Pseudo-Walter-Benjamin-Zitat. |
Dieses Bonmot wurde dem im Jahr 1940 verstorbenen Philosophen Walter Benjamin über 60 Jahre nach seinem Tod das erste Mal untergeschoben, und schon viele Leute haben vergeblich eine Version dieses Zitats in einem Text Walter Benjamins gesucht.
Auch die Behauptungen, das Zitat sei eine Paraphrase von Stellen aus Benjamins Essay "Über den Begriff der Geschichte" oder aus seiner Rezension von Ernst Jüngers Sammelschrift "Krieg und Krieger" mit dem Titel "Theorien des deutschen Faschismus" stimmen nicht, wie man sich leicht selbst überzeugen kann, da beide Texte Online zu lesen sind (Link1) (Link2).
Bei einer chronologischen Durchsuchung aller digitalisierten Texte taucht das Zitat das erste Mal im Jahr 2007 als marxistischer Slogan - allerdings ohne Zuschreibung an Walter Benjamin - in einem Buch über den Philosophen Slavoj Žižek auf.
- "Žižek in other words takes the old Marxist slogan that ‘every rise of Fascism is a sign of a failed revolution’ very seriously: his understanding of history is consistent with Walter Benjamin’s, in as much as it regards a given historical failure or even catastrophe as indicative of the previous grounding ‘openness’ of agiven socio-political constellation."
Heiko Feldner, Fabio Vighi: "Žižek - Beyond Foucault", Palgrave Macmillan, New York: 2007, S. 33 (pdf)
Zwei Jahre später erklärte Slavoj Žižek diesen "alten marxistischen Slogan" aus der Sekundärliteratur über ihn ohne Quellennachweis zu einem Zitat Walter Benjamins, und Žižek hat dieses Bonmot einer unbekannten Person später in Büchern und Interviews noch oft als Walter-Benjamin-Zitat wiederholt.
2009
- "What phenomena such as the rise of the Taliban demonstrate is that
Walter Benjamin's old thesis that "every rise of Fascism bears witness
to a failed revolution" not only still holds true today, but is perhaps
even more pertinent than ever."
"First As Tragedy, Then As Farce" by Slavoj Zizek; Verso, 2009 (
Seit 2011 haben auch andere Autorinnen und Autoren diesen Satz in verschiedenen Varianten fälschlich Walter Benjamin zugeschrieben.
2011
- The Nazis converted the revolutionary hymn into a nationalistic paean to
Hitler, bringing to mind German-Jewish Marxist Walter Benjamin’s adage
that “every fascism is an index of a failed revolution.”
David Bester: Song and struggle: “Bravely Comrades, In Step” People's World, May 19, 2011 (Link)
2011
- Walter Benjamin is credited with saying “behind every fascism is a failed revolution,” (by which he meant communism). (Link)
2012
- "Walter Benjamin seems to have it right when he deemed Fascism to be the product of a failed revolution." (Link)
2013
- "In the past, Žižek enjoyed quoting Robespierre’s sarcastic response when
confronted with the cartloads of bloody heads: “Did you want a
Revolution without a Revolution?” Here the favored quote — repeated three
times — comes from Walter Benjamin and makes a quite different point: 'Every rise of fascism bears witness to a failed revolution.' "
"Demanding the Impossible" By Slavoj ZizekPolity Press, 2013 Review by Jennifer Ruth
(Link)
2013
- "Do, however, recent vicissitudes of Muslim fundamentalism not confirm Walter Benjamin’s insight that 'every
rise of Fascism bears witness to a failed revolution'? The rise of
Fascism is the Left’s failure: a proof that there was a revolutionary
potential, a dissatisfaction, that the Left was unable to mobilize."
Slavoj Žižek: "Deaths on the Nile. Is Egypt’s revolution following the course of Iran’s?" In Thesetimes, August 23, 2013 (Link)
2014
- "Doch auch hier gilt, dass sich hinter jedem Faschismus
eine gescheiterte Revolution verbirgt, und die einzige Möglichkeit der
Linken, diese Loslösung durch die Rechte zu bekämpfen, ist, ihre eigene
Loslösungsbewegung zu starten .."
Slavoj Žižek: "Weniger als nichts: Hegel und der Schatten des dialektischen Materialismus" 2014 (Link)
2015
- "Žižek beruft sich auf Walter Benjamins Einsicht, dass jeder Aufstieg des Faschismus von einer gescheiterten Revolution zeuge ..". (DIE ZEIT)
2015
- "'Hinter jedem Faschismus steht eine gescheiterte Revolution' lautet die
Quintessenz der Faschismusanalyse des deutschen jüdischen marxistischen
Theoretikers Walter Benjamin. (slp.at)
2016
- "Nachtwey: Weil die Linke keine alternative Erzählung anbietet. Walter Benjamin hat mal gesagt: Jeder Faschismus beruht auf einer gescheiterten Revolution - der Aufstieg von rechten Bewegungen hat damit zu tun, dass die Linken es nicht geschafft haben, eine Alternative zu entwickeln." (Der Spiegel)
- "das Walter Benjamin zugeschriebene Bonmot, „dass jeder Aufstieg des Faschismus von einer gescheiterten Revolution zeugt“ (Žižek 2015: 14), ist wohl selten so oft zitiert worden wie in den letzten Jahren." (Link)
- "Žižek constantly repeats Walter Benjamin's observation that 'every fascism is a sign of failed revolution.'" (Link)
- "Guérot fürchtet, Le Pen könnte 2022 tatsächlich gewinnen – und bezieht sich auf den Philosophen Walter Benjamin. Dieser hat schon in den Dreißigerjahren analysiert: "Jeder faschistischen Periode geht eine gescheiterte soziale Revolution voraus." Für Guérot waren die Gelbwesten in Frankreich eine soziale Revolution." (DIE ZEIT)
- Ulrike Guérot: "'Jeder faschistischen Periode geht eine gescheiterte soziale Revolution voraus.' Walter Benjamin" (Twitter)
Twitter, 2021:
Nach Ralf Bülow könnte das Kuckuckszitat durch eine falsche Verallgemeinerung eines Satzes Walter Benjamins aus einem Briefentwurf zu seinem Moskauer Tagebuch entstanden sein:Vielleicht geht das alles auf dieses echte Walter-Benjamin-Zitat zurück - den Rest erledigte die "stille Post": https://t.co/aGBJlRbgB7
— Ralf Bülow (@RalfBuelow) February 14, 2021
Walter Benjamin, zum Moskauer Tagebuch, 1. Mai 1927 (archive.org) |
- "Auf der Ebene dieser Ausdrucksformen der Massen verbinden sich faschistische Ideologie und Ästhetik: Das Ausbleiben der sozialen Revolution geht einher mit einer Inbeschlagnahme der Insignien der Revolution, mit einer Inszenierung und Theatralisierung des Politischen."
Jean-Michel Palmier: "Walter Benjamin: Lumpensammler, Engel und bucklicht Männlein: Ästhetik und Politik bei Walter Benjamin" Suhrkamp: 2009, S. 1143 (Link)