D.), auch: (william-shakespeare.de)
 "Mit Coolness durchs weitere Leben" (sfa), Maturafeier in Bad Kissingen, MAINPOST, Bad Kissingen, Ausgabe vom 28.06.1999 (genios.de)

Bislang früheste Erwähnung des Falschzitats:
Ruth Solander: "Ein Garant für beste Unterhaltung" 'Theater 84' feierte 25-jähriges Bestehen. Merzig, Saarbrücker Zeitung vom 08.09.2009 / (genios.de)



Artikel in Arbeit.

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Dank:
Ich danke Hubert Sickinger für seinen Hinweis auf dieses Falschzitat.




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ANHANG

 

William Shakespeare: "Wie es euch gefällt"

 


Jacques.
Die ganze Welt ist Bühne
Und alle Fraun und Männer bloße Spieler.
Sie treten auf und geben wieder ab,
Sein Leben lang spielt einer manche Rollen
Durch sieben Akte hin. Zuerst das Kind,
Das in der Wärtrin Armen greint und sprudelt;
Der weinerliche Bube, der mit Bündel
Und glattem Morgenantlitz wie die Schnecke
Ungern zur Schule kriecht; dann der Verliebte,
Der wie ein Ofen seufzt, mit Jammerlied
Auf seiner Liebsten Braun; dann der Soldat,
Voll toller Flüch und wie ein Pardel bärtig,
Auf Ehre eifersüchtig, schnell zu Händeln,
Bis in die Mündung der Kanone suchend
Die Seifenblase Ruhm. Und dann der Richter
Im runden Bauche, mit Kapaun gestopft,
Mit strengem Blick und regelrechtem Bart,
Voll weiser Sprüch und Allerweltssentenzen
Spielt seine Rolle so. Das sechste Alter
Macht den besockten, hagern Pantalon,
Brill auf der Nase, Beutel an der Seite;
Die jugendliche Hose, wohl geschont,
'ne Welt zu weit für die verschrumpften Lenden;
Die tiefe Männerstimme, umgewandelt
Zum kindischen Diskante, pfeift und quäkt
In seinem Ton. Der letzte Akt, mit dem
Die seltsam wechselnde Geschichte schließt,
Ist zweite Kindheit, gänzliches Vergessen,
Ohn Augen, ohne Zahn, Geschmack und alles."

William Shakespeare: "As you like it.", "Wie es euch gefällt." Übersetzt von August Wilhelm Schlegel (william-shakespeare.de)